Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XV.

Ein frischer Frühlingswind fegte den Spreekanal entlang über die Akazien und Weidenbäume am Ufer, und bis zu den dicht gedrängten Föhren der Jungfernheide trug er die vollen Klänge eines vielstimmigen Männergesangs, der vor den geschlossenen Thüren und Fensterläden der Villa erbrauste. Und die dunkelgrünen Waldgesellen schüttelten ob der ungewohnten Morgenstörung raschelnd die stacheligen Wipfel, denn sie waren an ein anderes Frühkonzert gewöhnt, an Lerchentriller und Storchgeklapper, an das Krächzen der Raben und Unkenrufe und Froschgequak. Also wozu der civilisierte Lärm? ... Auch die hübsche junge Frau, die in der Villa noch in ihrem breiten Himmelbette ruhte, war in unwirscher Stimmung. Einen so aus dem schönsten Schlummer zu wecken, nachdem man ohnehin so wenig geschlafen, denn die gestrige Gesellschaft, ihr »Salon«, hatte lange gedauert, weil man sich am morgigen Sonntag ja nach Herzenslust ausschlafen konnte. Und nun dieser laute Weckruf von rauhen Stimmen, als wären sie noch von Baumwollstaub bedeckt oder schon von eklem Branntwein gereizt! O sie kannte die Sänger, die den Geburtstag ihres Gatten feierten, gar wohl, denn am Morgen nach ihrer Heimkehr von der Hochzeitreise hatten sie auch losgelegt, und schon damals würde sie ihnen am liebsten sofortiges Schweigen geboten haben, wenn nicht ihr Mann sie abgehalten hätte, der seine Arbeiter zu beleidigen fürchtete. Lächerlich, dies dickfellige, wüste Volk, dem es nur um ein Geldgeschenk und Freibier zu thun ist!

Aber einen dankbaren Hörer hatten die Sänger, die da im besten Sonntagsanzug versammelt waren, heute doch. Hans vernahm die ersten Töne noch in seine Träume hinein, erst leise ringend, dann anschwellend und voll dahin brausend wie Freiheitgesang, die wohlbekannte Weise, die er aus seinem süß schmerzlichen Empfinden gewoben und so oft im Herzensdrang aus den Saiten seiner Geige gelockt, wenn er verzagen wollte. Eine Thräne und noch eine rollten ihm über die Wangen, als es nun, von den vollen, starken Menschenstimmen gesungen, wie eine fröhliche Verheißung an sein Ohr schlug. Ja, er mußte dem guten Fabian Recht geben, daß die ungestüme Melodie aus seiner Sonate gehoben werden und ein neues Leben als Lied führen könnte. Noch wankend im Halbschlafe, tastete er sich in seinen Schlafrock und ans Fenster des Nebenzimmers und stieß den Laden auf. Ein kalter, würziger Hauch drang zugleich mit dem Lied herein, und er erkannte sie alle vom Sängerbunde der Fabrik, den lustigen Tiroler, der den Tenor schmetterte, als gelte es einen Juchzer auf heimatlicher Alm, den Saalaufseher Kindermann, die Spinner Patow und Mila mit seinem Hugo, den Hausknecht Lux, den würdigen zweiten Baß Herrn Hinnen-Lotz, der es in seiner leidenschaftlichen Sangeslust gar nicht verschmähte, in Reih und Glied mit seinen Arbeitern zu stehen. Er sah den taktschlagenden Fabian, der das Lied ohne Zweifel vierstimmig gesetzt hatte, und vernahm nun auch die untergelegten Worte, gar gutgemeinte Verse, angemessen und brav und doch mit einem Schillerschen Schwung, ganz gewiß ebenfalls von dem Allerweltkünstler gedichtet. Horch! horch!

»Wer da Beil und Hammer schwingt,
Wer am Spinnstuhl schaffen kann,
Wer dem Boden Erz entringt,
Stimm' den Preis der Arbeit an!

Menschenkraft
Wunder schafft!

Höhlt die Erde, bannt die Fluten,
Weicht nicht vor dem Ozean,
Macht Natur, das ganze Weltall,
Raum und Zeit sich unterthan!«

Und als der Gesang schwieg, sah Hans durch seine Thränen das Schimmern eines hellen Gewandes. Unbeweglich, wie verklärt stand sie unten abseits, die liebe Kleine, in dem blassen, welken Gesichtchen einen rätselhaft weltverlorenen Zug. Aber ein lauter Aufschrei störte ihn aus seinem Sinnen. Er stürzte ins Nebenzimmer. Seine Frau lag in Krämpfen.

»Schicke die Männer fort! O dieses Gebrüll! Entsetzlich!«

Es blieb ihm nichts übrig, als den Sängern, die eben zum zweiten Lied ausholten, einige Worte des Dankes herunterzurufen und sich das Ständchen für später zu bestellen: »Meine Frau ist leidend ... heute Mittag die Fortsetzung im Fabrikhof, wenn ich bitten darf ... Dank, vielen Dank!«

Leise und rücksichtvoll entfernten sie sich, die meisten mit einem mitleidigen Bedauern für die kranke junge Frau. Nur Herr Hinnen-Lotz, der an die hysterischen Launen seiner Seligen dachte, ballte die Faust. Gerade jetzt war er so gut bei Stimme! Hatte er erst seinen Frühschoppen genehmigt und sich einige Glimmstengel gegönnt, so klang sein »tiefes Doch« erfahrungsgemäß wie ein gesprungener Kochtopf.

Gleichwohl nahmen die Sänger um die Mittagstunde mit ungeschwächtem Eifer ihr unterbrochenes Ständchen wieder auf, und Hans, der ihnen aufmerksam zuhörte, erbat sich zuletzt sein Lied noch einmal.

»Was Sie nicht alles können, Fabian!« sagte er nachher zum Kapellmeister. »Wie wirksam haben Sie das komponiert und in Worte gefaßt!«

»Ich lasse bloß Ihnen nachsingen,« unterbrach ihn der Arbeiter bescheiden. »Die Worte aber kamen von selbst, die liegen schon in den Tönen, ich holte sie nur heraus.«

»Und famos marschieren kann man danach,« meinte der Spinnmeister. »Das packt einen wie die Marseillaise.«

Ein heiteres Mahl vereinigte gegen Abend sämtliche Arbeiter und Arbeiterinnen bei Weißbier und Bayrisch unter dem Vordache des Baumwollmagazins. Herr Hinnen-Lotz hatte den Vorsitz übernommen, und Hans als Gastgeber saß zu seiner Rechten. War es nun das gestrenge Präsidium oder die Anwesenheit des allverehrten Chefs, bei aller ungezwungenen Fröhlichkeit herrschte ein guter Ton, daß man sich kaum unter ungebildeten Arbeitern vermutet hätte. Reden zur Feier des Geburtstagskindes und sämtlicher Vorgesetzten stiegen der Reihe nach, Chorgesänge und Einzelvorträge wurden zum Besten gegeben, und als zuletzt ein invalider Leierkastenmann aufspielte, da drehten sich die wackeren Spinner mit den hübschen Hasplerinnen im Reigen, und sogar die behäbige Frau Mila tanzte am Arm ihres Alten mit Hugo und seiner Lene um die Wette. Nur Kassierer Hitschold blieb ernst und schweigsam.

»Er hat ein Anliegen,« erklärte der Spinnmeister dem verwunderten Chef, der alle fröhlich sehen wollte. »Es ist wegen der Fuhre.«

Hans' Miene verdüsterte sich, denn das war ein wunder Punkt in der Spinnerei und machte ihm viel Sorgen. Während sonst alles seinen geregelten Gang hatte und die schweren Garn- und Baumwollladungen ein Beweis für die Blüte des Geschäftes waren, lag das Fuhrwesen im Argen. Man hatte mit einem Charlottenburger Rollkutscher einen Vertrag abgeschlossen, doch für die Wagen, welche die Garnladungen zur Stadt bringen und auf dem Rückwege Baumwolle aufladen sollten, stellte sich die Bespannung immer unpünktlich ein, oft zu spät, oft gar nicht. Auch die Kutscher kamen hier und da betrunken zurück, und einer hatte sogar auf dem Heimwege einen Probeballen verloren, der nur mit dem ganzen Aufgebote der Polizei wieder herbeizuschaffen war. Das konnte so nicht länger fortgehen.

»Heraus mit der Sprache, Herr Hitschold,« ermunterte Hans den Kassierer, der sich ein Herz faßte und stotternd begann:

»Da Sie einen neuen Rollkutscher suchen, so möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, das Fuhrwesen, das die Fabrik ja doch nicht selbst übernehmen will, an mich zu vergeben.«

Hans sah den unverbesserlichen Pferdefreund groß an und lachte. »Seit wann haben Sie denn einen Marstall, Herr Hitschold?«

»Ich würde je nach Bedarf zwei bis vier oder mehr Pferde anschaffen. Ein heller, trockener, warmer Stall in der Nahe wäre schon gefunden. Schöner nützt nichts.«

»Wie? Dafür haben Sie bereits gesorgt?«

»Und auch zwei Fuhrleute, garantiert ordentliche Burschen, sind jeden Augenblick bereit, in meinen Dienst zu treten.«

»Das ist ja recht schön, aber wo bleibt dann die Buchhalterei?«

»Die soll gewiß nicht darunter leiden,« versicherte Hitschold. Hans überlegte eine Weile und fand sich bereit, es probeweise mit ihm zu versuchen. Den Schweizer erfaßte darob ein wahrer Freudentaumel. Endlich der einzige Wunsch seines Lebens erfüllt; er sollte Rosse haben! Zur Feier dieses bedeutsamen Ereignisses wagte er sogar mit der dicken Frau Fabian einen etwas kühnen und ungehobelten Hopser und war jetzt unter den Fröhlichen fast der Fröhlichste.

Schon am anderen Morgen mietete er auf einem Zimmerplatze gegenüber dem Fabrikthor einen Stall, vier Mecklenburger Zugpferde wurden gekauft und auch ein Fuhrmann und ein Stalljunge in Dienst genommen. Und wirklich litten Soll und Haben, Hauptbuch und Kasse unter der Zersplitterung seiner Thätigkeit nicht, und Ab- und Zufuhr wurden mit gleicher Pünktlichkeit besorgt, wie die Handlungsbücher. Doch fehlte es ihm nicht an Verdruß, und besonders beim Pferdehandel mußte er auf seiner Hut sein, denn die Berliner Roßtäuscher waren durchtriebene Schelme, die auch seinem scharfen Kennerauge viel zu schaffen gaben. Manches Pferd, das beim Ankaufe tadellos schien, erwies sich im Gebrauche fehlerhaft oder für den anstrengenden Dienst nicht stark genug. Am liebsten kaufte oder verkaufte er auf dem Charlottenburger oder Weißenseer Pferdemarkt, doch konnte man da leicht übers Ohr gehauen werden. Es wimmelte von sogenannten Wanderpferden, jenen billigen Stammgästen aller Viehmärkte, die von Roßtäuschern überall im Lande zusammengeschachert werden und immer wieder umgetauscht und verkauft von Hand zu Hand gehen: Kehlkopf- und Lungenpfeifern, Dummkollerigen, Strangschlägern und ähnlichen tugendhaften Gäulen, die weiter keine andere Aufgabe haben, als die Käufer zu betrügen. Auch mit den »Russen«, den schwarzen galizischen Doppelponies mit langen Schweifen und Mähnen, war es ein gefährlich Ding, und sie bereicherten Hitscholds »Pferdeverstand« mit trüben Erfahrungen. Vor Pferdeprozessen und ihren zahllosen Quängeleien, widersprüchevollen tierärztlichen Gutachten und verduftenden Händlern, die sich meist als bloße Kompagnons, d. h. mittellose Handlanger entpuppten, bekam er bald eine unüberwindliche Abneigung. Einmal ließ er einen zu wenig zugfesten Ardenner dem Auktionator zuführen, aber der steckte mit seinem Publikum von Pferdehändlern unter einer Decke, um einen möglichst niederen Kaufpreis zu erzielen. Als ein höheres Gebot gethan wurde, fuhr der Mann des Hammers den Bieter an: er müsse angeben, ob er Mark oder Pfennige meine, was versäumt worden sei. Unmittelbar nach dieser Erklärung wurde dem Vorbieter der Zuschlag erteilt. Natürlich wäre eine solche Unregelmäßigkeit in Hitscholds Gegenwart nicht vorgekommen; aber er hatte bloß seinen Kutscher schicken können, und den hatten die Lumpen vor der Auktion beredet, mit ihnen eine Weiße zu trinken. Als er dann ins Auktionslokal zurückkehrte, hörte er zu seinem Schrecken, daß das Pferd bereits um einen Schandpreis losgeschlagen war. Hinterher veranstaltete der Auktionator im Kreise der »Krapusche«, der Spießgesellen, eine zweite Versteigerung, wobei das Pferd eine wesentlich höhere Kaufsumme erzielte. Der Käufer aber verteilte den Überschuß unter die Kollegen, und jeder erhielt zwanzig Mark. Natürlich wurde Hitschold klagbar, aber wenn es auch zu Tage trat, daß er einem Ringe von Pferdetäuschern zum Opfer gefallen, so mußte der Auktionator doch wegen mangelnder Beweise freigesprochen werden. So hatte der Buchhalter zum Schaden noch den Spott.

»Herr Hitschold,« sagte Hans eines Tages zu ihm, »der Schimmel ist zu schwach und alt für unsere schweren Fuhren. Sie müssen ihm einen Nachfolger geben.«

»Ich habe schon daran gedacht,« erwiderte der Fuhrherr, den es verdroß, wenn man ihm in seine Angelegenheiten hineinsprach, die er besser verstand, »Heute wird mein Matz abgeholt, denn er ist schon verkauft, und morgen kommt sein Ersatz, welchen ich bei Guggenheimer bestellte, der ein famoser Pferdemakler ist. Es soll diesmal ein Rappe sein, denn viele sagen, sie seien stärker und ausdauernder als die Schimmel.«

In der That holte gegen Abend ein Stallknecht den alten Matz ab, dem Hitschold noch einmal freundlich den Hals streichelte, denn er trennte sich ungern von seinen Pferden. Schon am folgenden Morgen kutschierte der kleine Guggenheimer mit buntem Halstuch und langen Stiefeln seinen kohlschwarzen Rappen in den Hof. Es wurde gerade zu Mittag geläutet, und so konnte die ganze Spinnerei das schöne Tier bewundern. Hitschold aber kaufte nicht die Katze im Sack, sondern unterzog das Pferd einer gründlichen Musterung. Er betastete es von allen Seiten und sah ihm ins Maul.

»Hat der Klepper aber 'mal blitzblanke Zähne!« rief Hinnen-Lotz, der neben dem Käufer stand. »Und diese tiefschwarzen Wimpern! Und der weiße Schaum an den Nüstern!«

»Ebend ein ganz junger Däne,« versicherte der Pferdehändler und schnalzte fröhlich mit der Peitsche. »Er hatte bisher keine rechte Pflege. Bei Ihnen wird er erst ein Pferd.«

Der Däne war wirklich stark und solide gebaut, trug den Kopf hoch und machte Sprünge, – kurz ein feuriger Kerl. Nach einer kleinen Probefahrt, die mit Peitsche und Geschrei fast nur zu gut gelang, so wild gemacht war das Pferd, sprang Guggenheimer vom Bock, klopfte sich die Hosen und führte Hitschold vertraulich abseits, als schämte er sich, den Spottpreis laut werden zu lassen. Endlich wurde der Handschlag gegeben, das Geld schmunzelnd eingestrichen und mit dem biederen Segenswunsche, daß ihm Gott viel Glück mit dem Pferde schenken möge, verschwand der Händler. Der Schweizer aber ergriff das Kapitalpferd am Zügel und führte es mit Vaterstolz über die Straße in den Stall, wo er ihm gleich das beste Futter in die Krippe schüttete. Die Hände reibend über den günstigen Kauf, ging er mit Hinnen zum Mittagessen und dann an sein Pult zurück, und sobald es Feierabend schlug, eilte er wieder in den Stall, um nach seinem Rappen zu sehen.

»Die alte Kracke von Pferd!« sagte der Pferdejunge. »Sein Feuer hat nachgelassen, wie die Wärme einer Milchsuppe, wenn sie aufs Eis gestellt wird.«

»Überanstrengung,« entgegnete der Buchhalter. »Laß es ordentlich ausschlafen, und morgen hat's wieder den Teufel im Leib.«

Aber als Hitschold noch vor dem Morgenpiff aus dem Bette sprang, um geschwind im Stalle nach dem Rechten zu sehen, kamen ihm der Fuhrmann und der Junge ganz betrübt entgegen: »Der Rappe ist nun fast so zahm wie der Schimmel.«

Hitschold eilte zu ihm und fand ihn wirklich noch träg am Boden liegen. Er gab ihm einen Tritt, und nun sprang er allerdings stracks auf die Beine, schüttelte sich und wedelte zutraulich mit dem Schweife, »Schämst Dich nicht, Siebenschläfer?« schalt er ihn aus. »Wart' nur, wir werden Dich munter machen. In die Schwemme mit ihm!«

Der Bursche band das Pferd los, schwang sich auf den glänzenden Rücken, der wie von Ebenholz war, und mit Faustschlag und Fersentritt ging es lustig zur Spree hinunter. Hitschold aber eilte ärgerlich ins Kontor hinüber, wo er mit Schreibtafel und Kreide den gewohnten Kassensturz vornahm. Aber kaum war er damit fertig, so lockte ihn ein bekanntes Getrappel ans Fenster.

»Hätt' ich ihn nicht verkauft, ich würde darauf wetten, daß es der arme Matz ist,« sagte er aufhorchend zum Lehrling, der die Kopiermaschine ölte. Aber nein, da ritt ja der Stallbursche auf einem Pferd in den Hof, das gewiß der alte Schimmel nicht war. Doch auch nicht der neue Rappe! Hitschold steckte die Feder hinters Ohr und rief zum Fenster hinaus dem Burschen zu: »Wen bringst Du da?«

»Den Rappen!«

»Unsinn!«

»Gerade aus der Schwemme!«

Kaum traute der Buchhalter seinen Augen, denn am Bauche des Pferdes zeigten sich lange weiße Streifen, und auch die drei Hausknechte, die das Wunder mit ansahen, waren sehr erstaunt darüber.

»Jetzt fällt der Kienruß ab. womit es der Spitzbube gefärbt hat,« bemerkte Hitschold ärgerlich. »Diese Pferdehändler wissen rein nicht mehr, was sie alles erfinden sollen!« Und weit zum Fenster hinaus gelehnt, rief er dem Jungen zu: »Noch einmal ins Bad und dann wiederkommen!«

Nun ging er aber nicht mehr vom Fenster weg, so gespannt war er auf das gewaschene Pferd, und als es endlich noch triefend aus dem Wasser kam, bedeckten die weißen Streifen schon den halben Körper.

»Herr Buchhalter,« rief Janko, »jetzt sehe ich ein, daß es gar kein Pferd ist.«

»Was denn?«

»Ein Zebra!«

Die Hausknechte brachen in ein dröhnendes Gelächter aus, in das Hitschold wider Willen einstimmte. »Noch einmal in die Schwemme!« rief er mit Galgenhumor, und das Zebra wurde zum drittenmal abgeführt. Nun aber warf der Aufgeregte seine Feder hin und stürmte selbst in den Hof hinaus, um den Rappen, wer weiß in welchem Zustand, zu begrüßen. Und bald darauf trappelte es wieder in den Thorweg, und weiß und blank wie die schaumentstiegene Venus kam das Pferd aus dem Wasser.

»Gott soll mich bewahren,« fugte Zobel, »das ist ja Ihr alter Schimmel!«

»Das werden wir gleich sehen!« gab Hitschold zur Antwort und rief mit seiner zärtlichsten Stimme: »Matz!« und richtig, das Pferd wandte seinem alten Herrn den Kopf zu, und sie umarmten sich.

Ein Gelächter erscholl, wie es hier noch nie gehört worden war, und nicht nur aus dem Hofe von den Hausknechten und dem Stalljungen kam es her, sondern von allen Seiten. Vom Fabrikgebäude, an dessen Fenstern die der Maschine entsprungenen Arbeiter Kopf an Kopf standen, vom Haspelsaale, wo die Mädchen und Frauen kicherten und schrien vor Freude, vom Kontor, wo der Lehrling sich über das Mißgeschick seines Bureauchefs den Bauch hielt, von der Rollbahn, an deren Ende hoch oben das rote Gesicht von Hinnen-Lotz erschien, der den armen Landsmann höhnisch maß, aus einer Droschke heraus, worin der Kommerzienrat eben vorfuhr, und durch den offenen Thorweg, wo die Leute auf der Straße stille standen, und sie alle schüttelten sich vor Lachen über das Zebra, aus dem zuletzt ein alter Schimmel geworden. Und das Gelächter prasselte auf in breiten Rachenlauten und hohen Fisteltönen und pflanzte sich fort von Saal zu Saal und alle Stockwerke des Riesengebäudes empor und mischte sich in das Stampfen der Maschinen, das Schwirren der Spulen und Riemen und das Fauchen des Dampfes, und einen Augenblick schien es, als wäre die Fröhlichkeit in das freudlose Haus der Arbeit eingezogen und wollte mit ihrem lustigen Schellengeklingel den Lärm der Maschinen und die Mühe des schweren Tagewerks für immer vertreiben. Aber mit Eins verschwanden alle die fröhlichen Gesichter von Fenstern und Thüren, und ernst und traurig stand wieder das große Arbeithaus da, nur noch durchbraust von dampfbeflügelten Rädern und Spindeln und bewohnt von im Schweiß ihres Angesichtes sich abmühenden armen Menschen. Auch Hitschold wurde wieder an seine Pflicht gemahnt, und während die Hausknechte sich mit Berserkerwut auf einen Baumwollenballen stürzten, als wäre es ihr persönlicher Feind, und ihn mit ihren Eisenhaken über den Hof zerrten und schoben, wandte sich Hitschold zum letzten Mal an sein wiedergefundenes Pferd.

»Marsch in den Stall, mein alter Schimmel!« sagte er und gab ihm einen Klaps mit der Hand, scherzhaft und freundlich, wie man einem guten Gesellen den Abschied gibt. Und siehe da! es wieherte fröhlich, als ob es seine Einladung zu einem kleinen Haferfrühstück verstanden hätte, und trabte vergnügt und ohne nach dem Wege fragen zu müssen, über die Straße und in den Stall an die Krippe des alten verkauften Schimmels.

»O die Gauner!« rief Hitschold, indem er wieder an sein Pult zurückkehrte. »Sie haben mit Glanzfarbe aus dem Schimmel einen Rappen fabriziert, ihm den Schweif gestutzt, die Zähne sauber gefeilt, die Augenwimpern gefärbt, mit Quecksilber im Futter seinen Speichelfluß befördert und ihn mit einer Flasche Wein jung und feurig gemacht. Nächstens machen sie noch aus einem Pferd gar einen Menschen!«

Man lachte in Moabit und Charlottenburg noch lange über das Zebra des Herrn Hitschold.


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