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Als der Schuhmacher Zecklein sein Haus kaufte, wußte er nicht, was er sich damit für einen Stein an den mageren Hals hing. Sonst hätt' er's sicherlich bleiben lassen.
Zwar mußte jeder eine Freude daran haben, der das Anwesen sah. Es lag so schön am Bahndamm in der Sonne, zwischen Wickys Garten und dem vom Zagula.
Wie hingemalt sah es aus.
Und wenn es auch nicht groß war (»nicht größer als ein ausgehöhlter Waldpilz!« spottete Lieni, der Schmied), Platz für die sechs Köpfe der Zecklein hatte es doch.
Freilich war's teuer gewesen, sündhaft teuer, ganze fünfeinhalb Tausend, die Steuer und die Kosten der Verschreibung gar nicht miteingerechnet.
Der Zecklein selber hatte von sich aus nicht mehr als fünfhundert anzahlen können, und selbst die waren bei guten Freunden entlehnt. Und so rund und sauber auch die Silbervögel aussahen, als sie in einer krummen Reihe auf den Tisch gezählt wurden, es klebte doch viel Demütigung und Angstschweiß daran und mancher vergebliche Gang.
Aber der Zecklein dachte, als er den Vertrag unterschrieb: »Ich schaff's doch! Ich hab meine zwei gesunden Hände, und meine Frau ist auch nicht ungerad, die kann hausen, und die vier Schlingmäuler der Kinder werden noch so viel übrig lassen, daß es zur Verzinsung des Restkaufschillings reicht. Denn das ist das allerwichtigste: es muß pünktlich gezinst werden! In diesem Punkt versteht der Baumeister Stammler keinen Spaß, so jokos er sonst ist!«
In seinem Besitzerstolz ging der Zecklein mehr ins Dorf, als sonst. Er schaffte sich Gelegenheiten, um beim Heimkommen sein Häuslein betrachten zu können. Das gab jedesmal dem Ballon seines Selbstgefühls einen höheren Auftrieb, und eines Tages konnte er nicht mehr anders in seinem Stolz, er griff nach einem Stück Kreide und schrieb mit ungelenken, aber wuchtigen Buchstaben auf das Braunrot seiner Türe:
» Dies Haus ist mein Haus!« Und das Wörtlein »mein« in dem Satz hatte er mit drei Strichen unterhauen, einen dicker als den andern.
Ja, dies Haus ist mein Haus!
Im ersten Jahr ging alles wie am Schnürchen. Dem Zecklein schmeckten die Sachen, die er im eigenen Garten zog viel besser, als wenn er sie um teures Geld auf dem Markt hätte kaufen müssen, und wenn's auch in der Mehrzahl nur ganz gewöhnliche Kappesköpfe waren.
Im zweiten Jahr dagegen war alles wie abgeschnitten.
Im Garten fing's an.
Erdflöhe, Schnecken und Regenwürmer traten in Unmassen auf. Was die verschonten, wurde schließlich von den Raupen gefressen oder ging in der mörderischen Hitze zu Grunde. Mitte Sommer war nichts Grünes mehr da, alles hing lummlig und stummlig, und der Garten von »Dies Haus ist mein Haus« sah aus, als sei er mit Feuer abgesengt worden wie eine Schweinshaut.
Übrigens ging's nicht nur dem Zecklein allein so, sondern allen im Dorf. Wer Land besaß, bejammerte die gleichen Schäden. Nur den Meister Zecklein trafen sie am empfindlichsten, weil er nichts zuzusetzen hatte.
Dazu kam, daß die großen Webereien und Seidenfärbereien in der ganzen Umgebung auf Wochen hinaus feierten. Hat aber der Arbeiter keine Arbeit, so hat er kein Geld, und hat er kein Geld, so kann er seine Schuhe nicht sohlen und nicht ristern lassen. Und läßt der Arbeiter keine Schuhe besohlen, so haben die Schuhmacher ebenfalls nichts zu tun und können feiern. Und da der Zecklein zu dieser Gilde vom grünen Schurz gehörte, saß er ebenso arbeitslos da, trotzdem er Hausbesitzer war. Und fließen keine Einnahmen, dann müssen die Pfennige aus den Kastenritzen gescharrt werden, und doch langt's kaum zum Leben, geschweige denn zum Zinsen.
Das war eine traurige, traurige Zeit, die sich da hinflätzte; umso trauriger, als in ihr so recht der verbogene Mechanismus der Welt sichtbar wurde, daß nur dem geholfen wird, der etwas hat. Dem andern nicht!
Meister Zecklein machte manchen vergeblichen Bittgang und rannte von Pontius zu Pilatus, um wenigstens das Geld für die schuldigen Zinsen aufzutreiben, die schon zweimal verfallen waren.
Stammler, der Baumeister, hatte einen giftgeladenen Brief an den Schuhmacher geschrieben: seine Geduld sei jetzt zu Ende, falls er den Rückstand nicht binnen acht Tagen habe, so halte er sich an den Vertrag und kündige die Hypothek.
Nicht umsonst hatte dieser Hundertkilo-Vereinler so scharf und so drohend geschrieben. Er war ein Kravattenmacher, wie er im Buche steht. Er würgte rücksichtslos, wenn er daran profitieren konnte.
Das wußten alle im Dorf.
Nur der Zecklein mit seinen frommen Sprüchen an der Wand hatte es nicht gewußt; sonst würde er sich schön gehütet haben, das Häuslein von diesem Blutsauger zu kaufen und so sich selber ans Brett und ans Messer zu liefern.
Also, wo der Zecklein auch anklopfte, nirgends fand er Hilfe.
Alle, die ihn anrücken sahen, knöpften schon vor dem Händeschütteln die Kittel zu. Das ist das deutlichste Zeichen, wenn einer nicht geben will. Sogar diejenigen, die früher seine Spezi gewesen waren und ihm das Kaufgeld vorgestreckt hatten, sagten:
»Uns steht selber das Wasser am Hals, Verehrter! Noch mehr leihen können wir nicht! Im Gegenteil, wir müssen unser früheres Geld schleunigst wiederhaben!«
Da wußte der solcherart auf die Stirne gehauene Schuhmachermeister nichts anderes zu tun, als zum Köhly in die Sonne zu sitzen und dort die Sorgen im Bier zu ersäufen. Aber zu einem solchen Sorgentod ist viel Flüssigkeit nötig; da muß ganz gehörig nachgeschwenkt werden, sonst kommt der große Kribbler immer wieder herauf.
Schließlich hatte es der Häuserschlächter so weit, daß alles vergantet werden mußte. Nicht nur das Häuslein allein, nein, auch das Feld und der Hühnerhof und der Kaninchenstall, nein, auch ein Bett und zwei Kästen und ein Küchenschrank, dazu der ganze Schuhladen, alle die hohen Schäfte und Regale, die weißen Schachteln, auf denen großmächtig die Nummern standen, die schwarzen und die gelben Schuhnestel, jeweils zu sechzig Paar gebündelt, die Knopfhaken, die Schuhlöffel, die Ausspannleisten, das Schlupfpulver, die beiden Schemel, der Anprobestuhl, der Ladentisch. Ja, sogar die Hasen aus dem Stall, die vier belgischen Riesen mit einem Fell wie Silber, mußten daran. (»Hätte der Simpel von Schuster sie lieber gefressen, bevor ihnen der Gerichtsvollzieher den Kuckuck auf den Schwanzstummel klebte!« knorzte Lieni, der Schmied.)
Der Zecklein sagte jenen Tag zu seinen Kindern, er überlebe die Schande nicht.
Aber die Kinder waren noch nicht erwachsen genug, daß sie wissen konnten, was eigentlich »Schande« ist. Für sie war alles, was an diesem aufwühlenden Tag vor sich ging, lediglich eine erwünschte Unterbrechung des häuslichen Einerleis. Darum holten sie alle ihre Spielgefährten zusammen, alle Kinder aus der Nachbarschaft, die ihnen nur erreichbar waren, und sagten wichtig: »Kommt mit! Heut ist was los hinterm Bahndamm, heut wird bei uns vergantet!«
Das ließen sich die Rasselbänderiche selbstverständlich nicht zweimal sagen. In Massen kamen sie angesaust, wie eine Wespenschar vor den Einflug, setzten sich auf die ausgetretenen Sandsteinstaffeln des Häusleins und schauten zu, wie sich die Leute drängten, wie ein fremder Mann, mit einem großen Schnurrbart, einen Tisch ins Freie stellen ließ, auf dem er die Gantsachen ausbot.
Die Kinder merkten sich alle Einzelheiten, auch die geringsten: wie der Fremde eine Sache ausbot, wie die Anwesenden dann höher boten, sich vor Eifer überstürzend, wie der Gerichtsvollzieher dann alle überschrie: »Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal!« und wie er jedesmal beim Zuschlag mit einem Holzhammer auf den Tisch hieb, daß die roten Schachteln mit Genters Schuhwichse, denen ein Kaminfeger aufgemalt war, hochhüpften wie Frösche, die ins Wasser wollen.
Das machte Krach! Ha! Das war fein! Ein Heidenspaß!
Und weil die Kinder so was zuvor noch nie gesehen hatten, nahmen sie's besonders begierig auf, und auf lange Wochen danach hatten sie alle ihre übrigen Spiele auf den Vergeßhaufen gelegt und spielten nichts anderes mehr als »Gant beim Schuhmacher Zecklein«.
Die Leute, die bei der Versteigerung dabei gewesen waren und etwas erstanden hatten, zeigten alle frohe Gesichter. So billig, wie jetzt beim Zecklein, hätten sie schon lange nicht mehr gekauft, und dabei lachten sie profitlich und zeigten die Zähne. Es ginge ja alles fort um ein Nasenwasser!
Nur die Frau Zecklein war nicht froh. Die stand ganz allein im Hausgang hinter der Tür und hatte ein weißes Taschentuch in der Hand und wurde gar nicht mehr fertig mit dem Abwischen der Tränen, die ihr aus den Augen schossen.
Jedesmal, wenn ein Stück Hausrat hinausgetragen wurde, ging ihr Gewein von neuem los.
»Sie verdirbt einem die ganze Freude am wohlfeilen Einkauf!« sagte, die Stirne mißbilligend runzelnd, ein dicker, rotgesichtiger Metzger.
So was von Weinen hat man nie mehr gesehen. Nicht einmal bei Begräbnissen. Das Wasser lief an der Wachsschürze der Frau hinunter wie von einem nassen Regenschirm, und zum Schluß stand sie auf den roten Steinen in einer wahrhaften Lache von Tränen.
Der Zecklein war von diesem Tag an verschwunden. Er hatte die Siegesschreie des Gerichtsvollziehers nicht mehr gehört. Die Leute sagen, er sei ab nach Amerika.
Das Häuslein ist, wie nicht anders zu erwarten, an den Stammler zurückgefallen. Der sucht jetzt nach einem neuen Opfer.
Auch Frau Zecklein und die Kinder sind fort. Von der ganzen Familie ist in der Gemeinde nichts zurückgeblieben als ein Sprichwort, das noch manchmal im Munde geführt wird, wenn einer die Backen zu voll nimmt: