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Damals, als die Waldighofener Bahn gebaut wurde, kam der erste Preuß ins Dorf.
Das war ein Aufruhr!
Wenn er die Hauptstraße hinunterging, standen die Weibsleute aufgeregt in den Hausgängen oder hinter den grünen Fensterläden. Die Mannsbilder hielten sich mehr in den Höfen dahinten. Nur Lieni, der Schmied, blieb, als ob gar nichts wär', vorn am Hoftor stehen, seinen abgenagten Schweizerstumpen zwischen den Zähnen und die Arme fast bis zum Ellenbogen in den Taschen vergraben.
»Moin!« sagte der Preuß, als er am Lieni vorbeiging, und der Schmied, der begriff, daß er gegrüßt worden sei, zog langsam die Hand aus dem Sack, widerwillig beinahe, nahm den Stumpen aus dem Mund, damit wenigstens ein Wort rauskonnte und sagte: »Guten Tag!«
Aber bis Lieni, der Langsame, seine Antwort draußen hatte, war der Preuß schon ein gutes Stück weiter.
Doch er ging nicht allein. Das Geschwätz der Leute lief ihm nach. Zuerst gutmütig, zottelnd, wie ein freundlicher junger Hund zutraulich mit dem Schwanze wedelnd:
»Habt ihr gesehen, er hat den Schmied gegrüßt!«
»Ja, der Mann hat Lebensart, der weiß, was sich schickt!«
»Was er für saubere Kleider trägt!«
»Ola, hat der den Schnauzer gedrillt! Der verbraucht sicher im Monat für eine Mark ungarische Bartwichse!«
»Hab ich's nicht erraten? Blond ist er, blaue Augen hat er!«
»Rapsmeierne, schaut, einen Gang hat er, wie ein Soldat!«
»Und den Gruß hat er zuerst angeboten!« trumpfte der Schmied auf.
Der Preuß, »unser Preuß«, wie ihn bald darauf das ganze Dorf nannte, aß im Roten Ochsen zu Mittag.
Der dicke Wirt, der Blind, war mit seinem neuen Gast wohlauf zufrieden. Der hatte wirklich Anstand im Leib und wußte, was sich schickte. Er schmatzte nicht wie ein Eber am Trog in sich hinein, wie es manchmal die Bauern von den hinteren Dörfern an den Markttagen tun. Er kratzte auch nicht heimlich das Senfhäfelchen leer als Beilage zu einer dünnen Scheibe Schweizerkäse. Er trank nie zuviel. Er machte nie das schöne weiße Tischtuch schmutzig. Er spuckte nicht auf den Boden. Er zündete die Streichhölzer – damals waren es noch phosphorne – nie am Hosenboden an, sondern immer an der Schachtel, und wenn er mal gähnen mußte, sperrte er nicht wiehernd Mund und Rachen auf, sondern tat das so leis als möglich ab.
»Überhaupt, er sieht mir aus wie ein Mensch, der schon viel in der Welt herumgekommen ist!« dachte der dicke Blind und schrie seiner schwerhörigen Frau zu: »Nicht wahr, Alte, unser Preuß hat Benehmität?!«
Der Wirt hatte allen Grund, mit »seinem Preuß« zufrieden zu sein. Seit er den zum Mittagessen hatte, waren zwei- bis dreimal mehr Gäste da als gewöhnlich und tranken ihren Schoppen.
Aber es war nicht der Wein vom Blind, der die Leute anzog, den trank man im Schwanen oder in der Sonne genau so gut, wenn nicht noch besser. Was die Leute in den Ochsen trieb, war der Wunderfitz, einen Preußen, ein so sagenhaftes Tier, auch mal aus der Nähe zu beschauen.
Und wie der so in der verräucherten Stube am runden Tisch saß, emsig mit dem Löffel, nachher mit Messer und Gabel hantierend, merkte er in seinem guten Appetit gar nicht, wie ihn fünfzig Augen absuchten von Kopf bis zu Fuß, um an ihm irgend etwas zu entdecken, was nicht der Sitte und nicht dem Herkommen entsprach und über das dann, wenn man es gefunden hätte, tüchtig der Wagen des Gesprächs und der kardendistligen Nachrede losgebollert wäre.
Aber der Preuß war in diesen Dingen glatt wie ein Aal und ließ sich von den plumpen Sundgauer Dorffischern nie halten, so große Mühe die sich auch gaben. Er nahm nie zu viel auf einmal auf die Gabel. Er aß den Käse nie so, daß er dabei wie ein Schwertschlucker das Messer bis zum Halszapfen in den Mund steckte. Er schüttete den Wein nicht sinnlos hinunter, wie die unverständige Nation der Biertrinker ihr Helles oder ihr Dunkles, sondern er genoß ihn in jenen kleinen und doch gedehnten Zügen, die den Kenner des edlen Tropfens verraten. Und daß er ein Kenner war, das bewies auch das stille Leuchten, das nach jedem Schluck aus seinen Augen glänzte. Also, von dieser Seite aus war an »unserm Preuß« nichts auszusetzen. Sogar wenn er gezahlt hatte und aufstand, stellte er seinen Stuhl ordentlich unter den Tisch, wie es sich in einer guten Stube gehört. Und wenn er hinausging, sagte er dem dicken Blind, dem Wirt, und all den Gästen, die da waren, laut und kräftig: »Mahlzeit!«
Das war zwar ein Wort, das keiner von allen so recht verstand. Aber der Fuhrmann Henk, der drei Jahre bei den gelben Dragonern in Bruchsal gedient hatte, sagte: »Ich kann mir schon denken, was das heißt. Gesegnete Mahlzeit, also guten Appetit!« So nahm denn keiner daran Anstoß, das gut preußische »Mahlzeit!« mit dem ebenso guten elsässischen »Glichfalls!« zurückzugeben.
Wenn dann die Tür hinter dem Preuß ins Schloß gefallen war und er die Dorfstraße hinunterspazierte, bald links die Augen und bald rechts, zottelte ihm wieder das Tier nach, das ihm seit dem ersten Tag auf den Fersen geblieben war: Das Geschwätz der Leute.
Doch jetzt war es kein gutmütiger Bernhardiner mehr, der wie am Anfang freundlich mit dem buschigen Schwanze wedelte, nein, jetzt war es eine knurrende Bulldogge geworden; plump, aufgedunsen, mit bösem Schleim in den feuchten Lefzen und nichts in dem zerfurchten Hundsgesicht lebendig als die kleinen, tückisch glitzernden, verkniffenen Augen.
»Ja, ja!« ging jetzt das Getuschel. »Wartet's nur ab, was noch kommen wird! Die so still sind, gerade die haben's am dicksten hinter den Ohren!«
Der Preuß merkte nichts von dem Knurrhund.
Er hatte noch immer den schönen blonden Schnurrbart; er hatte noch immer die gleichen aufmerksamen blauen Augen; er hatte noch immer seinen stolzen militärischen Gang und schnell die Hand an der Mütze, wenn ihn jemand grüßte. Aber das alles war viel seltener zu sehen; denn der Staat hatte ihm inzwischen ein kleines, rotes Backsteinhaus gebaut, die Station.
Da hauste er nun drin, bediente das Stellwerk, fertigte die Züge ab, und wenn es läutete, rannte er zu einer tickenden Messingmaschine, die einen endlosen, schmalen Papierstreifen auswarf.
Lieni, der Schmied, stand in der Mittagszeit noch immer unterm Hoftor, wenn der Preuß vorbeikam. Doch jetzt nahm der Alte seinen Schweizerstumpen schon aus dem Mund, wenn der Preuß erst an der Kreuzstraße war. Und der Preuß seinerseits hatte sich das blöde »Moin« abgewöhnt und sagte dafür schlecht und recht »Guten Tag!« wie andere Menschen auch.
So wäre wohl alles, trotz dem mißgünstigen Geschwätz, in geruhigem Nebeneinander hergegangen und im gegenseitigen Respekt geblieben, wenn nicht ein Teufel eine gehäufte Hand voll Würgesamen dazwischen gestreut hätte.
Der Teufel war in diesem Fall kein Teufel, sondern, was schlimmer ist, ein Mensch, nämlich der Herr Benatz, seines vielen Geldes wegen nur der »Millionär« genannt.
Wo er eigentlich her war, wußte niemand. Er war genau so unerwartet und überraschend im Dorf aufgetaucht wie der Preuß, nur ein paar Jahre früher. Jedermann, sogar der Bürgermeister nicht ausgenommen, hatte seinerzeit über den Hergelaufenen den Kopf geschüttelt, und jedermann hatte nichts anderes gedacht als: »Der Kerl muß reinweg verrückt sein; denn Land kauft er zusammen, das sandigste und liederlichste Zeug, wo nicht einmal Wegerich wächst! Was will der eigentlich anfangen mit den verkommenen Schollen?!«
Aber nachher, als die Regierung die Bahn ins Land warf, da zeigte sich, wozu der Benatz all die Äcker zusammengekauft hatte. Es war Bahngelände gewesen.
Auf diesen Schlag hin hatte der Benatz Geld wie Heu und den Übernamen »der Millionär«. Vor lauter Freude, daß ihm das Geschäft mit den »chaiben Schwoben« (und den dummen Sundgaubauern!) so gut gelungen war, sprach er von da ab kein Wort Hochdeutsch mehr, auch kein Elsässisch, sondern nur noch Französisch!
Es machte zwar nichts, daß ihn außer dem Greffier und außer dem Dietz kein Mensch im Dorf verstand, wenn er Pariserisch parlierte. Als der reichste Mann im Dorf konnte er sich diesen Spaß leisten.
Diesem Millionen-Benatz war der Preuß ein schwärender Dorn im Fuß. Denn er hatte davon munkeln hören, der Stationsvorsteher wolle sich bei der demnächst fälligen Verpachtung der Gemeindejagd mitbewerben.
Auf die Jagd gehen?! Das kam doch nach überlieferten, unumstößlichen Gesetzen im ganzen Elsaß nur französisch sprechenden Jagdpächtern zu. Darum stand für den Millionen-Benatz fest, der Preuß muß weg aus dem Ort! Doch als Mann, der seine Pläne sehr fein zu berechnen wußte, marschierte der Millionär nicht von vorn auf sein Ziel los, sondern auf Schleichwegen.
Etwa von diesem Zeitpunkt ab kam im Dorf die Marseillaise auf.
Zugegeben, junge Burschen sangen dies Lied nicht schön und als Alemannen auch nicht gallisch beschwingt, wie es wohl wünschenswert gewesen wäre. Aber, was dem Millionen-Benatz mehr wert war, sie sangen es laut. Und am allerlautesten sangen sie, wenn sie beim Bahnhof vorbei kamen, oder wenn sie den Mann mit der roten Mütze irgendwo amten sahen.
Der Preuß begriff auch ohne besondere Erklärung sehr bald, dass die Marseillaise niemanden anders galt als ihm selbst, und daß das Lied nur gesungen sei, um ihn zu ärgern. Aber da seine Galle vorzüglich in Ordnung war und nicht gleich einiger aufreizenden Takte wegen überlief, dachte er nur: »Laß sie singen, so viel sie wollen; eines Tages hört das welsche Gequäke von allein auf!«
Es hätte auch aufgehört, wenn nicht der Preuß mittlings Sommer an einem freien Sonntagabend auf die Hegenheimer Kilbe gegangen wäre. Nun, die Hegenheimer Kilbe ist männiglich bekannt. Es sind flotte Musikanten da, die den richtigen Ton zu blasen wissen, gute, trinkbare Weine sind da und Mädchen, so schwarzhaarig, so rank und so schlank, daß selbst die ältesten und eingerostetsten Mannsleute aus den Nähten gehn.
Dabei war der Preuß gar nicht alt und auch nicht eingerostet und nachts, auf dem Heimweg durch die Hardt, fühlte er sich mit seinen dreißig Jahren im Stand, die halbwüchsigen Eichen auszureißen. Da dies aber gegen das Forstgesetz gewesen wäre, ließ es der Preuß unterbleiben und spitzte nur den Mund, um einen Kommismarsch zu pfeifen. Das ging auch ganz schön, bis er zur Kapelle kam, wo der Wald aufhört und nach kurzem kümmerlichen Übergang die weiten Weizenfelder anfangen, die sich bis an die Grenze hinziehen.
Da ließ der Preuß auf einmal das Lippenspitzen sein. Vor Erstaunen blieb ihm die Luft weg zu dem wunderbaren Flötenaufschrei vor dem Schlußtrommelwirbel; denn seitwärts aus dem Korn klang urplötzlich die Marseillaise und verjagte den preußischen Marsch.
Diesmal waren es aber keine Jungenstimmen, sondern aufgeregte Mädchenstimmen. Gerade dies verblüffte den Preuß, denn jetzt war in ihm mit dem Franzosenlied nicht wie sonst der Preuß getroffen, sondern der Mann.
Er blieb stehen und spähte in das nächtliche Korn. Nichts war zu sehen. Nur die herausfordernden Stimmen kamen her. Als sie ihm nun besonders betont zusangen: »Aux armes, citoyens!« da überkam es ihn doch; trotz seiner Diszipliniertheit konnte er nicht mehr länger an sich halten und schrie zu den nächtlichen Sängerinnen hinüber: »Wollt ihr still sein, elende Göhren!«
Die Mädchen waren auch einen Augenblick still, aber nur, um nachher mit umso gesammelterer Kraft loszulegen. So dröhnte es denn noch lauter und noch höhnischer daher: »Formez des bataillons!«
»Gut, wird gemacht! Wir formieren das Bataillon!« sagte der Preuß und hupps!, war er mit einem Satz überm Graben und verschwand im aufrauschenden Kornfeld.
Da brach jäh der Gesang ab, und die Unfugstifterinnen stoben kreischend auseinander, als sie den schnaufenden Mann durch das Korn kommen hörten.
Der Preuß brach Bresche in die halmische Mauer, als gälte es sein Leben. Und vor ihm war eine Wieselige, eine Schwarzhaarige, die rannte nicht minder. Aber was nützt's?! Wenn sechzehnjährige Mädchenbeine noch so flink sind, den Muskeln, die einmal auf dem Döberitzer Schießplatz zum Laufschritt dressiert worden sind, entgehen sie auf die Dauer doch nicht. So hatte denn der Preuß schon nach ein, zwei Minuten ein abgestreiftes Zopfband in der Hand und ein paar Sekunden später den Zopf selber, an dem nach dem Herumriß ein heftig atmendes und bemerkenswert schönes Mädchengesicht hing.
Trotz dem aufkommenden Mond blieb dem Preuß keine Zeit, gerade über diesen Punkt Betrachtungen anzustellen; denn es blitzten ihn ein paar braune zornige Augen an, und eine Stimme pfiff wie ein Damaszenerhieb:
»Loslassen! Auf der Stelle loslassen!«
Der Preuß jedoch dachte an kein Loslassen. Im Gegenteil, seine Hände griffen noch fester zu, als fürchte er, seine schöne Beute zerrönne ihm wie ein Traum unter den Fingern.
Der Preuß weiß selbst heut noch nicht, was damals, in jener Sekunde über ihn kam, plötzlich herzte er das Mädchen und küßte es, als ob es ihm weiß Gott wie lang gehöre.
Der Zorn in den braunen Augen war inzwischen verlodert und zu einem dunklen hingebenden Sammet geworden, und als aus der Ferne her unablässig die Stimmen der Gefährtinnen klangen: »Margritt, kumm! Margritt, kumm!« und der Mann eine freigebende Bewegung machte, da schlangen sich zwei Arme um seinen Hals und hielten ihn fest, als wollten sie ihn nie mehr loslassen ...
Als er schließlich um Mitternacht in seinem Stationshaus in der schmalen Kammer auf der Bettkante saß, wirbelte alles in ihm, und er hatte keinen Begriff mehr davon, daß man vor dem Schlafengehen erst einmal die Kleider austut.
»Junge! Junge!« sagte er in einemfort. »Margritt heißt sie! Und morgen Abend soll ich sie wiedersehen!«
Nur gut, daß er nicht wußte, daß die schöne Margritt die Tochter des Millionen-Benatz war, und zwar dessen einziges Kind, sonst würden ihm trotz seiner gewaltigen Verliebtheit sicher schwere Bedenken gekommen sein.
Zum Glück hatte auch der Benatz keine Ahnung von dem Begebnis dieser Nacht, und da das Nichtwissen auf den beiden maßgebenden Seiten vollkommen war, wuchs aus dem Brand dieser ersten nächtlichen Begegnung eine Liebe so rein und groß, so lauter und klar, daß sie sicher als die reinste und die heiligste der ganzen Welt gölte, käme sie je vor eines Dichters Auge und Ohr. So leuchtete sie nur in der Abgeschiedenheit und Verborgenheit unseres Sundgauwinkels. Doch trotz aller verflossenen Zeit ist die Erinnerung daran so gewaltig, daß noch heute allen Leuten im Ort die Gesichter hell werden, wenn die Rede darauf kommt. Nicht einmal der widerborstige Lieni weiß einen Stein darauf zu werfen.
Aber auf die Dauer konnte das Verhältnis nicht verborgen bleiben, so jägerlich klug es der Preuß auch anstellte; dazu war das Dorf zu klein, und außerdem waren zu viele Augen wach.
Zwei Sonntage später kam der Preuß nachts nicht mehr heim ins Stationshaus, sondern wurde mit ein paar Stichen im Rücken vor Habertürs Hag gefunden.
Er lag wie ein Gekreuzigter da, Arme und Beine weit ausgestreckt und das Gesicht im Staub der Straße vergraben. Man schaffte ihn sofort ins Spital.
Vier Wochen tobte er dort im Delirium und im Fieber.
Nachts mußten sie ihm die Hände festbinden, damit er nicht alles zerschlug. Doch da er dann losschrie: »Margritt! Margritt!« blieb dem Doktor Elsholzer schließlich nichts anderes übrig, als sich in seinen Einspänner zu setzen und dem Millionen-Benatz seine Aufwartung zu machen. Es wurde sehr lang und sehr laut und sehr heftig geredet bei diesem Besuch. Doch wider Erwarten endete er friedlich, und der alte, pergamentgesichtige Herr mit den lustigen Brillengläsern nahm die Margritt ins Spital mit.
Von da ab ging's dem Preuß wesentlich besser.
Sein Schreien hörte auf, sobald die magnetische Kraft von Margritts Hand ihm die Angst aus der Stirn nahm. Zwar ging es hinter dieser Stirn immer noch so dunkel und wirr zu, daß er nicht wußte, wer in den schweren Nächten als Wache an seinem Bett saß. So sehr fern war er dieser Welt, daß er auch nie das Stoßgebet hörte: »Lieber Gott, laß ihn gesund werden! Lieber Gott, laß ihn gesund werden! Ich opfere dir gern mein Herz auf und mein Leben!«
Der Margritt Benatz war's voller Ernst mit diesem Gelübde, mochte der Vater, als er davon hörte, noch so sehr toben und mit dem rasselnden Schlüsselbund die Wände seines Kassenschrankes beschlagen.
Am gleichen Tag, als der Doktor Elsholzer im Spital sagte: »Gottlob, Margritt, mit Ihrer Hilfe haben wir ihn glücklich durch! Das Fieber ist gebrochen. Paßt auf, morgen früh, wenn er die Augen auftut, ist er wieder vernünftig!« am gleichen Tag nahm die Margritt eine Fahrkarte nach Niederbronn und läutete dort im Schwesternhaus die Oberin heraus.
Der Preuß mochte nachher, als er wieder gesund und auf dem Damm war, nach der Margritt fragen, soviel er wollte, er hat nie erfahren, wo sie war; denn der Einzige, der es ihm hätte sagen können, der Millionen-Benatz, war Hals über Kopf aus seinem schönen neuen Haus davongereist. Nicht einmal der Greffier weiß, in welche Weltgegend.
Eigentlich war es eine Unüberlegtheit vom »Millionär«, bei Nacht und Nebel durch die Latten zu gehen. Denn mit dem heimtückischen Überfall hatte er nichts zu tun. Das stand schon vom ersten Tag an fest, als alles die Neuigkeit ausschrie: »Der kleine Lechleitner ist in den Kanal gegangen!« Doch als man den buckligen Bräuburschen bei der Rosenauer Schleuse rauszog, sah er nicht einmal mörderisch aus. Nein, er hatte einen solchen verklärten Zug in seinem zerfurchten, zerrissenen Krüppelgesicht, als ob er mit seiner Tat irgend einer alten Gottheit gedient hätte.
Auch der Preuß ist, als er wieder hergestellt war, nicht mehr lange in unserem Dorf geblieben. Er wurde versetzt und zwar, wie das Kantonsblättchen durch Fettdruck hervorhob, in eine bessere Stelle.
Nach Jahren einmal, als er Dienst in Rufach hatte und der Zug 2 Uhr 11 Richtung Straßburg ausfuhr, hörte er einen halblauten, unterdrückten Schrei.
Er wandte den Kopf mit der roten Mütze und sah eine Niederbronner Schwester, die am Fenster gestanden war und nun, mit der Hand am Herzen, auf ihren Eckplatz zurücksank.
Doch das alles sah er nur den Bruchteil eines Augenblicks, da war der Zug schon vorbei.
Dieser Augenblick hat dem Preußen manche Stunde des Nachdenkens gekostet.
Als er nach Jahren, anläßlich eines Urlaubes, einmal davon redete, sagte er, und seine Stimme klang merkwürdig gepreßt:
»Mutter, wenn sie nicht Ordenskleider angehabt hätte, ich würde schwören, es sei die Margritt gewesen!«