Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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36. DIE VERSCHWÖRUNG

An Gundrats Waldhütte hatte sich seit Jahr und Tag kaum etwas Merkliches verändert; den Herbst- und Frühjahrsstürmen hatte ihr festes Gefüge standgehalten, das Dach war von der Last des Schnees nicht eingedrückt, und daß es an mehr als einer Stelle den Regen durchließ, kümmerte den Wirt wenig. Jetzt breiteten wieder die Waldbäume ihre belaubten Äste darüber aus, und das Moos wucherte üppig auf den alten Stämmen und den darübergenagelten Rindenstücken. Aus der offenen Giebelluke zog in dünnen Streifen ein bläulicher Rauch. Natalia, die eben ihr Pferd durch das dichte Unterholz lenkte, bemerkte ihn sogleich und nahm ihn für ein Zeichen, daß der Waldmeister zu Hause sei und sich eine Mahlzeit bereite. Sie sprang unweit der Tür ab und hing den Zügel über einen krummen Baumast, von dem er nicht leicht abgleiten konnte. Dann klopfte sie mit dem Jagdspieß kräftig an die Holzwand.

Wer ist da? fragte Gundrats rauhe Stimme.

Macht nur auf, Waldmeister, antwortete das Mädchen, ich bin's.

Seid Ihr allein?

Wer sollte mich begleiten?

Und was wollt Ihr?

Fragt nicht lange und macht auf. Ihr wißt, ich bin leicht ungeduldig.

Hoho! rief der Alte, da kommt Ihr bei mir an den Rechten, stand aber doch auf und schob den Riegel zurück.

Ich bin weit in Wald und Heide herumgeritten, sagte Natalia, indem sie ihm beim Eintritt die Hand reichte.

In Wams und Hosen, knurrte Gundrat. Das schickt sich auch recht für ein Fräulein.

Was geht's Euch an oder sonst einen Menschen auf der Welt? Wenn man von den Leuten nichts wissen will, kann man sie getrost reden lassen. Einen Freier will ich mir ja nicht erreiten.

Der Alte lachte. Das wäre auch die beste Art, sich unter die Haube zu bringen! Eure Wildheit muß alle unsere Junker abschrecken.

So wäre sie doch zu etwas gut. Sie trat an die Herdstelle und bückte sich über das Kohlenfeuer. Ihr röstet da ein paar gute Streifen Hirschfleisch – der Duft steigt mir gar lieblich in die Nase. Wollt Ihr die Mahlzeit mit mir teilen? Ich habe Hunger.

Der Waldmeister schob mit einer alten Schwertklinge, die ihm als Bratspieß diente, die Kohlen zurück, wandte das Fleisch und legte es auf die heiße Stelle. Es wird für uns beide reichen, sagte er. Wartet noch ein Weilchen und setzt Euch meinetwegen indessen. Das Fleisch ist noch nicht gar.

Natalia ließ sich auf den Holzklotz nieder, stützte das Gesicht in die Hände und blickte in die Glut. Der Alte bewegte ein kleines Brett auf und ab, um sie besser anzufachen.

Habt Ihr im Walde etwas aufgespürt, Fräulein? sagte er nach einer Weile.

Allerdings! Aus dem Eichenheck am See brach ein Wildschwein vor und warf sich in das Röhricht unten am Bruch. Ich wollte nach, aber mein Gaul sank zu tief ein. Man muß das Tier erst von den Hunden herausjagen lassen, und dann wird ein einzelner Jäger ihm doch schwer den Weg verstellen. Deshalb kam ich zu Euch, ob Ihr mir Eure Hunde leihen und sonst helfen wollt.

Der Waldmeister antwortete nicht sogleich.

Wenn Ihr aber nicht jagdlustig seid, fuhr sie fort, hole ich mir ein paar Burschen aus dem Heidenwall. Für wenige Pfennige springen sie mit Freuden auf.

Das laßt bleiben, knurrte der Alte. Sie verstehen davon nichts und machen das Tier nur wild, statt es Euch zuzutreiben. Wir wollen gegen Abend sehen, wie wir ihm geschickt beikommen. Die von Rheden haben fragen lassen, ob es einen guten Braten gibt. Da könnte ihnen leicht geholfen sein.

Die von Rheden sind faule Knechte; sie könnten sich das Wildbret, das sie für ihren Tisch brauchen, selbst aus dem Walde holen.

Des Ordens Regel verbietet den Rittern die Jagd.

Kümmern sie sich doch sonst um des Ordens Regel wenig! Aber was geht's mich an, auf welchem Spieß man die Beute dreht? Es ist mir nur um die Jagd.

Gundrat schob das Fleisch mit der Klinge auf einen hölzernen Teller. Da, versucht's einmal. Er holte auch ein Stück Schwarzbrot und eine Kanne Met herbei. Natalia zog einen kleinen Dolch aus der Lederscheide, die an einem Kettchen vom Gürtel herabhing, und zerteilte damit den dampfenden Braten. Den Fleischsaft tunkte sie mit dem Brote auf. Das tückische Getränk mag ich nicht, sagte sie. Habt Ihr nicht Wasser?

Meinen Hunden schmeckt's allenfalls, antwortete er; der Brunnen ist nicht tief. Aber wenn Ihr vorliebnehmen wollte Er hob einen Zinnkrug von dem Gestell an der Wand und ging hinaus, zu schöpfen. Natalia trank in langen Zügen. Es ist wenigstens kühl, meinte sie. Dann beschäftigte sie sich schweigend mit der Mahlzeit.

Nach einer Weile begann das Fräulein wieder: Wißt Ihr, daß es mir bei Euch besser und besser gefällt, je öfter ich Euch im Walde besuche? Ich habe nicht schlechte Lust, mir hier in der Nähe auch so ein Holzhaus aufrichten zu lassen und darin Sommer und Winter zu wohnen. Denn hier bei Euch werdet ihr mich schwerlich leiden wollen, ob Ihr schon eine Wirtschafterin auf Eure alten Tage gar gut brauchen könntet. Ich glaube, wir würden ganz gute Gesellen werden.

Gundrat sah sie unter den buschigen Augenbrauen her prüfend an, ob sie im Ernst spräche. Ihr wäret toll genug, so etwas auszuführen! rief er. Geht, geht! Ihr seid jung und habt ein hübsches Gesicht; da kann es Euch draußen nicht fehlen. Die Waldeinsamkeit ist für Leute, die mit der Welt abgeschlossen haben.

Natalia zuckte die Achseln. Deshalb gerade möcht' ich sie aufsuchen. Ich habe die Welt satt, so jung ich bin. Wär ich von anderer Gemütsart, ich ginge in ein Kloster, glaubt mir. Aber ich fürchte mich vor dem Singen und Beten und vor den langen weißen Gewändern, die aussehen wie Leichenhemden. Ich könnte mich auch der Regel nicht fügen und gäbe gewiß täglich Ärgernis. Aber ganz einsam im Walde leben, frei und niemand zum Gehorsam schuldig, das wäre mir nach Wunsch.

Der Waldmeister hob ein Brett in der Wand und warf die Reste der Speisen durch die Öffnung in den Hundestall, der sich dort anschloß. Dann setzte er die Kanne an den Mund und leerte sie auf einen Zug. Die Kohlen auf der Herdplatte schob er unter die Asche. Antwort schien er nicht geben zu wollen.

Natalia hatte ein Stück Holz aufgenommen und spaltete mit ihrem Dolchmesser lange Splitter ab, um es so zu reinigen. Sie strich es dann noch sorgsam auf dem Ballen der Hand ab und verwahrte es in der Scheide. Sagt Ihr kein Wort darauf? fragte sie endlich.

Das sind kindische Reden, meinte er. Was wird's sein, das Euch drückt? Hat Euer Liebster einer andern zu keck in die Augen gesehen? Dann ist bei dem Weibsvolk gleich der Rat aus.

Ich habe keinen Liebsten, entgegnete sie rauh.

So ist's deshalb. Aber das findet sich.

Das findet sich nimmermehr.

Kommt in den Wald, ich bin nicht Euer Beichtiger. Er nahm die Armbrust von der Wand und füllte seine Ledertasche mit Bolzen aus einem Kasten, der hinter der Lade stand. Natalia erhob sich seufzend und griff nach ihrem Spieß.

Da fällt mir ein, sagte der Alte, daß Ihr mir wohl noch einen Dienst erweisen könntet. Seid Ihr imstande, Geschriebenes zu lesen?

Wenn's deutsch oder polnisch ist –

Es ist deutsch. In Graudenz hat kürzlich ein Jude, der von Danzig flußauf kam, einen Brief für mich abgegeben. Ein Bauer aus Otonin, der mit Flachs zur Stadt war, hat ihn mitgebracht und mir durch seinen Hütejungen zugeschickt. Ich weiß nicht, was darin steht, aber wahrscheinlich fragt der Kaufmann wegen des Wachses und Honigs an, da ich in diesem Frühjahre nicht dort gewesen bin. Lest mir den Brief, wenn es Euch gefällt.

Er hob den Deckel der Lade und nahm eine kleine Papierrolle heraus, die mit einem Faden umwickelt war. Das Siegel daran zeigte sich schon gelöst und gebrochen.

Natalia öffnete und las laut: »Lieber Waldmeister! In großer Not schreibe ich Euch diesen Brief, ob Ihr mir helfen möget. Denn wisset, daß ich in der Tannenberger Schlacht schwer getroffen und niedergeworfen und nach Polen in Gefangenschaft gekommen, aber nach vielen Monden wundersam gerettet bin. Auch gütig empfangen von meinem gnädigen Herrn, dem Herrn Hochmeister, und in seinem Gefolge geritten, darauf aber mit Urlaub nach Danzig gegangen, eines jungen Fräuleins wegen, daß ich mir ihre Hand erbitte. Und ist das Fräulein eines reichen Kaufherrn Tochter, der im Rat der Rechten Stadt gesessen hat, bis der Herr Hochmeister ihn wandelte, und mir wohlgeneigt. Aber der Vater ist trotzigen Sinnes und wendet sich von mir, weil ich in meiner Armut nichts besitze als Schwert und Schild, und weil ich denen diene, die ihm von allen Menschen am meisten verhaßt sind. Also bin ich in großer Sorge mit meinem Herzen, wie ich dem Fräulein Wort halte und des Vaters Widerwillen bezwinge. Sind wir deshalb einig geworden im geheimen, daß ich sie entführe und zu Schiff fortbringe und an einem stillen Orte herberge, wo niemand sie sieht und verrät. Lieber Waldmeister! So schien mir Eure Hütte zu solchem Werk wohl gelegen, und frage ich Euch ernstlich an, ob Ihr das Fräulein herbergen wollet kurze Zeit, bis der Vater ja gesagt hat, denn sie ist doch sein einziges Kind und sehr in seinem Herzen. Solchen Dienst wollt ich Euch wohl reichlich lohnen können in späteren Jahren. Kommt deshalb, wenn es irgend sein kann, selbst bis Dirschau entgegen und gebet mir von dort Nachricht hierher in das Haus am Glockentor, das man zum Schwarzen Bären nennt. Es soll wahrlich alles in Züchten und Ehren geschehen, dazu helfet. Scheut Ihr aber die Reise, so kerbet einen Bolzen Eurer Armbrust dreimal über Kreuz und schickt ihn mir durch einen sicheren Boten als ein Zeichen, daß Ihr mir freundlich willfahren wollet. Meinen Namen schreibe ich hierunter nicht, weil dieser Brief in unrechte Hände kommen kann. Aber Ihr kennt mich wohl. Erinnert Euch dessen, der Euch in Danzig an der Ratswaage von großer Fährlichkeit gerettet hat und der dann später eine Nacht Euer Gast gewesen ist. Gott und alle Heiligen mit Euch!«

Der Waldmeister hatte, an die Lade gelehnt und die Arme über der Brust gekreuzt, aufmerksam zugehört, als wolle er sich kein Wort entgehen lassen. Die Augenbrauen hoben und senkten sich, die Stirn wurde blutrot und der geöffnete Mund zeigte, was ihm von Zähnen übriggeblieben war. Natalia erschrak über den grimmigen Ausdruck des Gesichts, als sie vom Blatt aufsah, selbst erregt durch den Inhalt des Briefes. Ehe sie aber noch eine Frage tun konnte, wandte der Alte sich rasch um, schlug mit der Faust auf den Deckel der Lade, daß das Holz ächzte, und schrie: Der Teufel sei dein Gevatter, Bube – der Teufel, der Teufel! Hahahaha! Steckt das im Blut, ist das deines Vaters Erbteil? Oder wachsen der Mutter Sünden weiter und weiter von Glied zu Glied? Ein Mädchen entführen? Hochzeit machen unter freiem Himmel, die Sterne als Zeugen! In Züchten und Ehren – ja, ja! Man kennt das. Der Vater will nicht, das ist sein Recht. Hat er nicht Macht über sein Fleisch und Blut? Und wenn er dann sein Kind findet in Elend und Schmach – im tiefen Walde – und hebt die Faust und schlägt zu … ah – ah! und trifft die Stirn … und da, da … Er stöhnte laut, seine Augen waren starr auf den Fußboden geheftet, er streckte die Arme aus und bückte sich. Und dann sank er in die Knie, schlug mit den Händen gegen seine Stirn und lallte unverständliche Worte.

Natalia trat dicht an ihn heran, berührte seine Schulter und versuchte ihn aufzurichten. Wie geschieht Euch plötzlich, fragte sie teilnehmend, und von wem sprecht Ihr da?

Er sprang auf und ballte die Faust. Aber es soll nicht sein! So wahr der Teufel Macht über meine arme Seele hat, es soll nicht sein! Ich will nicht dazu helfen, daß ein Vater sein Kind verflucht. Es ist genug an dem einen. Zuviel, zuviel! Wie ich ihn hasse, den Bösewicht, den Verführer! In alle Ewigkeit hasse ich ihn. Nein – schon weil er von seinem Blute ist – nein und aber nein!

Wer ist's, der so an Euch schreibt? fragte Natalia, schon beunruhigt durch schlimme Ahnungen.

Den Junker Hans von Waldstein nannt' er sich, aber –

Sie unterbrach ihn durch einen Aufschrei. Der – der! – Und Maria heißt seine Liebste! Es ist Maria – seine Maria!

Der Alte sah verwundert auf. Wie wißt Ihr –? Aber was geht's mich an? Ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Schreibt ihm –

Er hörte die Tür ins Schloß fallen: Natalia war fortgestürmt.

Sie riß draußen den Zügel vom Ast, schwang sich aufs Pferd und jagte davon mitten durch das dichte Unterholz, daß die Zweige ihr Brust und Gesicht peitschten. Sie drückte dem scheuen Tier die Hacken in die Weichen, schlug mit den Enden der Zügel seinen Hals und rief ihm unaufhörlich zu: Hopp – hopp – vorwärts, immer vorwärts! Ohne Weg und Steg rannte der Gaul fort; der weiße Schaum fiel in langen Flocken vom Gebiß auf das Gebüsch rechts und links, spitze Äste ritzten ihm die Haut, von mehr als einer Wunde tropfte das Blut auf die Erde hinab. Unbarmherzig hieb die wilde Reiterin mit den Riemen auf ihn ein. Sie kamen an den Heidenwall. In gestrecktem Lauf ging's hinauf an den Erdhütten und Rindenzelten vorbei, daß Weiber und Kinder sich entsetzt flüchteten, auf der andern Seite wieder hinab, über Wurzeln und die Stämme gefallener Bäume, durch Schluchten und Moorgründe, über Stock und Stein. Der Wald lichtete sich; davor lag die weite Heide. Der Gaul schlug die Richtung nach Buchwalde ein; aber sie trieb ihn bald wieder seitab, erst mehrmals im Kreise herum, dann zurück in den Wald. Das Tier ächzte und keuchte, die Knie zitterten, der Schritt wurde unsicher, die Hufe stießen an Stubben, Wurzeln und moosbewachsene Steine. Die Reiterin schien an keine Rast denken zu wollen.

So mochte die wilde Jagd wohl zwei Stunden gedauert haben. Da war des Tieres Kraft erschöpft: in einem dichten Gehege von jungen Eichen, die es durchbrechen wollte, stürzte es zusammen. Die Reiterin wurde mitgerissen, zur Seite gegen einen Stein geschleudert und am Fuße von dem Körper des fallenden Pferdes bedrückt. Sie fühlte den heftigsten Schmerz und verlor das Bewußtsein.

Als sie wieder zu sich kam, hörte sie in der Nähe Männerstimmen. Sie richtete den schweren Kopf ein wenig auf und versuchte unter den tiefen Ästen der jungen Bäume hinweg ins Freie zu blicken. Drei Männer gingen an dem Eichenkamp vorüber und blieben von Zeit zu Zeit im Gespräch stehen. Der eine war der Waldmeister – sie hatte ihn schon an der Stimme erkannt; der andere dicht neben ihm – kein Zweifel, es war Georg von Wirsberg, der Komtur. Einige Schritte hinter ihnen ging noch ein dritter. Sie erinnerte sich, ihn am Tage zuvor auf dem Wege nach dem Walde zu Pferde angetroffen zu haben. Er hatte sie in gebrochenem Deutsch nach dem Waldhause gefragt.

Ihr seid des Hochmeisters Todfeind, sagte der Komtur, das ist mir genug. Nach der Ursache frage ich nicht. Was geht mich's an, aus welchem Grunde Ihr ihm das Leben nicht gönnt und ob Ihr ein gutes Recht habt, ihn zu hassen oder nicht. Zwei Männer können leicht entgegengesetzte Wege gehen und doch auf dasselbe Ziel lossteuern. Ich habe wenig gegen des Hochmeisters Person, aber wo er steht, darf er nicht länger stehen. Deshalb bin ich sein Feind und suche Bündnis mit seinen Feinden. Wollt Ihr mir Euren Arm leihen, Waldmeister?

Ihr habt Euch die rechte Zeit ausgesucht. Herr Komtur, knurrte Gundrat. Vor ein paar Stunden ist mir wieder alles frisch ins Gedächtnis gekommen, und mein Herz ist voll Grimm. Hätte damals mein Bolzen seine Stirn getroffen, ich hätte meinen Frieden gehabt. Und ob sie mich mit glühenden Zangen gezwackt und aufs Rad geflochten hätten, bereut hätt' ich's nicht! Da aber meine Hand zitterte und der Schuß fehlging, da mußte ich wohl glauben, daß ihn der Teufel noch ein Stück Weges forttraben lassen wolle. Ich hab' ihn nicht aufgesucht. Läuft er mir aber noch einmal vorüber, so werde ich ihn besser treffen.

Und warum habt Ihr ihn nicht aufgesucht? fragte der Komtur. Läßt sich ein Mann, der seine Rache haben will, durch ein zufälliges Fehlschlagen abschrecken? Lange könnt Ihr warten, bis in diesem Walde der Hochmeister wieder einmal jagt. Mich dünkt, solange er noch einen Rest von Verstand hat, wird er ihn meiden. Was soll also das Zögern? Steht Ihr so mit ihm, daß er Euch in der Welt im Wege ist, warum es darauf ankommen lassen, ob er Euch auf den Fuß tritt? Fort mit ihm – und je eher je lieber.

Gundrat maß ihn mit einem scheuen Blick. Ihr ratet mir –

Was raten! Braucht Ihr Rat? Ich sage nur, was ich in Eurer Stelle täte. Plauen hält jetzt in der Marienburg Hof. Er ist jedermann zugänglich. Leicht könnt Ihr bis auf drei Schritte in seine Nähe kommen. Ich will Euch mit irgendeinem Auftrag zu ihm senden. Seht Ihr ihn dann von Angesicht, so zweifle ich nicht, daß Ihr wissen werdet, was ein Mann zu tun hat.

Der Waldmeister ballte die Faust und drohte in die Luft. Ich will ihn niederschießen wie einen Spatz, rief er, und sie mögen mich dann auf der Stelle hängen.

Sie werden Euch nicht auf der Stelle hängen, erwiderte der Komtur lächelnd, dafür laßt mich sorgen. Aber mit dem Niederschießen ist's nichts, Waldmeister. Man läßt niemand ein mit einer Armbrust auf der Schulter. Ihr müßtet einen scharfen Dolch unter dem Wams verborgen halten und Euch auf ihn werfen, wenn er den Brief liest, den ich Euch für ihn mitgebe. Noch besser aber wär's, Ihr paßtet die Zeit ab, wo man ihm den Frühtrunk bringt, und schüttet ihm, wenn er beschäftigt ist, ein Pulver in den Wein –

Pfui! Gift und Dolch! rief Gundrat unwillig. Das ist gut für Weiber und Räubergesindel. Ich bin ein Weidmann, und was ich tue, soll eines Weidmanns Tun sein. Läßt man mich nicht mit Waffen zu ihm ein, so hindert mich nichts, ihn draußen am Tor zu erwarten. Fünfzig Schritt mögen zwischen uns bleiben, und ich treffe ihn doch, wenn nicht ein Engel vor ihn hintritt und ihn deckt.

Besser wär's, Ihr wähltet das Sichere, meinte der Komtur. Aber ich kann Euch nicht Vorschriften machen. Nur tut bald, was Ihr zu tun gedenkt, damit unsere Pläne gut zusammenlaufen. In kurzem geht der Hochmeister wieder auf Reisen – dann hättet Ihr weite Wege. Ich will's in Obacht nehmen, sagte Gundrat zögernd. Was geht Ihr mich an? Tu ich's, so tu ich's meinetwegen.

Aber vergeßt nicht, zischelte Wirsberg, daß ich Gewalt über Euch habe. Ich kenne jetzt den Schützen, der auf des Hochmeisters Haupt angelegt hat, und den Zeugen. Ein Wort und –

Der Alte lachte laut auf. Und habe ich weniger Gewalt über Euch? Ich denke, es ist nicht für jedermanns Ohr, was Ihr mich heut habt hören lassen. Und wer weiß, wem von uns beiden das Leben lieber ist!

Der Komtur wurde bleich und blickte nach dem Polen um, der in einiger Entfernung stand und nur die Hunde des Waldmeisters zu beobachten schien, die im Gebüsch herumschnupperten. Es fragt sich nur, wem von uns man Glauben schenken würde, sagte er leise. Aber was bedarf's unter uns solcher Drohungen? Wir wissen, was wir wollen.

Im nächsten Augenblick schlug einer von den Hunden des Waldmeisters grimmig an. Er hatte das gefallene Pferd gefunden und wollte sich durch Natalias Winke und Zeichen nicht beschwichtigen lassen. Liszek spürte nach, und Gundrat wurde aufmerksam. Was gibt's da? fragte der Komtur.

Wir werden's sogleich erfahren, antwortete der Alte. Er rief dem Hunde zu, der nun aber noch wütender bellte. So bog er denn mit den Armen die Zweige voneinander und bahnte sich einen Weg in das Eichengestrüpp. Bald war er zur Stelle. Ihr hier, Fräulein, rief er verwundert, und in solchem Zustande? Was ist Euch widerfahren?

Mit dem Pferde gestürzt, sagte Natalia: helft mir den Fuß unter dem schweren Körper hervorziehen. Ich fürchte, er ist gebrochen.

Hierher! rief der Waldmeister, indem er sogleich kräftig Hand anlegte. Liszek war schon an seiner Seite. Die beiden Männer knieten zu beiden Seiten des Mädchens auf den Boden nieder, stemmten die Schultern gegen den Rücken des Tieres und hoben an. Nun zieht das Bein zurück, riet der Alte, wenn es auch schmerzt. Wir können die Last nicht von der Stelle bewegen.

Natalia griff hinter sich in die Äste, um einen Halt zu gewinnen, und schob sich mit Anwendung aller Kraft über den Boden hin. Der Fuß schleifte wie ein totes Glied nach. Sie richtete sich, gestützt von dem Polen, ein wenig auf und rieb ihn mit den Händen. Er hat auf weichem Moos gelegen und wird hoffentlich unversehrt sein, meinte Gundrat. Laßt nur erst wieder das warme Blut durch die Adern fließen, so werdet Ihr ihn rühren können.

Nun trat auch der Komtur heran. Er war nicht wenig überrascht, das Fräulein hier zu finden, bedauerte den Unfall mit zierlichen Worten und überlegte zugleich, was weiter zu tun sei. Hatte Natalia etwas von seinem Gespräch mit dem Waldmeister gehört? Wie versicherte man sich ihres Schweigens? Hier im Walde konnte sie nicht bleiben. Der Versuch, aufzustehen und einige Schritte, auf den Alten gestützt, zu gehen, mißlang. Man konnte sie nach dem Waldhause tragen. Aber was dann? Sie selbst schien kaum einen eigenen Willen zu haben, gab auf alle Fragen keine Antwort und rieb nur, vornübergebückt auf einem Steine sitzend, den Fuß. Fühlt Ihr Euch kräftig genug zum Reiten? erkundigte sich der Komtur, gern würde ich Euch mein Pferd abtreten.

Dieser Vorschlag mußte ihr wohl der Beachtung wert erscheinen. Sie wandte den Kopf und antwortete: Ich nehm's an. Laßt das Pferd hierher bringen. Der Komtur schickte Liszek nach der nahen Waldhütte. Es verging keine Viertelstunde, bis er mit den beiden Pferden zurückkam, die dort angebunden waren.

Wirsberg wollte ihr in den Sattel helfen, aber sie lehnte seinen Beistand ab und ließ sich von dem Waldmeister aufs Pferd heben. Der Kopf war ihr schwer von dem Fall gegen den Stein, und sie mußte eine Weile die Augen schließen und sich an den Mähnenhaaren festhalten, weil sie ein Schwindel befiel. Der Fuß schmerzte heftig, war aber nicht gebrochen und schon ein wenig beweglich. Der Komtur bestieg das zweite Pferd und befahl Liszek, zu Fuß zu folgen. Es wäre mir lieber, Ihr ließet mich allein, sagte Natalia. Ich kann nur im Schritt reiten, und Ihr habt vermutlich Eile.

Das könnte ich im ganzen Leben nicht verantworten, entgegnete er galant, Euch in solchem Zustande ohne Begleitung zu lassen. Gestattet, daß mein Diener durch den Wald Euer Pferd am Zügel führe.

Er gab Liszek einen Wink, und dieser faßte sofort die Riemen unter der Kinnkette zusammen und schritt voran. Langsam ging's nun weiter dem Ausgange des Waldes zu. Der Komtur, der gern gewußt hätte, ob sie etwas von seinen Anschlägen erfahren habe, sprach davon, daß er ein leidenschaftlicher Jäger sei und bei dem Waldmeister habe anfragen wollen, wie der Wildbestand am Melno-See beschaffen sei, um nächstens dort sein Glück zu versuchen. Er erhielt keine Antwort.

Am Rande des Waldes wartete noch ein zweiter berittener Diener. Der Komtur schien plötzlich anderen Sinnes zu werden, hieß denselben den Zügel des Damenpferdes in die Hand nehmen und voranreiten. Er selbst sprang ab und sprach eine Weile heimlich mit Liszek, der dann das Pferd bestieg und dem Fräulein nacheilte. Der Komtur ging allein in den Wald zurück.

Die beiden Gesellen nahmen das Fräulein in die Mitte. Etwa eine Stunde waren sie in langsamem Schritt über die Heide und zwischen den Feldern durchgeritten, als sie die Richtung auf Buchwalde verließen und links abbogen. Natalia, die mit halbgeschlossenen Augen wie im Schlaf dasaß, merkte nichts davon, bis man die Mauern des Städtchens Rheden neben sich hatte. Nun fragte sie, was das bedeuten solle. So sein befohlen, antwortete Liszek.

Und ich befehle, daß Ihr sofort wieder auf die Straße nach Buchwalde zurückkehrt, herrschte sie ihn an, indem sie dem Knecht die Zügel zu entreißen versuchte.

Reiten besser um die Stadt, meinte der Pole, und gab seinem Gesellen einen Wink, festzuhalten.

Was soll das? rief Natalia, sich ermunternd. Ich habe zu bestimmen, wohin ich gebracht sein will. Sofort gehorcht Ihr, oder es soll Euch schlecht ergehen!

Liszek zuckte die Achseln. Bitten schöne Fräulein zu sein ganz geduldig. Müssen abgeben Pferd vom Herrn Komtur am Schloß. Andere Pferd besorgen für schöne Fräulein.

Ihr war dieser Grund nicht ganz einleuchtend, aber in dem kläglichen Zustande, in dem sie sich befand, vermochte sie sich auch seine Unhaltbarkeit nicht sofort klarzumachen und widersprach also zunächst nicht weiter. Ihre beiden Begleiter fingen jetzt aber mehr zu eilen an. Die Pferde trabten und fielen, als das Fräulein die frühere langsame Gangart verlangte, plötzlich in den Galopp. Die Stadt war inzwischen umritten, vor ihnen lag das Schloß mit Mauer und Graben. Auf der Schloßfreiheit weit und breit zeigte sich kein Mensch. Bringt mich in die Stadt, rief Natalia; ich will am Hause des Bürgermeisters abgesetzt sein!

Vorwärts, zischelte Liszek dem andern hinter ihrem Rücken zu und bemerkte dann: Bürgermeister haben kein gute Pferd für schöne Dame.

Ich werde von dort nach Buchwalde schicken und mir ein Pferd bringen lassen, antwortete sie. Sofort gebt mir die Zügel frei!

Wieder der aufmunternde Ruf: Vorwärts!

Nun wurde ihr's gewiß, daß irgendein Bubenstück geplant sei. Sie suchte sich mit Gewalt frei zu machen und schrie: Räuber – Spitzbuben! Zur Hilfe!

In demselben Augenblick wurde ihr aber von Liszek, der eine Pferdehalslänge zurückblieb, von hinten her ein weiter Mantel über den Kopf und die Schultern geworfen. Im Nu fühlte sie ihre Arme fest eingewickelt und an den Leib gezogen. Die Pferde der Begleiter drängten zu beiden Seiten dicht heran; eine starke Hand erfaßte sie und hielt sie aufrecht, zog zugleich aber auch das Tuch unter ihrem Kinn fest zusammen, so daß sie am schreien gehindert war. Im schnellsten Laufe ging's auf und davon. Jetzt polterten die Hufe der Pferde auf dem Dielenbelage der Zugbrücke, jetzt auf dem Steinpflaster des Hofes und dumpfer unter dem Portal. Dann wurde haltgemacht. Die Reiter sprangen ab und zogen sie in ihrer Umhüllung vom Pferde. Sie merkte, daß sie eine Treppe hinaufgetragen wurde – eine Tür öffnete sich –, man legte sie auf ein weiches Lager nieder. Schöne Dame gut schlafen, sagte der Pole, sich eilig zurückziehend. Ehe sie den faltigen Mantel abstreifen konnte, war die Tür schon wieder zugeschlagen und von außen verschlossen. Sie mußte sich in ihr Schicksal ergeben. –

Liszek schwang sich wieder auf sein Pferd, nahm des Komturs Hengst an den Zügel und jagte zurück in der Richtung auf den Melno-See.

Georg von Wirsberg hatte inzwischen den Waldmeister nochmals aufgesucht und für seine Pläne bearbeitet. Er drängte zu schneller Abreise und bot ihm ein Pferd aus seinem Stalle an. Der Alte aber zeigte sich eigensinnig, wollte zu Fuß oder zu Schiff reisen und ließ sich wegen der Zeit keine Vorschrift machen. Er habe Geschäfte in Danzig, sagte er, und wolle dort erst einmal nachsehen. Seine Rache sei viele Jahre alt geworden, da komme es ihr auf ein paar Tage nicht an. Endlich, auf vieles Zureden, gab er das Versprechen, anfangs der nächsten Woche sich auf den Weg zu machen.

Der Komtur wartete dann am Waldrande auf die Rückkehr Liszeks. Ist's gelungen? fragte er denselben, als er angesprengt kam. Alles wohl ausgeführt, gnädiger Herr, antwortete Liszek und reichte ihm den Schlüssel, Fräulein sein in Sicherheit. Georg von Wirsberg nickte, lächelte befriedigt in sich hinein und warf ihm ein Goldstück zu. Der Pole fing's in der Mütze auf, küßte es und ließ es in seine Tasche gleiten. Dann bestieg der Komtur sein Pferd und ritt in kurzem Trabe auf Buchwalde zu; Liszek folgte in gemessener Entfernung, wie es dem Diener ziemte.

In Buchwalde war auf diesen Nachmittag die Versammlung der Eidechsenritter festgesetzt. Zwölf von den Herren hatten sich mit ihrer Dienerschaft eingefunden. Die Pferde konnten nicht sämtlich in den Ställen untergebracht werden; man hatte bewegliche Futterkrippen auf den Hof gestellt und sie daran festgebunden. Den Leuten war eine halbe Tonne Bier angewiesen, und sie zechten munter, auf das Gras unter der Linde am Brunnen gelagert. Wirsberg schickte Liszek in das alte Haus, Herrn Niklas von Renys herauszubitten. Er ging indes an dem trockenen Graben entlang auf und ab.

Im Turmzimmer war die Unterhaltung laut gewesen. Die beiden Renys hatten alle alten Beschwerden gegen den Orden zur Sprache gebracht, neue hinzugefügt und die Gemüter erhitzt. Die Eidechsen müßten ausschauen, wo sie unter den Machthabern gute Freunde fänden, die sich ihrer Sache willig annähmen. Von vielen Seiten wurde den beiden Brüdern unbedenklich zugestimmt. Einige von den Genossen aber, voran Hans von der Buche, verlangten, daß man nicht so mit allgemeinen Reden sich begnüge, sondern anzeige, was man zu tun beabsichtige. Unser Bund hat mit diesen Dingen nichts zu schaffen, meinte Hans vorsichtig. Wollen wir Landessachen beraten, so mag der Herr Landrichter uns fordern. Darüber gab's großen Lärm. Ob man sich verbunden und zugeschworen habe, um reihum beieinander Gevatter zu stehen? Von welchen nothaftigen Sachen denn noch die Rede sein könne, wenn nicht von diesen, die jeden bedrängten und besorgt machten um Haus und Hof, Weib und Kind? Alle Zeit habe man's so gehalten, daß man erst bei sich selbst zu Rate gegangen sei und eine rechte Einigung zu gemeinsamen Schritten versucht habe. Denn der einzelne sei schwach und werde allemal leicht mundtot gemacht; wenige aber könnten viel durchsetzen, wenn sie aneinander in Not und Gefahr eine Stütze fänden. Der Ritter Otto von Konyad forderte, man solle den Ältesten vertrauen und ihnen in alle Wege folgen; viel Wissen beschwere unnütz in so gefahrvollen Zeiten, und Geheimnisse ließen sich nur unvollkommen hüten, wenn die Zahl der Wisser zu groß sei. Dagegen schrie die Minderzahl: jeder im Bunde habe gleiches Recht; setze man Kopf und Kragen daran, so müsse man auch wissen wofür. Habe doch jeder geschworen, des Bundes Heimlichkeiten zu hüten. Ob man also meineidige Schurken unter den Genossen vermute? Dann sei's besser, die Bundeslade zu zerschlagen und die Briefe zu verbrennen.

So eifrig war man aneinandergeraten, als der Torhüter dreimal anschlug, zum Zeichen, daß jemand Einlaß begehre, der sich durch das Bundessiegel nicht ausweisen könne. Niklas von Renys ging hinaus, kehrte aber gleich wieder und sagte: Das trifft sich gar glücklich. Ihr wollt genau erfahren, was geplant wird, liebe Genossen, aber nur ein einziger kann's überschauen und euch zur Kenntnis bringen. Und der steht nun unten vor dem Graben und läßt mich zu sich bitten zu einer Rücksprache. Es ist der beste Freund des Bundes, aber kein Bundesgenosse. Wollt ihr gestatten, daß ich ihn einführe, wenn er's begehrt? Wir könnten dann gesamt erfahren, was er bietet, und sogleich zum Schlusse kommen.

Wer ist's – wer steht unten vor dem Graben? wurde hie? und dort gefragt.

Das steht mir nicht zu, freiheraus zu sagen, antwortete Niklas. Erst muß ich eure Meinung erfahren, ob ihr einen Fremden zulassen wollet oder nicht. Genehmigt ihr's, so leiste ich euch Bürgschaft, daß er ein Freund ist und guten Grund hat, Schweigen zu beobachten. Er bringt sich selbst wahrlich mehr in Gefahr als uns.

Schließen wir die Lade, meinte Ritter Pfeilsdorf, solange der Fremde unter uns verweilt. Zu einer Versammlung der Eidechsen dürfen wir niemand einlassen, der nicht den Eid geleistet hat; aber die Eidechsen tagen nur bei offener Lade.

Das ist eine Auskunft, die nur den Schein wahrt, entgegnete Hans von der Buche.

Was wollen wir mehr? rief Hans von Polkau. Der Vorschlag ist gut.

Er gefiel auch den anderen, und so ging Niklas von Renys wieder hinaus. Diesmal blieb er länger fort, und das eben noch so lebhafte Gespräch wollte inzwischen nicht in Gang kommen, da jeder nur an den Fremden dachte. Als sich dann aber die Tür öffnete und Niklas den Komtur Georg von Wirsberg hereinzog, da waren's nur drei oder vier Eingeweihte, die nicht von ihren Stühlen aufsprangen und zu den Waffen griffen. Der Komtur – der Komtur – unsere Heimlichkeit ist verraten! ging es von Mund zu Mund.

Herr Niklas von Renys aber führte, ohne sich durch diesen Empfang irren zu lassen, den Gast bis an den runden Tisch und wies ihm einen Sessel. Auf meine Bürgschaft! sagte er mit scharfer Betonung, indem er einen zuversichtlichen Blick im Kreise herumstreifen ließ.

Der Komtur setzte sich nicht sogleich, sondern stützte die Hand auf den Tisch und sprach: Mit eurer Vergunst, edle Herren, ich komme als ein Freund und hoffe noch besser so erkannt zu werden. Mir als einem Bruder des Deutschen Hauses ist nicht gestattet, dem Bunde beizutreten, aber wenn ich ein Landesritter wäre, so seid versichert, daß ich längst mein Siegel an euren Brief gehängt hätte. Denn auch mir liegt am meisten Recht und Gerechtigkeit am Herzen und daß niemand vergewaltigt werde. In vielem stimmen unsere Klagen und Beschwerden überein, und deshalb komme ich, euch freiheraus ein Bündnis anzubieten zu Trutz und Schutz. Helft ihr mir, so hoffe ich, euch gesamt wohl helfen zu können.

Gut gesprochen! rief Hans von Polkau, ihm die Hand schüttelnd. Was springt ihr auf und blickt wie auf ein Gespenst? Das ist ehrlich Fleisch und Blut. Herrscht im Lande Unzufriedenheit über des Ordens Regiment, in den Schlössern gibt's unter denen, die den weißen Mantel und das Kreuz tragen, Männer genug, auf deren Beistand wir rechnen dürfen, wenn's zum Äußersten kommt. Bestätigt mir's, Herr Komtur.

Es ist wahrlich so, antwortete Wirsberg. Ihr nennt uns die Herrschaft, weil der Orden im Lande gebietet. Aber wir, die wir ihm angehören, sind selbst geknechtet und müssen uns jedem ungerechten Befehl der Machthaber fügen. Selten gilt Verdienst und Würdigkeit, sondern die aus großen Häusern kommen und Briefe mitbringen von der hochgeborenen Vetterschaft, die rücken schnell zu Ämtern und Würden auf, halten hinterher zusammen, nehmen sich den Vorteil und lassen den Kleinen alle Sorge und Mühe. Die Eingeborenen des Landes aber, die nach Fug und Recht den ersten Anspruch haben sollten auf die Ritterschaft Mariens, hält man ängstlich fern von den Häusern, damit kein Verkehr sei zwischen dem Orden und dem Lande, außer von solchen, die herrschen, mit solchen, die dienen. So sind die einander am meisten fremd, die in guter Freundschaft und Eintracht zum gemeinen Besten wirken sollten, und überall herrscht Argwohn, Haß und Neid, daß nun keiner dem andern traut und jeder im geheimen bedenkt, wie er sich der Not entschlage. Große Gewalttat ist geschehen zu Danzig durch des Herrn Hochmeisters Bruder, und er hat ihn nicht gestraft, sondern die Stadt noch tiefer gedemütigt. Darum ist nun ein gerechtes Geschrei in der ganzen Hansa, und wenn es wieder zum Kriege kommt, wird sich's wohl zeigen, daß man unsere Wechsel für schlecht Papier hält, Ritter und Knechte im Lande werden bedrückt mit schweren Kriegsdiensten und ungerechtem Schoß, da sie doch den Frieden wünschen und solcher Gewaltherrschaft abstreben. Deshalb tut's not, daß alle ehrlichen und redlichen Leute zusammenhalten und mit vereinter Kraft dem drohenden Verderben einen Riegel vorschieben.

Diese Reden gefielen den meisten sehr, besonders da sie aus dem Munde eines Mannes kamen, der selbst zu den Gebietigern des Ordens zählte. Gab er sich so frei und offen, so meinten sie noch weniger ein Versteck nötig zu haben, und so fehlte es denn weder an lautem Beifall noch an Fragen, wie und wozu man helfen könne.

Der Komtur schob sich bequem im Sessel zurecht, streckte ein Bein über das andere und stützte das Kinn in die rechte Hand. Man muß bei der Spitze anfangen, sagte er, dem Körper ein anderes Haupt aufsetzen, dessen Gedanken unsere Gedanken sind. Den Hochmeister freilich wählt die Brüderschaft. Wenn er aber gewählt und mit dem Ringe geschmückt ist, ernennt er die obersten Gebietiger, die in seinem beständigen Rat sind, und die Komture und die Pfleger und Vögte, versetzt auch die Brüder aus dem einen Hause in das andere, wie es ihm gut dünkt, und führte das weltliche Regiment als ein rechter Landesfürst, der keinem der Untertanen Rechenschaft schuldig ist. Im Haupt also sammelt sich alle Macht. Ist da guter Wille, so mögen die Glieder des Körpers sich wohlfühlen. Regiert aber da oben Eigensinn und böse Laune, so ist niemand im Lande so gering, daß er den Druck nicht übel empfindet. Wenn er nun über sich greift und sich Luft schaffen will, so faßt er einen, der selbst gedrückt wird und unter seiner Last seufzt. Es nützt ihm wenig, daß er in der Nähe mit den Armen um sich schlägt: er trifft nicht den, der das Unheil anrichtet. Rütteln sich aber viele zugleich und werfen das Haupt ab, so ist allen rasch geholfen. Mögen sie dann sorglich verfahren, sich ein anderes Haupt zu verschaffen, das ihren Willen tut.

Und das ist gefunden! rief Niklas von Renys. Kommt Georg von Wirsberg an die Spitze, so erleben wir noch gute Tage. Was kümmert's uns, ob der Deutsche Orden unter dem römischen Kaiser oder unter dem König von Polen steht oder sein eigener Herr ist! Wir wollen geschützt sein in unserem Eigentum und in unseren Rechten. Der König ist uns sehr gnädig gesinnt. Verdienen wir uns seinen Dank, indem wir vor allem dazu tätig sind, daß ein friedfertiger Hochmeister mit ihm verhandelt. Tritt er das Kulmer Land an Polen ab, mir soll's recht sein!

Auch mir – auch mir –! stimmt dieser und jener zu. Einige aber verhielten sich jetzt schweigend.

Wisset auch, fuhr der Komtur fort, daß Heinrich von Plauen einen tiefen Groll hat gegen den Eidechsenbund. Ich hab's aus seinem eigenen Munde, daß er seine Mitglieder insgesamt für Verräter und treulose Wichte achtet. Laßt ihn zu Kräften kommen und mit seinen Feinden außerhalb Landes fertig werden, so ist sein nächstes, daß er euren Brief zerreißt.

Diese Worte weckten einen wahren Sturm der Entrüstung. Man wollte wissen, wie man so bösen Anschlägen begegne. Ich will mich euch vertrauen, sagte Wirsberg. Drei Ritterkonvente sind auf meiner Seite: alles Gold und Silber, das der Orden für den König von Polen im Lande zusammengebracht hat, liegt unter meiner Obhut im Schlosse zu Rheden. Viertausend Spieße sind unterwegs zu meiner Verfügung. Die Könige von Böhmen und Polen wollen mir wohl. Bin ich des Landes sicher, so zweifle ich nicht an einem schnellen Siege. Noch ist nichts geschehen, das nicht leicht rückgängig gemacht werden könnte. Sagt mir also, wessen ich mich bei euch versehen kann!

Da hoben sie die Hände und schrien durcheinander: Schlagt los – schlagt los – die Eidechsen werden Euch nicht im Stiche lassen. Es lebe der König, unser gnädigster Herr!

Hans von der Buche war feuerrot geworden: er fühlte sein Blut in den Adern wallen und kochen. Tagt hier der Bund der Eidechsen? fragte er. Die Lade ist geschlossen.

Niklas von Renys hob den Kasten, mit beiden Händen in die eisernen Ringe der Beschläge greifend, auf den Tisch und setzte ihn so kräftig nieder, daß die Tischplatte dröhnte. Er riß den Deckel auf und legte die Rolle mit dem Bundesbrief vor sich hin, daneben aber sein Schwert. Die Eidechsen tagen, rief er, unser Freund soll's wissen als ein Wissender.

Wer ihm seine Hand zu leihen gedenkt, der lege, gleich mir, sein Schwert zu diesem Brief.

Hört mich an, bat Hans von der Buche und schob die Arme seiner Nachbarn zurück. Ich bin der Jüngste im Bunde, und es steht mir wohl an, zu fragen und zu lernen. Wozu verpflichten wir uns? Ist nicht in diesem Brief die Herrschaft ausgenommen? Und gegen wen wollt ihr das Schwert ergreifen als gegen die Herrschaft? Das ist unserem Eide zuwider und bringt uns Schande!

Niklas von Renys lachte unbändig auf. Hört den Milchbart! Hier sitzen drei von den Ältesten des Bundes, die seine Stifter waren. Will er klüger und gewitzter sein als sie? Den Brief in Ehren! Aber handelt's sich um eine Sache, von der da die Rede ist? Ward einer von uns angegriffen und ruft er die anderen zum Beistand auf, daß die sich entschuldigen mögen, die Herrschaft sei ausgenommen? Bei der Herrschaft ist Streit, das ward nicht vorgesehen in unserem Briefe. Bei uns steht's, welchem Teil wir beispringen wollen, wenn's zum Kampfe kommt. Und ich hoffe, wir sind auch da gute Gesellen und beschließen einträchtiglich.

Ja – ja – ja! riefen sie in der Runde und schlugen mit den Schwertern auf die Tischplatte. Es entstand ein wüster Lärm, bei dem keiner mehr sein eigen Wort hörte. Drei und vier zugleich fuhren gegen Hans von der Buche los und suchten ihn zu bedeuten, was der Eidechsen Pflicht sei. Er sah ein, daß er gegen so viele vergeblich ankämpfen und sich durch seinen Widerspruch nur in Gefahr bringen würde, schwieg deshalb oder sagte, er habe nur seine schuldigen Bedenken vorgebracht. Das nahm man nun für seine Zustimmung und ließ ab von ihm. Der Komtur versprach, die Ältesten zu benachrichtigen, wenn etwas Wichtiges sich ereigne. Das Schloß Rheden wolle er in ihre Hand geben, wenn er mit dem Heere nordwärts ziehen müßte; sie sollten es dann für ihn oder für den König von Polen bewahren. Niklas von Renys übernahm's, den Bund zu berufen, wenn die Sache reif sei. Inzwischen sollte jeder im geheimen rüsten, um beim Aufruf mit seinen Leuten bereit zu stehen.


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