Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. AN DER BÜRGERMEISTERTAFEL

Das Haus des Bürgermeisters zeichnete sich nicht vor den anderen großen Kaufmannshäusern aus, wenn schon es mit seinem hohen Spitzdach die Handwerkerhäuser und Krambuden in den Seitengassen überragte. Gehörte doch auch Konrad Letzkau dem Kaufmannsstande an, aus dem sich der Rat ergänzte, und hing es doch wieder von dessen Wohl ab, wer aus seiner Mitte für das laufende Jahr mit Ämtern betraut sein und überhaupt im sogenannten »sitzenden« Rat die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten führen sollte. So hatte denn auch dieses Haus im unteren Geschoß sein »Kontor«, in dem die Handelsknechte und Schreiber arbeiteten, und einen tiefen Warenraum, der allerhand Proben von Asche, Wachs, Pelzwerk, Häuten, Hanf und Garn aufbewahrte. Letzkau war besonders stark beteiligt bei dem Handel nach Litauen. Seit Herzog Witowd vor nun zwölf Jahren im Vertrage zu Salinwerder an der Memel den preußischen Kaufleuten freien Handel in seinen weiten Ländern gewährt, auch zu Kauen (Kowno) eine Stadt nach deutschem Muster anzulegen begonnen und die Handelsniederlassung der preußischen Hansestädte mit großen Privilegien ausgestattet hatte, war Letzkau bemüht gewesen, für Danzig dort festen Fuß zu fassen. Er war das Haupt der Handelsgenossenschaft, die in Kauen ihre Faktorei besaß, und seine Lieger daselbst galten als die angesehensten. Vor acht Tagen erst waren die Salzschiffe, die er im letzten Sommer und Herbst befrachtet und die Weichsel hinab über das Frische Haff, den Pregel, die Deime, das gefürchtete Kurische Haff und die Memel nach Kauen geschickt hatte, zu einer kleinen Flotte vereinigt mit den Einkäufen des dortigen Kontors zurückgekehrt. Sie sollten nun wieder mit Salz beladen und abgesandt werden, bevor etwa der Krieg den Verkehr auf den Wasserstraßen stören möchte, und so gab es alle Hände voll zu tun. Übrigens hatte Herr Konrad Letzkau durch seine verstorbene Frau, die einem edlen Geschlecht angehörte, auch Landbesitz, der durch Hofleute verwaltet wurde, und Renten von Bürgerhäusern, zu deren Bau er Geld vorgeschossen hatte. Gehörte er nicht zu dem alten Stadtadel, der ursprünglich die St.-Georgen-Brüderschaft des Artushofes bildete, so nahm er doch als einer der reichsten Danziger Kaufherren an allen Ehren desselben Teil, seit er in verhältnismäßig jungen Jahren schon in den Rat erkoren wurde.

Heute war das Kontor schon am Vormittage geschlossen. In dem großen Zimmer oben, dessen zweites Fenster im Erker lag, wirtschafteten die beiden noch unverheirateten Töchter Margarete und Katharina mit den Hausmägden, die Tafel aus starken Kreuzbändern und weiß gescheuerten Holzplatten aufzustellen, so lang die Zahl der erwarteten Gäste sie forderte, die Leinentücher aufzudecken, deren Ecken mit einem Rautenkranz, dem Geschlechtswappen der Mutter, geziert waren, die Borten und Fransen glatt auszustreichen, die blanken Schüsseln und Teller von Zinn auf dem Tische zu ordnen, die Krüge zu Bier oder Met dahinter aufzusetzen und die bunten Kannen mit dem Wein zu füllen, der für die Schenkbecher und die zierlichen Setzegläser bestimmt war. Auf dem großen Herde in der Küche brannte lustig das Feuer an drei Stellen zugleich, und vom Spieße her duftete ein mächtiger Wildbraten bis in den Flur hinaus.

Nun war alles bereit, und die jungen Fräulein begaben sich in ihre Kammern eine Treppe höher, um die letzte Hand an ihren Ausputz zu legen. Sie wählten diesmal, wie es den Töchtern vom Hause geziemte, aus dem Schmuckkästchen von poliertem Eichenholz mit Elfenbeinverzierungen nicht das glänzendste Geschmeide, sondern nur einige Schnüre von weißen Perlen für Haar und Hals. Ein weitgereister Handelsfreund des Vaters hatte sie aus dem Süden mitgebracht. Sie hatten nicht lange Zeit, denn schon war der Hausherr vom Rathause zurückgekehrt und ließ sie durch die Stubenmagd mahnen, daß die Gäste jeden Augenblick zu erwarten seien. Er liebte, wie sie wußten, in allem das pünktliche Wesen, und sie zögerten daher nicht.

Bald füllte sich das Stübchen neben dem Eßzimmer. Der Schwiegersohn Barthel Groß erschien mit seiner Frau und den beiden Junkern, die nach Gebühr vorgestellt wurden; dann der Ratsherr Gerd von der Beke und sein Bruder Heinrich, der Margarete Letzkau sogleich ins Gespräch zog und ihr dann nicht mehr von der Seite wich. Sie seien einander bestimmt, hieß es. Arnold Hecht kam mit seiner Frau, der Schwester des Barthel Groß und gleich ihm von stattlicher Länge, so daß sie ihren Mann überragte, was er denn freilich in anderer Richtung durch seine Korpulenz einbrachte. Auch Günter Tidemann fand sich ein, Pfarrherr von St. Marien und ein naher Verwandter der Bekes. Er hatte in Prag studiert und stand bei den Dominikanern in Verdacht, ein Wiklefite und Anhänger von Huß zu sein, so vorsichtig er sich auch in seinen Predigten äußerte, die allen Leuten von Bildung wohlgefielen. Er erfuhr, daß Hans von der Buche die Universität Prag besucht habe, und wußte nun viel zu fragen und zu erkunden, worauf der Junker Antwort geben konnte. Endlich führte Tidemann Huxer, der Ratsherr und Schiffsreeder, seinen braven Kapitän Halewat ein und dem Hausherrn zu. Das hübsche junge Mädchen mit den schelmischen Augen und den langen braunen Zöpfen aber, das an seinem Arm eingetreten war, nahm sogleich Katharina Letzkau in Beschlag. Es war Maria Huxer, ihre beste Freundin, wie sie erst sechzehn Jahre alt.

Junker Heinz von Waldstein erfuhr's von Frau Anna Groß, die er heimlich deshalb ausfragte. Sie sei ihres Vaters einzige Tochter, und an Bewerbern aus den besten Familien werde es ihr nicht fehlen. Das freundliche Gesicht mit dem zierlichen Näschen und kirschroten Lippen gefiel Heinz auf den ersten Blick ausnehmend, und bald ließ er kein Auge mehr davon. Groß mußte ihn mit Huxer bekannt machen, der schon durch Halewat genug von seinen tapferen Taten erfahren hatte und ihm nun für die Rettung des Schiffes dankte. Sobald Maria seinen Namen hörte, war sie nur noch mit halber Aufmerksamkeit bei der Freundin. Huxer winkte sie zu sich heran. Das ist der Junker von Waldstein, Kind, sagte er und klopfte mit der rauhen Hand ihre Wange, der den Marquard Stenebreeker auf den Rücken gelegt hat. Laß dir's von ihm selbst erzählen.

So durfte Heinz nun die jungen Fräulein unterhalten, und das war ganz nach seinem Wunsch. Sie hatten viel zu fragen, besonders die muntere Maria, aber er blieb keine Antwort schuldig und wußte das Gespräch in so lustigem Tone fortzuspinnen, daß es fortwährend zu lachen gab. Als dann der Hausherr bat, an der Tafel Platz zu nehmen, reichte er mit einer höfischen Verbeugung Maria die Hand, sie zu Tisch zu führen, und sah sie dabei mit so freundlichen Augen an, daß ihr das Blut in die Wangen schoß. Setzen wir Jungen und Jüngsten uns hier ganz unten an den Tisch zusammen, sagte er, sich zu Katharina zurückwendend, die mit Hans von der Buche folgte, so wird man unsere Bescheidenheit loben und uns gern den Gewinn lassen. Er setzte sich den Fenstern gegenüber an die schmale Seite der Tafel; zu beiden Seiten nahmen die jungen Fräulein Platz. Neben Maria reihten sich Heinrich von der Beke und Margarete Letzkau ein, neben Junker Hans aber Frau Anna Groß und ihr Ehemann. Letzkau hatte die Frau seines Kumpans zu Tisch geführt, Kapitän Halewat am andern Ende der Tafel gerade unter den Fenstern den Ehrenplatz zwischen den beiden Bürgermeistern erhalten; die übrigen Gäste füllten die Lücken auf den Langseiten der Tafel.

Schüssel nach Schüssel wurde aufgetragen, und die Frauen mußten die Kunst des Koches rühmen; er hatte die Gewürze nicht gespart. Aber auch zu trinken gab's nach Herzenslust. Da wurde geprobt, ob das Wismarer Bier wirklich besser schmecke als das Danziger und seinen höheren Preis und den heftigen Widerspruch der Danziger Brauer gegen seine Einfuhr verdiene. In kleinen gläsernen Schenkbechern wurde Met herumgereicht; in den hohen venezianischen Gläsern perlte elsässischer Rheinwein, die Damen aber zogen den süßen ungarischen Wein vor und meinten ihn vorsichtig genug zu trinken, daß er ihnen nicht zu Kopf steige.

Indessen wurden auch mancherlei ernste Gespräche geführt. Der Pfarrherr von St. Marien ließ sich über den bösen Kirchenstreit aus und beklagte es, daß sich nun gar drei Päpste um den Stuhl Petri zankten und einander in den Bann täten mit argen Vorwürfen, sehr zum Schaden der Christenheit. Das sei so übel nicht, meinte Arnold Hecht lachend; wenn sie miteinander zu tun hätten, würden sie weniger Zeit haben, sich in die weltlichen Händel zu mischen, und der Kaiser könne einmal aufatmen. Nun – uns hier in Preußen kümmert's nicht sonderlich, fuhr er fort, wir danken es dem Orden, daß er uns die römischen Pfaffen vom Leibe hält, wovon er selbst freilich den besten Nutzen zieht. Er hat's geschickt genug angefangen, daß er die Landesbischöfe mit ihren Kapiteln in sich aufnahm, so daß es nun keinen Widerstreit zwischen weltlicher und kirchlicher Macht geben kann, sondern beide vereint ihr Herrscherrecht üben. So heißt es denn überall in den Briefen ganz einträchtiglich: der Herr Hochmeister mit seinen Gebietigern und Prälaten! Wir Bürger aber haben in Landessachen nicht mitzusprechen, ob wir nun im Ordensgebiet oder unter dem Krummstab wohnen.

Das Werk ist doch nur halb gelungen, bemerkte Herr Günter Tidemann, den ermländischen Bischof haben die Kreuzritter leider nicht gezwungen. Er hat's durchgesetzt, sich von der erzbischöflichen Jurisdiktion zu befreien und direkt unter den Papst zu stellen. Deshalb will Herr Heinrich Vogelsang in Heilsberg auch ein ganz anderer Landesherr sein als die übrigen, und nach seinem Kopf wirtschaften, und da er für sich allein zu schwach ist gegen den Orden, hält er's heimlich mit den Polen, unsern schlimmsten Feinden. Gebt acht, was uns von daher kommt! Und hat er nicht einen Genossen, der leicht noch gefährlicher werden kann? Den Bischof von Kujawien meine ich, der in Leslau residiert und seinen Sprengel zugleich in Polen und Preußen hat, seit Pommerellen dem Orden gehört. Der freut sich des weltlichen Haders und schürt das Feuer an hüben und drüben, denn beim allgemeinen Brande hofft er sich nehmen zu können, was ihm gefällt. Weh uns, wenn die beiden übermächtig werden im Lande!

Barthel Groß gab ihm recht und meinte, es sei ein trauriges Zeichen der Zeit, daß die geistlichen Herren überall nur darauf bedacht seien, ihre Güter zu mehren und ihre Macht zu stärken, statt für Frömmigkeit und gute Zucht zu sorgen und in Frieden ihre Schäflein zu weiden. – Deshalb könne auch nur eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern nützen, mischte sich Hans von der Buche ein; überall verlange man nach einem allgemeinen Konzil, und die Verwirrung sei schon so groß, daß kaum noch lange gezögert werden dürfe, wenn nicht im Reiche alles zugrunde gehen solle.

Das ist unsere Hoffnung, bestätigte der würdige Pfarrherr. Ich weiß nicht, ob die Christenheit auf die Dauer einen unfehlbaren Papst ertragen könnte – denn wenn der eine unfehlbar ist, so gibt es für die ganze übrigen Menschheit keinen Fortschritt in der Gotteserkenntnis –, aber das weiß ich, daß drei Unfehlbare, die einander gegenseitig verketzern, ein Unding sind, das in sich selbst zusammenbrechen muß. Freilich tut's not, daß Klerus und Laien nicht im Irrtum bleiben über die Lehre der Kirche; aber nur die Gesamtheit der Bischöfe ist durch den Heiligen Geist berufen und erleuchtet, zu entscheiden, was der rechte Glaube sei. Bis dahin mag's keinem verwehrt sein, selbst die alten Schriften zu prüfen und sein Gewissen zu beraten. Es ist traurig genug, daß man heut jeden verdächtigt, im Glauben schwach zu sein, der auch nur gegen die Mißbräuche der Kirchengewalt eifert, die doch zum Himmel schreien.

Aber auch ein Konzil wird diese Schäden nicht von Grund aus bessern, hochwürdiger Herr, rief Hans von der Buche lebhaft, wenn man dort nicht auf Männer wie Johann Huß und Hieronymus von Prag hört! Sie meinen es ehrlich mit der Kirche, sie wollen nichts für sich, sie wenden sich an das Volk, das des Heils bedürftig ist, sie dringen vor allem auf gute Sitte und gottgefälligen Wandel. Den gelehrten Herren von der Sorbonne traue ich wenig; es ist ihnen doch nur um ihre Lehrmeinung zu tun, und sie zanken untereinander, so weit ich's verstehe, um des Kaisers Bart. Wer Huß predigen gehört hat, der muß ein besserer Mensch geworden sein!

Der Pfarrherr lächelte bedächtig in sein Schenkglas hinein.

Auch ich bin sein Schüler gewesen, sagte er, und gedenke gern der Zeit, da ich zu seinen Füßen gesessen. Aber es ist nicht ungefährlich, sich seinen Anhänger zu nennen, seit der Erzbischof von Prag im vorigen Jahre seine Schriften als ketzerisch hat verbrennen lassen. Wir sind hier lauter gute Freunde bei Tisch, da mag ein offenes Wort an der Stelle sein; aber laßt Euch raten, lieber Junker, nicht auf den Straßen solche Meinung laut zu verfechten – die Graumönche passen auf und haben für dergleichen feine Ohren. Ihr könntet leicht Ungelegenheit haben. Denn sowenig sie auch begreifen, um was es sich handelt, so ist ihnen doch schon der Name Huß verhaßt, und wer ihn im Munde führt, der gilt ihnen als der schlimmste Bösewicht und Judas. Die weltliche Obrigkeit aber scheut sich, es mit ihnen zu verderben, da sie im gemeinen Volke großen Anhang haben.

Das sei Gott geklagt, trat Huxer ihm mit einem kräftigen Seufzer bei. Ging's nach ihrem Willen, so wäre bald das ganze Stadtregiment ein anderes. Sie sprechen dem gemeinen Mann zu Munde, daß er auch Anteil haben müßte an der Ratswahl, damit sie ihre Kreaturen hineinbringen und den Beichtstuhl über den Ratssessel stellen. In Danzig ergänzt sich der Rat selbst aus den Ständen der Kaufleute und Seeschiffer, und so schickt sich's für eine große Handelsstadt, die auf den Tagfahrten der Hanseaten eine gewichtige Stimme haben will. Die Kutten aber wiegeln die Krämer, Brauer und Handwerker gegen uns auf und arbeiten damit dem Komtur in die Hände, der auch gern den Rat geschwächt sähe aus anderen Gründen. Es ist seit kurzem ein unzufriedener Geist in der Gemeinde: seht zu, ihr Herren Bürgermeister, daß er nicht die Herrschaft gewinne.

Arnold Hecht wollte nicht streiten, daß die »Ämter« – er bezeichnete damit die verschiedenen Handwerkergenossenschaften nach ihrem allgemeingebräuchlichen Gesamtnamen – hinaufstrebten und Anteil am Regiment begehrten; aber hier in Danzig seien sie doch noch weit vom Ziele. Es geht bei uns Preußen noch nicht alles drunter und drüber, wie draußen im Reich, setzte er hinzu.

Das muß ein jeder sogleich empfinden, der von dort kommt, sagte Hans von der Buche zustimmend. Wenn man hier im Lande geboren und erzogen ist und hat stets rund um sich her Friede und gute Ordnung gesehen, eine mächtige und wohlmeinende Herrschaft und fügsame Untertanen, die doch keinen Druck leiden mögen, reiche Städte mit löblicher Verwaltung, Gutsherren und Schulzen, die Gerechtigkeit üben auf dem Lande, freie Bauern, fleißige Handwerker, Wohlhabenheit überall, Handel und Wandel, sichere Landstraßen – man denkt, es könnte nirgends anders sein. Aber nun kommt hinaus ins Reich und hört auf allen Wegen von Gewalttaten der Burgherren gegen die Bürger, von Raub und Mord, von der Not des armen Landvolkes, von der Ohnmacht der kaiserlichen Vögte, von der Lahmheit der richterlichen Gewalt – wahrlich, einem ehrlichen Manne muß das Herz weh tun bei solchen Klagen. In der Fremde erfährt man, was die Heimat wert ist, und liebt sie dann um so mehr.

Der Junker hat recht, rief Barthel Groß und hielt ihm sein Glas zum Anstoßen hin, gegen die draußen im Reiche leben wir hier im ewigen Frieden. Was will's bedeuten, wenn die Litauer einmal über die Grenze vorbrechen und aus den offenen Gehöften das Vieh fortführen, das ihnen vom nächsten Komtur doch bald wieder abgejagt wird, oder wenn die Seeräuber uns nötigen, Friedenskoggen gegen sie auszurüsten, sobald sie's unverschämt treiben? Im Lande selbst ist Ruhe und Frieden seit Menschengedenken, und auf Flüssen und Landstraßen reisen unsere Kaufmannsgüter ungefährdet von Ort zu Ort. Dort aber ist ein ewiger Kriegszustand, und der Kaiser vermag nichts selbst gegen die kleinsten Wichte. Ich hab's wieder erfahren auf dem Wege nach Brügge. Da haust ein Junker von Diepholz in der Gegend von Wildeshausen an der Hunte und überfällt mit seinen Gesellen den Kaufmann, der seine Waren nach der Heimat führt. Die teuer genug erkauften Geleitbriefe des Erzbischofs von Bremen und des Junkers von Delmenhorst nützen dagegen wenig. Auf Cloppenburg nicht ausgeraubt zu werden, hab' ich mich vom Vogt des Bischofs von Münster gegen ein Leitgeld bis Utrecht mit Schutz versehen lassen müssen, und kam doch nur knapp mit heiler Haut durch. Und so ist's überall am Rhein und an der Weser. Stoßt an, ihr Herren, unser Preußen soll leben!

Gerd von der Beke ließ sein Glas laut erklingen. Recht so, stimmte er zu, das hör' ich gern. Wem aber verdanken wir Frieden und Wohlstand? Doch nur dem Deutschen Orden, der mit kräftiger Hand die Feinde abwehrt und gute Ordnung im Lande aufrecht hält, daß niemand sich überhebe und jeder seines Lebens und seiner Habe froh werde. Darum wollen wir hoffen, daß er auch jetzt siegreich sein und Polen und Tataren von unseren gesegneten Gauen mit dem Schwerte fernhalten werde. Darauf trinke ich dieses Glas!

Herr Arnold Hecht nippte nur ein wenig von dem seinen und stellte es dann zur Seite. Nun, nun – sagte er lächelnd, Ihr seid zu eifrig im Lobe unserer Herren. Was sie uns Gutes tun, ist doch ihnen selbst am meisten nütze, und unsere Privilegien wären bald wenig wert, wenn wir über ihnen nicht eifersüchtig wachten. Wir haben einen Herrn, der hat zwar viele Hundert mit dem Schwerte bewehrte Arme, aber auch viele Hundert Köpfe, und sie sind nicht immer einig. Es verlautet von großem Zank und Hader aus den Ordenshäusern, seit die Herren nicht mehr gegen die Heiden zu kämpfen haben. Ich will mich nicht versündigen; aber wenn der Krieg gegen Polen, wie ich zu Gott hoffe, einen guten Ausgang nimmt, so mag ich's nicht beklagen, daß die Herren Beschäftigung gehabt und unseren Beistand gebraucht haben. Was ist Eure Meinung davon, Herr Konrad Letzkau?

Der so Angeredete blickte wie erschreckt auf. Er hatte bisher still und in sich gekehrt dagesessen, das Gespräch den Gästen überlassend. Nun schien er sich besinnen zu müssen, wovon die Rede sei. Ich bin dem Orden für meine Person vielen Dank schuldig, sagte er dann bedächtig, und ich will ihm das nicht vergessen. Mein Vater war vom Grafen von Holland getötet, meine Mutter aus dem Lande vertrieben. Sie floh mit mir nach Preußen zu dem Ordensvogt von Grebin, der ihr befreundet war, und er wies uns gütig in seinem Dorfe Wohnung und Unterhalt an. Seitdem nenne ich mich nach meiner neuen Heimat. Der Vogt hat wie ein Vater an mir gehandelt. Er empfahl mich dem Komtur, als ich heranwuchs; der nahm mich ins Ordenshaus auf und ließ mich unterrichten, wie man die Knaben unterrichtet, die dem geistlichen Stande bestimmt sind. Meine Neigung ging aber nicht dahin, und es fehlte mir auch die Gabe des Gesanges. Da man nun sah, daß ich gern den Ordensleuten zur Hand ging, die des Ordens Einkünfte verwalteten, Speicher und Vorratskammern beaufsichtigten und mancherlei Handelschaft trieben, gab man mich dem Großschäffer von Königsberg in Dienst, daß ich lerne kaufen und verkaufen, Schiffe befrachten und Rechnungen führen. Darauf nahmen die Herren mich nach Marienburg zu gleichem Dienst bei dem dortigen Großschäffer, und es gefiel ihnen, daß ich mich geschickt erwies in allen Geschäften und für Mehrung der Güter sorgte. Viele von den Würdenträgern lernte ich persönlich kennen, und auch dem Hochmeister blieb ich nicht fremd. Da sagte er eines Tages zu mir: Konrad, ich will zusehen, ob ich dein väterliches Erbe zurückgewinne, daß ich dir danke für deine Treue. Und er schrieb Briefe nach Holland meinetwegen, bat und drohte, und so gab der Graf wenigstens einen Teil heraus, daß ich nun mein eigener Herr sein und mich in dieser Stadt Danzig niederlassen und Bürgerrecht erwerben konnte. Auch dann blieben die Herren mir wohlgeneigt und förderten gern meine Unternehmungen und haben mir gutes Vertrauen bewiesen bei mancherlei Sendungen in des Ordens Auftrag. Dafür weiß ich mich zu Dank verpflichtet, und so schmerzt es mich, daß in letzter Zeit viel Uneinigkeit entstanden ist zwischen dem Orden und den Städten, und daß die Herren sich oftmals überheben und ihren rechten Vorteil verkennen. Wer im Rate der Stadt sitzt und seinen Mitbürgern geschworen hat, der muß freilich die Dinge anders anschauen als die in den Schlössern: aber die Meinung, daß eine Schwächung des Ordens uns Gewinn brächte, kann ich doch nicht gut nennen. Er soll uns bei unseren Rechten lassen; dafür aber wollen wir ihm mit Freudigkeit dienen, daß er stark und mächtig bleibe und gefürchtet sei von seinen Feinden. Denn wir sind deutschen Blutes wie die Brüder, und gemeinsam muß auch ferner unsere Arbeit sein, wenn auf diesem schwer erkämpften Boden deutsches Recht und deutsche Sitte gedeihen soll. Dafür wollen wir einstehen, liebe Herren!

Gerd von der Beke, der gute Freundschaft im Orden hatte, gab eifrig Beifall zu erkennen, und die anderen wagten nicht zu widersprechen, ob sie schon nicht in allem einverstanden sein mochten. Man weiß ja doch, daß Ihr der Stadt nicht um Fingerbreit etwas vergeben würdet, knurrte Hecht, wenn's einmal hart auf hart käme, und so können wir der Dinge Verlauf ruhig abwarten. Dann räusperte er sich, stieß mit Halewat an, der in feierlicher Haltung oben an der Tafel saß, und rief: Vergessen wir nicht, was uns heute hier zusammenführt! Unser braver Kapitän soll leben und jeder Danziger Seemann mit ihm, der seinem Beispiel folgt! Wer's gut mit ihm meint, der setzt den Becher nicht ab, bis er ihm auf den Grund sieht.

Das gefiel der ganzen Tafelrunde, und wer nun etwas zu erzählen wußte von dem Seekampf, der gab es zum besten, und es war eine Freude, anzuhören, wie jeder des andern tapfere Tat hervorhob und sein eigenes Verdienst verkleinerte. Der Bürgermeister war wieder schweigsam geworden wie vorher, und von seiner Stirn schien die finstere Wolke nicht weichen zu können. Frau Anna Groß bemerkte es mit Besorgnis. Du bist heut nicht froh, Vater, sagte sie; was bekümmert dich?

Letzkau wollte es nicht wahrhaben, aber Barthel Groß stimmte ihr zu und meinte, es müsse bei der Vorführung der Gefangenen etwas versehen sein, da er seitdem ein finsteres Gesicht zeige. Ja, ja, bestätigte auch Hecht, ich hab's wohl gesehen, daß Ihr Euch verändertet, als der Hauptmann Euch ansprach. Es ist auch anderen aufgefallen, die in der Nähe standen. Huxer aber traf noch näher ans Ziel, indem er geradeheraus fragte: Wie wußtet Ihr, daß Marquard Stenebreeker vor Euch stehe? Ihr nanntet ihn beim Namen.

Letzkau schien nur ungern darauf zu antworten; aber er merkte wohl, daß er nicht würde ausweichen können, und so begann er nach einigem Bedenken: Ich kannte den Mann, und mir wär's lieber gewesen, ich hätte ihn unter den gefangenen Räubern nicht sehen dürfen, die dem Recht der Stadt verfallen waren. Denn er hat mir einmal eine große Wohltat erwiesen aus gutem Herzen und sich den Lohn dafür vorbehalten. Hört denn, wie das geschehen ist. Ihr wißt, daß vor zwölf Jahren die Städte Friedensschiffe ausrüsteten gegen die Vitalienbrüder, und daß ich zum Seehauptmann eingesetzt wurde. Auch der Orden hatte eine Flotte bemannt, und so gelang es uns gemeinsam, die Insel Gotland zu erobern und die Herzöge Barnim und Wratislaw von Stettin zu zwingen, der Verbindung mit dem Räubervolk zu entsagen. Aber der Besitz ward uns bald wieder bestritten. Die Königin Margarethe forderte die Insel für sich zurück und verweigerte jede Entschädigung. Die preußischen Städte suchten diesen Streit zu vermitteln, und so reiste ich als Unterhändler in ihrem Auftrage und auch auf des Herrn Hochmeisters Geheiß zu öfteren Malen nach Schweden. So kam's denn auch, daß ich einmal zusammen mit dem Herrn Johann von Putte, der von Thorn geschickt war, zu Lübeck zu verhandeln hatte und von dort nach Gotland übersetzen mußte. Ein lieber Gastfreund aus Wismar, Lambert Junge, bot uns dazu sein Schiff an, und wir fanden sein freundliches Anerbieten sehr erwünscht. Unterwegs aber fielen wir in die Hände dänischer Piraten und wurden nun gefangen nach Schloß Warberg gebracht. Das Schiff nahmen sie als gute Beute und beraubten uns aller unserer Güter. Mich aber meinten sie für alle Zeit unschädlich machen zu können, da sie mich erkannten und wohl wußten, wie eifrig ich für den Orden und die Städte eingetreten war gegen die Königin. Deshalb ließ mich des Schlosses Hauptmann, Abraham Broderson hieß er, in den Turm werfen und hielt mich dort bei schlechter Kost in einem finsteren Gemach sechsundzwanzig Wochen lang, obgleich die Ordenshauptleute auf Gotland sich eifrigst für mich verwandten, und ich glaubte, es wäre mein Ende. Das alles ist sicher einigen von euch noch frisch im Gedächtnis, auch daß ich dann noch glücklich entkam und an dem Dänen Peter Knalle im feindlichen Lande einen mitleidigen Freund fand, der den von allen Mitteln Entblößten gütig aufnahm, mit allem Notwendigen an Kleidung und Speise versah und ihn selbst mit großer Gefahr nach Gotland brachte, wofür ihn dann der Herr Hochmeister mit großer Gunst beehrte. Das aber ist nicht ebenso bekannt geworden, wie ich aus Schloß Warberg die Freiheit erlangte, da es doch ohne Zweifel auf mein Leben abgesehen war. Und daran ward ich nun heut gemahnt. Denn ihr müßt wissen, daß unter den Leuten des Hauptmanns, die den Turm zu bewachen hatten, auch dieser Marquard Stenebreeker war, und daß er mir täglich einmal das kärgliche Essen brachte, weil man ihm am meisten vertraute. Er war schon oft zur See gewesen mit den Vitalienbrüdern, aber sein Herz war noch nicht so verhärtet, daß ihn mein Elend nicht rührte, da ich krank war und kaum noch Nahrung einzunehmen vermochte. Er wußte mir auch Dank, da ich doch einmal meinen Schiffsleuten gewehrt hatte, eine Anzahl Gefangener über Bord zu werfen, worunter sein Bruder war, der demnächst entfloh, und der jämmerliche Dienst als Turmhüter gefiel ihm wenig. So brachte er mir denn auf meine Bitte ein Stück Papier, auf das ich mit meinem Blute schrieb, daß ich gefangen sei und wo man mich hielte, und beförderte den Brief heimlich durch jenen Peter Knalle nach Gotland. Eines Tages, als wir wieder allein waren, bestürmte ich ihn mit Bitten, daß er mich entweichen lassen möchte. Er lachte dazu, überlegte sich's aber doch. Bald darauf brachte er mir eine Feile und einen Strick, den er unter dem Wams um seinen Leib gewickelt hatte, und sagte zu mir: Ich bin ein armer Mann und treibe ein Handwerk, neben dem allezeit der Galgen steht. Ihr aber seid im Rate der Stadt Danzig und reich begütert und habt viele Freunde unter den Ordensgebietigern, und ich denke, ein Dienst ist des andern wert. Es könnte wohl kommen, daß ich einmal eines mächtigen Fürsprechers bedürfte, und dann will ich mich an Euch wenden und Euren Beistand anrufen. Brauche ich Euch aber nicht, so ist's immer geraten, beim Himmel ein gutes Werk vorauszuhaben. Feilt also das Schloß der Tür durch in nächster Nacht und steigt die schmale Steintreppe hinauf nach dem oberen Gemach. Es hat ein kleines Fensterloch, durch das sich zur Not ein Mann zwängen kann, dem die Haut lose über den Knochen hängt, zieht den Strick durch den Ring, der als Fackelhalter in der Mauer befestigt ist, nehmt ihn so doppelt und laßt Euch getrost hinab; Ihr trefft auf eine Sandscholle am Wasser und habt nur eine kurze Strecke zu schwimmen, dann seid Ihr in Sicherheit. Vergeßt aber nicht den Strick nachzuziehen, damit die Spur Eurer Flucht verwischt wird und auch mir keine Ungelegenheit entsteht. Und so geschah es, und ich kam durch seine Hilfe frei. Dann hörte ich oft genug seinen Namen nennen; er ward ein gefürchteter Hauptmann der Vitalienbrüder und entkam glücklich allen Nachstellungen. Jetzt hat ihn doch das Schicksal ereilt, ich erkannte ihn sogleich wieder, und meine traurige Pflicht ist's nun, als Bürgermeister dieser Stadt, ihn dem Richter übergeben zu müssen mit seinen Gefährten. Der Spruch der Schöffen ist nicht zweifelhaft, und ich – werde ihm nicht vergelten könne. Das tut meinem Herzen wehe!

Er trank den Rest seines Weines in einem hastigen Zuge aus und setzte den Becher umgekehrt auf den Tisch zum Zeichen, daß er ihn nicht wieder gefüllt wünsche. Auch die Gäste waren ernst gestimmt; sie fühlten mit dem würdigen Manne, wie nahe ihm diese unerwartete Begegnung mit seinem Wohltäter gehen mußte. Ich wüßte wohl, was ich an seiner Stelle täte, flüsterte Maria Huxer dem Junker Heinz zu, der über dieser Erzählung selbst die schönen Augen seiner Nachbarin vergessen hatte, in die er sich bis dahin nicht eifrig genug hatte vertiefen können. Eine Feile und einen Strick schickte ich ihm ins Gefängnis, und damit war ich meines Dankes quitt.

Frau Anna hatte ihre Worte aufgefangen. Du sprichst wie ein gutherziges Mädchen, verwies sie. Mein Vater ist seinem Amte Rücksicht schuldig: das eben beschwert ihn.

Ich wollte, er hätte lieber das Geheimnis gehütet, sagte Heinz leise, nun hat er sich selbst die Hände gebunden.

Das Tischgespräch wollte nicht mehr recht in Fluß kommen. Es wurden allerhand Leckerbissen zur Nachkost aufgetragen: Koriander- und Kaneelkonfekt, Pariskörner und Rosinen, dazu der Gewürzkuchen, den man »Krude« nannte und den der Apotheker bereitete. Auch Mandeln in der Schale fehlten nicht, und Heinz war so glücklich, darunter eine mit einem Doppelkern zu finden. Er zeigte sie Maria und sagte: Wenn wir teilen, was so in eins zusammengefügt war, so hat's die Vorbedeutung, daß wir einander noch oft im Leben begegnen und gute Freunde sein werden. Könnt Euch das lieb sein wie mir? Er hielt ihr die Hand mit dem Mandelpaar hin und sah sie recht treuherzig an, so daß sie nicht widerstehen konnte. Verschämt lächelnd senkte sie die Augen und errötete merklich, nahm doch aber mit den spitzen Fingerchen die eine Frucht von seiner Hand und schob sie zwischen die Lippen. Es hat aber gar nichts zu bedeuten, Junker, entgegnete sie, da sie sich von Katharina beobachtet sah.

Der Wirt hob die Tafel auf. Die Gäste traten ins zweite Zimmer oder in den Erker und plauderten noch eine Weile miteinander. Dann verabschiedete sich Hecht mit seiner Ehefrau, für die splendide Aufnahme dankend. Andere folgten, und auch Huxer winkte seinem Töchterchen. Ich gedenke noch einen Gang nach meinen Holzgärten zu machen, sagte er; nach einem solchen Mahl kann etwas Bewegung nicht schaden.

Du hast mir versprochen, dein neues Schiff zu zeigen, ehe es vom Stapel läuft, erinnerte das Mädchen. Willst du mich heut mitnehmen? Gleich darauf wandte sie sich an ihren früheren Tischnachbar: Ihr habt wohl noch niemals ein großes Schiff auf dem Stapel gesehen, Junker?

In Lübeck, aus weiter Entfernung, antwortete er, die Zimmerleute ließen niemand auf den Platz. Ich kann mir's kaum vorstellen, wie ein solches Gebäude haltbar gegen Wellen und Sturm zusammengefügt wird, daß man's vom Lande ins Wasser hinablassen kann.

Huxer lachte. Nun, Junker, sagte er, ich denke, Ihr werdet unsere Handwerksgeheimnisse nicht verraten. Erlaubt's Eure Zeit, so kommt mit uns. Vielleicht gefällt es auch Eurem Freunde, sich eine Danziger Schiffswerft anzusehen. Dann aber mache ich den Vorschlag, wir steigen in ein Boot und fahren zu Wasser bis zur Lastadie. Was meint Ihr, Kapitän Halewat, könnt Ihr Euren Esping in einer halben Stunde flottmachen?

Der Kapitän war sogleich bereit und versprach selbst das Boot zu steuern. Das ist prächtig! rief Maria. Und, nicht wahr, wir brauchen ja auch nicht auf dem kürzesten Wege dahin fahren? Katharina kommt mit. Nein, nein, du darfst nicht widersprechen. Ich kann doch nicht das einzige weibliche Wesen auf dem Boote sein. Tu mir's zuliebe!

Bald kam einer von den Putken der »Danziger Maria«, zu melden, daß das Boot klar sei. Die kleine Gesellschaft ging den Langen Markt hinab vor das Koggentor und dann eine kurze Strecke seitwärts bis zu dem Einschnitt im Bollwerk, in dem eine Treppe zum Wasser hinabführte. Die vier Matrosen im Boot richteten auf ein Zeichen des Kapitäns zum feierlichen Willkommen die Ruder hochauf. Heinz reichte Maria Huxer, Hans Käthchen Letzkau beim Übersteigen die Hand, und so nahmen sie auch einander gegenüber auf den hinteren Bänken Platz. Und dann ging's bei dem herrlichsten Frühlingssonnenschein auf den spiegelglatten Fluß hinaus.

Huxer überließ seinem munteren Töchterchen das Kommando, und der Kapitän steuerte ganz nach ihren Winken und Wünschen. So fuhren sie denn erst kreuz und quer durch die Schiffsstraßen, bald auf der Stadtseite, bald entlang der Speicherinsel, dann um dieselbe herum an der Schäferei und dem großen Scharpauschen Speicher vorbei bis zu den Mattenbuden und Reeperbahnen, wo überall ein lebhaftes Gewerbstreiben zu bemerken war, endlich durch einen Kanal wieder zur Stadt zurück und nun an der Lastadie hin, die außerhalb der Mauer der Rechtstadt in der Vorstadt lag. Sie war in lange »Dielenfelder« eingeteilt, schmale Streifen Landes, die sämtlich auf die Mottlau ausliefen. Die Junker hatten hier viel zu schauen. Da war ein besonderes »Mastenfeld«, auf dem die mächtigen Stämme gelagert und zugerichtet wurden, die in Masowien gewachsen und die Weichsel hinabgebracht waren, um zu Masten, Rahen und Stengen verarbeitet zu werden. Auf einem Felde wurden nur Vordinge, Leichterfahrzeuge mit flachen Böden, auf einem anderen nur Weichselschiffe, lange, flachgebaute Kähne mit ganz weit vortretendem Schnabel, gebaut oder repariert. Die anderen Felder zeigten große Stapel von Schiffsbauholz und dicht am Wasser schrägab auf den Kiel gestellte Seeschiffe, teils nur Rippenwerk, teils schon mit Planken bekleidet. Huxer erklärte, daß diese Felder von der Stadt an die einzelnen Schiffsbauer ausgeteilt seien. Die Lastadie steht unter zwei Ratmannen, sagte er, und kein Schiff darf ins Wasser hinab, sie hätten es denn vorerst besichtigt und für gut befunden. Das Boot fuhr nun in einen Wassergarten ein, der statt des Zaunes von schwimmenden, mit eisernen Ketten an Pfählen befestigten Balken abgegrenzt wurde. Darin schwamm das Holz, das noch nicht aufs Land gebracht war, die Bootsleute mußten es mit den Rudern fortschieben, um eine Gasse frei zu machen. Das ist meines Vaters Dielenfeld, sagte Maria, indem sie nach dem Lande wies, und das ist unser neues Schiff. Sie stiegen aus, und Heinz ließ sich's wieder nicht nehmen, dem Fräulein zum Sprunge aufs Trockene die Hand zu reichen und sie beim Klettern über die Balkenstapel zu unterstützen, wofür sie ihm lachend dankte, indem sie hinzufügte, sie sei übrigens gar nicht so ungeschickt, wie er wohl glaube, und habe oft genug hier den Weg auch allein gefunden, ohne zu fallen.

Nahe dem Wasser erhob sich ein mächtiger Schiffsrumpf, nur durch Stangen auf beiden Seiten gestützt. Wenn man daruntertrat und in die Höhe sah, hatte man leicht ein Gefühl von Schwindel, als müßte der Holzkoloß mit seinem überhangenden Bauche zur Seite umfallen. Auf den Gerüstbrettern oben saßen Arbeiter und klopften Werg in die Fugen, daß man vor dem Lärm der Hämmer kaum sein eigen Wort verstehen konnte. Sobald Huxer bemerkt wurde, kamen aus den Holzbuden die Aufseher heran und begrüßten ihn. Wollt ihr auch hinauf? fragte er die Junker, die natürlich sogleich bereit waren. Es wurden nun festere Leitern angesetzt. Kaum waren die Männer auf Deck angelangt, als auch Maria ihnen nachkletterte, während Katharina unten Wache hielt. Du bist noch immer der alte Wildfang, schalt Huxer schmunzelnd, und vergißt deine sechzehn Jahre. – Ich will schon geschickt wieder hinabkommen, meinte sie und zog das Band an dem einen der braunen Zöpfe fester, der an der Spitze aufgegangen war.

Vom Deck der Holke hatte man eine freie und ziemlich weite Aussicht über die Vorstadt bis zum Hagelsberge und nach der anderen Seite hin die Mottlau hinauf, wo sich rechts und links die Holzwiesen ausbreiteten. Auf der einen wurde der eichene »Wagenschoß« gebrakt, das kostbarste Material zum Schiffsbau und zur Ausfuhr über See, auf der anderen das dünnere »Klappholz«, auf einer dritten das »Bogen- und Bottichholz«, das die Handwerker brauchten. Im Wasser lagen Flöße und lange flache Wittinnen, die aus Polen Getreide gebracht hatten und nun zerschlagen wurden. Es war ringsum ein reich belebtes Bild.

Nach der Besichtigung des Schiffes wurde wieder das Boot bestiegen und auf den Fluß hinausgesteuert. Wie gefällt's Euch in unserem Danzig? fragte Maria, der Antwort gewiß. Heinz versicherte, daß ihm der Abschied schwer werden müßte, der in wenigen Tagen bevorstehe. Ah, das können wir nicht gelten lassen, Junker! rief sie. Ihr müßt die Pfingsten hier verleben, die ja so nahe sind. Hat man's Euch denn noch nicht gesagt, daß der Artushof am zweiten Feiertage ein großes Fest veranstaltet? Da sollt Ihr einmal den Mairitt sehen, und wenn Ihr Euch an den Nachspielen beteiligen wollt, steht gewiß nichts im Wege. Abends aber gibt's im Hofe einen lustigen Tanz. Ihr tanzt doch gern, Junker? Das konnte er nun nicht in Abrede stellen. Hans redete zu; sein lieber Wirt habe ihm auch schon gesagt, daß er ihn nicht fortlasse, und Heinz werde es ja nicht so eilig haben, daß er um eine Woche markten müsse. Huxer bat die beiden Junker, morgen abend im Artushof seine Gäste zu sein, damit er sie bei den Alderleuten einführe. Heinz ließ sich gern bestimmen; Marias muntere Augen hatten es ihm angetan.

Sie kreuzten noch eine Weile den Fluß vor der Stadt. Dann, als die Sonne sich schon neigte, stiegen sie wieder am Koggentor aus. Maria brachte ihre Freundin Katharina nach Hause, und die jungen Herren gaben das Geleite. Erst an Huxers Tür trennten sie sich.


 << zurück weiter >>