Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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41. DIE ENTFÜHRUNG

Als Heinz abends anklopfte, wurde er von Barbara abgewiesen. Sie sagte ihm nicht den Grund, aber ihr Gesicht war so streng und ihre Rede so kalt, daß es ihn verwunderte.

Am andern Tage zur bestimmten Stunde kam er wieder und bat nun so lange und inständig, daß die Frau ihn wohl einlassen mußte. Vielleicht merkte sie, daß Maria über Nacht andern Sinnes geworden war. Er konnte aus dem lieben Mädchen gar nicht klug werden, so streng wurde ihm begegnet. Nicht einmal die Hand wollte sie ihm lassen. Was hab' ich denn verbrochen, fragte er bekümmert, daß du mich's so entgelten lassest? Ich weiß doch mein Herz rein von aller Schuld, Liebste.

Dabei sah er sie mit den treuen Augen recht innig an, und dem widerstand sie nicht. Die Tränen perlten ihr über die Backen, mit raschem Entschluß hob sie die Arme und legte sie um seinen Nacken. Nein, rief sie, sie sollen mein Herz nicht überlisten, sie sollen mich nicht um mein Glück betrügen! Du bist treu und gut, und niemand, niemand liebt dich, wie ich dich liebe.

Er streichelte ihr das Haar und küßte ihr Stirn und Lippen. Was ist denn zwischen uns getreten? fragte er, und nun kam's unter Weinen und Küssen allmählich heraus, und wenn sie schon meinte, überwunden zu haben, stachelte die Eifersucht doch wieder zu Vorwürfen, daß er ihr nicht alles gesagt habe. Er wußte sie zu beruhigen, indem er ihr die ganze Wahrheit vertraute. Solange ich deinen Ring nicht wieder hatte, sagte er, ging ich in der Irre wie ein Träumender, aber mir war nimmer wohl dabei. Der Zauber, der mich verstricken wollte, war nicht stark genug, und ganz unfrei bin ich nie geworden. Das weiß sie, und darum haßt sie mich. Aber sie soll unserer Liebe nichts anhaben. Vertraue mir und fürchte dich nicht.

Nun gab's aber zu raten, wer der Fremde sein könne, der von solchen Geheimnissen Kenntnis habe, und wie er mit dem Waldmeister zusammenhänge, und was seine Absicht sei. So viel war gewiß, daß seine Drohungen ernst genommen sein wollten. Maria hatte allen Mut zu dem Wagnis verloren, das sie so schön geplant hatten. Es wird uns nicht glücken, meinte sie, und ich habe mir's auch überlegt, was ich meinem Vater schuldig bin, und daß ich ihn so heimlich in der Nacht nicht verlassen kann. Man träumt wohl dergleichen gern, aber wenn man's mit wachen Augen sieht, erkennt man's kaum wieder, und aufgeweckt bin ich nun einmal so unsanft, daß ich mich in den Traum nicht mehr zurückfinde. Nein, Liebster, das darfst du von mir nicht fordern, was unrecht ist vor Gott und zudem so große Gefahr bringt – das nicht.

Aber was soll denn geschehen?

Noch ist's ja doch nicht einmal sicher, daß mein Vater dich abweist, wenn er hört, daß ich dich liebe und meine Festigkeit steht. Sprich mit ihm und erbitte dir meine Hand; ich werde dir unerschütterlich zur Seite stehen. Er kann nicht seines Kindes Verderben wollen.

Heinz versprach sich nichts davon, aber sie war so fest entschlossen, den Abweg zu meiden, auf dem sie nun nichts als Not und Gefahr erblickte, daß er wohl nachgeben mußte. Glaube mir, sagte sie, die Bösen finden uns am leichtesten und können uns am sichersten schaden, wenn wir selbst auf unrechten Wegen sind. Gibt uns der Vater nicht zusammen, so will ich ganz ruhig sein und alles, was mich treffen könnte, wie ein Verhängnis Gottes hinnehmen. –

Junker Heinz sprach klopfenden Herzens mit Huxer. Der ließ ihn aber gar nicht ausreden, sondern fuhr ihn zornig an und schalt ihn, daß er mit Listen und Verführerkünsten sein Kind von der Pflicht abwendig gemacht habe. Was denkt Ihr Euch? rief er. Weil das Mädel vernarrt in Euch ist, soll ich's Euch deshalb in den Arm werfen und mein Hab und Gut dazu? Zum Kaufmann taugt Ihr nicht, das müßt Ihr wohl in dieser kurzen Zeit schon gemerkt haben. Zu einem fahrenden Ritter mögt Ihr das Zeug haben, aber ich will mein Kind nicht hinter Euch auf den Sattel setzen. Ich habe mich um die Narretei nicht ernstlich gekümmert; da Ihr nun aber kommt und um des Mädchens Hand bittet, sage ich Euch: geht, wohin es Euch beliebt, Junker, aber bleibt meinem Hause auf hundert Schritt fern. In solchen Dingen verstehe ich keinen Spaß. Euer Stuhl in der Schreibstube ist umgekehrt. Damit Gott befohlen.

Dann gab's oben einen harten Auftritt, daß Frau Barbara, die an der Tür stand und horchte, nur immer die Hände gefaltet hielt und ein Gebet nach dem andern sprach. Maria hielt Wort und sagte offen heraus, daß sie den Junker liebe und ihm um nichts in der Welt abwendig werden könne. Darauf antwortete er, daß von alters die Väter den Töchtern den Mann bestimmten, und daß er's als ein guter Bürger in seinem Hause nicht anders haben wolle. Und daran schloß er dann zugleich, daß Rambolt von Xanten ihm genehm sei und auch ihr genehm sein müsse, wenn sie nicht einen stichhaltigen Einwand gegen ihn habe, und daß er ihr drei Tage Bedenkzeit gebe, ob sie sich seinem Willen fügen wolle. Wenn nicht, so habe er wohl noch Mittel, sie zu besserer Einsicht zu zwingen.

Damit verließ er sie in großer Bekümmernis, und Barbe forderte sie auf, mit ihr niederzuknien und Gott um ein demütiges Herz und gehorsamen Willen zu bitten. Maria aber war trotzig und wollte von solchem Gebet nichts wissen, sondern warf sich auf ihr Lager und wühlte mit den Händen in ihrem Haar und weinte leidenschaftlich. Ehe sie sich von Rambolt zum Altar führen lasse, sagte sie, lieber wolle sie sich mit den Nägeln das Gesicht entstellen, daß sie häßlicher werde als die Nacht und der Verhaßte lieber eine Eule heimführe als sie. Das seien lästerliche Worte, verwies sie die Frau, aber ihr tat's doch weh, daß ihr gutes Kind so leiden mußte.

Drei Tage hielt Huxer sich zu Hause. Er traute seiner Wirtin nicht recht und fürchtete, daß hinter seinem Rücken etwas Unrechtes geschehen könnte, das zu den Ohren der Xanten käme. Aber er konnte doch nicht hindern, daß Maria stundenlang im Erker stand und hinausschaute, ob Heinz vorüberginge. Das geschah denn auch häufig genug, und sie konnten einander wenigstens zuwinken und durch Zeichen zu verstehen geben, daß sie in ihrer Treue nicht wankten. Es war doch eine Beruhigung fürs Herz.

Als nun die Frist um war, fragte Huxer wieder bei seiner Tochter an, wie sie nun gesonnen sei. Sie gab aber keine andere Antwort. Da sagte er, das hätte er wohl erwartet und wollte nicht weiter versuchen, sie mit guten Worten zur Vernunft zu bringen. Das sei künftig ihres Mannes Sache. Er werde mit dem Schultheißen sprechen, und wenn die Väter einig würden, wie er zuversichtlich hoffe, solle nächsten Sonntag die Verlobung in seinem Hause gefeiert werden. Widerspruch dulde er nicht. Die Sache müsse ihr Ende haben.

Er zog auch wirklich ein anderes Kleid an, mit dem er sonst nur nach der Ratsstube zu gehen pflegte, und machte sich auf den Weg. Nach seiner Rückkehr gab er im Hause Befehl, daß alle erforderlichen Vorbereitungen zum Verlobungsfeste für nächsten Sonntag getroffen würden.

Bis dahin waren es nur noch vier Tage. Maria schien plötzlich ihre ganze Entschlossenheit wiederzugewinnen. Nun hilf mir, gute Barbara, sagte sie, daß die Gewalt mich nicht zwinge. Zwar weiß ich, daß ich nie einwilligen werde, des verhaßten Mannes Eheweib zu sein. Aber sie werden mich in ein Kloster schleppen und dort lebendig begraben, wenn ich fest bleibe.

Barbe war sehr verzagt und hätte am liebsten mit der heiklen Sache gar nichts mehr zu tun gehabt. Es wird ja ganz so schlimm nicht kommen, tröstete sie, selbst wenig überzeugt. Und wie kann ich helfen, Kindchen? Der Herr Vater hat das letzte Wort gesprochen, und darauf gibt's ja doch keine andere Antwort als: ja – ja. Es geschieht gewiß auch in guter Meinung, daß er so über Euch verfügt. Denn am Ende sind doch die Alten klüger als die Jungen und sehen besser in die Zeiten voraus. Schon manches Mädchen hat gedacht: lieber ins Kloster oder gar ins Wasser, als in eine solche Ehe, die ich nicht mag – und ist hinterher eine glückliche Frau geworden. Dafür hat man viel Beispiele. Fügt Euch also in Geduld, da es doch nicht anders sein kann.

Maria war aber darüber nicht ungebärdig, wie wohl sonst ihre Art war, wenn sie von dieser Seite Widerspruch erfuhr; sondern sie antwortete sehr ernst und mit anscheinender Ruhe: Kannst du so sprechen, so weiß ich, daß du mich nicht lieb hast und was ich von allen deinen Versicherungen zu halten habe. Willst du mir nicht helfen, so muß ich zusehen, wie ich mir selbst helfe. Denn ich hab' ihm mein Wort gegeben und weiche nicht davon aus Furcht und Kleinmut. Deine Schuld aber wird's sein, hier und in Ewigkeit, wenn ich unterliege, weil meine Kraft allein nicht ausreicht zu einem so schweren Werk. Und kein Graumönch wird diese Schuld von deinem Herzen nehmen.

Nun kniete die besorgte Frau neben ihr nieder und umfaßte ihren Leib und küßte ihre Hände und beschwor sie bei allen Heiligen, auf der Hut zu sein und nichts Sträfliches gegen ihren Vater zu unternehmen. Bedenket auch dies, sagte sie unter Tränen, daß es ein schweres Verbrechen ist, eine Jungfrau zu entführen, und daß Ihr den Mann, den Ihr doch liebt, großer Gefahr des Leibes und des Lebens aussetzen wollet. Denn wenn sie ihn ergreifen, so wird er's hart büßen müssen nach dem Gesetze des Landes.

Aber auch das tat keine Wirkung. Mag er's überlegen, antwortete sie, und nach seines Herzens Rat entscheiden. Ist ihm das Wagnis zu groß, so will ich ihn nicht schelten. Wenn er mich aber liebt, so wird ihm das Leben ohne mich nicht teuer und eine Stunde des Glückes mehr wert sein als eine Reihe kümmerlicher Jahre. Mag uns geschehen, was wir nicht wenden können, aber mit unserm Willen fügen wir uns nicht in das, was uns elend macht.

Als sie nun sah, daß alle Vorstellungen doch verschwendet sein würden, kreuzte sie dreimal ihre Brust und sagte: Wenn's Sünde ist, mag mir's verziehen werden. Aber einen Stein müßte ich ja statt des Herzens tragen, wenn mich so viel Standhaftigkeit nicht bewegte. Nein, ich kann dich nicht in der Not verlassen, mein geliebtes Kind! Und wenn es mein eigenes Verderben wäre, ich will dir beistehen und das Schlimmste von dir abzuwenden suchen.

So gab Barbe nun dem Junker in seiner Herberge von allem Nachricht, was geschehen war, und hieß ihn abends in einem engen Gäßchen unfern dem Hause warten, bis sie ihn hineinrufen würde, wenn der Herr ausgegangen sei. Sie wollte ihn in ihrer Kammer verbergen, und in der Nacht, wenn alles schlief, sollte Maria zu ihm schleichen und die nötige Abrede treffen. So geschah es denn auch, und es erschien ihnen das beste, zu Wasser den Ausgang aus der Stadt zu suchen, da sie an den Landtoren befürchten mußten, von den Wächtern aufgehalten und festgenommen zu werden. Barbara versprach, mit Klaus Poelke, ihrem Schwestersohn, zu reden, daß er ein leichtes Boot bereitstelle und auch selbst helfe, es über den Balken zu heben, der nachts den Fluß sperrte. Ohne einen kräftigen Ruderer konnte man nicht weit kommen, und war man erst auf der Weichsel, so mußten Segel gebraucht werden. Um Huxer sicher zu machen, sollte es heißen, daß Maria sich in sein Gebot füge. Den Waldmeister hoffte Heinz schon freundlicher und willfähriger zu stimmen, wenn er ihm vor die Augen träte. Weigerte er sich aber, Maria aufzunehmen, so werde der Ratmann Clocz in Schwetz sie nicht abweisen, und von da könne man leicht über die Grenze gelangen. Wiederholt gaben die Liebenden einander das Versprechen, eher das schwerste Ungemach zu dulden, als sich zu trennen.

Der Morgen graute schon, als Heinz leise von Barbara aus dem Hause gelassen wurde. Als er die Stufen der Steintreppe hinabstieg, erhob sich neben ihm eine Gestalt, die vorher, an die Einfassung gelehnt, nahe der Tür gesessen haben mußte. Er streckte den Arm aus, sie festzuhalten, ergriff aber nur den Mantel. Habe ich dich, frecher Bursche! rief er. Nun sollst du mir Rede stehen! Der aber wollte sich nicht fangen lassen; er riß und zerrte am Mantel und suchte die Straße zu gewinnen. Indem er hierbei eine halbe Wendung machte, um sich seinem Verfolger zu entziehen, mußte er einen Teil seines Gesichtes zeigen. Heinz erschrak plötzlich aufs heftigste und ließ das Gewand los. Diese Augen –? Das war ein nächtiger Spuk, der sich hier in die Dämmerung des Morgens verirrt hatte. Diese Augen kannte er; sie hatten ihn oft angeblickt, meist freundlich, aber auch mitunter zornig und feindlich wie jetzt. War sie's? Täuschte er sich? Er mußte sich täuschen.

Die Gestalt huschte fort um die Ecke des Hauses, in das Dunkel des engen Seitengäßchens hinein. Er eilte ihr nach.

Jetzt kreuzte sie den nächsten Straßendamm, jetzt wandte sie sich wieder und verschwand hinter dem mächtigen Steingeländer eines Treppenaufganges. Von dort scheuchte er sie nochmals auf, aber eine andere Quergasse mit himmelhohen Häusermauern war ganz nahe. Er verlor sie aus den Augen, sah sie wie einen Schatten auftauchen, wieder verschwinden. Die Kreuz und die Quer lief er, immer die Arme ausbreitend, um zu erhaschen, was sich in der Dunkelheit darin fangen möchte; dabei fiel er über einen vorspringenden Kellerhals. Als er sich aufgerafft hatte, schien die weitere Verfolgung ganz vergeblich. Hastig Atem schöpfend und von Zeit zu Zeit stehenbleibend, um sein wild klopfendes Herz zu beruhigen, schritt er seinem Quartier im Mauergäßchen zu. Er war nun nicht mehr im Zweifel, eine bloße Spukgestalt gesehen zu haben.

Als er aber die Haustür aufgeschlossen hatte und eben in den Flur treten wollte, hörte er hinter sich, nicht zwanzig Schritte entfernt, ein gellendes Lachen, wie es wohl die Nachtvögel im Walde auszustoßen pflegen. Er schauerte zusammen und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Er glaubte nicht anders, als daß der böse Geist ihn äffe. Er sah in Gedanken Natalia auf der Turmtreppe sitzen mit Blechkappe und Spieß, ihn zu bewachen. So mochte sie wohl gelacht haben, als sie am Morgen das Gemach leer fand. –

Es war verabredet worden, daß Frau Barbara vormittags auf den Fischmarkt gehen sollte, wo gewöhnlich Klaus Poelke mit seinem Kahn am Wasser zu finden war. Später suchte der Junker ihn im Hakelwerk in seiner Mutter kleinem Hause auf. Der junge Mensch machte ein bedenkliches Gesicht. Es sei schwer, nachts aus der Stadt hinaus und am Schlosse vorbeizukommen: überall paßten die Wächter auf. Er besitze auch neben seinem Fischerkahn kein seetüchtiges Boot, das auf den Kiel gebaut sei, sondern nur ein flaches kleines Fahrzeug, das schlecht segle und bei heftigem Seitenwinde leicht umschlage. Auf der Weichsel sei's manchmal recht luftig, und dicht am Lande hin komme man wegen der Weiden- und Rohrkampen mit den Rudern auch schlecht vorwärts, zumal stromauf. Er riet ernstlich ab. Aber Heinz ließ sich nicht so leicht einschüchtern; er wollte das Boot sehen. Nun gingen sie nach dem Ufer des Mühlgrabens gegenüber der Stelle, wo die Insel lag, die man den Schild nannte. Die Fischer trockneten darauf ihre Netze, und es waren hier die Boote zum Übersetzen halb aufs Land gezogen. Eins davon bezeichnete Klaus als das seinige. Es war in der Tat schmal und flach und wenig einladend zu einer Fahrt von mehreren Tagen. Ob er denn nicht ein tüchtiges Seeboot leihen könne? Es lägen ja jetzt so viele Schiffe abgetakelt, die ihre Schaluppen entbehren könnten. Es werde davon gesprochen werden, meinte der Fischer, da er doch keinen rechten Vorwand habe, und man komme auch mit dem schweren Dinge nicht über den Baum, er meinte den Sperrbalken im Flusse. Dann müsse man's mit dem »Seelenverkäufer« wagen, entschied der Junker.

Klaus Poelke zuckte die Schultern und sagte: Wie Ihr wollt. Ich mag mich von meiner Muhme nicht umsonst bitten lassen. Gebt mir morgen genaue Weisung, wo ich mit dem Boote halten und Euch erwarten soll. Ich will indessen die Ritzen neu mit Werg ausklopfen und Teer darüber streichen, damit wir nicht so oft das Wasser auszuschöpfen nötig haben. Auch will ich aus ein paar Brettern ein Schwert zimmern, das wir beim Segeln seitwärts anbringen können, um den Druck des Windes zu mindern. Sorgt für ausreichende Lebensmittel, denn unterwegs gibt's wenig zu kaufen, und nehmt Euch warme Kleider mit: unsere Sommernächte sind oft kalt, und Ihr werdet unter den Weiden am Ufer übernachten müssen. Glaubt mir, Herr, es ist nichts für Euch und das Fräulein.

Haltet nur reinen Mund, bat der Junker.

Darauf verlaßt Euch, versicherte Klaus Poelke. Reden ist überhaupt nicht meine Sache, außer wenn ich muß. Was geht es mich auch an?

Als sie sich wandten, nach dem Hause zurückzugehen, trat jemand hinter den Zaun, der eine Strecke am Mühlgraben hinlief. Sie achteten nicht darauf.

Maria blieb fest, und so brachte Heinz denn Klaus Poelke die versprochene Anweisung. Er sollte mit seinem Boote nachts elf Uhr in der Nähe des Koggentors zwischen den Schiffen warten und sich bereithalten, auf einen Pfiff an die Treppe heranzurudern, die dort vom Bollwerk zum Wasser hinabführte. Die Lebensmittel und Decken sollte er schon vorher von Frau Barbe am Fischmarkt in Empfang nehmen. Wer war der mit dem breiten Filzhut, fragte Klaus, der Euch vorhin nachging? Ich sah es von meinem Fenster aus. – Ich habe niemand bemerkt, entgegnete der Junker; jedenfalls gehört er nicht zu mir.

Der Abend kam und die Nacht. Der Himmel war bewölkt; es schien nicht Mond, nicht Stern. Ein leichter Wind bewegte die Luft und spielte mit den Wetterfahnen auf den hohen Giebeln. Es war so still auf den Straßen, daß man ihr Knarren hörte. Heinz saß, den Mantel über dem Arm, auf der untersten Treppenstufe vor Huxers Hause und wartete auf Maria. Mitunter war's ihm, als ob er ein Seufzen oder ein leises Weinen vernähme, aber der Wind konnte seinen aufgeregten Sinnen etwas vorgaukeln. Endlich öffnete sich leise die Haustür. Eine Stimme flüsterte: Gott mit dir! Einen Augenblick später hing Maria an seinem Arme.

Sie zitterte merklich, und er wagte nicht, ihr Mut zuzusprechen. Aber er faßte ihre kleine Hand und drückte sie zärtlich. Schweigend schritten sie rasch an den Häusern hin, um von den Wächtern nicht bemerkt zu werden. Die Pforte im Koggentor fanden sie offen. Glücklich gelangten sie aufs Bollwerk und hinab an den Fluß. Hier konnten sie sich schon in Sicherheit glauben, denn das Pfahlwerk deckte sie. Klaus paßte so gut auf, daß er nicht einmal des Zeichens bedurfte. Er hielt das Boot am Pfahl fest, während Heinz hineinsprang und Maria die Hand reichte. Sie trat unsicher auf und wäre ausgeglitten, wenn er sie nicht umfaßt und neben sich auf das Brett gezogen hätte. Er hielt sie fest umarmt, lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und sagte: Nun bist du mein, Liebste.

Klaus stand hinten in der Spitze und ruderte mit großer Geschicklichkeit stehend zwischen den Schiffen hindurch.

Sie kamen glücklich am Fischmarkt und an dem Wasserturme vorbei, auf welchem die Mauer zwischen der Rechten Stadt und der Altstadt auslief. Hier war der Baum zu passieren. Die dazugehörigen Balken waren durch kurze Ketten verbunden und durch längere an beiden Seiten des Ufers befestigt. Es gelang an einer Verbindungsstelle, das flache Boot auf die Kette zu schieben. Nun tretet mit dem Fuße rechts auf den Balken, Junker, kommandierte Klaus, und drückt ihn hinunter. Ich will's links ebenso machen. Gut so! Es muß nichts schaden, daß das Wasser durch den Stiefel zieht. Nun helft mir mit einem tüchtigen Ruck das Boot hinausschieben. Wir sind flott!

Die Balken schnellten hinter ihnen aus dem Wasser auf; sie hatten die Stadt, bald auch das Schloß im Rücken und atmeten freier auf. Klaus ruderte kräftig zu bis zum Ausfluß der Mottlau in die Weichsel. Von der See her wehte ein frischer Wind landeinwärts. Nun das Segel auf! rief Klaus Poelke. Richtet die Stange! Ich kann an dem Fräulein nicht vorbei. Es geschah nach seiner Weisung. Der Wind legte sich in das Segel und trieb das kleine Fahrzeug flott genug stromauf. Maria sprach kein Wort. Sie zitterte vor Frost oder innerer Erregung. Heinz warf ihr eine warme Decke um und hüllte sie fest darin ein.

So ging's einige Stunden fort. Es mochte gegen zwei Uhr morgens geworden sein, denn an dem nordöstlichen Horizont wurde es schon hell, und die Gegenstände an den Ufern ließen sich erkennen. Die Holzstöße, die dort langgestreckt lagen, waren so früh noch nicht in Bewegung gesetzt. Auch ein paar tief geladene Weichselschiffe schienen den Aufgang der Sonne erwarten zu wollen. Auf dem Flusse selbst war kein Leben; hinauf und hinab konnte man ihn bis in die graue Morgendämmerung hinein überschauen. Schon näherte man sich der Stelle, wo die Danziger und Elbinger Weichsel sich trennten.

Da wurde Klaus auf ein kleines Segel aufmerksam, das hinter ihnen aus dem Nebel auftauchte. Er wies mit der Hand darauf. Das scheint von Danzig zu kommen und ist schneller als wir.

Weshalb glaubt Ihr …

Wir sind keinem Boote begegnet, und die Weichselschiffe, die im Flusse lagen, gehen stromab; zu denen kann's nicht gehören. Ein Fischerkahn ist's auch nicht. Was so einer mit dem Segel leisten kann, kann ich allemal. Das Ding fliegt über das Wasser – seht nur! Donnerwetter! Hat aber auch Segel aufgesteckt … Das darf nur ein gutes Kielboot wagen. Ich wette darauf, es ist eins! Ja, mit so viel Leinwand – da ist's wahrhaftig kein Kunststück!

Ihr meint, das Boot gehört zu einem Seeschiffe?

Unzweifelhaft, Junker.

Dann kann's nur aus Danzig kommen.

Scheint mir auch so.

Glaubt Ihr, daß man uns verfolgt?

Es kann wohl sein. Denn was wollen die sonst um diese Zeit auf dem Flusse, und weshalb beeilen sie sich so?

Es ist möglich, daß der Komtur nach Dirschau schickt und wegen des guten Windes den Wasserweg wählt.

Möglich wär's schon, Junker, aber … Seht nur, sie halten scharf auf uns.

Gebt einmal unserm Boot eine andere Richtung, wollen sehen, wie sie sich dazu verhalten.

Klaus legte das Segel um, als ob er aufs Land wollte. Da! Sie ändern ihre Fahrt, um uns abzuschneiden!

Wahrhaftig! Nochmals herum!

Dieselbe Wirkung.

Sie haben's auf uns abgesehen, sagte Heinz, kein Zweifel mehr. Nehmt das Ruder zu Hilfe.

Das kann nichts nützen, Herr; in einer Viertelstunde ist mein Arm matt, und so lange dauert's nicht einmal, bis sie –

O Gott! seufzte Maria und schloß sich näher an Heinz.

Entkommen wir ihnen auf dem Wasser nicht, meinte derselbe, so ist's rätlicher, ans Land zu setzen und über den Damm hin die Flucht zu versuchen.

Rechts oder links, Junker?

Rechts! Was sollen wir auf der schmalen Nehrung zwischen Fluß und See?

Aber da schützt der Wald.

Nein, rechts. Es wird sich ein Versteck finden lassen.

Wie Ihr wollt. Er hielt scharf auf das Ufer, kam aber in die Strömung und konnte nur mühsam vorwärts. Sie sind uns auf den Hacken. Und jetzt legen sie die Riemen ein – das fördert besser als mit meiner Schaufel. Helft mit dem Schwert nach, Junker, sonst nehmen sie uns doch.

Heinz strengte alle Kraft an, das schwere Holz zu regieren; die Strömung faßte es immer wieder und zog es ihm unter den Händen fort. Die Verfolger hielten schräge gegen das Land. Schon wurde eine Stimme vernehmlich: Legt bei, ihr Buben – ergebt euch!

Mein Vater, flüsterte Maria mit bebenden Lippen. Sie klammerte sich fest an den Junker, der nun die Arme nicht frei bewegen konnte. Das schwere Holz entschlüpfte ihm und trieb mit dem Strome zurück. Klaus konnte nicht zugleich das Segel und das Ruder regieren; das Boot verlor die Richtung und drehte sich ab, die Leinwand flatterte. Daraus entstand ein Aufenthalt, den die Verfolger sofort ausnutzten. Nahe am Lande schon kreuzten sie von hinten her das Fischerboot, warfen einen Enterhaken über dessen Bord und zogen es eine Strecke mit sich. Bald lagen die beiden Fahrzeuge, schaukelnd und mit den Spitzen der Maststangen gegeneinander schlagend, Seite an Seite.

Verführer – Räuber – Dieb! schrie Huxer, einen mit spitzen Nägeln besetzten Streitkolben schwingend. Wo hast du mein Kind? Zu mir, Maria, zu deinem Vater!

Der Junker hatte das Schwert gezogen und hielt die Schläge des Wütenden ab. Klaus Poelke verteidigte sich, so gut es ging, mit dem Ruder gegen die beiden Matrosen.

Vater, rief Maria in den Lärm hinein, es geschah mit meinem Willen! Ich bin sein Weib! Reiße mich nicht von seiner Seite – es ist mein Tod!

Huxer achtete nicht darauf. Immer wütender hieb er auf den Junker ein, der das Mädchen zu decken suchte. Springt hinüber, befahl der Reeder seinen Matrosen, ergreift die Dirne, werft sie in unser Boot! Ich will doch sehen, ob ich noch der Vater bin!

Die Matrosen folgen dem Befehl. Der eine rang Brust an Brust mit Klaus und versuchte ihn ins Wasser zu stoßen, so daß das kleine Fahrzeug arg ins Schwanken geriet und umzuschlagen drohte. Der andere Matrose faßte Maria bei den Schultern und bemühte sich, sie vom Mast loszureißen, den sie mit den Armen umklammert hielt. Heinz brachte ihm durch einen raschen Seitenhieb eine Verwundung bei, die ihn jedoch nicht zwang, von dem Mädchen abzulassen. In diesem Augenblick riß die Segelschote; die Leinwand flatterte um den Mast und legte sich ihm um Gesicht und Schultern. Die Bemühung, sich schnell frei zu machen, mißlang; auch konnte er dabei das Schwert nicht brauchen. Ein heftiger Stoß mit dem Streitkolben warf ihn zu Boden.

Als er sich aufraffte, sah er, daß der Matrose das Mädchen aufhob und Huxer zuwarf. Sie schien ohnmächtig, der Kopf sank zurück, als dieser sie in den Arm nahm. Der Matrose sprang nach. Der andere und Klaus verloren beim Ringen das Gleichgewicht und fielen zusammen ins Wasser. Dort mußten sie einander wohl loslassen, wenn sie nicht zusammen versinken und ertrinken wollten. Jeder griff nach dem Bord seines Bootes.

In dem Augenblick, als die beiden Fahrzeuge voneinander abtrieben, trat hinter dem Segel des Seebootes ein Mensch hervor, der sich bis dahin verborgen gehalten hatte. Mit einem mächtigen Satz schwang er sich in das Fischerboot hinüber, ergriff den Mast und sank, an demselben hinabgleitend, in die Knie, um nicht auf der anderen Seite hinabgeschleudert zu werden. Der Hut flog ihm dabei vom Kopfe und wurde vom Winde in den Strom getrieben. Lange braune Locken flatterten um Stirn und Wangen. Heinz, der sich schon halb aufgerichtet hatte, schien von einem jähen Schreck wieder zurückgeworfen zu werden. Natalia! schrie er wild auf.

Ich bin's, antwortete sie mit eisiger Ruhe, den stechenden Blick fest auf ihn richtend. Kennst du deine Herrin?

Natalia – du warst des Waldmeisters Bote …

Ich brauche keinen Auftrag – führe meine eigene Sache.

Du – hast – mich verraten ...?

Das war meine Rache. Einmal entflohst du mir – das zweitemal nicht. Ich sah dich mit deinem Schätzchen das Haus verlassen, wußte, daß ein Fischerboot auf euch wartete. Ich rief unter Huxers Fenster: Wach auf, alter Mann, ein Bube stiehlt dir dein Kind, deine Maria! Ich rief's so lange, bis er hinausfragte, was der Lärm bedeute. Da war er bald aufgeklärt. Eine Stunde nach euch waren wir auf dem Flusse. Unser Boot hatte Flügel – ihr konntet uns nicht entgehen.

Und weshalb, du Unholdin … ?

Weshalb? Weil ich dich hasse!

Du liebtest mich, Natalia –

Darum hasse ich dich jetzt. Sie ließ den Mast los, warf sich neben ihm nieder und ergriff seine Hand. Nein, nein, ich liebe dich noch immer! Das ist meine Buße, daß ich's bekennen muß.

Er stieß sie zurück. Ich aber liebe dich nicht – ich liebe Maria!

Schrei's in die Luft. Sie hört dich nicht mehr, sie wird dich nie mehr hören. Darum tat ich's.

Entsetzliche –!

Tritt mich wie deinen Hund, aber bekenne, daß ich dir weher getan habe als du mir. Maria ist dir verloren! Mit mir mache, was du willst, in deinem Zorn. Schlage zu mit dem Schwert, ich will deinen Streich erwarten, ohne mit der Wimper zu zucken: wirf mich ins Wasser, und laß mich vor deinen Augen ertrinken. Das Leben ist mir nichts wert, der Tod willkommen. Sie schluchzte plötzlich laut auf. Ach, du weißt nicht, wie elend du mich gemacht hast!

Klaus hatte sich glücklich ins Boot gerettet, wand seine nasse Jacke aus und haschte mit der Hand nach dem flatternden Segel. Wohin jetzt, Junker? fragte er.

Nach Danzig zurück!

Die dort holen wir nicht ein. Er zeigte auf das Schiffsboot, das schon in weiter Ferne schwamm.

Heinz streckte die Arme aus. Verloren –! Verloren? Nein und in alle Ewigkeit nein, sie kann mir nicht verloren sein! Trotz dir, du Teufelin!


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