Joseph Christian von Zedlitz
Gedichte
Joseph Christian von Zedlitz

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Abendphantasie.

                Abend war's, auf fernem Steige
Ging ich in des Waldes Grün,
Wilde Apfelblüthenzweige
Wehten Flocken auf mich hin;
Tausend süße Stimmen drangen
Fröhlich durch den kühlen Hain,
Buntbeschwingte Vögel sangen
Süße Liebesmelodein.

Wo die Wipfel nicht so dicht
Aeste in einander woben,
Glänzt ein sanftes Dämmerlicht,
Von der Abendröthe droben,
Nieder auf die Silberhelle,
Wo der Glühwurm funkelnd flog,
Und die zitternde Libelle
Sich im Hauch des Winkes bog.

Alles fühlte stille Feier
In der herrlichen Natur,
Jeder Busen hob sich freier
In dem Abendglanz der Flur;
Jedes Lüftchen rauschte Freude,
Jede Welle hüpfte Lust,
Und der Lenz im Strahlenkleide
Hauchte Wonne in die Brust.

Mir nur war das Herz beklommen,
Und des Frühlings Rosenlicht,
Das am Horizont entglommen,
Nahm des Busens Bürde nicht.
Sehnsucht nach den lichten Räumen,
Die der goldne Glanz beschien,
Wo aus tausend zarten Keimen
Ew'ger Liebe Blumen blühn:

Zog mich nach des Aethers Fernen,
Und begeistert rief ich aus:
Hinter jenen Silbersternen,
Ja, dort ist der Liebe Haus!
Dort verstummen alle Schmerzen,
Was geschieden, sieht sich dort,
Ewig schlägt dort Herz am Herzen,
Keine Trennung reißt uns fort.

Bilder der verstorbnen Lieben
Glaubt' ich rings um mich zu sehn;
Wie ein Blumenduft von drüben,
Fühlt' ich ihren Athem wehn.
Meine Mutter! – schluchzt' ich weinend:
Ruft mich Deine Stimme nicht
Dorthin, wo die Treuen einend
Immortellenkranz umflicht?

Geister von den Tapfern allen,
Die in mancher heißen Schlacht
Blutig um mich her gefallen
In die finstre Todesnacht,
Sah ich aus besternten Hallen,
Rings von Lorbeersproß umlaubt,
Mir verklärt entgegen wallen –
Ach, ich fand manch liebes Haupt!

Und ich streckte meine Arme
Nach den Waffenbrüdern hin,
Liebend sie an dieses warme,
Treue Bruderherz zu ziehn;
Aber ihre Schatten bebten
Fort im letzten Rosenstrahl,
Und die Seligen entschwebten
Heim, zum goldnen Friedensthal!

Horch! durch lindbewegte Zweige
Rauscht es mir vernehmlich zu:
Wandle, strebe, dulde, schweige, –
Ueber Gräbern wehet Ruh'!
Eben aus den Wolkenhüllen
Trat der Vollmond und begann,
Ruhig wallend, seine stille,
Langgewohnte Pilgerbahn! –


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