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»Der Schmied Stark ist gestorben!« sagten die Leute, die auf dem Bürgersteig standen, und es war so ein zittriger Klang in ihrer Stimme, daß selbst wir Kinder merkten, Sterben sei etwas sehr Schreckliches.
Wir waren eben aus der Schule gekommen, hatten Nachrennen gemacht, und hinten, am End, heulte die rote Augustine, weil ihr einer der schönen grünen Zopfbändel abgerissen war. Und wir waren ein Schwung und eine Bewegung, als wir so an die in Haufen stehenden, redenden Leute kamen.
Aber die dunklen, Geheimnisse bergenden Worte: »Der Schmied Stark ist gestorben!« und die merkwürdig fragenden Gebärden der Leute legten sich uns Kindern quer wie ein Schlagbaum über den Weg.
Keines mehr konnte von der Stelle.
Ein erkältendes Gefühl kroch jedem über Haut und Gebein hinab. Die Füße waren wie an den Boden genagelt.
Diese Starre löste sich erst, als der Pfarrer daher kam mit dem Becherer Karl, der Ministrant war. Der Bursch sah sehr nobel aus, denn er trug ein neugesticktes weißes Röckchen und hatte ein Käppchen auf, so rot, als sei es eben erst vom Pfaffenkappenstrauch gepflückt. Und ein Glöcklein läutete der Becherer Karl alle fünf bis sechs Schritte; denn der Pfarrer hatte das Sakrament mit, und alle Leute, die da waren, knieten nieder; nur die Stündler nicht und hinten, im Hofschatten, Levy, der Jud.
Wir Kinder knieten uns auch hin; aber als alles vorbei war, gab uns die Neugier einen Antrieb. Wir stiegen die äußere Treppe hinauf und schauten durchs Fenster.
Es stand ein großer Haufen Leute in der Stube; die Verwandtschaft und viele von den fremden Dörfern herunter, die wir nicht kannten.
Der Schmied Stark lag groß und breit in seinem Bett drin. Und so groß und breit lag er da, die braune Brust herausgewölbt, als ob er schlafen würde. Und in seinem strohgelben Schnurrbart stand noch der Schnupftabak von seiner letzten Prise.
Aber der Schmied Stark lebte nicht mehr. Er war tot.
Seine Frau saß auf einem Stuhl und heulte, und der Schmerz bog und zog sie zusammen, daß einem das Zusehen wehtat.
Das kleine Mädchen neben ihr hielt die Finger in den Mund gesteckt und schaute alles verwundert an.
Unweit vom Totenbett stand die Kinderwiege, und der kleine Kerl, der drin lag, hatte sich losgestrampelt, hatte die dünnen Stricknadelfingerlein zu winzigen Fäustlein geballt und schrie und schrie.
Der Pfarrer stand da und der Ministrant, und um sie bildete sich ein kleiner Kreis, der stumm war und kein Wort sprach. Umso lauter zerriß das Weinen der Frau die Luft und das Weinen des Säuglings in der Wiege.
Der Pfarrer, der gesehen hatte, daß hier der Tod Meister geblieben war, und daß Menschentröstung zu spät kam, kehrte sich um und ging.
Und der Becherer Karl läutete wieder mit seinem Glöcklein, und sein rotes Käpplein wanderte munter die weiße Straße hinab, so hell, so bunt, so lebendig froh, wie ein Strauß Feldmohn, den ein Michelfelder Mädchen Sonntags nach Haus trägt.
Wir schauten ihm nach, aber mitten im Besten drin kam die Bäckerin von gegenüber, machte Lärm, schrie: »Ihr elenden Nichtsnutze!« und jagte uns weg. Doch die dicke Fischerin ist eine böse Frau, die richtige böse Sieben, mit Launen und Mißmut gesegnet, und keiner im Dorf kann sie leiden.
Die rote Augustine hatte sich ihr Augenwasser längst abgewischt, ihr grünes Zopfband flatterte wieder.
Langsam gingen wir heim.
Alle fröhliche Munterkeit war verstummt.
Es sprang und tollte keiner.
Wir gingen dahin mit schwerem, gesenktem Kopf, wie Pferde, die an einem vollauf beladenen Wagen ziehen.
Und durch unsere jungen Kindergedanken bohrte sich drohend das furchtbare Wort: