Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XIII.

Während Hans Lenz noch auf der Hochzeitreise weilte, wurde sein Oheim gestürzt. Die gefürchtete Generalversammlung verlief infolge der peruanischen Operation und dank dem wühlenden Skandalmacher Moritz so stürmisch, daß der Verwaltungsrat gesprengt und der Direktor genötigt wurde, seine Entlassung zu nehmen. Die Opposition trug auch dafür Sorge, daß die leichtfertige Art, wie der Verwaltungsrat die Aufsicht führte und »das Portefeuille des Herrn Generalkonsul« uneröffnet kreisen ließ, allgemein bekannt wurde. Man munkelte obendrein von anderen Unregelmäßigkeiten, und daß der Direktor in seinen Börsenspekulationen die Grenze zwischen seinem Privatvermögen und den Geldern der Bank nicht scharf genug gezogen habe. Selbstverständlich glaubte der alte Heller kein Wort von all' diesem Geschwätz und schimpfte auf die kurzsichtigen neuen Verwaltungsräte und undankbaren Aktionäre. War doch die Niederdeutsche Bank die eigenste Schöpfung ihres Direktors. Nur seinem weitausschauenden Geiste konnte der großartige Gedanke einer Kreditanstalt entspringen, die ihre Operationen über das ganze niedersächsische Gebiet von Dünkirchen bis Riga ohne Rücksicht auf die politischen Grenzen erstrecken und den norddeutschen und niederrheinischen Handel und Verkehr mächtig fördern sollte. Der Sitz war in Berlin, und selbständige Filialen in Amsterdam, Riga und Brüssel sollten die sprachverwandten Holländer, Flamänder, Balten und Friesen mit dem deutschen Geldmarkt immer fester verbinden. Schon rechnete Lenz darauf, daß diese Kapitalmacht nach dem Beispiele des Deutschen Zollvereins einer staatlichen Einigung aller Länder plattdeutscher Zunge von der russischen und dänischen Sprachgrenze bis zum Ärmelmeer vorarbeiten könnte. Und nun war es zu Ende mit seinem schönen Traum!

Heller wollte es gar nicht fassen, wie man dieses Finanzgenie ziehen lassen konnte, dessen Leitung die Blüte des Instituts doch ganz allein zu danken war. In seinem Zorne zog er sofort seine Depots zurück und erklärte sie in dem neuen Bankgeschäft hinterlegen zu wollen, das der Generalkonsul mit Hilfe befreundeter Geldmänner zu gründen gedachte. So unbegrenztes Vertrauen rührte die gestürzte Größe sehr, und darum war es kein Wunder, daß ihre Verbindung immer freundschaftlicher wurde. Heller blickte mit wachsender Bewunderung auf den ausgezeichneten Kaufmann, der täglich einen genialen Einfall hatte und auch im Unglücke groß war, und Lenz wußte, daß er sich auf den reichen Kommerzienrat unter allen Umständen verlassen konnte. Und da der Alte von früh bis spät in der Spinnerei zu treffen war, so fuhr Lenz jetzt fast täglich auf ein Stündchen bei ihm vor, um ihm sein Herz auszuschütten, von seinen Plänen und Kombinationen zu plaudern und von all' den verlockenden Anerbieten, womit man ihn überschüttete, vertrauliche Mitteilung zu machen. Für ihn lag das Geld wirklich auf der Straße. Bleichröder und Hansemann waren bei ihm gewesen, um sich bei der neuen Bank zu beteiligen. Rothschild in Frankfurt hatte für eine schwierige Operation seine Mitwirkung erbeten, die Reichsbank hatte ihr Auge auf ihn geworfen, und bereits war im Vertrauen die Anfrage ergangen, ob er gegebenen Falls für den immer allgemeiner geforderten Posten eines Reichsfinanzministers zu haben wäre. Und bei jeder neuen Aussicht riß Heller seine treuen, grauen Augen auf, als vermöchten seine Wimpern kaum mehr die Größe des Freundes zu fassen, und aus seinem lächelnden Munde kam es staunend: »Wirklich? Unglaublich!«

»Nun aber, lieber Freund,« sagte der künftige Minister, der vor solcher Naivetät mühsam seinen Ernst bewahrte, »nun bin ich es satt, für Fremde und Undankbare zu arbeiten. Was meinen Sie zu dem Einfall, die Firma Johannes Lenz & Komp. zu erweitern und der Spinnerei noch eine Weberei anzugliedern?«

Ein Kanonenschuß hätte den Alten nicht gewaltiger erschüttern können. Eine Weberei? Das war ja längst sein geheimster Gedanke! Verstand denn der geniale Mann auch in seiner Seele zu lesen?

»Gewiß,« antwortete er ganz Feuer und Flamme, »die Vorteile liegen auf der Hand. Man könnte bei schlechten Garnpreisen das Eigengespinnst selber verarbeiten und günstige Konjunkturen abwarten ... aber es wäre ein großes Geschäft, das wohl überlegt werden müßte.«

»Ich habe es reiflich erwogen,« versicherte Lenz. »Hans ist freilich kein Weber und hat mit der Spinnerei übergenug zu thun ...«

»Ich wüßte einen guten Webermeister, der unter mir gearbeitet hat, einen fleißigen, verläßlichen Mann ... Wir könnten ihn herkommen lassen und sein Gutachten verlangen.«

»Wozu Fremde heranziehen? In meinen Augen gibt es keine größere Autorität als Sie. Wenn Sie Vertrauen zu dem Geschäft haben, bringe ich das Kapital spielend zusammen ... Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir drei, Sie, Hans und ich, rekonstruieren die erweiterte Firma Johannes Lenz & Komp. Hans führt die Spinnerei weiter, Sie übernehmen die Weberei, ich habe die kaufmännische Leitung des Ganzen.«

»Das wäre herrlich!« rief der leichtentzündliche Heller, aber seine verwitterten Züge nahmen bald den Ausdruck schmerzlichen Verzichts an. »Nur Schade, ich bin ein alter Mann ...«

»Sagen Sie, ein Jüngling an Thatkraft und Schwung,« fiel ihm Lenz ins Wort. »Sie beschämen mit ihrer Rüstigkeit und Ihrem nimmermüden Eifer nicht allein mich, sondern auch Hans. Wahrlich, ein kerngesunder Mann wie Sie, ein Arbeiter mit Leib und Seele, setzt sich nicht zur Ruhe, er kann es nicht. Rasten Sie, so rosten Sie ...«

»Das hab' ich immer gesagt,« jubelte Heller. »Ja, die Arbeit ist die Kraft meines Lebens und die Ruhe für mich der Tod. Ich habe bemerkt, daß ich ein ganz Anderer, Jüngerer, fast ganz Junger geworden bin, seit ich eine Thätigkeit gefunden. Meine Säfte stocken nicht mehr, das Blut kreist schneller, mein Gehirn ist frei, ich schlafe besser des Nachts, ich kann wieder essen. Und das alles macht die Arbeit.«

Für heute ließen sie den Plan ruhen, aber als sie sich nächstesmal sahen, kam der Kommerzienrat zuerst darauf zurück. Er hatte sich das Geschäft überlegt und glaubte ihm schon aus Rücksicht auf seinen Schwiegersohn nähertreten zu sollen. Umso eher, als der zukünftige Kompagnon ausdrücklich erklärt hatte, für die nöthigen Gelder selbst aufzukommen.

Als Hans von der Hochzeitreise zurückkehrte, fand er ein völlig verändertes Bild. Der Bankdirektor hatte sich selbst zum Fabrikdirektor ernannt. Die Weberei war beschlossene Sache. Hinter der Spinnerei, gegen die Spree zu, wurde schon das Terrain abgemessen. Einige Wochen später sollten die Fundamentarbeiten beginnen, während des Sommers wollte man den Bau vollenden, und für den Herbst waren die Webstühle samt einem Monteur aus England bestellt. Noch vor Weihnachten nächsten Jahres hoffte man die Arbeit aufzunehmen. Und am Thor empfing seinen Neffen jetzt der Onkel, der von den Arbeitern demütig gegrüßt wurde, und führte ihn wie einen Fremden durch die ganze Fabrik. Es war kein Zweifel, Johannes Lenz & Komp. hatte einen neuen Chef erhalten.

Der Generalkonsul hatte seine Tätigkeit auch auf die Spinnerei erstreckt. Er sorgte für die Beschaffung der Baumwolle, und die Gelder und Wechsel der Agenten, Webereien und Garnhandlungen gingen an ihn. In seiner Privatwohnung in der Voßstraße richtete er sich ein Kontor mit Sprechzimmer ein. Im eigentlichen Bureau besorgte sein Faktotum Schwarzbach, den er der Niederdeutschen Bank entführt hatte, die Bücher und Konsulatgeschäfte. Auf den Tischen und Stühlen lagen Baumwollmuster in blauen Papierrollen und Garnproben in Strängen und auf Spulen, und im Vorzimmer gingen die Agenten der Baumwollfirmen aus und ein. Lenz hatte sich mit einer Gewandtheit, die ihm überall eigen war, schnell in die fremde Branche eingearbeitet. Er studierte die Marktberichte aus Liverpool, Hamburg Triest, Brüssel, machte Berechnungen und kombinierte so unablässig, daß er bald den Agenten selbst als eine Autorität galt. Sogar Greizer, der weißhaarige Baumwollagent, der zwanzig Jahre in Liverpool etabliert war, beugte sich vor dem Scharfblicke seines neuen Kunden. Oft kam es zwischen beiden zu komischen Auftritten, wenn sie über die Aussichten der Ernte und die zukünftige Preisbewegung sprachen.

»Nach dem Berichte des Ackerbaubureaus in Washington,« bemerkte der Konsul, »wird der Durchschnittertrag der Baumwolle auf 187 Pfund per Acre geschätzt. Es hängt jedoch viel vom Wetter während der Monate November und Dezember ab, auch in Bezug auf die Sicherung des Ertrages, da die Qualität durch starken Regen verschlechtert werden kann. Wenn nun die Ernte im vergangenen Jahre 6,93 Millionen Ballen betrug, so darf man nicht vergessen, daß sich seither die Anbauflächen vergrößert haben. Auch liefern die bis jetzt nach Europa gelangten Verschiffungen ein um neun bis zehn Prozent geringeres Spinnergebniß ...«

»Und ich sage Ihnen, Herr Generalkonsul,« fiel der cholerische Agent ein, »die Ernte ist miserabel. Also Hausse auf der ganzen Linie. Jeden Ballen, der über die letztjährige Ernte herüberkommt, ess' ich selber auf.«

Heller, der gerade anwesend war, fand den Einfall sehr komisch und lachte herzlich. Nur Lenz bewahrte seinen Ernst, atmete den Duft seiner Zigarre ein und sagte mit Zuversicht: »Gute Mahlzeit!« Und als dann statt der erwarteten Mißernte richtig eine schöne Mittelernte herauskam, hütete sich Greizer wohl, die vielen tausend Ballen, die über seine Schätzung nach Europa kamen, oder auch nur einen davon zu verspeisen.

»Es ist doch sonderbar,« bemerkte Heller, »daß Greizer noch immer gleich dürr ist. Baumwolle scheint keine nahrhafte Kost.«

Zu den ziemlich regelmäßigen Besuchern im Kontor gehörte auch Lothar, und er kam gleichfalls meist in geschäftlicher Absicht ... Durch den Rücktritt seines Vaters von der Leitung der Niederdeutschen hatte er nicht das geringste verloren. Dem gewesenen Direktor blieben ja Titel und Ansehen eines Generalkonsuls, sein Kredit war unerschüttert, und die Zulagen flossen daher ebenso regelmäßig und reichlich wie bisher. In dem alten Baron hatte sich dem Leutnant sogar eine zweite Quelle eröffnet, welche, als der Schwiegervater auch mit in die Stülerstraße zog, noch besonders bequem auszuschöpfen war. Lothar wußte mit seiner angeborenen Liebenswürdigkeit den Schwiegerpapa so zu umschmeicheln, daß keine seiner zahlreichen Anzapfungen ohne Erfolg blieb. Bald gab es ein neues Pferd anzuschaffen, bald seinen Kameraden ein Liebesmahl zu geben, bald eine Spielschuld innerhalb vierundzwanzig Stunden zu decken – der Freiherr erwies sich fast immer bei Kasse und gnädiger Laune. Ja, der geldbedürftige Leutnant hatte schon etliche Male eine wirkliche oder vorgespiegelte Schuld zweimal bezahlen lassen, indem er nacheinander beide Papa um dieselbe Sache und denselben Betrag ansprach. Das sollte ihm übel bekommen, denn als seine zwei Väter sich eines Tages trafen und über ihre Kinder sprachen, da trat diese sonderbare Thatsache von selbst ans Licht.

»Erlauben Sie, Herr Baron, ich habe meinem Sohne den Silberfuchs gekauft.«

»Sie irren sich, ich gab ihm das Geld dafür.«

»Nein, ich.«

»Sie also auch?«

Gruppe der erstaunten Nährvater!

Als es bald darauf zum zweitenmale vorkam, daß die beiden Papa sich um die Ehre streiten durften, den Herrn Gardeleutnant von einem Manichäer befreit zu haben, da nahmen sie ihn ins Kreuzverhör, und er gestand nach einigen Ausflüchten lachend ein, daß er sich allerdings die nämliche Schuld von ihnen zweimal hatte bezahlen lassen.

»Lieber Papa,« sagte er gutmütig zu dem Urheber seiner Tage und wandte sich hierauf dem Schwiegervater zu, »und Sie gleichfalls lieber Herr Papa, wenn Sie beide doch nur eine Ahnung von dem sträflichen Luxus bei unserem Korps hätten! Ich könnte ein dickes Buch darüber schreiben, aber da ich meinem Ingrimm auf solche Weise nicht Luft machen darf, so muß ich wohl oder übel mit den Wölfen heulen.«

»Im Übrigen,« bemerkte der Generalkonsul, »scheint Dir Dein Ingrimm ganz gut zu bekommen.«

»Ja, ich danke, Papa.«

Immerhin beschlossen die Väter, sich in der Zukunft weniger leicht rühren zu lassen und womöglich, falls die Schuld nicht gar zu schnell gedeckt werden müsse, sich gegenseitig vorher zu verständigen. Damit war Lothar freilich die Möglichkeit einer Anleihe nach zwei Seiten hin genommen, aber schließlich war es ja nur eine Formsache. Mit etwas Phantasie erfand er jederzeit hier wie dort eine glaubwürdige »Verlegenheit«, ganz abgesehen davon, daß es nur selten eines solchen Aufgebotes der Einbildungskraft bedurfte, denn er brauchte und verthat wirklich ein Heidengeld. Papa Generalkonsul, auch wenn er den Erzürnten spielte, lachte im Grunde seines Herzens darüber, denn die Ehre, einen Sohn in einem der feudalsten Regimenter zu haben, konnte er sich schon etwas kosten lassen. Das hebt den Kredit, sagte er sich. Gleichwohl war es ihm unangenehm, daß Lothar auch seinen Schwiegervater ausbeutete. Warum? Das erriet der Leutnant erst bei einem Besuch im neuen Kontor.

»Ich begreife Dich wirklich nicht. Papa,« sagte er, indem er einen Griff in die Upman-Kiste that; »mein Schwiegervater kann sich füglich den Luxus erlauben, meine Schulden zu bezahlen, ohne darum bankrott zu werden. Ich erwartete im Gegentheil ein Lob für mein Zartgefühl. Indem ich ihn anpumpe, schone ich Dich, und das kann Dir, nachdem Du der Niederdeutschen den Laufpaß gegeben, nur angenehm sein.«

»Ich habe Dir keine Veranlassung geboten,« entgegnete der Generalkonsul empfindlich, »an meinem Kredite zu zweifeln. Meine veränderte Stellung als Geschäftsmann läßt diesen unangetastet, und meine Börse bleibt Dir nach wie vor auf das Liberalste offen. Gerade deshalb aber leide ich es nicht, daß Du den Schwiegervater heimsuchst, während Du es doch bei mir bequemer haben kannst.«

Lothar horchte auf. Es kam ihm komisch vor, daß Papa sich um die Ehre stritt, ihm die Schulden zu bezahlen. »Sei nicht zornig,« sagte er einschmeichelnd. »Ich wußte ja nicht, daß Du darin so großartig denkst. Ich will es mir merken. Aber versprich mir, mich auch dann nicht zu schelten, wenn es Dir etwas viel werden sollte.«

»Ich will ein Auge zudrücken,« war die Antwort. »Deine Zulage soll erhöht werden. Ich stelle nur die Bedingung, daß Du den Baron nicht wieder um Geld angehst. Mein Stolz leidet darunter.«

Lothar gab sein feierliches Versprechen, denn schließlich konnte es ihm gleichgültig sein, wer ihm das Geld vorschoß, wenn er es nur hatte. Aber die Begründung dieser Großmut mit seinem Stolze war verdächtig. Dahinter steckte etwas. Irgend eine Kombination natürlich. Und nach einigem Nachdenken glaubte er die richtige Spur gefunden zu haben. Er erinnerte sich, daß Papa ihm dazumal als Grund, warum er seine Heirat mit Adelheid wünschte, eine hannoversche Geldoperation angegeben hatte, die Freiherr von Berkow durch den Glanz seines Namens erleichtern sollte. Dieses Geschäft war durch seinen Rücktritt von der Direktion verhindert worden. Aber er konnte noch andere Pläne haben, um deretwillen es ihm wünschenswert war, daß auch sein Sohn bei dem Freiherrn in günstigem Licht erscheine. Kurz, Papa wollte das Huhn zur passenden Stunde selber rupfen.

Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er seinen Vater, der vorhin im Zorn seine Zigarre weggeworfen, eine neue anzünden sah. Er that dies langsam, methodisch, mit Verstand, indem er zum voraus in dem künftigen Genusse schwelgte und die ersten Züge schweigend einatmete, wie ein Feinschmecker einen guten Wein zuerst mit der Nase prüft. Dann lehnte er sich behaglich in das Sopha zurück, und Lothar wußte, daß Papa jetzt von ihm etwas Heiteres oder Pikantes erwartete, das zu der guten Zigarre paßte.

»Ich hoffe,« sagte er, »Du hast doch mit dieser Miß Leona gebrochen?«

»Ich kann nicht los von ihr,« entgegnete der Offizier kläglich.

»Aber Deine Frau?«

»Adelheid verliert nichts dabei. Siehst Du, Papa, diese Zirkusprinzessin ist einfach zwanzigstes Jahrhundert, und das reizt mich.«

»Weibliche Zukunftsmusik, meinst Du?«

»Ja, solche Frauen lieben nicht, sondern lassen sich lieben, sie sind nicht verliebt, sondern nur geliebt. Früher war man der Ansicht, daß die Liebe durch Gegenliebe bedingt sei. Falsch! Die Liebe ist zur Liebelei geworden, zum flirt. Das ist nämlich eine Art Uebereinkunft zwischen einer Frau und ihrem Verehrer, ein Zustand der Seele und der Nerven, ein schöner und nicht ganz ungefährlicher Weg von der Tugend zum Fehltritt, natürlich mit den gehörigen Stationen, ein Bummelzug der Liebe, der immer sehr spät und oft gar nicht ankommt. Als Fahrgäste kann man keine temperamentvollen Weiber brauchen, sondern nur das kühle, besonnene, verstandesklare weibliche Geschlecht des zwanzigsten Jahrhunderts, das schon jetzt in immer mehr Exemplaren auftaucht, und von denen Miß Leona ein Beispiel ist.«

Der Konsul schüttelte den Kopf und schwieg. Das war ihm Alles unverständlich, denn die Frauen hatten in seinem Leben gar keine Rolle gespielt. Er betrachtete sie als ein nothwendiges Uebel, das ein guter Kaufmann in seinen Kombinationen nur wegen der Mitgift oder ihrer Verbindungen zu verwenden und aus seinem weiteren Leben möglichst fernzuhalten hat. Eine Sklavin, ein guter Kamerad, wie seine Frau, mehr verlangte er vom Weibe nicht. Das fehlte noch, daß man in seinen Geschäften durch ein so raffiniertes, eisiges, quälerisches Geschöpf gestört würde! Ein Glück, daß er im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr auf der Welt zu sein brauchte!

»Und nun sage mir noch, Papa,« unterbrach Lothar seine Gedanken, »hast Du etwas Geld für mich?«

»Wieviel?«

»Gejeut gestern Abend ... Pech gehabt ...«

»Wieviel?« wiederholte der Konsul.

»Zehntausend.«

»Junge!« Aber schließlich bekam er die Anweisung doch, deren Betrag er sich in zehn braunen Noten sofort auf der Reichsbank holen lassen konnte.

» A propos, wie geht es Adelheid?«

»Den Umständen angemessen.«

»Arme kleine Frau!« ... Und Vater und Sohn trennten sich mit einem schlechten Witz.


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