Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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42. IM SCHIESSGARTEN DER MARIENBURG

So friedlich es in des Gießmeisters Hause aussah, so war dort doch in aller Heimlichkeit eine heftige Feindschaft aufgewachsen. Prinz Switrigal wurde von leidenschaftlicher Eifersucht verzehrt. Waltrudis behandelte ihn freundlich, hielt ihn aber stets in gemessener Ferne; Hans von der Buche war offenbar der Begünstigte, wenn sich's auch nur durch Blicke und sehr unschuldige Worte verriet. Seinem lauernden Argwohn entging ihre Bedeutung nicht.

Wenn er sich in seinem blanken Schilde betrachtete, erschrak er über seine eigene Häßlichkeit. Denn im Gedanken sah er neben seinem Gesicht das des Nebenbuhlers, der Waltrudis gefiel. Er strich die Haare aus der Stirn, brachte sie unter die Schere, war täglich in der Stadt beim Bader und ließ sich bürsten und salben. Er kaufte einen andern Hut und steckte eine Feder darauf, ließ sich ein Wams von Tuch mit allerhand Schlitzen und Borten anfertigen und trug sich mit feinerem Anstand. Bei Waltrudis freilich hatte er deshalb nicht besseren Erfolg.

Mit Neid erfüllte es ihn, daß Hans zum Ritter geschlagen war und seitdem offenkundig in des Herrn Hochmeisters Gunst sehr hoch stand. Es zürnte ihn, wenn man jenem infolgedessen Ehren erwies, auf die er selbst trotz seiner fürstlichen Geburt nicht Anspruch erheben durfte. Wenn Ambrosius oder seine Frau oder der alte Wigand ein lobendes Wort über ihn sagten, war es ihm recht ein Stich ins Herz. Und obgleich der junge Ritter ihm alle Höflichkeit erwies und sogar ein freundschaftlicheres Verhältnis anzubahnen versuchte, war er tief innerlich überzeugt, daß kein Mensch auf der Welt ihm mehr im Wege stehe als dieser.

Eines Tages, bald nach Plauens Rückkehr von Graudenz, befand Switrigal sich nach der Mittagstafel in dessen Gemach und durfte mit ihm Schach spielen. Er war sehr merklich zerstreut, machte lauter unbedachte Züge und verlor rasch eine wichtige Figur nach der andern. Deine Gedanken sind nicht beim Spiel, mein Sohn, sagte der Hochmeister mit leisem Vorwurf. Es kann mir wenig daran gelegen sein, so die Partie zu gewinnen, und du wirst nicht einmal dabei lernen, wenn du sie verlierst. Ich bemerkte schon bei Tisch, daß du kaum auf das hörtest, was vorgelesen und gesprochen wurde, auch den Speisen mit geringem Eifer zusprachst, und so habe ich dich auch in den vorigen Tagen grüblerisch und den gegenwärtigen Dingen abgewandt gefunden. Selbst als wir gestern die jungen Hengste musterten, die in des Ordens Stutereien für unseren Marstall in der Marienburg ausgewählt waren, schienst du keine rechte Freude daran zu haben, und doch weiß ich, daß du sonst keine größere Lust kanntest, als ein mutiges Roß zu tummeln und deine Reiterkünste zu zeigen. Was soll ich davon denken und was deiner gütigen Mutter, Frau Alexandra, schreiben, die dich an unserm Hof im besten Wohlsein glaubt? Bist du krank, oder was hat dir die gute Laune verdorben, daß du immer mürrisch vor dich hinsiehst und mit Worten kargst, wenn man dich freundlich anredet?

Da sank der junge Prinz vor ihm auf die Knie nieder, küßte seine Hand und sprach: Gnädigster Herr, wollet mich so sehr nicht verkennen. Ich bin Euch dankbar für die Erziehung, die Ihr mir an Eurem Hofe gabt und deren ich – täglich erkenne ich's mehr – nur allzusehr bedürftig bin. Denn wenig erfahren bin ich noch in ritterlichen Werken, und schwer wollen die Wissenschaften mir in den ungelehrigen Kopf. So erfüllt es mich mit Traurigkeit, daß es anderen leicht gelingt, sich Achtung und Neigung zu gewinnen, indes man mich meidet oder nur meines fürstlichen Ranges wegen nicht zurückweist.

Plauen streichelte ihm das Haar und antwortete lächelnd: Wer sich seiner Mängel bewußt wird, ist schon auf dem Wege zu seinem Heil. Verschiedenartig sind die Gaben der Menschen. Dem einen gelingt's leicht, durch gefälliges Wesen überall Freunde zu gewinnen, aber die Freundschaft ist ein loses Band, das sich lockert, wenn man es anziehen möchte; der andere ist von schwerer Art und will nach seinem echten Wert gewogen sein – wer ihn hat, der darf sich auf ihn verlassen in jeder Not. Suche immer denen zu gefallen, die in deiner Meinung hochstehen, und buhle nicht um die Gunst derer, die aus kleinen Künsten augenblicklichen Vorteil ziehen. Zu Großem bist du bestimmt, zu Großem bereite dich vor. Vielleicht ist es einmal in deine Hand gegeben, zwischen zwei mächtigen Reichen die Waage zu halten und diesem Ordenslande den Frieden zu bewahren, damit es wieder deinen Arm stützen kann. So sei es dir genug, mein Sohn, daß du mich zum Freunde gewinnst.

Gebt mir ein Zeichen Eures gütigen Wohlwollens, gnädigster Herr, rief der Jüngling und küßte wiederholt seine Hand, damit ich mich Eurer dauernden Freundschaft versichere und Ihr Euch der meinigen! Ich will Euch mein tiefinnerstes Geheimnis anvertrauen; verlacht mich deshalb nicht. Ich liebe Waltrudis, Eure Anverwandte, und erbiete mich, meine Wahl gegen jedermann zu vertreten, auch gegen meinen Vater. Wird Waltrudis mein Weib, so bin ich Euch verbunden mit unzerreißlichen Ketten. Das Land, in dem sie als Fürstin herrscht, wird stets dem Orden treu ergeben sein, dessen Oberhaupt Ihr seid, und auch ich werde ein teures Pfand in Händen haben, daß ich Eures Schutzes gegen die übermächtigen und böswilligen Nachbarn versichert bleibe. Darum gestattet, gnädigster Herr, daß ich um Waltrudis werbe.

Die Rede war ganz nach des Meisters Sinn. Aber bedächtig entgegnete er: Bedenke deine große Jugend, mein Sohn, und daß du noch nicht mündig bist, dich zu binden. Deine Klugheit freilich muß ich loben, die weit vorausschaut, was beiden Teilen nützlich sein möchte und ihr Bündnis stärken könnte. So will ich gern glauben, daß ich nicht einen verliebten Knaben sprechen höre, sondern einen Jüngling, dem's Ernst ist um seine Neigung und Ernst um sein Versprechen. So mag er sich beweisen, und der Lohn, hoffe ich, soll ihm nicht fehlen, wenn er fest und treu bleibt. Ich will dir nicht entgegen sein; sieh zu, wie du des Mädchens Vertrauen gewinnst und dir ihr Herz geneigt machst – dazu kann ich dir nicht helfen.

Er richtete ihn sanft auf und strich mit der Hand seine Wange. Die Schachfiguren warf er in den Kasten.

Nun war Switrigal noch häufiger Gast in des Gießmeisters Hause. Ambrosius wagte ihn nicht zu beschränken, da er wohl sah, daß sein gnädigster Herr selbst ihn trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit in großen Ehren hielt und bei jeder Gelegenheit auszeichnete. Waltrudis hatte freilich ihr Köpfchen für sich und ließ sich nicht oft blicken, wenn er allein kam. Traf er aber mit Hans von der Buche zusammen, so fehlte sie im häuslichen Kreise nie. Das entging dem Prinzen nicht, und sein Haß gegen den Menschen, der ihm im Wege war, fand immer neue Nahrung.

Aber er hütete sich wohl, ihm offene Feindschaft zu zeigen; dadurch hätte er bei Waltrudis nichts gewinnen können. Lieber sann er darauf, sich seiner durch List zu entledigen, und heuchelte, um ihn vertrausam zu stimmen, nun plötzlich große Ergebenheit. Ihr seid jung zu ritterlichen Würden gelangt, sagte er ihm. Wollet mein Lehrmeister sein, damit ich in Eurem steten Umgang lerne, was die Unterweisung der Ordensherren mir doch nur mühsam beibringt. Aus Euren beiläufigen Reden entnehme ich, daß Ihr Euch bereits in der Welt umgeschaut habt; laßt mich gelegentlich erfahren, welche Weisheit Ihr heimbrachtet.

Hans war ihm in seiner Gutmütigkeit gern zu Diensten. So wenig ihm sein finsteres, lauerndes Wesen behagte, so bezwang er sich doch und begleitete ihn auf seinen Ausritten oder Bootfahrten. Auch Fechtübungen machten sie im Parchan der Burg gemeinsam und stachen nach einem Mohrenkopf, an dem auch die jüngeren Ordensritter ihre Geschicklichkeit zu erproben pflegten.

Eines Tages forderte Switrigal seinen Kumpan auf, ihn nach dem Schießgarten der Marienburger Bürger zu begleiten. Er habe gute Lust, sich bei dem Schützenfeste, das in nächster Zeit stattfinden sollte, zu beteiligen, müsse aber vorher an Ort und Stelle prüfen, wie weit er sich auf seine Armbrust verlassen könne. Sei auch der Vogel noch nicht aufgesteckt, so stehe doch die Stange schon und bezeichne die Bretterlage den Stand für die Schützen. Treffe er die Stange, so werde er auch des Vogels Kopf nicht fehlen.

Hans ging arglos mit ihm. Der Schießgarten lag vor dem Tore der Stadt seitwärts von der Landstraße. Man hatte ihn dicht bei einem Gebüsch angelegt, das den Zuschauern Schatten gewähren konnte. Der Platz war zu dieser Zeit ganz menschenleer, und auch auf dem Wege zeigte sich nur spärlicher Verkehr. Sie schossen eine Weile um die Wette mit wechselndem Glück. Meist strichen die Bolzen an der Stange vorbei und fielen über die Hecke auf die Wiese. Als sie sich ausgegeben hatten, entschlossen sie sich, die verschossenen Bolzen wieder aufzusuchen, sie konnten im Grase nicht schwer zu finden sein.

Außerhalb der Hecke waren sie den Leuten, die etwa auf der Landstraße gingen, nicht sichtbar, zumal die Wiese sich ein wenig absenkte. Als sie nun in kurzer Entfernung voneinander mit gebücktem Rücken hin und her schritten, die Grasbüschel beiseitestreichend, um die Bolzen darunter zu ermitteln, sprang plötzlich Switrigal auf seinen Gefährten zu, warf sich auf ihn, faßte seinen Hals und suchte ihn zur Erde niederzuwerfen. Hans glaubte anfangs nur an einen ungehörigen Scherz und suchte mit leichter Gewalt den Angreifer abzuschütteln. Die Heftigkeit des Druckes mußte ihn wohl überzeugen, daß er irrte. Ihn mit der Schulter abstoßend, gewann er so viel Freiheit, umzublicken. Zu seinem Schrecken sah er in des Fürsten Hand einen nackten Dolch, den er vorher in seinem Wams versteckt getragen haben mußte. Mordbube, rief er, was machst du da? Switrigal zeigte ihm wie ein wildes Tier die Zähne und schien ihn mit seinen wütenden Augen durchbohren zu wollen. Du mußt sterben! keuchte er. Vergebens wehrst du dich – du bist mir im Wege und mußt sterben!

Daran glaubte Hans von der Buche nicht so bald. Nun er wußte, was sein Gegner im Sinne hatte, griff er hinter sich und faßte die Hand, die den Dolch schwang. Zugleich stützte er sich aufs Knie und gab seinem Oberkörper eine Wendung, die den Angreifer zwang, herumzutreten, wenn auch nicht, seinen Hals loszulassen. Sie rangen nun eine Weile Schulter an Schulter. Switrigal war im Vorteil, da er stand und von oben her mit der ganzen Wucht seines Leibes drückte. Doch konnte er die Hände nicht loswinden und mußte darauf achtgeben, daß der eigene Dolch ihn nicht verletzte. Endlich brachte Hans ihn zum Ausgleiten; er sank neben ihm in die Knie und mußte des Gegners Kehle freilassen. Dafür faßte ihn dieser nun und suchte ihn ins Gras zu strecken. Brust an Brust drehten sie sich im engsten Kreise miteinander, beide keuchend vor Anstrengung. Aber Switrigal war der Stärkere. Es gelang ihm, den Verhaßten zu werfen und niederzuhalten. Wieder faßte er seine Kehle und preßte sie, daß Hans blaurot im Gesicht wurde. Er fühlte seine Kraft schwinden. In wenigen Sekunden mußte er auch die Hand loslassen, die den Dolch hielt – dann war es unfehlbar um ihn geschehen.

Da kam unverhofft ein Retter in der Not. Eine sehnige Faust legte sich auf Switrigals Schulter und warf ihn mit einem kräftigen Ruck zur Seite. Der Dolch wurde ihm aus der Hand gewunden und fiel ins Gras. Heißt das ehrlich fechten? rief eine rauhe Stimme. Der Teufel hole dich, du hinterlistiger Mordgeselle! Meinst, ihm die Gurgel abzustechen und dann seine Taschen auszuleeren? Warte, ich will dir den Lohn geben! Er riß seine Armbrust von der Schulter und schlug mit dem Kolben auf ihn los.

Hans hatte aufgeschaut und den Waldmeister erkannt. Schwer atmend richtete er sich in die Höhe und nickte ihm dankbar zu. Schont ihn – bat er, nur mühsam die Worte vorstoßend, er ist – des Herzogs von Masowien Sohn – Prinz Switrigal.

Der Waldmeister ließ nicht so bald ab. Und wenn er der Herzog von Masowien selber wäre, entgegnete er, könnt' ich ihm die blauen Flecke nicht sparen. Laßt sehen, ob sein Schädel härter ist als mein Armbrustkolben.

Hans hielt seinen Arm zurück. Es ist genug, Alter, er hat seinen Teil.

Switrigal entwand sich ihm und sprang fort. In einiger Entfernung hob er drohend die Hand und rief zurück: Ein andermal! Sieh dich vor! Dann setzte er über die Hecke und verschwand in den Büschen hinter dem Schießgarten.

Seid Ihr's denn wirklich, Junker? sagte Gundrat, als sie allein waren. Wie Ihr da unten lagt, erkannte ich Euch nicht recht. So hat mich also doch der Teufel zu rechter Zeit hergeführt, wie ich mich auch sonst verspätet habe. Man behauptet, daß alles sein Gutes hat. Manchmal ist's verdammt knapp zugemessen. Aber heute will ich dran glauben.

Hans ließ sich, noch ganz erschöpft von dem wütenden Ringen, unter der Hecke nieder. Ich danke Gott, antwortete er, daß er Euch zu meiner Rettung gesandt hat. Wahrhaftig, ohne Euch war ich verloren, und man hätte nicht einmal den Namen des Schandbuben erfahren, der mir das Lebenslicht auslöschte.

Hattet Ihr Streit mit ihm? fragte der Waldmeister.

Durchaus nicht. In aller Freundschaft hat er mich hierher gelockt und heimtückisch überfallen. Oh, ich kenne ihn jetzt! Er schleicht um ein junges Fräulein, das mir wohlgeneigt ist, und hat mich auf solche Art unschädlich machen wollen. Steht's so, dann ist's Zeit, ihm zu zeigen, daß er sich vergeblich bemüht.

Die Weiber, die Weiber, knurrte der Alte, immer die Weiber. Bleibt ledig, Junker, ich rat's Euch. Es ist kein Verlaß auf die Weiber. Seid Ihr nicht betrogen, so werdet Ihr betrogen.

Hans lächelte. Diesmal nicht. Aber sagt, Waldmeister, wie kommt Ihr hierher? Vor Wochen traf ich Euch auf der Landstraße und erhielt von Euch nur halbe Auskunft. Ich fürchtete damals, Ihr hättet böse Anschläge. Natalia hatte mir davon gesagt. Täglich habe ich mich nach Euch umgeschaut. Da Ihr nicht kamt, meinte ich, Ihr wäret umgekehrt. Und auf der Landstraße könnt Ihr doch auch unmöglich so lange gelegen haben.

Gundrat strich mit den Spitzen der Finger über die buschigen Augenbrauen. Meint Ihr, Junker? Ihr habt recht und auch wieder nicht recht. Anschläge – ja, ja! Ich besinne mich. Geradeswegs wollte ich nach der Marienburg, und länger als drei oder vier Tage hätte ich nicht bis dahin gebraucht. Es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn ich – Ah, der Bube bildete sich ein, daß ich seinetwegen die Armbrust mitnahm! Ist's wahr, daß sie den Komtur aufgehoben und auf das Haus zu Tapiau gebracht haben in Ketten? Ich hörte davon in den Schenken erzählen. Auch daß in Graudenz auf dem Markt ein Blutgericht gehalten worden über einen von den Kulmer Herren. Was geht's mich an. Ich habe meine eigene Sache mit dem Plauen und will sie von keinem Schuft verunzieren lassen. Wäre sicher damals auch nicht hierher gegangen, sondern nach Danzig, wenn sich's nicht unvermutet ganz anders gefügt hätte.

Wie hat sich's gefügt, Gundrat?

Das will ich Euch sagen, Junker, denn es ist kein Geheimnis. Unterwegs in Gardensee traf ich Leute, die mit den Rittern in der Burg Ragnit gewesen waren und dort Dienste getan hatten gegen die wilden Szamaiten. Die Zeit, auf die sie sich dem Orden verdungen hatten, war um, und da sie mit Mühe und Not ihren Sold erhalten hatten, kehrten sie nun nach ihrer Heimat Schlesien zurück. Die wußten viel zu erzählen von den dortigen Wäldern, und wenn man sie reden hörte, gab's im ganzen Reiche nichts, was sich mit der litauischen Wildnis vergleichen könnte. Da kam mir's in Erinnerung, daß auch früher schon einmal einer von des Ordens Waldhütern, der nach Rheden geschickt war, sich von mir am Melno-See herumführen ließ, und als ich ihn in den dichtesten Teil führte – wo der Sumpf anhebt und die Wildschweinbuchten zu finden sind –, nur so mit den Fingern in die Luft schwippte und geringschätzig sagte: Seht erst die Wildnis! Dies hier ist ein kräftiger Strich alten Waldes und ganz löblich in seiner Art; aber man findet sich rechts und links bald wieder hinaus. Weiter östlich nach der polnischen und masowischen Grenze zu – da um Ortelsburg, Neidenburg und Johannisburg –, da gibt's freilich Wälder, in denen man tagelang unterwegs sein kann, aber auf dem Sandboden gedeihen nur Fichten, und so ist's endlos immer dasselbe, was das Auge sieht. Nördlich aber hinter Barten, Gerdauen, Allenburg, Tapiau, den Pregelfluß hinauf bis zum Memelstrom und darüber hinaus, da ist die litauische Wildnis ohne Weg und Steg, und wo die Ritter bei ihren Kriegsreisen einmal eine Straße durchgehauen haben, ist wieder längst alles verwachsen. Da steht Laubholz aller Art so dicht, daß die wilden Tiere oft Mühe haben, durchzubrechen, überall ziehen sich kleine Flüsse und Bäche hindurch ohne rechten Abfluß, so daß weite Sümpfe entstehen, die auch im heißesten Sommer die Sonne nicht austrocknet, weil das Laub zu dicht ist. Da gibt's nicht Weg noch Steg, und meilenweit findet ihr keine menschliche Wohnung. Da sind nicht Städte gebaut und ummauert, da grüßt euch kein Kirchturm über die Strohdächer von Bauernhäusern hinweg, da pflügt kein Köllmer das Feld – nur Wald und Sumpf, Wald und Sumpf. Aber das Getier! Von Hirschen und Schweinen rede ich gar nicht. Den Auerochsen müßt ihr sehen und das Elch, den Biber und den Luchs. Im Winter hält der Wolf dort seine Jagd und trabt in Rudeln bis in die Dorfmarken am Saume der Wildnis hinein. Da ist nächtlich ein großes Geheule, und wenn's zu arg wird, ziehen ganze Bauernschaften gegen sie aus mit langen Knütteln und Dreschflegeln, die Bestien zu verscheuchen. Seht, Junker, das alles bestätigten die Leute in Gardensee, und mich kam mächtig die Lust an, so einen Wald vor meinem Ende einmal mit Augen zu sehen und gegen ein Elchtier meinen Bolzen zu versuchen. Da bog ich denn rasch entschlossen rechts ab und ging mitten durchs bischöfliche Land, das sie das Ermland nennen, und über die Stadt Heilsberg hinaus nach Barten und Nordenburg. Da hub die Wildnis schon an. Ich wagte mich hinein, wie sie mir auch abredeten, kam aber gar nicht tief, denn es war alles so, wie jene gesagt hatten. Da strich ich nun am Rande entlang nordwärts bis zum Pregelfluß und fand bei Wehlau eine Fähre. Dort hörte aber der Wald nicht auf, sondern sollte erst recht anfangen und bis an das große Wasser reichen, das sie das Kurische Haff nennen. Eine gute Tagereise setzte ich noch meinen Weg fort, fand dann aber Sumpf an Sumpf und mußte umkehren: kein Menschenfuß kam da hindurch, und ein Elch, das ich aufgejagt hatte, sah ich vor meinen Augen versinken. Ich sag' Euch, Junker, dort sieht's noch geradeso aus wie zu der Zeit, als die Welt geschaffen ward. Da möcht' ich Waldmeister sein!

Die grauen Augen blitzten ihm. Hans erinnerte sich nicht, daß er ihn schon jemals auf einen Strich so viel hatte reden hören. Er lachte laut auf. Gebt dem Herrn Hochmeister ein gut Wort, so setzt er Euch dort sicher gern ein. Es wird Euch niemand um solch Amt beneiden.

Meint Ihr? knurrte der Alte. Aber Plauen ein gut Wort – das ist auch dafür zuviel. Nein, nein – es müßte geschehen ohne sein Wissen. Die Kreuzherren in Nordenburg, denk ich, würden mich schon leiden. Wem gehört denn auch die Wildnis?

Und wollt mich verlassen, Waldmeister? Tretet nur erst wieder in Euer altes Jägerhaus am Melno-See, so kommen Euch andere Gedanken.

Der Alte seufzte. Bin freilich alt geworden und treib's nicht mehr lange. Er sah dabei auf den Boden, bemerkte einen von den verschossenen Bolzen, bückte sich und hob ihn auf. Das Bücken schien ihm nicht schwer zu werden. Man darf dergleichen nicht liegenlassen, sagte er, indem er den Bolzen in der Hand wog und dann in seine Gürteltasche gleiten ließ. Wer weiß, wem der einmal den Garaus macht.

Hans von der Buche fühlte sich wieder ganz frisch, stand auf und schritt mit dem Alten der Landstraße zu. Wie kam's, fragte er, daß Ihr Euch hier einfandet?

Hm! das hat seine gute Ursache. Ich war eben auf dem Wege nach der Stadt, hatte von Sonnenaufgang einen tüchtigen Marsch gemacht. Da sah ich hier seitwärts die Stange und dachte gleich: dazu gehört auch ein Vogel. Wollte also erfahren, auf wieviel Schritt Entfernung die Marienburger in ihrem Schießgarten schießen, den schon Herr Winrich von Kniprode ihnen hergerichtet haben soll. So ging ich hierher und konnte Euch beispringen.

Ihr habt also noch keine Herberge in der Stadt, Waldmeister? Kommt mit mir ins Schloß, ich hoffe Euch in der Vorburg unterbringen zu können. Meine Fürbitte gilt jetzt dort etwas.

Der Alte schüttelte den Kopf.

Ihr werdet doch in der Marienburg ein wenig ausruhen wollen.

Ich gehe nicht in das Haus meines Feindes, Junker. Aber ich will an der Brücke warten, bis er herauskommt. Es ist jetzt Sommerzeit – ich schlafe am Ufer unter der Brücke.

Hans antwortete nicht sogleich. Nach einigem Nachdenken sagte er: Hört, Gundrat, es gefällt mir nicht, daß Ihr so sprecht. Was Ihr gegen den Herrn Hochmeister habt, weiß ich nicht, aber Ihr braucht versteckte Worte, hinter denen nichts Gutes lauert. Darum hattet Ihr Euch auch dem Komtur ergeben, der unehrlich gegen seinen Herrn handelte. Ihr sagt, seine Sache war nicht Eure Sache, und so mag's sein. Aber ich bitt' Euch, zu bedenken, daß Plauen, was er Euch auch einmal zuleide getan, nicht wie ein einzelner Mann ist, mit dem eine Feindschaft auszufechten, sondern daß er als Hochmeister über dem Orden und als Fürst über dem Lande steht, vielen verantwortlich. Da sollte billig alles Rachegelüste schweigen.

Der Alte zog die Stirn in Falten. Das versteht Ihr nicht, Junker, entgegnete er dann mürrisch. Ich kannte ihn schon vor der Zeit, als er in den Orden trat. In dem, was geschehen, hat er dadurch nichts ändern können, daß er das Kreuz nahm. Meine Augen sahen es nicht. Aber kümmert Euch darum nicht, Junker, und laßt den Dingen ihren Lauf.

Den Rest des Weges bis zur Stadt verhielt Gundrat sich schweigsam, wie auch Hans das Gespräch wieder aufzunehmen bemüht war. Selbst auf eine Frage nach der Wildnis hatte er nur eine kurze, abweisende Antwort. Am Tor blieb er zurück. Besser, man sieht uns nicht zusammen, meinte er. Habt Ihr mir etwas zu sagen, so trefft Ihr mich an der Brücke.

Hans ging durch die Stadt nach dem Schlosse. Er hatte dabei reichlich Zeit, zu überlegen, was er nun beginnen wollte. Seine Hoffnung, der Meister würde ihn wieder rufen lassen und nach seinen Wünschen ausfragen, war nicht in Erfüllung gegangen. Wie lange sollte er darauf warten? Es schien nicht ratsam, sich bei längerem Bleiben der Gefahr auszusetzen, nochmals mit Switrigals Dolch in nahe Berührung zu kommen. Daß Eifersucht den Buben stachelte, daran konnte kein Zweifel sein. Dann aber war's das beste, ihm zu zeigen, daß er sich ganz vergeblich um Waltrudis bemühte. Ja, es war Zeit, ein offenes Wort zu sprechen und die Sache zur schnellen Entscheidung zu bringen.

Er fand die Gießmeisterin in großer Aufregung. Eben sei Prinz Switrigal dagewesen und hätte sich ganz unsinnig betragen. Die boshaftesten Worte seien ihm vom Munde gegangen, und er hätte gesagt, daß er sich nicht länger wie ein Kind behandeln lassen wolle, und gedroht, die Tür, die Waltrudis verriegelt hielt, mit der Faust einzuschlagen. Auch gegen ihn habe der böse Mensch geflucht, und was er außerdem in seiner heimischen kauderwelschen Sprache gesprochen, das habe sie nicht einmal verstanden, sei aber wahrscheinlich das allerschlimmste gewesen. Das Fräulein sei in großen Schrecken versetzt worden, und es könne ihr noch nachträglich schaden. Zugleich ging sie an die Tür und klopfte leise an. Macht nur auf, Fräulein, sagte sie, es ist der Herr Ritter von der Buche, unser guter Freund. In dessen Schutz seid Ihr vor dem wütenden Menschen sicher.

Der Riegel wurde sofort zurückgezogen, und Waltrudis trat mit recht bleichem und verstörtem Gesicht herein. Wie sie aber des lieben Gastes ansichtig wurde, schien alle Unruhe und Bangigkeit zu weichen, Mund und Augen lächelten holdselig, und die Hand streckte sich ihm entgegen. Er bückte sich rasch und küßte sie. Da war's, als ob ein rotes Mal auf der weißen Haut zurückblieb. Sie sah's und wollte es mit der anderen Hand fortreiben, aber es trat nur noch deutlicher vor. Deshalb zog sie den Arm ein wenig ein, daß die Klappe des Ärmels darüberfiel. Sie wurde ganz verwirrt.

Was hat's denn aber gegeben, Herr Ritter? fragte Frau Ambrosius, um ihr zu Hilfe zu kommen. Aus des Prinzen garstigen Reden mußte man schließen, daß er mit Euch irgendwo ein ernstliches Zusammentreffen gehabt. Er hat Euch doch nichts zuleide getan?

Hans erzählte kurz, was hinter dem Schießgarten geschehen war. Die Frauen bekreuzten sich, und die Gießmeisterin konnte sich gar nicht heftig genug gegen den frechen, störrischen Buben aussprechen, der ein Fürst sein wolle und sich wie ein Straßenräuber betrage. Waltrudis aber zerdrückte mit den langen, seidenen Wimpern eine Träne und sagte: Gott sei's gedankt, daß Ihr gerettet seid.

Das klang ihm, als ob sie ihm sagte: Wie gut bin ich dir im Herzen! Er faßte sich deshalb Mut, trat dicht vor sie hin und sprach: Dankt Ihr so innig Gott, daß ich gerettet bin, so darf ich mich wohl auch selbst dessen freuen. Denn wisset, daß ich lieber tot wäre als von Euch verleugnet. Es läßt sich nun nicht mehr zudecken: es ist eine Todfeindschaft zwischen Switrigal und mir, und die hat nur in Euch ihren Grund, so unschuldig Ihr dazu seid. Eure Schönheit macht ihn so unsinnig und daß er glaubt, ich sei seinem Liebeswerben im Wege. Daß ich ihm aber nicht ebenso gesinnt bin, das will ich mir nicht zum Lobe rechnen. Denn mein Herz ist voll Hoffnung, daß ich Euch lieb und wert bin und keinen König und Kaiser zu fürchten habe. War's Täuschung, so sagt mir's offen, damit ich mich nicht ferner so grausam betrüge. Las ich aber recht in Euren Augen und in Eurem Herzen, Waltrudis, so sagt nur auch das offen und ehrlich. Denn die Zeit ist gekommen, wo es klar werden muß zwischen uns. Meines Bleibens darf hier nicht länger sein. So laßt mich in die Heimat die Gewißheit mitnehmen, daß ich dort bald nicht mehr allein bin und mein Gemüt mit Sorgen quäle. Sagt mir: wollt Ihr mein liebes Weib sein? Darf ich mir Eure Hand vom Herrn Hochmeister erbitten?

Da zuckten ihre Wimpern, und sie wagte doch nicht die Augen aufzuschlagen. Und dann blickte sie seitwärts auf die Gießmeisterin, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte, obschon die Sache sie so weit gar nichts anging. Als die aber freundlich nickte, reichte sie dem Ritter beide Hände hin und flüsterte:

Nehmt mich – ich war Euer von Anbeginn. Er hob ihre Arme hoch, legte sie um seinen Hals und zog das schöne Mädchen an sich – er küßte das goldige Haar, die feuchten Augen und den roten Mund. Dann sank er vor ihr auf die Knie und sah mit feurigen Blicken zu ihr auf. So will ich dir geloben, rief er, du Engelreine, daß ich dir getreulich angehören will bis ans Ende.

Sie hob ihn auf. Ich vertraue Gottes Güte, antwortete sie, daß er Euren Mund Wahrheit sprechen läßt.

Frau Ambrosius war sehr gerührt. Sie meinte, das hätte sie schon lange gewußt, und geradeso hätte es kommen müssen. Ein Fürst sei freilich keine verächtliche Partie, aber nach Masowien wäre sie nicht gegangen, und wenn ein Herzog um sie gefreit hätte. Man merke es wohl an diesem Prinzen, was da für wilde, heidnische Menschen lebten. Dann kam sie auf einen anderen Gedankenweg. Das ist nun in meinem Hause geschehen, plauderte sie, und ich hab's gewissermaßen mit zu verantworten, da ich dabeigestanden und nicht Einhalt getan habe. Was nun Euch betrifft, Herr Ritter, Ihr seid selbständig und möget Euch binden, wie es Euch gefällt. Das Fräulein aber, das unter meiner Obhut steht, hat Verwandte und muß sie befragen – hohe Verwandte, wie Ihr wißt, deren Ja- und Neinwort wuchtig in die Schale fällt. Darum, bis die gesprochen haben, darf ich in meinem Hause heimlichen Verkehr nicht leiden. Auch könnte ein Unglück geschehen, wenn der Prinz Euch träfe, zu unseres Hauses ewigem Schimpf. Deshalb bitte ich Euch, Herr Ritter, daß Ihr geht, und nicht wiederkehrt, bis Ihr des Herrn Hochmeisters gnädigste Einwilligung bringt. Wir sind ehrliche Leute und wollen in Ehren bleiben.

So meint' ich's auch, versicherte er, drückte noch einmal seines lieben Mädchens Hand und entfernte sich rasch.

Als er über die Zugbrücke von der Vorburg nach dem mittleren Hause schritt, trat hinter dem Pfeiler Switrigal vor und näherte sich mit gesenktem Haupte. Hans trat sorglich zur Seite, einen neuen Überfall befürchtend. Der Prinz winkte ihm aber mit der Hand, stehenzubleiben, und sagte: Verzeiht, Ritter, was vorhin geschehen ist. Ich war meines Verstandes nicht mächtig, und es tut mir leid, daß ich Euch in solcher Art feindlich begegnet bin, wie es einem ritterlichen Manne nicht ziemt. Genügt Euch diese Abbitte?

Hans war in so froher Stimmung, daß er ihm auch ohne Abbitte verziehen hätte. Sie genügt mir, antwortete er.

So wollt Ihr nicht Klage über mich führen beim Herrn Hochmeister?

Das wäre auch ohnedies nicht geschehen, Prinz Switrigal.

Ich dank' Euch, Ritter. Zu jeder Genugtuung bin ich bereit.

Ich brauche keine Genugtuung. Meine Ehre ist nicht verletzt, und es ist mir auch keine Schande, daß ich fast unterlag, da ich Euch und Euren Dolch mit der bloßen Hand abzuwehren hatte.

Der Prinz errötete und sah finster zur Erde. Weiß man im Gießhause, was vorgegangen ist?

Ihr habt's dort toll genug getrieben und das meiste selbst verraten.

So versprecht mir, daß Ihr für mich zeugen wollt, wie ich wegen meiner Wildheit Abbitte getan und Euch Genugtuung angeboten habe mit ritterlichen Waffen.

Es soll geschehen, Prinz, wenn es Euch beruhigt. Er grüßte und ging.

Switrigal folgte ihm. Und noch eins: ich rate Euch, laßt das Euren letzten Gang nach dem Gießhause sein. Ich weiß, was Euch dorthin zieht. Aber ich leide nicht, daß ein anderer in mein Gehege kommt; merkt Euch das, Herr Ritter.

Hans lachte leicht auf, nicht um den Prinzen zu verspotten, sondern weil er ihn so arg im Irrtum wußte. In Euer Gehege?

Nennt's, wie Ihr's wollt. Waltrudis gehört mir.

Wir wollen darüber nicht streiten, Prinz.

So sollt Ihr's mir auch nicht bestreiten, Herr Ritter. Denn wisset: tretet Ihr meinem Recht bei dem Fräulein mit einem Wort oder auch nur mit einem unvorsichtigen Blick in den Weg, so beschimpfe ich Euch vor Zeugen, daß Ihr Genugtuung fordern müßt, wenn Euch Eure ritterliche Ehre lieb ist. Ich hab' Euch gewarnt.

Er griff mit der Hand nach dem Geländer der Brücke und umkrampfte es, als wollte er sich selbst zurückhalten. Ein Blick glühenden Hasses folgte dem Feinde, der stolz aufgerichtet dem Torbogen zuschritt, ohne ihn einer weiteren Antwort zu würdigen.


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