Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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47. UM DAS KREUZ

Der Winter war gekommen, spät, aber dann mit kräftigem Einsatz. Dickes Eis lag auf der Nogat. So weit vom hohen Turm der Marienburg das Auge reichte, eine blendende Schneefläche. Auch auf den Spitzdächern der Burg, auf den Zinnenkränzen und auf allen den seinen vorspringenden Verzierungen der Giebel, Fenster und Türen haftete der Schnee, sich mit seinen zierlichen Zeichnungen scharf abhebend gegen die dunkelrote Ziegelwand. Selbst die Jungfrau Maria, die Schutzpatronin der Burg, mußte sich gefallen lassen, daß der in die Nische gewehte Schnee sich auf ihrer goldenen Krone häufte und das Christuskind weiß zudeckte. In der Stadt stieg aus hundert Schornsteinen der Rauch gleich grauen Säulen in die eisige Luft und lagerte sich um den Kirchturm wie eine dichte Nebelwolke, und über die Straßen führten schmale Fußpfade mit Abläufern zu den Haustüren, und man hütete sich wohl, mit den Holzschuhen, in die der Kälte wegen Stroh gestopft war, darüber hinaus in den tiefen Schnee zu treten, den das Völkchen der Krähen aufwühlte, um nach alten Küchenabfällen zu suchen.

Zu solcher Zeit war der Aufenthalt in der Burg recht unerfreulich. In den Ritterzellen gab's keine Öfen, notdürftig waren die Fußböden von Ziegeln mit Schilf- und Strohmatten belegt, die kleinen Fenster gegen das Eindringen der kalten Luft verstopft. Von einer Tür zur andern mußte man oft über die offenen Treppen und die den Hof umlaufenden Galerien. In den gemeinsamen Räumen leisteten die Kamine wenig, obschon die Holzscheite darin unaufhörlich prasselten. Da mußte der Pelz gegen die Kälte schützen, und an diesem Kleidungsstück fehlte es keinem von den Bewohnern des Schlosses, nur daß die vornehmen Herren kostbaren Zobel trugen, ihre Diener sich aber mit dem Vlies der einheimischen Landschafe begnügten, dem jeder Bezug fehlte.

Es war gut, daß Heinz auch das Leben der Ordensritter zur Winterzeit kennenlernte, um sich über dessen Beschwerlichkeit keinen Täuschungen hinzugeben. Er ließ sich aber nicht abschrecken, wiederholt um die Aufnahme in den Orden zu bitten; alle die Mühseligkeiten, die ihn dort erwarteten, schienen leicht zu ertragen gegen die Qual seines Herzens, in dem die Liebe nicht sterben wollte. Er hoffte Erleichterung, wenn die Brücke hinter ihm abgebrochen war und ein neues Leben in strenger Erfüllung seiner Ritterpflichten begann.

Der Hochmeister weigerte sich nicht länger, ihm zu willfahren. Es war da auch ein junger Graf von Katzenellenbogen mit zwei anderen adligen Gefährten ins Land gekommen, um das Kreuz zu nehmen, und für alle wurde derselbe Tag zu Aufnahme bestimmt, an dem ein Kapitel der Marienburger Konventsbrüder stattfand.

Während die Ritter sich im Remter versammelten, befanden die Novizen sich in einem anstoßenden Gemache und wurden nochmals belehrt, was sie bei ihrem Eintritt ins Kapitel zu tun hätten. Dann wurden sie in den Remter entboten.

Heinrich von Plauen selbst war anwesend und saß auf seinem Lehnstuhl unter dem Baldachin. Zur Aufnahme der jungen Ritter aber hatte er sich den Großkomtur zu seinem Stellvertreter bestimmt. An ihn wies er daher auch die Novizen, als sie sich nach der Vorschrift vor ihm auf die Knie niederwarfen und die Bitte aussprachen, sie durch Gott in den Bund des Ordens aufzunehmen.

Der Großkomtur antwortete für ihn: Die Brüder haben eure Bitte erhört, sofern ihr nicht der Dinge eins an euch habt, über die wir euch jetzt fragen müssen: zum ersten, ob ihr euch nicht schon einem Orden verlobt habt?

Darauf antworteten sie mit lauter Stimme: Nein.

Zum andern, ob ihr an kein Weib gebunden seid durch Gelübde, oder irgendeines Herrn Knecht?

Die anderen besannen sich auch diesmal nicht lange und verneinten die Frage. Heinz aber senkte tief den Kopf, daß man nicht merke, wie er erbleichte. Irgendeines Herrn Knecht bin ich nicht, sagte er dann, und das Weib, an das ich durch Gelübde gebunden war, ist – tot.

Der Tod löst auch ein Eheband, entgegnete der Großkomtur und fuhr fort: Zum dritten, ob ihr keine Schuld mehr schuldig oder irgend Rechnung abzutun verpflichtet seid, woraus dem Orden Bekümmerung entstehen möchte?

Nein, sprachen sie gesamt.

Zum vierten, ob ihr keine heimliche Krankheit an euch habt. Würdet ihr irgend dieser Dinge eins an euch haben und ihr saget es uns nicht, so könntet ihr, sobald wir es nachmals erfahren, nicht mehr unser Bruder sein und habt den Orden verloren.

Sie versicherten feierlich, daß sie sich in keinem der gefragten Dinge schuldig wüßten.

Darauf begann der Großkomtur wieder, indem er sich zu einem der Priesterbrüder wandte, welcher ein Buch in der Hand hielt: Leset uns also, lieber Bruder, womit unseres Ordens Statuten beginnen.

Der Priesterbruder las mit erhobener Stimme: Drei Dinge sind die Grundfesten eines jeglichen geistlichen Lebens.

Das eine, das ist Keuschheit ewiglich.

Das andere ist Verzicht eigenen Willens, das ist Gehorsam bis in den Tod.

Das dritte ist Verheißung der Armut, daß der ohne Eigentum lebe, der da empfähet diesen Orden.

Die drei Dinge bilden und stellen den in den Orden geweihten Menschen nach unserm Herrn Jesu Christo, der da keusch war und blieb am Gemüte und am Leibe, der da große Armut an seiner Geburt anhob, da man ihn bewand mit elenden Tüchlein. Die Armut folgete ihm auch all sein Leben lang, bis daß er auch nackt hing durch uns an dem Kreuze. Er hat uns auch ein Vorbild des Gehorsams gegeben, dieweil er einem Vater gehorsam war bis in den Tod, und er hat auch sonst den heiligen Gehorsam in sich selbst geheiliget, da er sprach: Ich bin nicht gekommen zu tun meinen Willen, sondern meines Vaters Willen, der mich gesandt hat.

Der Priesterbruder schlug das Buch zu, und der Großkomtur sprach: Zu diesen drei Dingen sollt ihr euch durch Eid bekennen, sobald wir euch nun zur Aufnahme in unsere Kapelle führen werden. Ihr sollt verheißen und geloben Keuschheit eures Lebens, ohne Eigentum zu sein und Gehorsam Gott, Sankt Marien und dem Meister des Ordens des Deutschen Hauses bis an euren Tod. Bedenket dies wohl, noch ist es Zeit. Hier aber lege ich euch die Gelübde vor, durch die ihr an den Orden gebunden sein sollt: zuerst daß ihr gelobet, die Kranken zu pflegen und das Heilige Land zu beschirmen und andere Länder, die dazu gehören, vor den Feinden also oft, als man es euch heißet. Zum andern, daß ihr dem Meister saget, ob ihr irgendeinem Amte vorstehen könnt und solches dann nach seinem Willen und euren Kräften verwaltet. Zum dritten, daß ihr gelobet, das Kapitel und des Meisters heimlichen Rat nie zu offenbaren; zum vierten, daß ihr nie ohne Erlaub aus diesem Orden in eine andere Lebensordnung übertreten und stets des Ordens Regeln und Gewohnheiten üben und halten wollet.

Sie verbeugten sich, kreuzten die Hände über der Brust und sagten: Wir geloben das alles treulich zu halten.

Und wisset nun, fuhr der Großkomtur fort, daß euch, nachdem ihr diese Gelübde gesprochen habt, nach des Ordens Regeln vergönnt ist, um eine Prüfungszeit zu bitten, damit ihr des Gesetzes Strenge und der Brüder Sitte genau kennenlernet.

Sie antworteten, daß sie auf solche Bitte gern verzichten wollten, da sie sich schon ernstlich geprüft hätten, auch der Ritter Lebensart kennten. Der Herr Hochmeister aber winkte mit der Hand und sagte: Es bedarf bei diesen einer weiteren Probation nicht, und wir erlassen sie ihnen, da wir ihren ernstlichen Willen erkannt haben. Führet sie also in die Kirche, nehmet ihnen den Eid ab, umgürtet sie mit dem Schwerte und reicht ihnen das geweihte Ordenskleid, auf daß wir sie noch heute unsere Brüder nennen, wie sie es begehren.

Der Großkomtur wollte gehorchen; da stand aber der Ordensmarschall, Herr Michael Küchmeister von Sternberg, von seinem Sitze auf, wechselte mit ihm einen Blick des Verständnisses und sagte: Gestattet noch eine Frage! Ich war in des Ordens Angelegenheiten viel auf Reisen und weiß daher nicht, was etwa in vorigen Kapiteln dieserhalb verhandelt worden. Sind diese da von den Brüdern geprüft, ob sie sämtlich edler und ehelicher Geburt, rittermäßig und zu den Wappen geboren sind?

Es ist kein Zweifel darüber gewesen, erwiderte Hermann Gans. Mögen sie's aber noch einmal sagen und versichern.

Der Hochmeister, der schon die Stufe von seinem Thronsessel hinabgetreten war, um sich an die Spitze des Zuges zu stellen, stutzte und sah den Marschall forschend an. Was soll das, Bruder Michael? fragte er.

Es ist meines Amtes, antwortete Küchmeister mit seinem Lächeln, darüber zu wachen, daß die Brüderschaft rein erhalten bleibe und niemand Aufnahme finde, an dem etwa ein Makel der Geburt hafte. So verlangt es das Ordensstatut, und ich erinnere Ew. Gnaden, daß Ihr selbst noch kürzlich ins Reich an den Herrn Deutschmeister geschrieben und ihm und seinen Mitgebietigern geboten habt, sie sollten trotz des Ordens Bedrängnis mit aller Strenge darauf sehen, daß man keinen in den Orden einkleide, der nicht von edler Abstammung und sonst untadelig und des Ritternamens würdig. So geziemt uns im Haupthause Marienburg wohl die strengste Prüfung, und darum stelle ich meine Frage nach Pflicht und Gewissen.

Da biß der Hochmeister die Lippe, seine grauen Augen blitzten unwillig, und auf der bleichen Stirn schwollen die Adern. Er merkte wohl, daß der Marschall ihm einen Tort antun wollte vor dem ganzen Kapitel, und wußte doch nicht, wie er ihm ausweichen könne, so überraschend kam der Schlag. Und woher kommt Euch plötzlich solcher Argwohn? fragte er.

Warum nennt Ihr's Argwohn, hochwürdigster Herr Hochmeister? entgegnete der Marschall. Sie mögen sich ausweisen, und ich zweifle nicht, daß sie's leicht vermögen.

Da richtete sich der junge Graf von Katzenellenbogen stolz auf und sagte: Ich habe Verwandte in eurem Orden, die werden mir's bezeugen, daß ich zu dem Wappen geboren bin.

Wir bezeugen es, riefen zwei von den Brüdern.

Seine beiden Gefährten konnten sich auf die Briefe berufen, die sie aus der Heimat mitbekommen hatten. Heinz von Waldstein aber stand verlegen und wußte nicht, wie er für sich sprechen sollte. Das Blut war ihm ins Gesicht geschossen.

Und Ihr? fragte der Großkomtur.

Es sind bald drei Jahre, antwortete Heinz, daß ich ins Land gekommen bin, von dem edlen Vogt zu Plauen geschickt. Ich habe mitgefochten in der Tannenberger Schlacht und bin zum Tode verwundet worden. Aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, habe ich eurem Orden gedient und den Marschall nach Ofen begleitet, der viele Monate auf mein Leben und Treiben genau achthaben konnte. Ich hoffe, er wird mir das Zeugnis nicht versagen, daß ich mich stets ritterlich geführt habe.

Solches Zeugnis geb' ich Euch gern, sagte Küchmeister. Aber es beweist in diesem Falle nichts. Ihr nennt Euch von Waldstein. Es gibt Geschlechter dieses Namens im Reiche, aber zu welchem davon Ihr Euch zählt, wüßte ich gern.

Heinz senkte wieder den Kopf. Ich bin eine Waise.

Wie hieß Euer Vater – wer war Eure Mutter?

Ich weiß es nicht …

Ihr wißt es nicht? Und wer weiß es, daß er für Euch sprechen kann?

Da blickte Heinz zu Plauen auf und sagte leise: Der durchlauchtigste Herr Hochmeister weiß es. Beliebe es Ew. Gnaden für mich zu bürgen.

Alles sah auf den Hochmeister. Der hatte die Hand fest um des Schwertes Griff gelegt und mit der andern den weißen Mantel vor der Brust zusammengefaßt. Laßt euch mein Wort genügen, daß er ein Würdiger ist, rief er; ich habe ein Geheimnis zu hüten, das seine Geburt betrifft und das ihm selbst unbekannt ist. Ich nenne diesen Heinrich von Waldstein meinen Verwandten vor dem ganzen Kapitel. Was wollt ihr mehr?

Da entstand unter den Rittern eine Bewegung zu seinen Gunsten; es wurden Stimmen laut, daß man mit dieser Erklärung zufrieden sein könne. Michael Küchmeister aber beruhigte sich dabei nicht. Des Herrn Hochmeisters Bürgschaft, sagte er, nehme auch ich für voll an. Aber ich weiß doch nicht, wofür Seine Gnaden sich verbürgt. Es ist mir von dem hochwürdigsten Bischof von Leslau zugebracht worden, daß dieser Junker von Waldstein –

Sprich nicht von dem Verräter! rief der Hochmeister hinein. Oder wahrlich, ich müßte dich selbst …

Der Ordensmarschall sah ihm fest ins Gesicht, als wartete er nur darauf, daß die Beleidigung fallen solle. Aber Plauen bezwang sich. Du willst mich zum Zorn reizen, schloß er.

Ew. Gnaden können antworten und Antwort versagen, antwortete Küchmeister geschmeidig, und seine Mundwinkel zuckten höhnisch. Wollt Ihr vor diesem Kapitel versichern, daß der gegenwärtige Heinz von Waldstein, wie er sich nennt, echter Geburt sei, so bedarf es weiteren Ausweises nicht, denn Euer Wort steht uns hoch in Ehren. Weigert Ihr aber solche Versicherung, hochwürdigster Herr …

Er zuckte die Achseln. Plauen aber hob den Arm und drohte mit dem Finger. Michael – Michael! rief er. Das hab' ich um dich nicht verdient, daß du mir solche Kränkung antust. Ich merke wohl, du willst dunkle Wege gehen, um hinterrücks an mich zu kommen. Sieh zu, daß du nicht selbst über einen Stein fällst oder auf dem schlüpfrigen Boden ausgleitest! Für diesen da, meinen lieben Verwandten, verzichte ich auf die Ehre der Brüderschaft, die ihm meinetwegen ungern gegönnt ist. Aber damit ihr's aus meinem Munde erfahret, bevor Bosheit die Wahrheit entstellt und Verleumdung den Unschuldigen trifft, so wisset alle: er ist – mein leiblicher Sohn.

Sprach's und verließ zornig den Remter.

Sein Sohn! schrie Heinz auf und sank in die Knie. Das Gesicht mit den Händen bedeckend, wiederholte er mit gebrochener Stimme: Sein Sohn!

Im Saale herrschte sonst tiefe Stille. Allen, nur nicht den beiden Großgebietigern, war diese Eröffnung überraschend gekommen; sie merkten erst jetzt, um was es sich bei dem ganzen Vorgang handelte, und mochten den Marschall weder loben noch tadeln, auch nicht für den Hochmeister Partei ergreifen, dessen Stolz die meisten gern gedemütigt sahen. Darum schwiegen sie. Michael Küchmeister aber hatte jene offene Erklärung nicht erwartet und fühlte sich im Innersten beschämt. Einen Augenblick überlegte er, ob er sich großmütig beweisen und dem Kapitel vorschlagen solle, Heinrichs von Plauen Sohn des Ordens würdig zu erkennen, wer auch seine Mutter gewesen sei. Aber diese gute Regung schwand bald wieder; die Klugheit gebot, den Sieg auszunützen. Beginnt den Gesang, rief er den Priesterbrüdern zu, und Ihr, Bruder Hermann, führt uns in die Kapelle und tut, was Eures Amtes ist.

Der Zug setzte sich in Bewegung, die drei Novizen folgten. Heinz aber lag auf den Knien und hielt die Augen geschlossen. Ein Tag der Schande war ihm dieser Tag geworden, von dem er sich höchste Ehre erhofft hatte.

Da trat der alte Wigand von Marburg an ihn heran, der im Zuge der letzte geblieben war, berührte seine Schulter und sagte freundlich: Habt guten Mut, und laßt's Euch nicht anfechten. Es tragen viele den weißen Mantel, mit denen Ihr nicht tauschen möchtet, wenn Ihr ihnen ins Herz sähet, und wer weiß, wozu der Himmel Euch aufgehoben hat.

Heinz antwortete nicht, aber der Zuspruch des würdigen Mannes, den er liebgewonnen hatte, tat ihm wohl. Als er allein war, drückte er die heiße Stirn gegen den Steinpfeiler, um sie zu kühlen. Noch hörte er den Gesang der Priester draußen auf dem Gange, als ein Diener des Hochmeisters zu ihm trat und ihn in dessen Gemach einlud. Er ging mit ihm.

Plauen stand am Fenster und blickte in die weite Schneelandschaft hinaus. Tiefe Bekümmernis lagerte auf seiner Stirn, als er sich nun dem Eintretenden zuwandte. Mein Sohn! sagte er und ging Heinz mit geöffneten Armen entgegen. Du bist's – bist mein Sohn! Die Welt mag's erfahren. Meine Liebe soll dich entschädigen für die Unbill, die man dir heute meinetwegen angetan.

Heinz duldete die Umarmung, erwiderte sie aber nicht. Ihr nennt Euch meinen Vater, gnädigster Herr, sagte er, den Kopf senkend, und wahrlich, wenn ich überdenke, was Ihr Gütiges für mich getan habt, muß Euch mein Herz entgegenschlagen. Dieses Letzte aber – er hielt ein, seinen Unmut niederzukämpfen; wie siedendes Wasser stieg's ihm bis zur Kehle –, dieses Letzte hätte mir und Euch erspart sein können.

Konnte ich ahnen, Heinrich –?

Ihr wußtet, welcher Gefahr Ihr mich aussetztet. Hättet Ihr mir's vertraut unter vier Augen, gnädigster Herr, wie dankbar wäre ich Euch gewesen, aber nie hätte ich nach dem weißen Mantel begehrt. Vielleicht ein Mönch wär' ich geworden in irgendeinem fernen Lande, wenn ich der Welt entsagen wollte, und hätte Euch losgebeten bei Gott von Eurer Schuld. Jetzt ist meine Ehre gekränkt, und ich weiß nicht, wie ich das Leben tragen soll mit dieser Last der Schande. Auch Ihr aber habt Euch unheilbar verwundet. Bekennt der Hochmeister, daß er sträflich seines Ordens Gelübde brach –

Wovon sprichst du? fiel Plauen ihm ins Wort. Ich brach kein Gelübde meines Ordens – von dieser Schuld weiß ich mich frei. Und die andere … ist mir verziehen, soweit Menschen verzeihen können. Nicht der Ritter des Deutschen Ordens ist dein Vater, und nicht der Hochmeister hat sich dessen zu schämen, was jener getan. Oh, daß deine Mutter noch sprechen und für mich zeugen könnte! Weil sie starb und mir alle Freude hin war mit ihr – darüber nahm ich das Kreuz.

Heinz schrak zusammen. Wie ich's nehmen wollte, weil mir Maria starb – murmelte er. Er ergriff des Hochmeisters Hand und bückte das Gesicht darauf … eine heiße Träne netzte sie. Meine Mutter –!

Plauen richtete ihn auf und küßte seine Stirn und seine glühenden Wangen. Laß uns gute Freunde sein, Heinrich, sagte er, und gegen Gottes Rat nicht murren. Komm, ich will dir aufrichtig erzählen, was geschehen ist, und dann prüfe dich, ob du von Herzen mein Sohn sein kannst, wie ich von Herzen dein Vater bin.

Er führte ihn in die tiefe Fensternische und bot ihm den Sessel, dem seinigen gegenüber. Dann seufzte er aus beklommener Brust und begann die traurige Erzählung seiner ersten und einzigen Liebe. Auch das sagte er ihm, daß Mechthild die Tochter Meinhards war, der sich in Preußen Gundrat nannte, weil er todeswürdiger Schuld wegen aus der Heimat entflohen war. Und Heinz antwortete: Das alles wußte ich schon, und aus seinem Munde hab' ich's erfahren; nur, daß er von meiner Mutter sprach und von meinem Vater, das wußte ich nicht, denn er verschwieg es. Aber nun verstehe ich seine wirren Reden ganz.

Sie saßen eine Weile schweigend, in Nachdenken versunken. In Heinz wogte und stürmte es, daß sein Kopf schwindelte. Was weiter beginnen? Endlich erhob er sich mit einem raschen Entschluß, wischte die letzten Tränen aus den Augen und sagte: Wir müssen Abschied nehmen, Vater. Diese Stunde, die uns so nahe zueinander geführt hat, trennt uns auch – wahrscheinlich für immer. Ich kann in diesem Schlosse keine Nacht länger bleiben – ich kann in diesem Lande nicht bleiben. Lebt wohl!

Plauen widersprach nicht; er fühlte, daß Heinz das Rechte traf. Nun gleichfalls aufstehend und ihm die Hand drückend, entgegnete er: Ich kann und mag dich nicht halten, mein Sohn. Was mich schwer bekümmert, ist dies, daß ich dir nichts auf den Weg mitgeben kann als meinen väterlichen Segen. Ich habe geschworen, ohne Eigentum zu sein – gleich dem Geringsten der Ordensbrüder bin ich arm, wennschon der Fürst des Landes. Ich konnte dich unterstützen, solange du dem Orden dientest, aber in die Fremde mitgeben darf ich dir nichts. Dennoch soll für dich gesorgt werden. Reise zu meinem Vetter, dem Vogt von Plauen. Ich will ihm schreiben, daß er dich in seinen Dienst zurücknehme oder dem edlen Burggrafen von Nürnberg empfehle, der beim römischen König viel gilt. Du bist mutig und tapfer, du bist ehrlich und treu, du bist klug und brav – wohl dem, der einen solchen Mann findet!

Heinz lächelte wehmütig. Ich dank Euch, gnädigster Herr, antwortete er; aber wenn ich nicht Gebrauch machen sollte von Eurem huldreichen Anerbieten, so scheltet mich deshalb nicht. Zu Schweres hab' ich erfahren, und mutlos ist mein Herz. Ich will zu meiner Schwester, von ihr Abschied zu nehmen, und dann … Gott wird mir weiter helfen.

Plauen umarmte ihn. Der Tag kommt zum Tage, sagte er, und jeder neue Tag findet einen neuen Menschen. Was uns heute unleidlich scheint, ist uns morgen schon eine gewohnte Last. Vergiß und werde deines Lebens froh! Gott mit dir, mein Sohn!

Er geleitete ihn bis zur Tür, küßte ihn noch einmal und wandte sich ab, als jener das Gemach verließ.


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