Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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IV.

Als der Wagen mit den beiden Handelsherren jenseit der Brücke verschwand, kehrte Hans Lenz in tiefer Traurigkeit nach seiner Wohnung zurück, um bei seiner Geige Trost zu finden. Doch kaum war er um die Ecke der Fabrik, als Lene Fabian ihm entgegenhastete.

»Herr Hans, Herr Hans!« stammelte sie und hielt ihm mit glühendem Antlitz einen Zettel entgegen, den er ohne ein Wort des Dankes hastig aus ihrer Hand nahm. Es war nicht das erste Mal, daß die frühreife Kleine als Liebesbotin diente, doch immer hatte er eine unangenehme Empfindung vor diesen großen, wissenden Kinderaugen, die sich an sein Gesicht klammerten und bei dem Ausdrucke seiner Freude oft wie mit einem Schleier bedeckten. Auch jetzt wieder, als er vor Wonne zitternd die eilig mit Bleistift gekritzelten Worte las:

»Papa ist in die Stadt. Die Mistreß hat Migräne. Ich erwarte Sie unter der Rampe.« Nichts weiter, aber wie viel Seligkeit lag in diesen Worten für ihn!

»Was soll ich dem gnädigen Fräulein sagen?« fragte Lene in seine Gedanken hinein.

»Ich bringe die Antwort selbst.«

Sie wandte sich und ging langsam und schlürfenden Schrittes über den Hof zurück. Nun eilte er an seinem Hause vorüber gegen die Spree hinab, die zwischen den emporgethürmten Kohlenhaufen und Holzstößen aufschimmerte, öffnete das Thor und bog in den Uferweg ein, der rechts am nachbarlichen Garten vorbeiführte. Über dem Zaune sah man zwischen den Linden und Erlen ein Stück der Villa mit ihren Erkern und Veranden. Noch ehe er die kleine steinerne Rampe am Ufer erreicht, schimmerte ihm ein helles Kleid und ein großer gelber Gartenhut von oben entgegen.

»Guten Abend, Herr Nachbar!« rief sie ihm zu, indem sie ihre zarte, schlanke Gestalt über die steinerne Brüstung beugte, und der frische, herzwarme Ton ihrer Stimme durchschauerte ihn.

Er zog artig seine graue Fabrikmütze, und sie kam mit elastischen Schritten die Treppe herab und griff nach seiner Hand, die sie kräftig schüttelte, wie es ihre englische Gouvernante zu thun pflegte.

»Boby ist auch von der Partie!« rief sie aus und neigte sich zu einem langhaarigen Rattenfänger, der schwänzelnd und bellend hinterher keuchte. »Er ist mir sogar lieber, als die entsetzliche Mistreß, die alles shocking findet. Sie wissen, ich habe ihr versprechen müssen, niemals allein mit Ihnen spazieren zu gehen. Na, wenn Boby dabei ist, sind wir doch nicht allein. Das ist auch eine Anstandsperson, nicht wahr?«

Er hörte lächelnd auf ihr Kindergeplauder, und ohne zu wissen, wohin sie eigentlich gingen, schritten sie am Ufer neben einander hin. Die Sonne warf ihre fast wagerechten Strahlen durch die Wipfel des Schloßgartens ihnen gerade ins Gesicht. Er zog seine Mühe tiefer in die Stirn, und sie öffnete ihren roten Sonnenschirm. Der ungepflasterte Weg, von Pappeln und Linden gesäumt, führte von der Schleuse den Kanal entlang bis zur Brücke und war nichts weniger als bequem. Das Gehen wurde auch dem aufmerksamen Fußgänger durch eingerammte runde Holzpflöcke erschwert, die zollhoch ihre Köpfe aus dem Boden streckten. Dieses tückische Pflaster war als Stützpunkt für die Arbeiter bestimmt, welche im Schweiß ihres Angesichtes die Lastschiffe den Kanal aufwärts zogen, tief auf ihre Stöcke gebückt, dem Vornüberfallen nah. Noch verkündeten Warnungstafeln, daß das Betreten dieses Uferweges nur zum »Treideln« gestattet sei, aber das Verbot war längst hinfällig geworden. Die Maschine hatte auch hier die Menschenarbeit verdrängt. Seit einem Jahre und länger »treidelten« nur noch die flinken und billigen Schleppdampfer. Als sie die gewaltige Holzbrücke passierten, polterte gerade ein Pferdebahnwagen an ihnen vorüber. Unwillkürlich senkte Adelheid ihren Schirm, um ihr Gesicht zu verbergen. Er bemerkte es.

»Kein Fahrgast drinnen,« sagte er, »und der Schaffner verrät Sie nicht.« Dann erzählte er ihr von dem Besuche des Onkels, der heut' einen Geschäftsfreund mitgebracht, einen freundlichen alten Herrn, und wie sie die Spinnerei besichtigt und nachher beratschlagt hatten, auf welche Art das Geschäft wieder in Gang zu bringen wäre. Adelheid horchte aufmerksam zu, denn sie nahm schon um ihres Begleiters willen warmen Anteil an dem Schicksal der benachbarten Fabrik. Sie kannte ja auch den Generalkonsul, der ein guter Freund ihres Vaters war und gerade in letzter Zeit viel mit ihm verkehrte. Was es galt, wußte sie freilich nicht, und auch Hans konnte ihr keine Auskunft geben.

»Ich kümmere mich nicht um seine Geschäfte,« sagte er, »und bin überhaupt froh, wenn ich nichts von Geschäften höre. Sie können sich denken, mit welcher Empfindung ich von meiner Geige weg in die Konferenz mit den Herren ging.«

»Ach, und wie haben Sie wieder gespielt!« rief sie aus und gestand ihm, daß sie sich zu seinem Konzert ein Zaunbillet genommen und erst auf Lenens Wink der beiden Besucher wegen zurückgezogen. »Hoffentlich hat Ihr Herr Onkel die Lauscherin nicht erkannt,« fuhr sie fort. »Ich habe eine dunkle Ahnung, als käme mir von ihm wenig Gutes!«

Da war nun Hans bemüht, seinen Onkel in Schutz zu nehmen. Er nannte ihn einen großmütigen, einen großartigen Menschen, der zum Börsianer viel zu gut sei. Wie hatte er nicht zu seinem Bruder gehalten, so lang' es nur immer ging, und ihn auf die Gefahr hin, sich mit den Aktionären und Verwaltungsräten der Niederdeutschen Bank zu überwerfen, bis zu seinem Tod unterstützt! Und auch gegen den Neffen sei er stets liebenswürdig gewesen und habe ihm die drei schrecklichen Jahre auf der Bank durch seine Gönnerschaft erleichtert und die Reise nach England bei seinem Vater durchgesetzt. Freilich, am Unmöglichen scheiterte er ebenfalls, und so konnte auch er nicht seiner »Umsattelung« das Wort reden und aus dem widerwilligen Kaufmann einen Berufsmusiker machen.

»Und jetzt,« warf sie in trockenem Ton ein, aus dem ihr Zweifel deutlich genug sprach, »wird er Ihnen jetzt den Willen lassen, nun kein väterliches Verbot mehr im Wege steht?«

Er schwieg einen Augenblick, denn die Unterredung mit den beiden Herren hatte ihn doch sehr erschreckt und entmutigt.

»Wer weiß,« sagte er kleinlaut. »Aber wenn ich auch in der ersten Zeit noch da drüben mitschaffen muß, so werde ich mich später gewiß frei machen. Und da baue ich gerade auf den Onkel.«

Unterdessen hatten sie am gelben Wärterhäuschen vorbei die Brücke überschritten und blieben ratlos stehen. Wohin jetzt? Der Besuch des Schloßgartens war untersagt. Nach Charlottenburg, das von Berlinern wimmelte, wagte sie sich in ihrem Gartenkleide nicht, auch fürchtete sie, Bekannte zu begegnen. Da blieben unwillkürlich ihre Blicke auf einem großen Kahn haften, der an der Brücke ankerte. Es war eine Apfelzille, die morgen nach Berlin hinaufgezogen werden sollte, und ein Duft von frischem Obst wehte ihnen entgegen.

»Heute bin ich zu Abenteuern aufgelegt, Herr Nachbar,« sagte sie mutwillig, »und Sie müssen mein Robinson sein. Wir bilden uns ein, dieser Obstkahn sei das verlassene Wrack, aus dem Robinson seine Vorräte holt, die ihn dem Hungertod entreißen sollen. Und Boby ist Freytag, der treue Freytag! Schwarz ist er ja auch.« Dann trat sie lachend dem Schiffe näher. »Haben Sie schon ein solches Ungeheuer besucht, Sie Landratte? Nein? Ich auch nicht, aber Kriegsschiffe in der Begleitung von galanten Seeoffizieren – in Kiel –, und sogar getanzt wurde drauf. Aber auch dieser Spreekahn muß eine Sehenswürdigkeit sein, und er hat den schönen Geruch voraus.«

Vorne, wo die mit Fensterchen versehene Wohnung der Schifferleute war, stieg ein bläulicher Rauch aus dem blechernen Schlot. Offenbar wurde Abendbrot gekocht. Umso ungestörter konnten die Besucher den Kahn auskundschaften. Auf einem schwankenden Brette ging es hinüber. Doch der treue Phylax des Fahrzeuges, ein dicker, alter Spitz, hatte die Eindringlinge schon bemerkt und keuchte ihnen kläffend entgegen, um alsbald durch Boby von seinem Vorsatze abgezogen zu werden, denn er schien ihm der Freundschaft nicht unwert. Die Besitzerin des Kahns, eine dicke Spreewälderin, war indessen schon allarmiert und kam, ein buntes Tuch über dem Kopf und Holzschuhe an den Füßen, langsam heran. Sie musterte lächelnd das neugierige Pärchen und führte es durch den hohlen Schiffsraum, wo die links und rechts aufgehäuften Früchte eine Gasse bildeten.

»Beurre blanc,« sagte sie und wies auf einen Korb voll Birnen.

Hans und Adelheid gingen hintereinander zwischen all' dem herbstlichen Segen her und sogen den würzigen Duft ein. Er hatte freilich nur Augen für ihre reizumwobene Gestalt; sie betrachtete das Obst dagegen mit dem Kennerblick einer Gartenbesitzerin und einer guten kleinen Hausfrau, die sie war. Boby schien der Geruch lästig zu fallen, denn er nieste einigemale, worauf er sich schüttelnd und scheu nach seinem eingeborenen Kollegen umsah, der als treuer Hüter draußen vor der Thüre geblieben war.

»Borsdorf,« rief die Frau wieder und strich mit dem Ärmel einem großen Apfel, den sie aus dem Haufen nahm, über die roten Backen, daß sie wie poliert glänzten. »Werder und Böhmen waren faul im letzten Jahr. Das kommt alles aus Steiermark mit der Bahn, von Marburg hinter Wien.«

Hans kaufte ein Liter und ließ es Frau Fabian hinüber schicken, die sich über den unbekannten Geber gewiß den Kopf zerbrechen würde. Dann wollten sie noch das schwimmende Wohnhaus sehen. Die Obstfrau ging ihnen voran, und schon standen sie in einem niedrigen Zimmerchen mit dampfendem Herd und blitzendem Geschirr.

»Alles propper und gemütlich,« sagte die Frau. »Es wackelt und schunkelt zwar ein bischen, aber ist doch solide und mollig. Und dann die liebe Freiheit! Wir wohnen hier und dort, und paßt uns eine Gegend nicht mehr, fahren wir einfach eine Station weiter. Wir wechseln ohne Geschäftsanzeigen und zahlen keine Grundsteuer. Freilich viele Reparaturen, bald unten, bald oben, bis der Zillenschlächter kommt und den Kahn holt und zerschlägt. Dann heißt es ein neues Schiff kaufen, aber so gemütlich wie in der alten Kabuse da wird es uns so bald nicht wieder. Besonders jetzt im Frühling, da ist es hübsch bei uns; nur im Winter bleiben wir oft im Eise stecken, aber der Ofen hält warm.«

Sie zeigte dem Pärchen auch das schmucke Wohnzimmerchen mit Spiegeln und Bildern, Betten und Tischen, die reine Puppenstube, und da stand richtig auch eine Wiege mit einem Kind darin, das die runden, klaren Augen verwundert auf die Besucher richtete.

»Ach, das herzige Baby!« rief Adelheid und beugte sich mit leuchtenden Augen über die Wiege, »Und die dicken, roten Bäckchen! Dagegen kann kein Apfel aufkommen!«

»Ja, diese Borsdorfer sind Eigengewächs,« antwortete die Obstfrau stolz und hob den strampelnden Jungen aus der Wiege. »Auf dem Wasser geboren und mit Spreewasser getauft ... ein strammer Matrose, sag' ich Ihnen.«

Sie legte den zappelnden Schelm Adelheid in die Arme, und er umschlang ohne weiteres mit seinen dicken Ärmchen ihren Hals und lachte silberhell vor Vergnügen auf. Und wie sie gleich einer jungen glücklichen Mutter so dastand, sah Hans sie bewundernd an und wußte, daß er das freundliche Bild zeitlebens nicht wieder vergessen würde.

Aus dem halbdunklen Räume traten sie hinaus in die abendsonnige Luft.

»Nicht wahr, meine Herrschaften, da möchten Sie auch einziehen?« scherzte die Frau. »Zusammen hier zu wohnen, warm und gemütlich, das wäre so 'was fürs Herz!«

Adelheid errötete bis tief unter ihren Hut, und Hans wandte sich ab. Nun standen sie am Steuerbord und bemerkten erst jetzt, daß es an den Schloßpark anstieß.

»Wenn wir nur in den verbotenen Garten könnten!« rief Adelheid, und ihre blauen Augen glühten vor Sehnsucht.

»Ich hol' Ihnen ein Brett,« erwiderte die gutmütige Frau, aber noch ehe sie es hergeschleppt, war Hans ans Ufer gesprungen und hob Adelheid aus dem Schiff. Ihr Atem streifte seine Wange, und als er sie so dicht an seinem Herzen fühlte, sprang es beinahe vor Glück. Errötend strich sie über ihr Kleid, schob ihren Hut wieder zurecht und rief fröhlich aus:

»Nun ist der Robinson vollständig! Aber was würde Mistreß sagen!«

Zuletzt wurde auch der bellende Boby aus dem Kahn gehoben und der Obstschifferin ein Gruß zugerufen, und dann tauchten ihre Gestalten in den Schatten des königlichen Gartens. Hier unter den grünen Laubgängen spürte man schon überwältigend den Frühling. Zahllose Knospen und schimmernde Keime guckten verschmitzt aus Busch und Strauch, und mitten im vorjährigen dürren Gras, und unter dem vergilbten Laub am Boden grünte und blühte es. Ein heller Schein von jungen Trieben leuchtete überall auf; die Vogelmiere öffnete ihre weißen Sternenaugen, und am Teiche drüben sah man gelbes Kreuzkraut neben verschämten Gänseblümchen und blauen Veilchen. Die Birken hatten unzählige hellgrüne Blätter, und die Schneeglöckchen läuteten das nahe Fest ein. Nur spärliche Menschen zeigten sich: in der Ferne vor dem hellschimmernden Schloß ein riesiger Gardekürassier, der, den blitzenden Adlerhelm auf dem Kopf und den gezogenen Pallasch in der weißbehandschuhten Faust, auf und ab ging, ein Gärtnerbursche, der Feierabend machte, ein laubsammelndes Weib, das gebückt durch den Baumschatten raschelte.

Sie wandelten in eifrigen Gesprächen durch den abendlichen Park und redeten kein Wort von Liebe, so laut sie auch in ihren Herzen pochte. Sie konnten und wollten sich bezwingen, so wie es die Mistreß geboten, denn an ihre Vereinigung war ja doch nicht zu denken. Oberst von Berkow hatte sein Rittergut bei Hannover verkaufen müssen und lebte von seiner Pension und einer unbedeutenden Rente. Seine Tochter war auf eine standesgemäße Heirat, eine gute Partie angewiesen. Und was konnte ihr der Sohn eines bankrotten Fabrikherrn bieten, dessen Traum es war, Musiker zu werden und dem Kontor Ade zu sagen? Wie viele Jahre des mühsamen Strebens, der stillen, emsigen, unfruchtbaren Arbeit lagen auf beiden Wegen noch vor ihm! Nein, sie waren nicht für einander bestimmt, das wußten sie, aber darum wollten sie doch Freunde, gute Freunde bleiben für immerdar. Unter anscheinend gleichgültigen Gesprächen gingen sie dahin, und doch wie sehr nahmen sie beide Anteil an allem, was sie betraf! Durch Fragen und kluge Bemerkungen regte sie ihn an, ihr von seinen letzten Kompositionen zu erzählen. Er hatte gegenwärtig eine Ouvertüre für großes Orchester unter der Feder, wobei ihm Fabians Rat sehr wertvoll war, denn dieser vielseitige Mann kannte alle Instrumente, blies Horn, Flöte und Hoboe, kratzte Geige, Bratsche und Violoncell, schlug die Harfe und die Trommel. Freilich nichts gründlich, aber die Vielseitigkeit stimmte zur Nachsicht. Und Hans erzählte ihr, nach welchem Programm er das Tonwerk dichtete, welche Gefühle es ausdrücken, welche Stimmungen es malen sollte, wie da die Hauptmelodie ertöne und später nochmal leise anklinge, wie das Ganze sich zur tragischen Wucht steigern und in einem schwungvollen Akkord ausklingen sollte.

»O wenn ich nur festhalten könnte, was tönend in mir flutet und wogt!« rief er leidenschaftlich aus. »Oft wenn ich in die herabschwebenden Schatten des Abends hineinsinne, umfängt mich die Musik mit ihren liebeweichen, allmächtigen Armen. Dann erwacht in meinem Gehirn ein jubelndes oder klagendes Klingen, das mir wie aus einer anderen Welt kommt. Wohl wandle ich noch mit den Füßen auf der Erde, aber mein Haupt reicht in ein Traumparadies voller Wohllaut. Dann greife ich in mächtiger Bewegung zu meiner Geige, um die Töne erlösend aus meiner Brust hinausströmen zu lassen. Und doch, wie dürftig und schwach ist alles im Vergleiche zu dem Reichtum hier, und werf' ich es gar aufs Papier, so scheint es mir schal und öde, ein matter Abglanz von dem, was in mir lebt und vielleicht ewig versunken bleibt.«

Nun standen sie am umwaldeten Karpfenteich, einem stillen schwarzen Gewässer, von Seerosen und Binsen bedeckt. Auf einer kleinen Terrasse war am Eisengeländer ein Glöcklein angebracht, auf dessen Klang die Fische in Erwartung eines Leckerbissens heranzuschwimmen pflegten. Bald ertönte silberhell die Glocke unter ihrer Hand, und sie lehnten nun beide über das Geländer und sahen, wie die Fische von allen Seiten herschwammen. Eben fiel ein schräger Strahl der scheidenden Sonne über die Wipfel ins Wasser, so daß die Schuppen bei jeder Bewegung goldig aufschimmerten. Es war ein lieblicher Anblick, wie die kleinen Tiere hin- und herschossen in der warmen Helle, silberglänzend in die Luft sprangen, unermüdlich ihre Kreise zogen und mit den runden Äuglein nach oben sahen, ob nicht endlich die Nahrung für sie niederfalle. Und sie warf von Zeit zu Zeit eine Brotkrume ins Wasser, um die sich die Fische rudelweise stritten. Er beobachtete sie mit stiller Freude und fand, daß sie noch nie so schön war.

Über eine Brücke aus weißen Birkenstämmen gingen sie an ehernen Bildsäulen und bunten Blumenbeeten vorüber, und sahen von ferne im Tannendunkel das Mausoleum, dessen Gruft sich unlängst dem alten Kaiser geöffnet hatte. Und dann hinüber zur Spree, Schulter an Schulter, in traulichem Gespräch.

»Was wissen Sie von meinem Vetter Lothar?« fragte er arglos. »Ich habe ihn schon seit einer Ewigkeit nicht gesehen.«

Sie schlug die Augen nieder ... »Er kommt seit einiger Zeit häufiger,« antwortete sie mit einem erzwungen harmlosen Ton, doch da sie fühlte, daß er die Wahrheit begehrte, die sie ihm schuldig war, fuhr sie fort: »Wir spielten zusammen vierhändig, fingen auch einmal Croquet an, bis die Mistreß mich aus dem feuchten Grase verjagte. Ich wollte Sie gestern zum Thee rufen lassen, damit Sie meine selbstgebackenen Cakes versuchen, aber er meinte, es sei besser, Sie nicht zu stören.«

»Oder vielmehr ihn nicht zu stören,« gab Hans zurück. Sie sah ihn fragend an, und weil er ihren Blick vermied, so verstand sie seinen Argwohn und lachte gewaltsam auf.

»Herr Nachbar,« sagte sie, »wie heißt es doch im »Narziß«? »Eifersucht muß man sich abgewöhnen, wenn man ein großer Mann werden will.«« Und sie lachte wieder, schrill und scharf, daß er ihre Stimme kaum wieder erkannte. »Scherz bei Seite, ich glaube allerdings, daß der flotte Herr Gardeleutnant neben seinen Pferden und Zirkusdamen sich auch ein bischen für meine Wenigkeit interessiert.«

»So?« sagte er nun wieder gefaßt und stark.

»Ja, er ist von einer unheimlichen Galanterie und stellt sich, als wäre er ganz vernarrt in mich. Ich glaube aber, er markiert die Liebe bloß.«

»Nein, nein, dafür ist er zu ehrlich, so leicht und flatterhaft er auch sonst sein mag,« entgegnete er hastig.

»Wer kann das wissen!« rief sie aus. »Offen gesagt, ich glaube, es ist etwas im Werk. Seine häufigen Besuche, die Konferenzen seines Onkels mit Papa ... Sogar die Mistreß traut dem Frieden nicht recht und fragte mich neulich aus, vielleicht in Papas Auftrag. Er selber schweigt noch, aber seine Zärtlichkeit, ein trauriger Blick neulich ... ich glaube wirklich, er sucht sich an den bitteren Gedanken einer Trennung von mir zu gewöhnen.«

»Und wie würden Sie Lothars Werbung aufnehmen?«

»Was ich dazu sagen würde?« rief sie mit Bitterkeit. »Bah, was liegt daran? Ob er oder ein anderer!« ... Sie stockte und sah ihn mit thränenden Augen an und vollendete ihren Gedanken: »da es doch der Eine und Einzige nicht sein kann!« Er wollte, wie ein Versinkender, nach ihrer Hand greifen, aber sie entzog sie ihm. Da drückte er die Widerstrebende selbst an seine Brust. Doch nur ein Augenblick, und mit flammenden Wangen riß sie sich los, und weil gerade Boby, der seine Herrin bedroht glaubte, zu bellen begann, so wandte sie sich rasch ihm zu, um einen Ablenker zu haben, und schlug blindlings mit dem Schirme nach ihm.

»Garstiges Ding, sei ruhig, sei vernünftig!« schalt sie, und es klang, als ob sie ihr eigenes Herz meinte. Dann lachte und sprang sie wieder mit dem Hündchen um die Wette und sank zuletzt atemlos auf eine Bank, wo sie ihr glühendes Gesicht in ihr Taschentuch vergrub. Er näherte sich kopfschüttelnd.

»Mir ist so heiß!« sagte sie. Er sah aber ihre von Thränen überrieselte Wangen und setzte sich still und traurig neben sie. Nun hatten sie die Rückseite des Schlosses wieder vor sich. Ein unheimliches Leben regierte dort. Wagen fuhren vor, Offiziere eilten hin und her, Lakeien und Schutzleute zeigten sich an den Fenstern und Thüren, nur der schöne Garten lag einsam da, und niemand durfte sich an seinem Frühlingszauber freuen. Und sie dachten an den Kaiser, der drüben im Sterben lag und dessen Dulderhaupte die kaum ergriffene Krone entfiel. O was war ihr kleines Leid neben jenem ungeheuren Schmerz, jenem stillergebenen Verzicht auf Größe und Leben und dem letzten Abschied von all' dieser blühenden Welt!

»Lernen wir von ihm, wie man sich bescheidet,« sagte sie, und Hans seufzte schmerzlich.

Lange saßen sie schweigend da, in ernstes Sinnen versunken. Sie achteten kaum darauf, daß die spielenden Sonnenlichter in den Zweigen erloschen, die lang und länger gewordenen Schatten in einander verschwammen und der ganze Horizont einige Augenblicke ins Abendrot getaucht schien, und erst als am dunkelnden Himmel Stern um Stern aufblitzte und in den unzähligen Fenstern drüben die Lichter schimmerten, wie ein anderes, irdisches Sternenmeer, da stand sie auf, hüllte sich in ihr Tuch und rief ihrem Hündchen. Und Trauer und Trost im Herzen gingen sie unter den finstern Bäumen der Orangerie zu und am Portier vorbei durch das Thor, wo die Wache sie ungehindert passieren ließ. Die Menschenmenge, die den ganzen Tag vor dem Schlosse hielt, um Nachrichten vom Krankenbette des gekrönten Dulders zu empfangen, hatte sich verlaufen und die Schutzmännerkette war aufgelöst. Nur gegenüber in den Kasernen und auf der Chaussee und Brücke, wo die menschenüberfüllte Pferdebahn vorbeirollte, regte sich noch das großstädtische Leben. Sie schlug den Seitenweg ein und gestattete ihm bloß, daß er ihr bis zum Fabrikthore das Geleite gebe. Ein Händedruck, und sie trennten sich. Sie aber blieb stehen, als er verschwunden war, und horchte mit Trauer im Herzen auf seinen verhallenden Schritt.


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