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Die Kaserne

Das war für den Ort etwas Ungeheures, als die Frau Schosseh ihr neues Haus bauen ließ.

Es mußte sogar ein Architekt aus der Stadt kommen, und der setzte ihr an die Basler Straße einen klobigen Kasten hin, ein dreistöckiges, weitläufiges Haus, in dem sechs Partien wohnen konnten.

Vorn, nach der Straße zu, Fenster, nichts als Fenster, eines so gleichförmig wie das andere; dabei gähnte das Gebäude vor Nüchternheit, wie ein Schuppen auf dem Habsheimer Exerzierplatz. Daher hatte es schnell einen Spitznamen weg. Im Dorf nannte man's nur »die Kaserne«, sehr zum Ärger der vornehmen Frau Schosseh, der dieser Name irgendwie herabwürdigend vorkam, umsomehr, als sie selber doch auch in dieser »Kaserne« wohnen mußte. Macht aber nichts, der Übername war da und ließ sich nicht mehr abwaschen, so sehr sich Frau Schosseh auch Mühe gab.

Die volle Trostlosigkeit des Gebäudes lernte ich erst kennen, als wir selber in den Backsteinkasten zogen.

Da waren im Hofe keine Winkel mehr, in denen man sich verstecken konnte, und im Garten durfte man auch nicht herumspringen, wie man wollte. Da war alles in winzig liliputanische Beete abgeteilt und wehe, wenn du einem zu nahe kamst, das nicht dir gehörte! Da schallte gleich die Stimme der Dame Schosseh aus dem mittleren Stockwerk herunter. Anscheinend war sie beim lieben Gott in Pacht und hatte etwas von dessen Allgegenwart abbekommen; denn trotzdem sie nur ein Auge hatte, sah sie doch alles, was in ihrem Eigentum vorging. Gleichsam wie eine dicke Kreuzspinne im Netz saß sie auf der Lauer nach allem, was Bewegung hatte, und erwürgte es mit dem Herschrill ihres Gekeifs.

Selbst im Haus drin, in der gemieteten, sündhaft teuren Wohnung, war man nicht sein eigener Herr. Da mußte man leise auftreten, wie in Filzpantoffeln, und ja keine Türe zuschlagen oder ein lautes Wort reden. Wer dagegen verstieß, der flog.

Der Hauszins, der für die »Löcher« in der Kaserne gezahlt werden mußte, war so teuer, daß die Mutter oft nicht wußte, wie sie ihn zusammenbringen sollte, und wenn's auf den Letzten im Monat zuging, war der Vater für gewöhnlich nicht gut zu sprechen. Da saß er meistens den ganzen Tag hindurch hämmernd in seiner Werkstatt drin, und schon an der Art, wie er's Leder klopfte, an den kurzen, zornigen Schlägen, merkte man, wie's ihm zu Mut war. Es klang gerade so, als ob er die Dame Schosseh in den Riemen gespannt hätte und nun seinen Zorn an ihr ausließe.

Natürlich wohnte sie als Hausherrin im mittleren Stock, in der Wohnung, die am schönsten und größten war. Kam jemand zu ihr zu Besuch, so nahm sie ein wehleidiges Gesicht an, jammerte über ihre schlechte Gesundheit, über ihren armen Magen, der gar nichts mehr vertragen könne, nicht einmal mehr eine Hühnersuppe, und derweil sie dieserart barmte, aß sie dabei, ihrer Schmerzen ungeachtet, den ganzen Kuchenteller leer. Weshalb auch Lieni, der Schmied behauptete: »Ich glaube, die Alte macht nichts anders, als den Hauszins einziehen und verfressen!« In der Tat, die Frau Schosseh schien so vollgestopft, daß man sich nicht gewundert hätte, wenn sie eines Tages mit einem lauten Knall in die Luft wäre.

Ihr Mann hatte ihrem Anblick schon längst die Ruhe auf dem Kirchhof vorgezogen. So lebten denn nur noch die »drei I« bei der Frau Schosseh, ihre Töchter. Diese Bezeichnung kam von ihren Namen. Sie hießen nämlich Melanie, Rosalie, Emmelie. Wenn die Alte sie rief, so klang das in die Welt und in die Winkel hinein: Melaniiiiih, Rosaliiiih, Emmeliiiiih! Wer ferne stand und nicht zufällig die Namen kannte oder sonstwie Bescheid wußte, der hörte nichts anderes, als ein gixiges, langgezogenes »Iiiiiiiiiiih!«

So körpergewaltig und rotgesichtig die Mutter prangte, so bleich, mager und dürr waren die drei Töchter. (»Als ob sie Essig getrunken hätten«, sagte Lieni, der Schmied.) Sie standen alle drei bereits in jenem Alter, da Kinn und Nase spitzer und spitzer werden. Darum gelang es auch keiner mehr, einen Mann ins Garn zu bekommen, obwohl sie diesbezüglich ihre Netze sehr hartnäckig spannten. Da lockte nicht einmal die recht beträchtliche Mitgift. So wurden sie halt mit jeder neuen Enttäuschung umso wunderlicher.

In der guten Stube hatten die drei I einen großen Wandkalender hängen. Dahinein machten sie bei jeder Hochzeit im Dorf ein dickes, rotes Kreuz und schrieben die Namen der Vermählten dazu. Folgte dann später, wie es der Hochzeiten Lauf ist, der Ehesegen, so zogen die drei »I« eifrig den Kalender zu Rate, ob auch alles »stimme«, was die vorgeschriebenen neun Monate anbetreffe.

Stimmte es nicht, war die Spanne zwischen Hochzeit und Kindtaufe geringer als neun Monate, so war das das richtige Wasser auf die Mühle der drei I und ihrer gewichtigen Mutter. Das gab Gesprächsstoff auf Wochen hinaus, und die drei Jungfern wurden immer mißgünstiger davon und hagerer und magerer. Sie selber kamen freilich nie in Gefahr, daß es ihnen auf den Brautschleier regnete und ihretwegen brauchte kein Wandkalender mit roten Kreuzen geführt werden.

Neben uns im Erdgeschoß der Kaserne wohnte Lieni, der Schmied. Er, der Herkunft nach Schweizer, war ein großer, breiter Mann, immer schwarz im Gesicht und rußig, mit einem Schnauzbart, steif wie ein frischer Kehrwisch und immer eine Ladung brauner Prise darin; denn er schnupfte unaufhörlich. Der Schmied war nicht ganz sauber am Schild, besonders nicht, wenn er zu viel in der Krone hatte. Manche Samstagnacht mußte die Frau »vertlaufen«, das heißt, im Hemd durchs Fenster auf die Straße hinaus, sonst hätte es Mord und Totschlag gegeben.

Im mittleren Stock der Kaserne, der Dame Schosseh gegenüber, waren die Pfriemers zu Hause. Er, der Alte, arbeitete als Meister in einer Seidenfärberei auf der Schusterinsel. Sie, die füllige Dame des Hauses, lag meistens auf dem Sofa, las Romane und duftete nach irgend einem billigen französischen Parfüm. Wer zu ihr wollte, brauchte nicht erst lange zu fragen, ob sie zu Hause sei oder nicht. War sie da, so vermochte man's bereits von der Treppe aus zu riechen. Sie schleifte die Wolke ihres Wohlgeruchs mit sich, wie eine Fürstin ihre Schleppe. Madame Pfriemer bildete sich ein, urfranzösischer Abstammung zu sein; deshalb kriegten auch ihre Kinder urfranzösische Namen. Gaston hieß der älteste, und die drei Töchter wurden Yvette, Jeanette und Virgenie genannt. Und ausgerechnet diejenige, die Virgenie hieß, also Jungfrau, wurde später das Gegenteil ihres Namens und kam kaum mehr vom Vormundschaftsgericht herunter. So haben's manchmal die französischen Namen in sich! Wenigstens bei uns im Elsaß.

Zwischen den Eheleuten Pfriemer gab es Tag für Tag Streit und Händel. Denn die Alte war faul wie Saubohnenstroh. Mit der Zubereitung des Mittagessens zum Beispiel fing sie erst dann an, wenn die Fabriken und die Färbereien zwölf Uhr pfiffen. Das mußte dann fix gehen, und so erschien denn jeden Mittag das gleiche Gericht auf dem Tisch: Spiegeleier in Anken; denn die brauchten nur einige Minuten, bis sie gar gebrotzelt waren.

Der alte Pfriemer war nicht sehr erbaut von diesem Essen. Jedes dritte Wort war immer wieder, die verdammten Spiegeleier wüchsen ihm zum Halse heraus. Sehr oft saß er zum Köhly hinüber, um seinen Kummer in irgend etwas Nassem zu ertränken. Einmal, eines Sonntagsabends, kam er sehr aufgekratzt nach Hause, und als er wieder die verhaßten Spiegeleier in der Pfanne brotzeln sah, wußte er seiner Wut nicht mehr anders Luft zu schaffen, als daß er das schöne Küchengeschirr nahm, das auf dem Tisch stand, und anfing, es zum Fenster hinaus auf die Straße zu werfen. Sie, die Alte, zum ersten Mal im Leben nicht faul und zum ersten Mal im Leben einen gesunden Gedanken fassend, schmetterte gleichfalls ein paar Teller auf die Straße hinunter, wo sie klirrend auf den Katzenköpfen des Pflasters zerscherbten.

»Ha«, sagte da der alte Pfriemer ganz erstaunt und hielt mit Werfen ein, »was machst du da?«

»Ha«, sagte sie ganz kalt, »ich helfe dir beim Hinauswerfen, damit du schneller fertig wirst!«

Von da ab rührte der alte Pfriemer kein Küchengeschirr mehr an. Aber nach wie vor hat er sich beim Köhly Trost angetrunken. Das hielten seine brüchigen Adern auf die Dauer nicht aus. Eines Tages brachten sie ihn aus der Färberei tot heim. Er war am Säuretrog umgefallen, mitten in der Arbeit.

Ganz oben im Dachstock der Kaserne wohnten zwei Einspänner, auf der einen Seite der verrückte Burtisen, auf der anderen Seite die Jungfer Hoffmann.

Der Burtisen war überall dafür bekannt, daß er »spann«, und zwar einen ganz kräftigen, dauerhaften Faden. Soviel erzählt wird, ist er früher ein paar Jahre lang in Stephansfelden in freier Kost und freiem Logis gewesen. Wieder unter den Vernünftigen, hielt er's nie aus in fester Arbeit. Meist taglöhnerte er in der Kiesgrube oder bei irgend einer Arbeit, die so schmutzig war, daß niemand sonst sie machen wollte. Im Frühjahr hatte der Burtisen seine beste Zeit. Da zog er auf den Dörfern draußen von einem Obstgut zum andern und äugelte oder pfropfte. Bei dieser Hantierung mußte er vollständig unter Spiritus stehen, das war seine Religion, sonst wuchs nichts an. Das bißchen Geld, das der Burtisen bei seinen Gelegenheitsarbeiten verdiente, ließ er nie Grünspan ansetzen. Das meiste fuhr ja in Köhlys Taschen. Gewöhnlich kam der Halbverrückte erst spät in der Nacht heim. Sehr spät sogar, aber immer fröhlich, immer lustig. Angefeuert vom Alkohol, machte er oft solchen Krach, daß die Nachbarn aus ihren Betten krochen und die Läden aufmachten, weil sie meinten, es sei eine Schlägerei und es gäbe etwas zu sehen. Es war aber, wenn der burtisensche Krach anging, nie eine Schlägerei. Es war nur das Abspulen der gröbsten Nummer seines Wortgarns.

Unmittelbar neben der Kaserne wohnte Polizeikommissar Steinbrecher, durch seine Strammheit im Dienst weit und breit gefürchtet. Aber da erwies sich der sonst so unbedachte, wilde Burtisen als Menschenkenner Nummer Pfiff. Sobald er nämlich in die kommissarische Gefahrzone kam, wo es unter Umständen ein Protokoll setzen konnte, fing er zu brüllen an: »Prächtig ist Berlin! Es lebe unser braver Polizeikommissar!«

Es gab Räusche, bei denen der Burtisen sich beim Heimkommen im Haus nicht mehr zurecht fand. Bei solchen Gelegenheiten kam es dann vor, daß er den Schlüssel, statt in seine Türe, in die der Jungfer Hoffmann hineinsteckte. Die war der Meinung, er habe es auf ihre Unbescholtenheit abgesehen, und erhob deshalb Hilfegeschreie, die die ganze Kaserne alarmierten. Dabei war die Jungfer dreiundsiebzig Jahre alt, glich einer eingetrockneten Mumie und hatte von einem Mannsbild ganz gewiß nichts mehr zu befürchten.

Für gewöhnlich merkte man nur wenig von der Jungfer. Sie lebte da, ganz eingesponnen in ihre Dachstube, mit einem alten, wunderlichen Kater zusammen, dem wir gerne unsere Indianerpfeile auf den Pelz schossen, weil er dann, wie ein Blitzzug so schnell, abfauchte, die Dachrinne entlang, steif und kerzengrad den Schwanz in die Luft streckend. Außer diesem Kater hatte sie zu ihrer Gesellschaft weiter niemanden, als eine Versammlung von Blumentöpfen, die hinter den Fenstervorhängen standen, die mageren, durchsichtigen Stengel sehnsüchtig zum Licht gereckt. Wer jemals von der Straße her die Jungfer Hoffmann erblickte, sah sie nie anders, als mit ihrer kleinen grünen Giesskanne in der Hand, wie sie den Blumen Wasser gab. Und viele sind ob dem Anblick erschrocken, denn man konnte meinen, es sei nur ein Totenkopf, der da über den Geranien schwebe.

Sie kam fast gar nicht mehr unter Menschen. Nur zweimal in der Woche ging sie die Treppe hinunter, einmal zum Einkaufen, das andre Mal zur Frühmesse. Plötzlich hieß es, sie sei tot. Wir wollten es zuerst gar nicht glauben. Sie war so unbemerkt gestorben, wie sie gelebt hatte. Als sie auf den Gottesacker getragen wurde, ging außer uns Kindern kein Totengast hinter der Leiche. Nur das Kopfschütteln der Leute folgte ihr. Das war ihr Nekrolog.


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