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Der Hundertkilo-Verein

Jeden Herbst, wenn es in unserem Sundgaudorf neuen Wein gab, Federweissen, zu dem man frische Nüsse essen konnte oder knusprig gebackene Rheinfische oder sonst etwas Räses, was gehörig Durst machte, kam von Basel, von der Grenze her, in feierlichem Zug der Hundertkilo-Verein angefahren.

Auf drei Leiterwagen rückte er an, ein jeder derselben von vier mächtigen Brauereipferden gezogen. Die Gäule schwitzten jedesmal und an der Hinterhand trat ihnen bollig das Generv hervor; denn die Herren, die sie schleppen mußten, die hatten Gewicht. Das waren Herbstgäste, die sich sehen lassen konnten. Wie schon der Vereinsname verriet, es war keiner darunter, der nicht nackt seine vollen hundert Kilo wog, also gradaus zwei Zentner.

Massig sahen die Hundertkilovereinler schon aus. Das mußte sogar der Totengräber Glenk zugeben, der sonst an allem, was den äußeren Menschen anging, zu mäkeln hatte. Vor diesen Fettgepanzerten versank er in Bewunderung. »Die passen in keinen gewöhnlichen Sarg hinein,« pflegte er zu sagen, wenn sie durch die Dorfstraße polterten, »für die muß ein besonderer Totenbaum gemacht werden, wenn's mal so weit ist!«

Gestalten hatten sie wie die Ringkämpfer im Zelt auf der Kilbi, und, was das Merkwürdigste ist, alles bibberte an ihnen, wenn sie gingen. So lose saß der helvetische Speck!

Das gab jedesmal ein Hallo, wenn sie in unser Dorf einfuhren. Es war ihnen anzumerken, daß sie schon ziemlich viel Sprit im Vergaser hatten.

Meist waren auch die Fuhrleute blau.

Doch das machte nichts aus. Wenigstens waren die Pferde vor den Wagen nüchtern. Die hatten nur Bachwasser getrunken und fanden darum den Weg allein, mochte es auch mitts in der Nacht sein.

Einmal – ich erinnere mich an den Tag so genau, als sei es erst gestern gewesen – -¦ fuhren die Basler beim Wirt Blind im Unterdorf vor. Des Gaudis halber hatten sie ein paar Musikanten mitgebracht, die derart in das gelbe Blech hineinbliesen, daß gleich beim ersten Tusch das halbe Dorf zusammenlief, um zu schauen, was es gäbe.

Zu allervorderst natürlich wir Jungen.

Es gab immer was zu sehen, wenn die Salmenfresser da waren, und so standen wir denn vor Blinds großem Saal und drückten dem Wirt mit unseren neugierigen Nasenzipfeln schier die Scheiben ein.

Diesmal aber war alles Schauen umsonst. Wie verhext. Es passierte nichts. Die dicken Herren aus Basel saßen so ernst und gemessen da, als seien sie nicht die Hundertkilo-Vereinler, sondern harmlose Missionsbrüder von der Krischona.

Wir waren eben dabei, uns heimwärts in unsere Höfe zu trollen, als Blinds Knecht aus der Küche kam und, seinen gelben Seehundsschnauzer streichend, uns nachrief: »He, Buben, bleibt doch da! Die Basler Herren wollen euch nachher Geld streuen!«

»Was? Geld streuen?« fragten wir; denn wir glaubten, wir hätten uns verhört.

»Ja, Geld streuen!«, sagte der Knecht und zog noch heftiger an seinem Schnauzer als bisher, »genau so, wie man bei einer Kindstaufe Zuckerbohnen auf die Straße streut!«

Olala! Geld streuen! Geld streuen wie Zuckerbohnen bei einer Taufe! Das kam nicht alle Tage vor, daß Leute ihren Mammon freiweg auf die Straße warfen. Da mußten wir mit dabei sein, wenn es was zu erben gab. Und wir zügelten unsere Ungeduld, traten aufgeregt von einem Bein aufs andere und harrten des metallenen Regens, der uns beglücken sollte.

Und der metallene Regen kam.

Als spendende Wolke erschien auf dem Balkon der Wirtschaft der Präsident des Hundertkilo-Vereins, ein unsäglich dicker Mann mit knalligroten Händen, der einen hochauf mit Münzen gefüllten Teller schwang und ihn breitwürfig auf die Straße schüttete.

In silbernem Bogen ergoß sich der Segen: glitzernde 20-Centimes-Stücke aus Nickel.

Wir im Kinderhaufen stürzten uns natürlich darüber her, wie die Meute über den hingeworfenen Knochen. Für uns war jedes 20-Centimes-Stück ein Vermögen!

Aber, o weh! Wir konnten keines der Geldstücke aufklauben. Sobald man eines zwischen den Fingern hatte, mußte man es wieder fallen lassen, weil es einem, autsch! die Finger verbrannte. Die Herren vom Hundertkilo-Verein hatten sich nämlich den »Scherz« erlaubt, die Geldstücke vorher auf dem Küchenherd in der Bratpfanne heiß zu machen.

Nun stand die Bande an den Saalfenstern, schaute zu, wie wir dummen Teufel schmerzgixend die verbrannten Pfoten schwenkten, und zerplatzte schier vor Lachen.

Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten. Die Wahrheit dieses Sprichworts zeigte sich zwei Stunden später in voller Unumstößlichkeit.

Als nämlich die Hundertkilo-Vereinler mit Hilfe des Wirts und des Knechts und der Herren Fuhrleute mit vielem Geschnauf und Geächz und Gebächz auf ihre Leiterwagen gestiegen waren, um sich wieder nach Glockenmockum zu ihren Hausdrachen fahren zu lassen, hei, da waren sie noch keine dreihundert Meter weit, noch nicht mal recht am Straßenkreuz, da sausten, als sie um die Ecke bogen, wie auf ein Kommando die Räder an der rechten Wagenseite ab, und mit einem tollen Holter und Gepolter und unter Angst- und Bangstgeschrei kugelten hundertzwanzig Zentner kopfüber in den kleinen Bach, der am Straßenbord floß. Eigentlich ist Bach zuviel gesagt. In Wirklichkeit war es kein Bach, sondern ein Dreckgraben.

Haha! Jetzt waren die Rollen gewechselt! Haha! Jetzt lachten wir! Wir, die Knirpse mit den verbrannten, verschundenen Fingern, an denen sich mittlerweile Brandblasen gebildet hatten. Und wir lachten mit gutem Grund. Denn wie der gesamte Hundertkiloverein sich da im Schlamme übereinanderwälzte, wie das durcheinanderzappelte und in rauhen Rachentönen den Himmel beschrie, das war etwas, was man sonst nirgends zu sehen bekam. Nicht einmal im Zirkus für vieles Geld.

Trotz allem Hilfegeschrei hat sich keine Hand gerührt. Die Brüder vom runden Vollmondgesicht mußten sich allein aus dem Abwasser und aus der stinkenden Mure ziehen. Im Verlauf von einer Viertelstunde standen sie alle wieder auf den etwas arg schwankenden Beinen und hatten sich wenigstens die gröbsten Schlammbrocken aus den nassen Gesichtern gestrichen.

Doch weiterfahren konnten sie nicht.

Nämlich das ausgleichende Schicksal hatte die stählernen Achsensplinte, die wir heimlich entfernt hatten, in ein unauffindbares Versteck getan. Sie ruhen noch heut irgendwo auf dem Grund des Rhein-Rhone-Kanals.

Die feisten Herren mochten sich die Lippen fußlig reden, es nutzte alles nichts. Sogar das Winken mit dem dicken Portemonnaie nützte nichts. Weder für Geld noch für gute Worte waren an diesem Abend noch Fuhrwerke aufzutreiben. So mußten denn die Hundertkilo-Vereinler ganz gehörig den Schweißmotor andrehen und auf Schusters Rappen in die Heimat reiten.

Da stieg denn mancher gezackte Seufzer und mancher rasiermesserscharfe Fluch zu den Sternen, bis die bis aufs Hemd nasse Schwartenkarawane endlich die fünf Kilometer hinter sich hatte und an der Grenze in die Elektrische konnte.

Ein Gutes haben die herausgezogenen Achsensplinte doch gehabt.

Die Herren vom Hundertkilo-Verein sind von da ab auf ihren Herbstfahrten nie mehr in unser Dorf gekommen.

Es hat jedoch niemand darum getrauert als Blind, der Wirt.

Die andern im Dorf, selbst die ältesten und vermurrtesten Krauter, die lachten, wenn die Rede daraufkam, und sagten: »Bravo! Diesen Schweinen Gottes habt ihr's mal tüchtig gegeben! Die sollen wissen, was es heißt, Geld siedig zu machen!«


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