Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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18. DANZIGER WIRREN

In der Stadt Danzig war die Aufregung groß. Troßknechte, die im Lager zu Frögenau den Anmarsch der siegreichen Polen nicht erwartet, sondern über Hals und Kopf sich und ihre Packpferde in Sicherheit gebracht hatten, erschreckten die Stadt durch ihre erste Nachricht von einer großen verlorenen Schlacht, vom Vordringen des Königs und Großfürsten.

Die besonnenen Bürger schenkten ihnen nur halben Glauben. Aber wenige Tage später langten in kleineren und größeren Rotten die traurigen Reste der Bürgerfähnlein an, die sich aus dem Tannenberger Blutbade gerettet hatten, und ihre Schilderungen von den Schrecknissen der Schlacht und der Niederlage des Ordens überboten weit die Befürchtungen der Zaghaftesten. Viele Hundert Danziger Bürgersöhne und Schiffskinder waren gefallen oder unterwegs bei der eiligen Flucht an ihren Wunden verblutet, überall in den Häusern war Trauer; Verwünschungen wurden gegen den Orden laut.

Maria Huxer war voll Unruhe. Hatte ihr Liebster an der Schlacht wirklich teilgenommen, und was war aus ihm geworden? Ihr Liebster war Heinz von Waldstein doch, und mit allen Gedanken war sie seit seiner Abreise stets bei ihm gewesen, wenn sie's auch niemand merken lassen wollte – am wenigsten den Vater. Rambold von Xanten, des Schultheißen Sohn, war zu deutlich von Huxer begünstigt worden. Freilich ließ sie sich seine Huldigungen gefallen, lachte über seine Scherzreden, spielte mit ihm Damenbrett und neckte ihn, wenn er sie mit Anwandlungen von verliebter Schwermut heimsuchte. Allen ernstlicheren Bewerbungen aber wich sie aus, und nicht einmal zum Willkommen und Abschied erlaubte sie ihm, ihre Hand eine Minute länger zu halten, als es der Gruß bedingte. Erinnerte er einmal, um sie auszuholen, selbst an das Ringstechen und an den geschickten Gast, so ging sie in ihrer munteren Weise auf das Gespräch ein und lobte nun den fremden Junker so scherzhaft als einen Ausbund von Ritterlichkeit, daß er nicht daraus klug werden konnte, wieviel davon auf die neckische Absicht kam. Wirkliche Besorgnisse seinetwegen waren ihm fern. War er doch des Schultheißen Sohn!

Nun erschien Maria plötzlich ganz verändert. Sprach sie überhaupt, so war's über den Krieg, als ob sie im Rat mitzusitzen und ihre Stimme abzugeben hätte. Aufs genaueste wollte sie alles wissen: wie weit der König jetzt vorgedrungen sei, welche Burgen er eingenommen hätte, welche Städte ihm zugefallen wären. Die Erkundigungen nach diesen Dingen waren aber nur die Einleitung zu den wichtigeren Fragen über die Schlacht und ob man erfahren habe, wer von Bekannten und Freunden gefallen oder gerettet sei. Sie hoffte so, beiläufig auch etwas über Heinz zu vernehmen, aber Rambold dachte nur an die Bürgersöhne und nannte Namen, die ihrem Herzen ein leerer Schall blieben. Ihr wißt auch nichts, schalt sie ihn, wenn er sich alle Mühe gegeben hatte, ihr Neuigkeiten zuzutragen.

Nun mußte sie sich doch der alten Bärbe eröffnen. Ich vergehe vor Angst, sagte sie, sich an ihre Brust werfend. War er in der Schlacht –? Lebt er oder ist er … Sie konnte das schmerzliche Wort nicht aussprechen. Ihre zitternde Hand hielt das kleine Kreuz, das er ihr geschenkt hatte.

Ei, wie kann man sich solches Herzeleid machen um ungewisse Dinge? verwies die gute Frau. Das alles muß man Gott anheimgeben. Ich meinte, Ihr hättet den hübschen Junker längst vergessen, und das wär' auch das beste gewesen – wahrhaftig! Denn das merkt Ihr wohl, wo Euer Herr Vater hinaus will, und wenn der einmal etwas auf die Hörner genommen hat, so läßt er's so bald nicht los. Es ist auch soweit gegen den jungen Rambold nichts einzuwenden, und er ist guter Leute Kind und wird sicher einmal zu Ehren kommen in der Stadt. Was aber den andern betrifft – nun, ich füge auch heute nichts gegen ihn, aber sässig ist er doch nicht, und wer durch das Schwert zu Ansehen kommen will, der muß überall sein Leben wenig achten. Daß er in der Schlacht mitgefochten hat, nehme ich für gewiß an, weil er zum Hochmeister wollte, und wenn ich weiß, daß bei einer Gefahr zehn umgekommen sind und nur einer gerettet ist, so mache ich mich auf das Schlimmste gefaßt. Schlagt Euch also den Junker aus dem Sinn und laßt Euch den Kummer nicht tief gehen. Ist er gefallen, so war's Gottes Wille, daß Ihr nicht später noch schwereres Leid erfahren solltet.

Barbara tat gleichwohl, was sie konnte. Aber man wußte ihr nichts Weiteres mitzuteilen, als daß der Junker vor der Schlacht im Gefolge des Hochmeisters gesehen sei, als derselbe die Linien abritt. Nun war's freilich gewiß, daß er mitgefochten hatte, aber die Unruhe und Bekümmernis um ihn wurde nur um so größer.

Dann kam die Nachricht, daß der Komtur von Schwetz die Marienburg besetzt habe und Mannschaft von den Danzigern begehrte. Huxer erzählte zu Hause von einer stürmischen Ratsitzung, und wie es Konrad Letzkau nur mit großer Mühe gelungen sei, gegen Arnold Hecht und seinen Anhang die Bewilligung durchzusetzen. Nun nahm's Maria als sicher an, daß Heinz, wenn er am Leben sei, seinen Verwandten, den Komtur Plauen, aufsuchen und ihm bei der Verteidigung der Burg hilfreiche Hand bieten werde. Ach, vielleicht war er nur wenige Meilen entfernt.

Es traf sich so, daß Barbaras Schwestersohn, Klaus Poelke, unter den ausgehobenen Schiffskindern war, die nach der Marienburg geschickt wurden. Er erhielt Auftrag, sich nach dem Junker Heinz von Waldstein zu erkundigen und die Gelegenheit abzupassen, wenn ein Bote nach Danzig entsandt werde, dem aber zugleich eine Bestellung an seine Muhme aufzutragen. So war nun alles geschehen, was geschehen konnte, und es blieb wirklich nur übrig, geduldig zu warten.

Im Großen und im Kleinen Artushof gab es allabendlich sehr erregte Versammlungen der Bürger. Man scheute sich schon nicht mehr, ganz laut von Abfall und Übertritt zum König zu sprechen.

Konrad Letzkau erfuhr davon durch Barthel Groß; er selbst besuchte den Hof nicht, um als Haupt der Stadt dem Parteitreiben fernzubleiben. Er wandte sich an die Ältesten des Hofes und ersuchte sie, solche Reden zu verbieten. Noch erkenne Danzig die Ordensherrschaft an, und man solle der Stadt nicht nachsagen, daß sie ohne Not abtrünnig geworden sei und sich dem König in die Arme geworfen habe. Es würde ihm leid sein, wenn er den Hof schließen müßte.

Man schüttelte den Kopf über des Bürgermeisters unbegreifliche Ordensfreundlichkeit.

Arnold Hecht suchte ihn deshalb in seinem Hause auf und machte ihm ernstliche Vorstellungen. Ich verstehe Euch nicht, sagte er. Eine so gute Gelegenheit, die Stadt von dem unerträglichen Joch der Ordensherrschaft zu befreien, kehrt nicht wieder. Das Ordensheer ist vernichtet, das Land dem König offen, der Schrecken überall groß. Es wäre ein leichtes, jetzt sogar das Schloß in unsere Gewalt zu bringen. Weshalb zögert Ihr, weshalb widersetzt Ihr Euch denen, die es mit der Stadt Freiheit gut meinen?

Ich will nicht mit Euch darüber streiten, lieber Kumpan, antwortete Letzkau, ob uns die Ordensherrschaft wirklich ein unerträgliches Joch aufgelegt hat. Vieles wünschte auch ich anders bestellt; wenn ich mich aber umgeschaut habe auf meinen Reisen, so hab' ich wenig Städte kennengelernt, die unter milderer Herrschaft standen. Der König von Polen wird viel versprechen. Aber was er uns hält, wenn er alle Macht in Händen hat und wir ihm zu willig nachgeben, das wissen wir nicht. Doch von alledem darf jetzt nicht die Rede sein. Der Orden hat eine Schlacht verloren; völlig besiegt ist er nicht. Ein tapferer, entschlossener Mann hat die Fahne aufgehoben und hält sie hoch in der Marienburg. Ich kenne ihn: es ist der wenigen einer, die noch den alten Geist der Ritterschaft in sich bewahrt haben, wie er vor fünfzig Jahren und früher stark war in den Brüdern vom Deutschen Hause. Was dieser Eisenkopf will, das setzt er durch, wenn es überhaupt ein Mensch vermag. Darum saget nicht, lieber Kumpan, daß der König Herr ist im Lande. Solange die Marienburg standzuhalten vermag, ist des Königs Gewinn gering, mag er auch ein noch größeres Geschrei wegen seines Sieges erheben.

Sie wird sich in kurzem der Übermacht ergeben müssen, fiel Arnold Hecht ein. Dann aber ist's für uns zu spät, Bedingungen zu stellen. Es war Torheit, unsere Schiffskinder hinzusenden und den nutzlosen Kampf zu verlängern.

Es war Pflicht, berichtigte der Bürgermeister; die Ehre der Stadt gebot diese Hilfe. Schmach über sie, wenn sie den Stolz des Landes, die Marienburg, im Stich gelassen hätte! Ob der Kampf nutzlos, wer mag das heut bestimmen? Ein tapferer Mann ist viel wert. Was kann nicht geschehen in wenigen Wochen? Wir dürfen den Orden nicht verlassen, bis es gewiß ist, daß er sich selbst verläßt.

Arnold Hecht warf den dicken Kopf ins Genick und zog den Mund schief. Ah, Ihr rechnet da mit Zahlen, rief er, die uns nichts angehen! Wir Danziger sind Kaufleute und sehen zu, was unserm Handel dient und unsere Freiheit mehrt. Solch ritterliches Gelüste, dem Schwachen beizustehen und des Dienstmannes Treue in der Not zu bewähren, steht denen schlecht an, die man sonst in den Schlössern elendes Krämervolk nannte. Hochmut kommt vor dem Fall.

Der Bürgermeister schüttelte unwillig den Kopf. So sollen wir's also verdienen, elendes Krämervolk gescholten zu werden? Nein, solange ich der Stadt Haupt bin, soll nichts Unwürdiges geschehen. Nur der Notwendigkeit will ich weichen. Setzt mich ab, wenn ich in meinem Amt euer Mann nicht bin!

Hecht wagte für jetzt nicht, weiter in ihn zu dringen. Noch war ihm sein eigener Anhang nicht sicher genug, und Letzkau schien unentbehrlich.

Der Bürgermeister tat wirklich alles, was ihn öffentlich als einen treuen Freund des Ordens zu erkennen geben mußte. Auf dem Danziger Schlosse waren nur wenige Ritter zurückgeblieben. Bestürzt durch die Schreckensnachricht von der verlorenen Schlacht und dem Anmarsch des Königs wurden sie rasch mutlos. Sie kamen deshalb aufs Rathaus, baten um eine geheime Unterredung und stellten vor, daß sie das Haus nicht würden halten können und sich dem Könige ergeben wollten, wenn die Stadt ihm zufalle. Letzkau aber antwortete ihnen: Das laßt nicht laut werden, denn der Verzagten gibt es genug, die euch zustimmen möchten. Bedenket, ihr Herren, daß ihr ein festes Haus habt, und daß in der Stadt Danzig Vitalie und Speise genug ist und dazu viele tüchtige Mannen, die euch gern helfen wollen, die Mauern zu besetzen. Entbietet, was ihr bedürft, man wird es euch vor Mitte der Woche schicken. Da gingen die Ritter beschämt nach dem Schlosse zurück und fingen an, es in Verteidigungszustand zu setzen. Letzkau aber schickte aus seinen eigenen Speichern Malz und Mehl und andere Lebensmittel, und brachte es an den Rat der Stadt, daß man für alle Fälle das Schloß mit einer rüstigen Mannschaft besetze, damit man sicher sei, daß es sich nicht ohne Not dem König ergebe.

Zugleich sorgte er dafür, daß die Stadt selbst nicht von herumstreifenden Heerhaufen überrumpelt werden könne. Da alle Geschäfte jetzt stillstanden, gab es viel müßiges Volk, das unzufrieden auf den Straßen lärmte. Das stellte er nun zur Arbeit an, indem er vor den Mauern Erdwerke zur besseren Befestigung aufwerfen und mit Geschütz versehen ließ. So sah jedermann, daß er zu ernster Abwehr entschlossen war.

Endlich kam auch Johann von Schönfels, der Komtur, mit den Resten seines in der Schlacht und auf der Flucht übel zugerichteten Heerhaufens nach Danzig zurück. Er hatte sich unterwegs aufgehalten, weil er die Verwundeten nicht im Stiche lassen wollte. Es hieß, daß ihm eine Schar Polen fast auf dem Fuße folge. Die Danziger Spieße lehnte er ab; er hatte Mißtrauen, daß der Rat geheime Dinge betreibe und sich durch diese Leute der Burg bemächtigen wolle, sie dann dem Könige zu übergeben. Waffen und Lebensmittel aber forderte er nun als eine schuldige Leistung, worüber viel Unzufriedenheit entstand. Er kam auch nach der Stadt und berief den Rat nach der Marienkirche. Dort verlangte er ein Gelöbnis, daß man die Stadt gegen den Feind halten wolle. Das soll geschehen Jahr und Tag, antwortete Letzkau mit erhobener Hand, sofern der Orden selbst tut, was er dem Lande schuldig ist. Arnold Hecht zupfte ihn am Rock und flüsterte ihm zu: Gelobet nicht zuviel! Der Komtur aber war aus anderem Grunde ungehalten und rief: Es ist nicht an euch, Bedingungen zu stellen. Ich verlange ein Gelöbnis ohne Vorbehalt. Dazu schwieg alles. Als dann aber Letzkau fragte: Wollt ihr dem Herrn Komtur und dem Orden auf das geloben, was ich gelobt habe? da antworteten die meisten mit »ja«, und Johann von Schönfels sah wohl ein, daß er sich damit begnügen müßte. Zank und Streit blieben nicht aus. Bald nach dem Komtur waren ganze Scharen von Verwundeten und Kranken angelangt, dazu Ordenssöldner, die, von ihren Fähnlein abgekommen, vor dem Feinde her flohen. Einige Haufen hatte man in die Städte eingelassen, aber immer mehr drängten zu; das Ordenshaus schloß ihnen die Tore, und die Bürger scheuten sich vor der Gefahr der Ansteckung durch die Kranken und vor der Last der Verpflegung von so viel lungerndem Volk. Deshalb wollten die Arbeiter bei den Verschanzungen den weiteren Zudrang hindern und stellten sich zur Wehr, zumal als die Nachricht zugetragen wurde, daß die Ordenssöldner in der Altstadt plünderten. Sie gebrauchten ihre schweren Schippen als Waffen und schlugen damit die Spieße zur Seite fort. Bei diesem Ringen gab es bald Verletzungen auf beiden Seiten. Bürger eilten in Waffen hinzu. Nur mit Mühe konnte Letzkau schweres Blutvergießen hindern.

Nun rückten auch die verfolgenden Polen an und schlugen ein Lager vor der Stadt auf. Andere Scharen stürmten, da sie hier die Tore geschlossen fanden, weiter ins Stubbelausche Werder hinein und nach der Nehrung, überall die Höfe verwüstend und plündernd. Gegen sie schickte der Rat die Mannschaft aus, die für das Schloß gerüstet war, aber nicht Aufnahme gefunden hatte, denn viele der Herren hatten da draußen selbst große Besitzungen und fürchteten für ihr Eigentum. Der Ratsherr Barthel Groß wurde zum Hauptmann dieses Volkes erwählt und erwies sich bald als ein geschickter und vom Feinde gefürchteter Führer. Den Elbingern, die dem Könige Fourage zuführen wollten, wurden mehrere Schiffe fortgenommen, freilich zum Ärger für Arnold Hecht und seine Anhänger. Hielt sich nun auch die Stadt gegen den Feind, so sprach man doch ungescheut auf allen Gassen unfreundlich genug gegen den Orden.

Das wußte der Spittler des St.-Elisabeth-Hospitals, Herr Nikolaus von Hohenstein. Er war in großer Unruhe wegen der kostbaren Habe, die das Haus in langen Jahren des Friedens aus den Überschüssen seiner reichlichen Einkünfte und mancherlei Geschenken zusammengebracht. Er traute aber auch Johann von Schönfels wenig und meinte, das Schloß werde sich nicht lange halten, wenn erst die Stadt übergeben sei. Deshalb hielt er es für das geratenste, sich mit seinen Schätzen heimlich davonzumachen. Er ließ daher sein silbernes und goldenes Tafelgeschirr, womit er reichlich versehen war, seine Teppiche und Gewänder und ebenso aus der Kapelle des Hospitals die gestickten Altardecken, seidenen Fahnen, silbernen Leuchter, Rauchfässer und Schalen, die Monstranzen, Kruzifixe und Kelche nebst den priesterlichen Gewandungen in Kisten verpacken und auf ein Schiff bringen, das im Hafen segelfertig lag. Er selbst wollte, wenn alles in Sicherheit sei, nachfolgen.

Doch wurde sein Vornehmen noch in letzter Stunde verraten. Kaum erfuhr Letzkau, was im Werke sei, als er eilig den Fluß mit Ketten sperren ließ, daß kein Schiff ferner hindurchpassieren könnte. Die Kisten mußten sofort ausgeladen und auf das Bollwerk gestellt werden. Er befahl, sie vorläufig in sein Haus zu bringen.

Eine große Menschenmasse hatte sich am Wasser versammelt und erhitzte sich in Schmähreden gegen den Spittler. Das wenigste war noch, daß man ihn einen argen Geizhals nannte und beschuldigte, die Kranken in seinem Hospital um ihr Hab und Gut betrogen zu haben.

Indem kam der Spittler angelaufen, feuerrot vor Zorn, und fuhr den Kapitän wütend an.

Beruhigt Euch, sagte der Bürgermeister. Euer Schreien kann Euch nicht helfen. Durch mich befiehlt der Rat der Stadt –

Da aber sprang der Spittler vor, stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor die Kisten und schrie: Wagt es, Hand zu legen an des Ordens und der Kirche Gut! Einen Schelm und Räuber nenne ich jeden, der gegen mich Gewalt braucht!

Das sind unbedachte Worte, verwies Letzkau. Der Orden ist nur die Herrschaft im Lande, und was ihm im Lande gehört, gehört ihm dieser Herrschaft wegen. Er hat seine Spitäler in die Städte gebaut, daß sie den Armen und Kranken dienen, und die Kirche gehört zum Hause, und alles, was im Hause ist, bleibt im Hause und dient seinem Zweck. Darum hindern wir Euch, darüber zu schalten wie über etwas, das allein in Eurer Macht steht, und nehmen diese Güter in Beschlag für den Orden und für die Kirche, daß sie bei ihnen im Lande bleiben.

Vergebens müht Ihr Euch, solchen Frevel zu beschönigen! schrie der Spittler. Wann hat der Orden die Städte befragt, wie ihm erlaubt sei, mit seinem Eigentum zu schalten? Ich sage, das ist Vergewaltigung und Raub!

Und ich sage, sprach Arnold Hecht hinein, daß Ihr selbst verübt, wessen Ihr uns beschuldigt. Zeigt uns Euren Auftrag, oder wir schätzen Euch als einen ungetreuen Knecht, der Übles im Sinne hat gegen seinen eigenen Herrn, den er in Not weiß.

Nennt Ihr mich einen Dieb, schäumte der Spittler, nennt Ihr mich einen Dieb?

Das ist Euer Wort, antwortete Hecht, nicht das meine. Aber vielleicht trifft's so das Rechte.

Hört, hört, schrie der Spittler, ich rufe euch alle zu Zeugen an; er hat mich einen Dieb gescholten, mich, Nikolaus von Hohenstein. Das soll er mir entgelten!

Unter den Ratsherren waren einige, die nahmen das Wort auf und meinten, es wäre so weit nicht gekommen mit dem Orden, wenn er nicht Verräter in allen seinen Häusern hätte.

Da ballte der Spittler die Fäuste gegen sie und schrie: Den Verräter in euren Hals, ihr Buben! Ich kenne euch wohl, Herr Johann Hamer und Herr Johann Kruckemann! Es soll euch übel ergehen, daß ihr mich vor allen Knechten und der ganzen Stadt einen Dieb und Verräter geschimpft habt. Schelme seid ihr und elende Wichte allesamt! Sagt's doch nur, daß ihr heimlich dem König von Polen schon geschworen habt, sagt's doch nur! Schande über euch!

Darüber entstand viel Lärm, und Arnold Hecht rief: Steckt ihn in einen Sack und ertränkt ihn wie eine tolle Katze! Sofort drängte die Menge zu, schlug ihm den Hut ins Gesicht, ergriff ihn bei den Schultern und Armen und schob ihn dem Rande des Bollwerks zu.

Unfehlbar wäre er in den Fluß hinabgestürzt, wenn sich nicht Letzkau ins Mittel gelegt und ihn aus den Händen der Wütenden befreit hätte. Er fand es nun selbst geraten, sich zu entfernen. Aber noch beim Rückzuge erhob er lauten Protest und drohte, bei Kaiser und Reich und beim Heiligen Vater in Rom Klage zu erheben, wie er denn auch nachmals redlich Wort gehalten.

So gingen die Wogen immer höher, und täglich wurde es den Bedächtigen schwerer, gegen Wind und Strömung zu steuern.

Vor der Stadt lag der Kastellan von Kalisch, Herr Janusch von Thuliskowo, mit einem großen Haufen Kriegsvolk und ließ es an freundlichen und ernsten Mahnungen nicht fehlen, die Stadt zu übergeben. Es kamen auch durch seine Vermittelung Briefe des Königs an den Rat. Alle Freiheiten wollte Wladislaus Jagello der Stadt bestätigen und noch andere hinzufügen, daß sie sich mit jeder im Reiche sollte messen können. Mancher im Rat, der bisher treu zum Orden gestanden hatte, wurde dadurch schwankend gemacht, und sprach er auch noch nicht laut für den König, so stimmte er doch bei jeder Gelegenheit zu dessen Gunsten. Letzkau hatte einen schweren Stand.

Und nach und nach überkamen auch ihn schwere Zweifel, ob der Orden sich gegen den König würde auf die Dauer halten können. Fast jeder neue Tag brachte die bedenklichsten Nachrichten. Elbing hatte sich dem König ergeben, machte jetzt mitten im Kriege ein großes Lieferungsgeschäft und brachte leicht seine Verluste ein, während in Danzig Handel und Wandel stockten. Auch die Stadt Thorn, nach Danzig die größte im Lande und bis dahin die reichste und mächtigste, hatte den Abgesandten Jagellos ihre Unterwerfung erklärt. Thorner Herren schrieben, die Sache des Ordens stehe schlecht, und sie hatten es nicht verantworten können, ihre Stadt nutzlos den Schrecken einer Belagerung auszusetzen. Eine Ordensburg nach der andern fiel und wurde sofort von den Polen besetzt; die Neumark war hart bedrängt, Küchmeister von Sternberg hoffnungslos eingeschlossen. Die Landesbischöfe hatten dem König ihre Huldigung dargebracht, selbst der von Samland, dessen Besitztum doch noch nicht einmal gefährdet war. Das ganze Weichselland bis auf wenige feste Plätze kam bis Ende des Monats in Feindeshand, und die Besatzungen der Burgen am Pregel- und Memelfluß waren zu schwach, irgend etwas über ihren eigenen Schutz hinaus unternehmen zu können.

Was aber am schwersten ins Gewicht fiel: Letzkau verlor mehr und mehr die Hoffnung, daß die Marienburg werde standhalten können. Zu groß war die Übermacht des Feindes, die tapfersten Ausfälle wurden zurückgeschlagen, immer mühsamer gelang es, Lebensmittel hineinzuschaffen. Auf Hilfe aus Deutschland war in vielen Wochen nicht zu rechnen. Kam sie überhaupt, so kam sie sicher zu spät. War aber die Marienburg gefallen, so hatte Danzig keinen Halt mehr: nicht die Stadt, sondern der König stellte die Bedingungen der Übergabe, und die beschwerlichsten mußten angenommen werden.

Das überlegte er in vielen schlaflosen Nachtstunden, und als er nun mit sich einig war, berief er selbst den Rat und trug ihm seine Bedenken vor. Es ist euch bekannt, sagte er, daß ich nicht nur in früherer Zeit, sondern auch in diesen Tagen der Not treu zum Orden gehalten habe, und viele von euch und von den Bürgern dieser Stadt haben mich deshalb laut und heimlich getadelt. Aber es ist nicht meine Art, mit dem Strome zu schwimmen und mich fortreißen zu lassen zu unbedachten und ungerechten Dingen. Darum wahrlich bin ich von der Stadt gesetzt zu ihrem Haupt, daß ich im Sturm feststehe und in der Gefahr bedenke, was ihr dauernd nützt. Nun aber, scheint es mir, kämpft des Ordens Schiff bereits mast- und ruderlos mit den Wogen, dem Untergange geweiht; wenige kühne Männer stehen noch fest darauf, sich an die Taue klammernd und die Brust bietend Wind und Wellen. Vergebens! Sie lenken das Schiff nicht mehr und werden mit ihm in die Tiefe gehen, wenn sie nicht ins Boot springen und abstoßen. Das Herz tut ihnen weh, widerwillig gehorchen sie der Notwendigkeit – sie gehorchen. Ich sage: so scheint es mir nach allen Berichten, die uns zugegangen sind, und nach diesen Briefen, die mir gestern der Bischof von Leslau zusandte, zur Eile mahnend. Er ist mein Freund nicht, und ich weiß, daß er allezeit auf Ränke sann gegen den Orden und mit dem König von Polen heimlich Spiel trieb. Jetzt möchte er ihm gern die Stadt Danzig zubringen und sich damit noch größeren Dank verdienen. Doch mag dies auch seine Absicht sein; was er mitteilt, gibt schwer zu denken. Abgesandte der großen Städte wollen sich im Lager vor Marienburg versammeln, mit dem Könige über ihre Gerechtsame gemeinsam zu verhandeln. Danzig darf dabei nicht fehlen. Muß es sich unterwerfen, so wird es den höchsten Preis für seine Unterwerfung fordern, und der König wird ihn zahlen, solange er um die Marienburg kämpft. Der Bischof behauptet, die Verteidigung werde schon matt. Vielleicht will er uns täuschen. Nur an Ort und Stelle läßt sich die Lage der Dinge überschauen und der rechte Augenblick im Handeln ergreifen. Deshalb, wenn ihr mir Vertrauen schenkt, daß ich der Stadt Bestes will, sendet mich ins Lager und gebt mir zwei Ratsmannen zur Seite, daß wir mit ganzer Vollmacht beschließen und abschließen können, was keinen Aufschub leidet. Ich glaube keinem, der mich zu überreden trachtet; mit eigenen Augen will ich sehen. Erkenne ich aber meinen Weg, so seid dessen gewiß, daß ich nicht zögere, ihn zu betreten zu der Stadt Wohlfahrt.

So ritt denn Konrad Letzkau hinaus mit noch zweien vom Rat, die hierzu gewählt waren, und der Kastellan von Kalisch empfing ihn mit großen Ehren und ließ ihn durch eine Schar Lanzenreiter bis nach Subkau geleiten, wo der kujawische Bischof Hof hielt. Er versprach, gegen die Stadt nichts zu unternehmen, bis der Bürgermeister zurückgekehrt sei.

Überall auf dem Wege fand Letzkau Dörfer und Gutssitze verwüstet oder besetzt von feindlichen Kriegshaufen. Die Köllmer und Bauern, die er sprach, waren mutlos und hielten jeden weiteren Widerstand für nutzlos und verderblich. Im Schlosse zu Subkau war es lebhaft wie in einem Bienenkorbe. Dort hielt der Bischof stets offene Tafel für die polnischen Offiziere. Seine Waldmeister und Fischmeister mußten für Wild, Geflügel und Fische sorgen; das fetteste Schlachtvieh wurde von seinen Kämmerern aufgekauft oder auch halb mit Gewalt den Besitzern abgenommen. Seinem Keller fehlte es nie an Wein und Met, seinem Nachtisch nie an Honigkuchen und anderen Leckerbissen. Deshalb war man auch seines Lobes voll im königlichen Hauptquartier, und täglich kamen und gingen Boten mit geheimen Briefschaften. Man sagte, der Bischof habe aus Haß gegen den Orden dem Könige sogar verraten, wo in den Kirchen die kostbarsten Bildwerke und Geräte zu finden seien, damit er seine Beute vergrößere.

Der Bischof von Kujawien war ein kleiner, hagerer Mann, sehr beweglich und redegewandt. Seine hohe Stirn schien wie mit gelblichem Pergament straff überspannt, die Augenbrauen liefen über der schmalen Nase in feine Spitzen aus, die listigen Augen lächelten unablässig halb geschlossen. Er ließ Letzkau sogleich in sein Kabinett eintreten, ging ihm bis zur Tür entgegen und bot ihm den Ehrensitz in einem hochlehnigen, mit Kissen bedeckten Sessel. Ihr habt lange auf Euch warten lassen, sagte er; der König ist schon ungeduldig. Aber ich kenne die Danziger: sie übereilen sich im Handel nicht und bringen ihre Ware erst zu Markt, wenn sie viel begehrt ist. Nun – Ihr kommt gerade zur rechten Zeit.

Letzkau gefiel dieser leichtfertige Ton wenig, aber er überwand seinen Widerwillen gegen den ränkesüchtigen Priester und antwortete, auf seinen Scherz eingehend: Wir gedenken auch jetzt nicht, um jeden Preis loszuschlagen, was sich halten läßt. Die Stadt Danzig hat feste Mauern und ist nach der See offen. Der Orden hat ein starkes Haus, und wenn wir es ihm bewahren helfen, dürfen wir wohl auf seinen Dank rechnen.

Der Bischof lachte. Ich meinte, ihr Danziger habt schon erfahren, wie der Orden treue Dienste lohnt. Ihr wißt so gut wie ich, daß Dank nur beim Könige zu erwarten ist.

Vielleicht – wenn er die Macht hat, sich dankbar zu beweisen, antwortete Letzkau, es wird dann sein eigener Vorteil sein.

Zweifelt Ihr noch? Das ganze Land hat ihm bereits gehuldigt.

Die Marienburg widersteht.

Pah! Wie lange? Wir sind genau von dem unterrichtet, was innen vorgeht, ich habe einen geschickten Kundschafter dort. Er hat sich auf mein Geheiß einschließen lassen und bindet nun von Zeit zu Zeit einen Zettel an den Pfeil, den er von der Mauer zu uns hinüberfliegen läßt. Plauen hat wenig über viertausend Mann in seinem Dienst in den weitläufigen Werken. Unter den Söldnern ist viel träges und nichtsnutziges Gesindel. Auch hat er die ganze Vorburg mit Weibervolk und Kindern überladen, die nur überall im Wege sind und den Vorrat an Lebensmitteln schnell aufzehren helfen. Auf Entsatz darf er nicht hoffen. Was bleibt ihm übrig, als sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben?

Und wenn der König mit dem Orden Frieden schließt?

Er nimmt nur völlige Unterwerfung an, das ist sein Schwur.

Solche Schwüre bricht die Not.

So sorgt dafür, daß ihn die Not nicht zwinge, sie zu brechen. Auf euch, die Bürger dieses Landes, wird er sich am liebsten stützen; beweist ihm, daß er euch ohne Rückhalt vertrauen kann.

Freilich würde unsere Stärke seine Stärke sein. Zu unserer und seiner Sicherheit müßten wir große Forderungen stellen und Pfänder in Händen haben.

Fordert! Ich will's an ihn bringen und für euch vermitteln. Mir selbst ist daran gelegen, daß der König nicht übermütig wird.

Letzkau überlegte eine Weile. Ich will erst mit eigenen Augen sehen, sagte er dann. Im Lager wollen wir weiter über die Sache verhandeln. Die großen Städte stehen zusammen.

Der Bischof preßte die Lippen aufeinander und maß ihn mit einem listigen Blick von der Seite her. Dann schob er sich im Sessel vor, so daß er ihm ganz nahe kam, und sprach zischelnd: Herr Bürgermeister, verständigen wir uns bei guter Zeit. Ich weiß, daß der König Euch hochschätzt und daß ich ihm einen Dienst erweise, wenn ich ihm einen solchen Mann gewinne. Darum bemühe ich mich gern für Euch. Sagt ohne Umschweife: Was begehrt Ihr für Euch selbst?

Letzkau stand rasch auf. Nichts, rief er unwillig, bei Gott dem Allwissenden, nichts! Ich stehe hier und vor dem Könige nur für die Stadt Danzig. Ihr beleidigt mich durch solchen Verdacht.

Der Priester lächelte und zog ein wenig die Achsel auf. Gut – gut, sagte er, ich lobe solche Gewissenhaftigkeit und achte Euch deshalb um so höher. Es sollte mir leid tun, wenn Ihr versäumtet, Euch beim König eine Gnade auszubitten, was durchaus mit der strengsten Pflicht bestehen kann. Weiter wollte ich nichts sagen. Gehen wir zu Tisch! Ich begleite Euch dann selbst ins Lager. Überzeugt Euch dort, daß ich in allem recht habe und zum Besten rate.

Bei der Tafel ging's hoch her. Die polnischen Hauptleute betranken sich und würfelten dann um Beutestücke. Sie erzählten weinselig, daß der König jedem polnischen Edelmann ein Landgut in Preußen zugesichert habe. Dann kam es zum Streit zwischen ihnen und zwei litauischen Starosten, die prahlerisch behaupteten, daß der Großfürst Witowd der eigentliche Kriegsherr sei, der König ihn aber aus Neid zurücksetze. Die Säbel wurden gezogen, es floß Blut; nur mit Mühe konnte der Wirt seine Gäste beschwichtigen. Dann tranken sie wieder um so unmäßiger auf die Versöhnung, bis sie friedlich nebeneinander am Boden lagen.

Letzkau hatte sich längst zurückgezogen. Neben ihm bei Tisch saß der Bischof Heinrich von Ermland, und gegenüber hatten einige Herren aus Thorn ihren Platz gehabt, die ebenfalls als Sendboten ihrer Stadt kamen. Mit ihnen sprach der Bürgermeister lange in einer Fensternische.

Die Thorner entschuldigten sich, daß sie so rasch vom Orden abgefallen wären; ihre Stadt liege aber auf der Grenze, und der König habe dort schon seit Jahren Freunde geworben. Sie hofften nun, daß Danzig ihnen noch nachträglich günstige Bedingungen verschaffen werde.

Übrigens meinten sie es gar schlau eingerichtet zu haben, wenn sie die preußischen Städte zu einer Tagfahrt nach Marienburg beriefen. So sei es auch in Friedenszeiten stets gehalten worden, und der Orden, wenn er wider Erwarten nochmals zu Kräften kommen sollte, könne es ihnen nicht übel deuten, daß sie bei löblicher Gewohnheit geblieben seien und gemeinsam ihre Gerechtsame wahrgenommen hätten.

Gegen Abend stieg die ganze Gesellschaft zu Pferde und ritt, der kujawische Bischof an der Spitze, ins königliche Lager. Wagen mit Lebensmitteln und Zelten folgten. Zur Nachtzeit langte man an.


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