Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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52. WIEDERSEHEN UND SCHEIDEN

Nur dem Tätigen hat die Zeit Bedeutung; ihm füllt sie sich mit Erlebnissen, ihm mißt sie sich nach seinem Tun. Der Gefangene in einsamer Zelle, dessen Schaffenskraft gebrochen ist und der nie mehr den Tag der Freiheit sehen soll, wartet nur auf seine Erlösung durch den leiblichen Tod, und da er nicht weiß, wann sie eintreten wird, zählt er nicht einmal die Tage und Nächte seines nichtigen Daseins. Sein Leben ist wie eine Reise durch die endlos scheinende Wüste: er wird weiter bewegt, die Sonne geht auf und unter, er wacht und schläft, aber um ihn bleibt dasselbe öde Einerlei. Das Jahr ist wie der Tag, und wie lang die Reihe der Jahre, das ändert nichts als eine Zahl.

Solches Leben ist ein langsames Hinsterben des Leibes, dem das geistige Wachstum gewaltsam abgeschnitten ist. Heinrich von Plauen, der Held der Marienburg, der streitbare Hochmeister Deutschen Ordens und dessen letzter Ritter war gestorben und zum ewigen Leben eingegangen an dem Tage, an dem er die Stätte seines Ruhmes verließ und sich Entsagung gelobte. Es lebte noch viele, viele Jahre ein armer Gefangener, der seinen Namen führte, erst in Brandenburg, dann in Danzig, dann nochmals in Brandenburg, endlich in dem stillen Schloß Lochstedt auf der Südwestspitze des Samlandes. Daß er ein Mächtiger gewesen war und nach der Schätzung seiner Feinde wieder ein Mächtiger werden konnte, wenn er die Arme frei hätte, bewies seine Gefangenschaft. Solange er lebte, war er von denen gefürchtet, denen er zu groß war.

Was aber hatte Michael Küchmeister geerntet als Sorge und Mühe? Fruchtlos war seine Arbeit, nichts von allen seinen Hoffnungen erfüllte sich, keine Demütigung blieb ihm erspart. Müde und krank legte er nach acht Jahren freiwillig sein Amt nieder und starb nicht lange darauf als Komtur von Danzig. Er hatte nicht hindern können, daß der Freiheitssinn der Bürger erstarkte. Sein Nachfolger, Paul von Rußdorf, aus edlem rheinischem Geschlecht, erlangte die Huldigung der Städte und des Landes nur gegen das eidliche Gelöbnis, sie bei allen ihren Privilegien und Rechten erhalten zu wollen, ihnen auch die freie Wahl ihrer Magistrate zu gestatten. Den Landesrat, den man gehofft hatte entbehren zu können, mußte er von neuem und mit verstärkter Machtvollkommenheit ins Leben rufen. Als ein Friede mit Polen zustande kam – am Melno-See wurde er verhandelt –, mußte der Orden sich zu der schimpflichen Klausel verstehen: Wenn ein Teil dem andern gegen diesen Frieden Krieg oder Fehde zuziehen wollte, so sollen des Friedbrüchigen Untertanen ihm weder Gehorsam noch Beistand leisten und er ihnen schriftlich die Befugnis zur Widersetzlichkeit und zum Ungehorsam verbriefen und verbürgen! Es kam der Tag, wenn ihn auch Rußdorf nicht erlebte, wo des Ordens Untertanen, Ritter, Knechte und Städte, an dieses Abkommen erinnerten und danach handelten.

Von dem, was außen geschah, drang wohl auch Nachricht in das Gemach des Gefangenen, dem man den Verkehr mit den Brüdern nicht entzog. Wäre sein Herz von Rachegelüst erfüllt gewesen, es hätte oft aufjauchzen können über die sichtlichen Zeichen der Vergeltung. Aber er liebte den Orden, er hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als daß die deutsche Grenzmark Preußen mächtig dastehe gegen die andrängenden Slawen. Jeder Mißerfolg, jede Niederlage, jede neue Demütigung brachte ihm tiefe Bekümmernis. Aufrichtig betete er zu Gott, daß er zum Frommen der deutschen Sache denen beistehe, die ihn aufs schwerste verletzt hatten und unausgesetzt kränkten und peinigten.

Mit schnödem Undank war ihm gelohnt worden. Aber keine Klage kam über seine Lippen. Erst als mehr und mehr körperliche Gebrechen ihn beschwerten und mit grausamer Nachlässigkeit nichts zu seiner Pflege geschah, selbst die notwendigsten Lebensbedürfnisse ihm nur kärglich und widerwillig gereicht wurden, schrieb er an den Hochmeister bewegliche Briefe, daß ihm das zu seiner Verpflegung ausgesetzte Geld vorenthalten werde, daß man ihm Wein und Fleisch fortgenommen habe, auch den Leuten verbiete, an ihn Bier zu verkaufen, sogar seinen treuen Diener nicht gelitten hätte und ihm genügende Kleidung versage. Paul von Rußdorf schickte ihm Mantel und Rock. Als dann seine Schwäche so zunahm, daß auch das ängstlichste Gemüt in dem kranken Manne eine Gefahr nicht mehr erkennen konnte, gab ihm – es war im Jahre 1429 – der Hochmeister das Pflegeramt zu Lochstedt, daß er nicht darben solle.

Im Mai kam er dorthin. Da er nicht mehr reiten konnte, hatte man ihn bei stillem Wetter auf einem Fischerboot über das Haff gebracht. In der frischen Seeluft, bei freierer Bewegung und besserer Verpflegung erholte er sich ein wenig, aber auf Genesung war nicht mehr zu hoffen. Am liebsten saß er, trotz der Sommerwärme in seinen Pelz gehüllt, in seinem Stübchen hoch oben unterm Dach in seinem Lehnstuhl, der in die breite Fensternische gerückt war, und schaute stundenlang träumend hinaus über das Tief mit seinem wechselnden Strom, über das Haff mit den fernen, in bläulichem Dunst verschwimmenden Küsten, über den grauen Sand der Nehrung nach der unbegrenzten See, die bald mächtig aufwogte und mit schäumenden Wellen gegen den flachen Strand donnerte, bald wieder im Abendsonnenschein wie ein klarer Spiegel des blauen Himmels dalag. Die Schwalben, die unter dem vorspringenden Steingesims ihre Nester gebaut hatten, flogen mit eintönigem Geschrei aus und ein oder jagten einander an dem alten Gemäuer hin, mit scharfen Wendungen plötzlich ausweichend und wie blitzschnelle Pfeile fortschießend, oder glitten schaukelnd über das Wasser hin, als ob sie mit den spitzen Flügeln eintauchen wollten. Er wurde nicht müde, diesem Spiele zuzuschauen, das seinen beweglichen Geist unterhielt.

Gegen den Herbst hin wurde ihm unverhofft noch eine große Freude zuteil. Eines Tages, als er wieder dort oben an seinem Fenster saß und über die Nehrung auf die offene See hinausblickte, bemerkte er die Annäherung eines Schiffes. Das war jetzt eine seltene Erscheinung, da der Seehandel Königsbergs und Elbings fast gänzlich eingegangen war. Ein Boot mit Fischern aus Tenkitten fuhr hinaus, dem fremden Kapitän die Einfahrt ins Tief durch die Sandbänke und Untiefen zu zeigen. Das Schiff, eine leichte Barse mit einem vollen und einem halben Mast, lief glücklich ein, fuhr aber nicht vorbei ins Haff, sondern warf mitten im Strome gegenüber dem Schlosse Anker.

Kaum waren die Segel aufgebunden und niedergelassen, so daß nur noch hinten an der hohen Stange der Wimpel mit dem Danziger Wappen flatterte, als ein Schiffsboot ausgesetzt und bemannt wurde. Während die Matrosen sich stehend an den Wanten festhielten, um sein Schwanken zu mindern, sprang ein Mann hinein, reichte einer Frau die Hand und hob ein Kind hinab, das ihm vom Bord her über das Schanzkleid zugereicht wurde. Zwei Buben kletterten behende an der kurzen Strickleiter hinunter. Dann stieß das schwerbeladene Boot ab und näherte sich schnell, von vier starken Ruderern bewegt, dem Lande. In den Fischerkahn wurden Kisten und Fäßchen geworfen, worauf er langsam folgte.

Wer waren die fremden Gäste? Wohin wollten sie? Das erklärte sich bald. Es wurde an das Burgtor geklopft und Einlaß begehrt. Ob wirklich Herr Heinrich von Plauen Pfleger auf diesem Ordensschlosse sei, fragte eine kräftige Stimme. Das bejahte der Knecht, der das Wächteramt hatte. Dann sind wir schon recht, hieß es. Sagt Eurem Gebieter, daß ein Ratsherr aus Danzig, den er gar gut kenne, der sich aber nicht nennen wolle, um die Vergünstigung bitten lasse, sich ihm mit Frau und Kindern vorstellen zu dürfen. Sie wollten ihn aber in keiner Weise beschweren, außer daß er ihnen ein Stündlein seiner Zeit schenke.

Der Knecht richtete die Bestellung aus und fügte hinzu, der Herr sehe sehr stattlich aus, und die Frau sei reich gekleidet, von den Kindern aber seien die beiden ältesten Knaben und das jüngste ein Mädchen von fünf oder sechs Jahren. Plauen war nicht wenig überrascht über solchen ganz ungewöhnlichen Besuch, warf seinen besseren Mantel über und ließ sich in den Remter führen, dort in dem eigentlichen Staatsgemach der Burg die Gäste zu empfangen.

Und als sie nun eintraten und der fremde Herr gleich auf ihn zueilte und vor ihm niedersank, da wurden seine Augen plötzlich wundersam hell. Er breitete die Arme aus und rief: Heinrich – Heinrich –! Du –! Oh, nun laß mich sterben, Gott im Himmel!

Auch die schöne Frau war näher getreten und führte das kleine Mädchen an der Hand, das ängstlich zu dem Manne mit der breiten Stirn und dem schneeweißen Barte hinüberschaute. Hinter ihr gingen die Buben, Krausköpfe beide, und drehten die abgezogenen Kappen mit den Falkenfedern und silbernen Schnallen in den Händen. Der Ratsherr, nachdem er des alten Mannes Stirn und Mund geküßt hatte, wandte sich zurück und sagte: Das sind die Meinen, Vater – Maria, um die ich schwer gerungen habe – mein kleines Mädchen, das auch Maria heißt, meine Buben Heinz und Hans. Nun seht: das ist der Herr Heinrich von Plauen, der die Marienburg verteidigt hat gegen der Polen und Litauer mächtiges Heer. Ihr wünschtet nichts sehnlicher, als ihn einmal von Angesicht zu schauen – das wird euch nun erfüllt.

Plauen lächelte und streckte die Hände nach ihnen aus und zog sie an sich heran, während die Frau den Arm um seine Schulter legte und die kleine Maria sich an seine Knie lehnte. Der Plauen bin ich nicht mehr, sagte er mit weicher Stimme, der ist gewesen, und kurz war ihm die Zeit bemessen. Aber einen alten Mann seht ihr, der viel gelitten hat und doch noch der Freude mächtig ist. Oh, welche Freude! Er nahm die Hand der Frau und zog sie trotz ihres Sträubens an seinen Mund und drückte einen Kuß darauf. Ich sehe, er hat sein Glück gefunden.

Nun mußten sie sich zu ihm setzen und erzählen. Jetzt erst erfuhr er, wie Heinz Waldsteiner – so nannte er sich im lübischen Dienst – tapfer gegen die Seeräuber und die Dänen gekämpft hatte und in der mächtigen Hansestadt zu großen Ehren gekommen war, wie er dann seine Maria gewann und in Lübeck ein schönes Haus erwarb, in dem er seinen Hausstand gründete. Im vorigen Jahre war in Danzig Tidemann Huxer gestorben und hatte seiner Tochter ein großes Erbe in Häusern, Speichern, Schiffen, Holzplätzen und sonstigem Besitz hinterlassen. Da war zwischen den Eheleuten beschlossen worden, daß sie von Lübeck nach Danzig verziehen und dort sein Geschäft fortsetzen wollten.

Frau Maria war froh, daß ihr Mann nicht mehr als Schiffshauptmann sich in Gefahr begeben, sondern ein friedlich Gewerbe treiben durfte. In Danzig war er sogleich hoch angesehen in die Georgsbrüderschaft eingeschrieben und in diesem Frühjahr schon in den Rat gekürt. Auch auf das Schloß wurde er häufig berufen, um in wichtigen Handelsangelegenheiten sein Gutachten zu geben. Und da erfuhr ich nun vor kurzem, schloß er, von dem Komtur, daß man Euch nicht länger in Gefangenschaft halte, sondern zum Pfleger in Lochstedt eingesetzt habe. Nun hoffte ich Euch noch einmal sehen und begrüßen zu können. Ich ließ eine Barse ausrüsten, so daß der Raum für Weib und Kinder bequem wäre zur Reise, machte meinen tüchtigsten Kapitän, Klaus Poelke, zum Führer, überließ unser Haus der alten Barbara, die trotz ihrer Blindheit überall Bescheid weiß – und da sind wir nun glücklich angelangt. Dank dem gütigen Himmel, daß er uns dies beschert hat.

Die Knechte fragten an, wo die Kisten und Fässer hingeschafft werden sollten, die vom Schiffe gekommen wären, und Frau Maria erklärte, daß sie von ihren Vorräten allerhand für Küche und Keller eingepackt hätte, womit er sich pflegen solle. Sie würde nun regelmäßig dafür sorgen, daß er an nichts Mangel leide. Der Alte dankte ihr mit Tränen in den Augen und sagte: An frischem Fleisch und Fischen haben wir hoffentlich genug, euch ein Gastmahl zu bereiten, aber unser Getränk ist schlecht. Mein Löbenichter Bier ist sauer geworden, und der Wein, den die Brüder mir von der Brandenburg mitgegeben haben, ist nicht auf sonnigem Boden gewachsen. Wollt ihr mit mir also einen Trunk tun auf eure Gesundheit, so laßt mich's machen wie die schlechten Wirte, die ihren Gästen deren eigenes Geschenk vorsetzen. Haltet's meiner Armut zugute.

Einen von den Knechten winkte er heran und gab ihm leise einen Auftrag. Man konnte ihn eine Viertelstunde später auf schnellem Rosse ins Land hineinjagen sehen. Plauen hatte ihm aus dem Fenster noch zugerufen: Sie sollen früh aufbrechen.

Bei Tisch gab es manch ernstes Gespräch bald über das Fernste, bald über das Nächste. Der Ratsherr verhehlte nicht seine Befürchtung, daß dem Orden noch schwere Kämpfe bevorständen.

Er hat seine Zeit gehabt, antwortete Plauen, und man wird's ihm zum Ruhme nachsagen, daß er darin groß gewesen. Glaubt auch nicht, daß er fallen wird wie ein morscher Baum, den ein Windstoß umwirft. Viele Äxte werden noch an ihm stumpf geschlagen werden, und wenn er endlich am Boden liegt, wird man noch Mühe haben, ihn fortzuräumen. Von seinem Holz aber wird man bauen, bis vielleicht nach Hunderten von Jahren ein neuer lebenskräftiger Stamm aus deutscher Erde erwächst, der gleich ihm in den Himmel strebt und mit seinem frischen Laube weithin schattet. Viele von denen aber, die Hand anlegten, ihn niederzuwerfen, werden ihr Werk ernstlich beklagen. Das aber geschehe, wie es geschehen muß nach Gottes weisem Rat.

Weiter kam das Gespräch auf die wichtigen Wasserstraßen, und wie bei dem Verfall des Handels nicht genug für sie geschehe. Für das Tief hier hat's merkliche Gefahr, meinte Heinz. Es versandet weit hinaus, so daß schon mein flachgebautes Schiff öfters bei der Einfahrt mit dem Kiel den Grund streifte. Wie leicht kann ein kräftiger Sturm die losen Sandmassen von der Nehrung querüber jagen und die schmale Wasserstraße verschütten. Legt sich erst ein Damm hinein, so wird sich der Meersand zu beiden Seiten in kurzer Zeit antürmen und den Durchgang völlig versperren. Dann ist das Haff ein rings eingeschlossener Landsee, und die Städte Königsberg, Braunsberg, Elbing sind vom Handel abgesperrt. Das wäre der Grund zu ihrem raschen Verfall.

Plauen lächelte. Du hast richtig gesehen, sagte er. Es kann wohl sein, daß ein paar Novembersturmtage hinreichen, diese Wasserrinne mit Sand zu verschütten, und dieses Schloß, das einst zum Schutz der Schiffahrt gebaut ist, selbst mitten auf einer Nehrung steht. Aber fürchte deshalb nicht, daß die Wasser des Haffs und der See getrennt bleiben. Dieselbe Ursache, die hier einmal dem Strom Luft gemacht hat, wird auch ferner wirksam sein. Versandet dieses Tief, so wird ein anderes an anderer Stelle durch die Gewalt der Elemente aufgerissen werden. Wir kurzsichtigen Menschen meinen wohl, wie die Dinge sind, anders könnten sie nicht sein, und würden sie anders, so ginge alles zugrunde. Aber Gott erhält seine Werke und hat, wenn er will, für jeden Verlust einen Ersatz. So auch, wenn er in der Not einen Mann schickt, der nun mit seiner Hilfe der rechte Mann ist, nicht möge der sich für unentbehrlich und unersetzlich halten. Sondern wenn er ihn nicht mehr braucht, wirft er ihn ab und wird schon zu rechter Zeit einen andern an seine Stelle setzen, den er aus der Menge auszufinden weiß, wo ihn niemand geahnt hat. Ich habe viel darüber nachgedacht in diesen Jahren der Kümmernis. Anfangs bin ich oft unwillig gewesen in meinem Innersten und habe gedacht, daß mir Unrecht geschehen sei, und daß nun alles am Ende wäre, da es meinen Weg nicht ging. Aber was bin ich? Ein kleiner Buchstabe in der Schrift, mit der die Menschengeschichte geschrieben wird. Er durfte nicht fehlen; aber nun er dasteht, kommen hinter ihm noch viele andere, und niemand von den Sterblichen weiß, wie das Wort oder gar der Satz und das Buch schließt. Wer das ganz aufrichtig sich erklärt, der wird demütig und gefaßt. Das graue Haupt nickte freundlich: Es ist keiner unentbehrlich, auch keiner unersetzlich – keiner!

Abends wollte der Ratsherr Abschied nehmen, um mit Weib und Kind am andern Morgen in der Frühe die Rückreise anzutreten. Aber Plauen wollte einen so kurzen Besuch nicht zulassen. Noch einen Tag wenigstens müßt ihr bleiben, sagte er. Wer weiß, ob wir uns im Leben noch wiedersehen. Ich hoffe euch auch noch mit etwas Frohem zu überraschen. Du und die liebe Hausfrau möget zur Nacht wieder aufs Schiff zurückkehren und auch das kleine Mägdlein mitnehmen, da ich euch hier nicht bequem herbergen könnte; aber die beiden Buben behalte ich zum Pfande, daß ihr nochmals wiederkommt. Ihr wollt doch bleiben, Heinz und Hans?

Die Knaben stimmten freudig ein, und es geschah alles, wie er's bestimmt hatte. In seinem Gemach wurde für die Knaben eine Streu von frischem Heu gelegt und mit einem Linnen aus der Vorratskammer bedeckt. Plauen breitete über sie seinen neuen Mantel. Er aber, der alte Meister selbst, schlief in seiner hölzernen Bettstelle, wie er's auch in den Tagen seines glänzendsten Ruhmes gewohnt gewesen war, auf dem harten Strohsack und deckte sich mit dem alten Mantel zu, der schon mürbe und zerrissen war. Ehe er sich niederlegte, sprach er in der Kapelle ein Gebet und schloß diesmal mit besonderer Inbrunst alle ein, die sein Herz liebte.

Am andern Morgen schickte er die Knaben mit den Knechten nach der Stuterei, die zum Ordenshause gehörte, damit sie erführen, wie der Dienst dort gehandhabt würde und etwas Neues lernten. Als sie zurückkehrten, waren die Eltern schon wieder am Lande. Der Ratsherr mußte die Ställe und Keller besichtigen, obgleich der alte Herr wegen Schwäche seiner Füße nicht mit hinab und ihn begleiten konnte. Aber gestützt auf den Arm der schönen Frau schob er sich langsam von einem Fenster zum andern und gab in den Hof hinab Weisungen, schaute auch oft über die Landstraße hin nach der Stadt Fischhausen und fragte: Siehst du mit deinen jungen Augen dort nicht etwas?

Und endlich war's in der Tat zu sehen. Da wirbelte der Staub auf, und die kleine Maria rief: Es kommen viel Reiter – vier – sechs und noch mehr! Über das Gesicht des Greises zog es wie Sonnenschein. Das sind sie – ich habe nach ihnen geschickt, sagte er. Sie wußten aber nicht, wen er meinte, und wagten nicht zu fragen.

Als der Troß sich nun im schnellsten Trabe näherte, da war ein Herr und eine Dame zu erkennen, zwei Junker und zwei Fräulein hinter ihnen, und zuletzt ein Geleit von Knechten, unter denen auch der vom Ordenshause. Das Tor wurde ihnen gleich geöffnet, und als sie in den Hof einritten, schrie der Ratsherr überrascht auf: Hans – Waltrudis –! Ihr? Welche unverhoffte Freude! Und nun fing er seine Schwester mit den Armen auf, da sie vom Pferde sprang, und umhalste den alten Freund wieder und wieder, und küßte die Kinder, von denen er nur den ältesten Sohn einmal vor langen Jahren auf der Mutter Arm gesehen hatte. Maria eilte die Steinstiege hinab und wollte auch ihr Teil haben. Die Vettern und Basen begrüßten einander und machten schnell Freundschaft. Dann fanden sich alle in des alten Pflegers Gemach ein und umringten seinen Stuhl. Da er sie nun alle um sich sah, groß und klein, konnte er doch vor Rührung kein Wort vorbringen, streckte aber die Hände aus und segnete sie.

Heinz erfuhr nun, daß Hans von der Buche längst sein Gut Buchwalde im Kulmer Land verkauft und sich im Samland angesiedelt hatte. Der Komtur von Königsberg hatte ihm ein altes preußisches Feld dicht unter dem Galtgarben, dem höchsten Hügel in weitem Umkreise, zum erblichen Eigentum verschrieben mit Köllmischen Rechten und allen Freiheiten der samländischen Güter. Mit seinen Viehherden, seinen Pferden und allem Wirtschaftsgerät war er nach seiner neuen Wohnstätte gezogen, und viele von den Buchwalder Gutsleuten, die den Herrn lieb hatten, waren ihm freiwillig gefolgt. Er hatte sich ein schönes Haus erbaut und zählte zu den angesehensten Landesrittern. Sein Weib hatte ihm diese vier Kinder geschenkt, und sie wuchsen auf zu der Eltern Freude. Nicht zum erstenmal waren sie seit dem letzten Mai auf Schloß Lochstedt zum Besuch.

So ist mir im Leben die herzlichste Freude geworden von dem, sagte Plauen, was mir die kummervollste Sorge bereitet hat. Wie hat Gott mich geliebt! Wie wundersam ist seine Fügung! Grünet und blühet, ihr jungen Reiser, und mehret Gottes Ruhm!

Am späten Abend erst trennten sie sich. Von seinem Fenster aus sah der Greis, wie die Segel gelichtet wurden und die Barse der scheidenden Sonne nacheilte auf die hohe See hinaus. –

Noch in demselbigen Jahre um die Weihnachtszeit ist der alte Pfleger von Lochstedt, nachdem er den ganzen Herbst durch gekränkelt und an Kräften abgenommen, eines sanften Todes verstorben.

Sein Leib ist nach der Hochmeistergruft der Marienburg gebracht und dort feierlich beigesetzt. In der St.-Annen-Kapelle darüber liegt noch heute sein Grabstein, und es steht darauf zu lesen:

In der Jarzal Xsti MCCCCXXIX do starb der erwirdige
bruder Heinrich von Plawen.


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