Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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34. DIE EIDECHSEN

Hans von der Buche baute mit großem Eifer seinen Hof in Buchwalde wieder auf.

Er hatte Zimmerleute, Maurer und Dachdecker teils von Thorn, teils von Kulm und Graudenz beschafft und zahlte ihnen einen hohen Lohn. Es war nicht leicht, in dieser Zeit selbst gegen die lockendsten Anerbietungen die erforderliche Zahl von Bauhandwerkern zusammenzubringen und zusammenzuhalten. Denn meilenweit im Kulmer Lande waren die Höfe von den durchziehenden Polen niedergebrannt und eingeäschert worden; gerade in dieser Gegend, wo sich doch so viele heimliche Freunde für sie bemühten, hatten sie am schlimmsten gehaust. Es war viel Elend im ganzen Lande.

Da merkte Hans von der Buche nun erst recht, wieviel Dank er dem alten Waldmeister schuldete, der sein Vieh und Wirtschaftsgerät geborgen und auch dem gänzlichen Verfall des Hofes entgegengearbeitet hatte. Im Walde am Melno-See wurde Holz geschlagen; die Preußen aus der Heidenschanze halfen es zurichten und auf den Hof schaffen. Auch ließen sie sich als Brettschneider und Ziegelarbeiter dingen. Die städtischen Zimmerleute richteten die Ställe und Scheunen, stellten die Umwehrung des Hofes wieder her. Dann ging's an das Wohnhaus, dem die Hälfte des Daches neu aufgesetzt werden mußte. Im Innern ließ der Gutsherr die Gemächer neben der Halle wohnlich herrichten und ritt deshalb von Zeit zu Zeit selbst nach Thorn hinüber, um Einkäufe an wollenen Teppichen zur Bekleidung der Wände und Belegung der Fußböden zu machen. Er kaufte auch bunte Gläser, die in dieser geschäftsstillen Zeit billig zu haben waren, und ließ sie in die Bleieinfassungen der Fenster einsetzen, so daß nun das Sonnenlicht farbig einfiel wie in den Kapellen der Kirchen. Auch zwei Holzschnitzer beschäftigte er, die Tische mit gewundenen Füßen und Stühle mit geschweiften und mannigfaltig verzierten Lehnen herstellen mußten. Ein Maler färbte Laden und Kisten zu allerhand Gerät blau und rot, versuchte auch die Deckel mit Blumen und Rankenwerk zu zieren. In der Schmiede wurde an den eisernen Beschlägen gearbeitet, und der Junker zeichnete selbst die Formen mit Kohle vor, wie er sie draußen im Reich in Nürnberg und Augsburg gesehen hatte. Früh und spät war er auf dem Platze, um zu beaufsichtigen, anzutreiben, guten Rat zu erteilen.

Schwerlich dachte er dabei an seine eigene Bequemlichkeit. Er wohnte noch immer im alten Hause und schien für seine Person gar wenig Bedürfnisse zu haben. Auch auf seine Stiefmutter meinte er nicht Rücksicht nehmen zu dürfen. Fühlte sie sich doch überhaupt mehr in Polen als in Preußen zu Hause. Nun war sie zwar von Schloß Sczanowo nach Thorn übergesiedelt, um bei der unvermeidlichen Erbteilung näher zu sein und rechtskundige Berater zur Seite zu haben. Aber nach Buchwalde kam Frau Cornelia nicht, erklärte auch ganz offen, daß sie dort ebensowenig in Zukunft den Witwenstuhl aufzuschlagen gedenke. Es gefiel ihr in der großen Handelsstadt, die immer halb mit ihren Landsleuten gefüllt war, sehr gut. Stundenlang konnte sie hinter der Windlade des Hauses oder am Fenster sitzen und auf das Marktgewühl hinabsehen; ohne sich viel bewegen zu dürfen, fand sie dort für ihre Augen immer Beschäftigung. Auch fehlte es nicht an Umgang, der ihr allerhand Neuigkeiten zutrug. Die früheren Nachbarn aus dem Kulmer Lande kamen nicht leicht nach der Stadt, ohne bei ihr anzusprechen und ein Stündchen zu plaudern. Darunter waren denn auch die Eidechsenritter, die sie oft als Gäste ihres Mannes bewirtet hatte, vor allen der wilde Nikolaus von Renys, der sich mit Vorliebe in Scheltreden über den Hochmeister und das Ordensregiment erging, auch kein Blatt vor den Mund nahm, daß doch nur ein dauernder Friede zu erreichen sei, wenn das Kulmer Land an Polen abgetreten würde, was ihr wohl gefiel zu hören. Von jenseits der Grenze fanden sich öfters auch die Brüder und Vettern ein, dazu Hauptleute von den polnischen Fähnlein, die an der Weichsel Wache hielten, und Leute, die von Warschau oder aus des Königs Quartier nach der Marienburg oder nach Königsberg durchreisten, die noch nicht ausgeglichenen Streitfragen zu ordnen. Auch Geistliche gingen ab und zu, besonders solche, die mit dem Bischof von Kujawien in Verbindung standen und in den Klöstern gut aufgenommen waren. Nikolaus von Renys wußte sogar zu erzählen, daß der Bischof von Ermland, Heinrich Vogelsang, der sich trotz des Friedens noch immer nicht in sein Ländchen zurückwagte, bei Frau Cornelia eine geheime Zusammenkunft mit einigen Herren des Heilsberger Domkapitels, mehreren von der ermländischen Ritterschaft und einigen Sendboten der kleinen Städte gehabt habe, um gemeinsame Schritte gegen den Orden zu beraten. Man hatte es jedoch noch nicht an der Zeit gehalten, offen seine Feindseligkeit zu zeigen, da die harte Bestrafung der Danziger in zu frischem Andenken war. Frau Cornelia tat schwerlich etwas dazu, alle diese dem Orden feindlichen Elemente bei sich zu sammeln und in Verkehr miteinander zu bringen, nahm vielleicht selbst nur den flüchtigsten Anteil an dem, was ihre Gäste planten und ratschlagten, aber es genügte auch völlig, daß man ihr Haus immer offen und darin gerade die gewünschte Gesellschaft fand. Seit kurzem zeigte sich nun auch häufig ein Mann, den man am wenigsten hätte dort erwarten sollen, der Komtur von Rheden, Herr Georg von Wirsberg.

Natalia war ihrer Mutter nach Thorn gefolgt, hatte aber bei ihr nicht lange Ruhe. Bald begleitete sie die Vettern wieder nach Sczanowo, um nach einigen Tagen zurückzukehren und nach kurzem Aufenthalt einen unvermuteten Besuch in Buchwalde abzustatten. Diese Reisen machte sie stets zu Pferde, oft in Männerkleidern, mit einem polnischen Säbel und langem Dolch bewaffnet. Zwischen Thorn und Buchwalde ritt sie manchmal ganz allein, ohne irgendeine andere Begleitung als die einer großen englischen Dogge, selbst zur Nachtzeit. Sie blieb wohl auch Tage und halbe Wochen lang auf dem Gut, aber ihr Bruder sah sie gleichwohl wenig. Ihre Lieblingsbeschäftigung war's, auf der steinigen Heide umherzureiten, und sie ritt wilder und toller als je. Auch suchte sie gern den alten Waldmeister auf, der sich seit lange schon außerhalb seines Reviers nicht mehr blicken ließ, und begleitete ihn zur Jagd, wenn er sie bei guter Laune neben sich litt, oder nahm ein paar Buben aus dem Heidenwall mit, die sie in die verstecktesten Schluchten am See und in die tiefsten Waldgründe führen konnten. Einmal hatte sie sogar im Wall bei dem alten Kräuterweibe genächtigt, das als Hexe verschrien war. Sie hatte von ihr wissen wollen, ob es einen Zauber gäbe, der einen Menschen an den andern zwinge, und ein Tränkchen verlangt, von dem die Leute sprechen, daß es solche Wirkung übe. Die Alte hatte ihr's auszureden versucht, war aber mit dem Dolch bedroht worden. Sie wolle sich den heidnischen Göttern verschwören, hatte sie gesagt, wenn das Bedingung sei; auf das ewige Heil leiste sie Verzicht, sofern sie nur hier auf Erden über einen einzigen Menschen Macht erhalte, den sie liebe und hasse zugleich. Die Alte wollte nichts von solcher Kunst wissen. Ein Tränkchen kenne sie wohl, das den stärksten Mann in einen willenlosen Zustand versetze, daß man ihn nach Belieben küssen oder töten könne; wer aber wache, den könne sie nicht zwingen.

Den Gutsleuten erschien das Fräulein selbst unheimlich. Sie schlugen hinter ihr ein Kreuz, wenn sie auf schnaubendem Pferde mit gelöstem Haar im Felde an ihnen vorüberjagte, schrille Laute ausstoßend, die wie das Geschrei der Zugvögel klangen. Ihr Gesicht war zum Erschrecken bleich; nur manchmal nach heftiger Bewegung zeichneten sich auf den Wangen rote Flecken ab. Dabei schien innere Glut sie zu verzehren: die Lippen waren immer trocken, so oft die Zunge sie auch anfeuchtete, in den Augen loderte das Feuer. Keine Ermüdung konnte die Unruhe bezwingen, die sie ewig auftrieb und den Ort zu wechseln zwang. In Gesellschaft der Männer, die im Hause ihrer Mutter verkehrten, war sie mitunter bis zur Ausgelassenheit munter, aber plötzlich schlug ihre Lustigkeit in ein launenhaftes Wesen um, so daß sie nun durch unartige Reden und hämische Bemerkungen jeden verletzte, der sich ihr freundlich näherte. Mit ihrem Bruder sprach sie selten mehr als das Notdürftigste; jeden Versuch, sie an sich heranzuziehen und vertraulicher zu stimmen, wies sie schroff zurück. Und doch schien sie sich dabei selbst Zwang anzutun. Mitunter hielt sie sich stundenlang in dem Raum auf, in dem er sich beschäftigte, und beobachtete ihn scharf, als wollte sie eine günstige Gelegenheit erspähen, ihn in ihr quälendes Geheimnis einzuweihen. Aber das Wort kam nicht über ihre Lippen, das ihm vielleicht schnell ihr ganzes Herz geöffnet hätte, und dann nach solchem vergeblichen Ringen war's, als ob sie ihm zürnte, daß er sie nicht zwang. Dann faltete sich die Stirn, und die kleinen scharfen Zähne bissen aufeinander; sie kehrte ihm den Rücken und eilte fort.

Auch an seine Schwester dachte Hans nicht, wenn er sein Haus schmückte. Jetzt weniger als je konnte er ein sicheres Verhältnis zu ihr gewinnen. Er hatte sie von Herzen lieb, sah sie doch lieber scheiden als kommen: sie störte jedesmal den Frieden seiner schönen Träume, die ein anderes Frauenbild umschwebten, das freilich nur ihnen nutzbar war. Dort in der Vorburg der Marienfeste, im Hause des wackeren Gießmeisters Ambrosius weilten alle seine Gedanken. Zwar hatte er keine Nachricht, ob Waltrudis sich noch jetzt dort aufhalte; daß sie aber nicht nach Schwetz in das Haus des Ratmannes Clocz zurückgekehrt sei, wußte er, und so nahm er an, daß der Hochmeister sie gern in seiner Nähe behielt. Manchmal schalt er es selbst Wahnsinn, seine Wünsche auf einen so hohen Gegenstand zu richten, meist aber war er frohen Herzens und guter Zuversicht, daß der Liebe kein Hindernis unüberwindlich sei. Dann arbeitete er um so mutiger an der Wiederherstellung seines Hofes und Aufrichtung seiner Wirtschaft. Das Haus mußte innen so schmuck ausgestattet werden, weil es eine junge Frau empfangen und herbergen sollte, und nicht eher meinte er einen Schritt zu diesem letzten Ziele wagen zu dürfen, bis er sagen könnte: es ist alles bereit.

So unablässig mit seinem Herzen beschäftigt, hatte er den öffentlichen Angelegenheiten kaum halbe Teilnahme geschenkt. Ganz konnte er sich ihnen allerdings nicht entziehen. Den Winter über und bis in das Frühjahr hinein hatten sich die Eidechsen still gehalten; einige von ihnen waren durch den Krieg schwer geschädigt und nun durch die Sorge für ihren Besitz völlig in Anspruch genommen, andere meinten guten Grund zu haben, wegen der Vorfälle in der Tannenberger Schlacht möglichst wenig von sich reden zu machen. Man sprach wohl bei gelegentlichem Zusammentreffen von dem Bunde und versicherte sich, daß man daran festhalten wolle, unterließ es aber, sich in größerer Zahl zu versammeln. Erst als das Haus Rheden wieder von den Polen geräumt und den Brüdern übergeben war, die der Hochmeister aus den benachbarten Konventen dorthin geschickt hatte, und nun die Gefahr nähertrat, daß der Orden gegen die Feldflüchtigen ein Verfahren einleiten oder ihnen wenigstens allerhand Ungelegenheiten bereiten möchte, fühlte man das Bedürfnis, sich enger aneinanderzuschließen und zu gemeinsamem Widerstande zu rüsten. Auffallend konnte es dann erscheinen, daß sich bald gegen alles Erwarten ein freundschaftlicher Verkehr zwischen mehreren von den eifrigsten und angesehensten Mitgliedern des Bundes und einigen von den Schloßherren bemerkbar machte. Namentlich war es der Deutschordensritter Friedrich von Wirsberg, ein Bruder des Komturs, der viel im Gebiet von Rheden, Roggenhausen und Engelsburg umherritt und überall bei Eidechsenrittern einkehrte, oft auch bei einzelnen von ihnen nächtigte. Als dann der Komtur selbst anlangte, wurde das Treiben noch munterer; er schien sich mehr auf den Gutshöfen seiner Eingesessenen als auf dem Schloß aufzuhalten. Den Vorwand gab seine Verpflichtung, sich in seinem Verwaltungsgebiet umzuschauen, den Kriegsschaden festzustellen und die Ordnung der Dinge wieder aufzurichten: bald war es aber unter den Beteiligten kein Geheimnis mehr, daß man es nicht mit einem gestrengen Herrn zu tun hatte, der des Ordens Gerechtsame eifrig gegen dessen Widersacher zu vertreten entschlossen war, daß man im Gegenteil auf seine Nachsicht rechnen könne, wenn man wieder die alten Bundeszeichen öffentlich zur Schau trage. Hütete er sich auch, geradeaus Versprechungen zu geben, so führte er doch unter vier Augen gar absonderliche Reden, die einem Gebietiger des Ordens wenig ziemten, den Landesrittern aber angenehm zu hören waren. Er reiste viel ab und zu, und auch sein Bruder war oft unterwegs, bald nach den benachbarten Häusern, bald ins Reich hinein. Man konnte aus dieser Geschäftigkeit nicht klug werden und fing an sich darüber Gedanken zu machen, die vielleicht nicht ganz seitwärts abgingen. War es doch bekannt, daß der Hochmeister im Orden selbst Gegner hatte, die mit seinem strengen Regiment unzufrieden waren und sich nur murrend seinen Anordnungen fügten. Gehörte der Komtur zu ihnen? Freilich hieß es im Schlosse, daß er wie wenige sonst in des Meisters Vertrauen sei und häufig in seinen Rat gezogen werde, woraus sich dann auch seine öftere Abwesenheit erklärte; aber die ihn näher zu kennen meinten, hielten ihn für einen listigen Fuchs, der sich seinen Bau mit mehreren Ein- und Ausgängen herrichte. Jedenfalls glaubte man nicht zaghaft sein zu dürfen, die günstige Zeit zu benutzen und die alte Verbindung von neuem zu festigen.

So waren denn eines Tages Nikolaus von Renys und sein Bruder Hans, der im Dorfe Polkau bei Friedeck eine begüterte Witwe geheiratet hatte und sich seitdem Hans von Polkau nannte, auf den Hof zu Buchwalde eingeritten und hatten bei dem jungen Gutsherrn nach der Lade der Eidechsengesellschaft Nachfrage gehalten, die im Turmzimmer des alten Hauses aufbewahrt gewesen war. Nun erst kam Hans die Lade wieder ins Gedächtnis. Man machte sich sogleich auf, den Platz unter den Buchen hinter dem alten Hause aufzusuchen, wo sie vergraben worden, und fand sie unversehrt, wenn auch im Eisenwerk stark eingerostet und an einer Ecke von Feuchtigkeit durchzogen, so daß sich einige Siegel am Bundesbriefe gelöst hatten. Der Schaden war aber leicht auszubessern. Die Lade wurde wieder in den Turm geschafft.

Die beiden Ritter hatten ihren jungen Freund belobt, und Hans freute sich dieser Anerkennung, denn die Brüder zählten zu den angesehensten Männern des Kulmer Landes. Zu Nikolaus hatte er sich freilich nie hingezogen gefühlt, und der Grund lag nicht nur in der Verschiedenheit des Alters.

Der Ritter hatte wilde Sitten und etwas Unbändiges in seiner ganzen Art. Er liebte es, den fuchsigen Bart lang zu tragen und das Haar über die Stirn fallen zu lassen, sein Blick war stechend, seine Rede rauh. Den Knaben hatte er manchmal bei seinen Besuchen in Buchwalde derb angefahren, daß er sich so zierlich trage und zuviel hinter den Büchern her sei, statt tagsüber auf dem Pferde zu liegen oder den Füchsen aufzupassen, wie er selbst es in der Jugend getan. Aber nun meinte Hans um so mehr zeigen zu müssen, daß er ein Mann geworden.

So war's denn auch fast selbstverständlich gewesen, daß die Gäste hinterher bei einer Kanne Graudenzer Biers ohne Bedenken in seiner Gegenwart von den Bundesangelegenheiten gesprochen und es ihm nahegelegt hatten, sich zum Eintritt zu melden. Es könne dann alles bleiben, wie es gewesen, und die Turmstube auch künftig zum Versammlungsort gewählt werden. Buchwalde liege den meisten Gliedern des Bundes bequem, und es lasse sich nicht überall auf den Höfen ein so festes Mauerwerk zur Bewahrung ihrer Heimlichkeiten finden. Hans erinnerte sich der Mahnungen seines Vaters. Und wenn Plauens Warnung Grund hatte, war es nicht ihm selbst nützlich, einen aufrichtigen Freund im Bunde zu haben? Hans von der Buche lehnte nicht ab, sondern ließ sich von des Bundes Zweck mehr unterrichten. Dabei war denn nach den Reden der beiden Renys wenig Verdächtiges.

Schaut Euch um, sagte Niklas, wer etwas bedeuten will, sieht zu, daß er Genossen findet. Der Orden selbst, ist er nicht nur deshalb ein großer Herr geworden, weil viel kleine Herren unter einem Hut zusammenstehen? Geht in die Städte: da umfaßt eine Mauer vieler Bürger Häuser, und geschieht dem einzelnen ein Überlaß, so läutet bald die Glocke am Rathause und ruft die Bürgerschaft zusammen. Das nicht genug. Die Städte schließen auch untereinander ein Bündnis, daß sie ihres Friedens gesichert seien und ihr Recht wahren. Wir aber auf dem flachen Lande sind am übelsten dran. Wir haben keine festen Schlösser und keine Mauern; unsere Höfe liegen vereinzelt und zerstreut. Die Ordensherren sitzen uns auf dem Nacken, denn überall streifen die Vorwerke der Häuser unsere Äcker und Wiesen; unsere polnischen Untertanen stehen unter Gerichtsbarkeit ihrer Vögte, und was auf öffentlicher Straße geschieht, das wird im Schloß abgeurteilt. Die Bürger in den Städten aber wollen keine Handarbeiter auf unseren Höfen leiden und erheben unablässig ein Geschrei, daß wir ihnen ihre Nahrung verkümmern, wenn wir billig unseren Vorteil bei Kauf und Verkauf wahrnehmen. Da ist's an der Zeit, daß wir selbst die Hände regen und in geschlossener Schar dastehen zur Abwehr. Unsere Vereinigung ist von den früheren Hochmeistern wohlgelitten und soll, so Gott will, sich auch in Zukunft bewähren, nicht nur zu unserem Besten, sondern auch zu des Landes Segen.

Hans ließ sich den Bundesbrief vorlegen und las ihn genau. Da stand aber geschrieben, daß man sich gegenseitig Hilfe leisten wolle »in nothaftigen ehrlichen Sachen«, freilich mit Leib und Gut gegen jedermann, der eins der Mitglieder an Leib, Ehre oder Gut betrübe oder verunrechte, aber mit dem ausdrücklichen Zusatz: »ausgenommen gegen die Landesherrschaft und die nächsten Blutsverwandten von der Schwertseite«. Geboten war die Unterstützung der Mitglieder bei unverschuldeter Verarmung und »ein redlicher Gottesdienst zu Gottes Lobe, des rechten Erbherrn Ehren und zu Nutz und Frommen der Mitglieder«. Das klang alles gar gut und zuverlässig. Darauf will ich mich gern verpflichten, sagte Hans, nennt mir Tag und Stunde, wenn ihr mich in den Bund aufnehmen wollet. Ich hoffe, daß er keine Heimlichkeiten hat, die dem Brief entgegen sind, denn an dessen Worte will ich mich halten, wenn ich mich in eure Genossenschaft schwöre. Das verstehe sich ja von selbst, antwortete Niklas, nur daß man nicht zu ängstlich sein dürfe, sein Recht zu fordern, und sich bei Uneinigkeiten unter den Ordensherren selbst auf die Seite derer stelle, die Rittern und Knechten auf dem Lande den besten Teil gönnten.

Eine Woche später hatten sich dann im Turm des alten Hauses zu Buchwalde zehn oder zwölf von der Gesellschaft der Eidechsen zusammengefunden, den Inhalt der Lade durchgesehen, einige Siegel erneuert und Hans von der Buche in den Bund aufgenommen. Er hatte ihnen mit einem Eide auf Christi Kreuz versprochen, ein treuer Geselle zu sein, wie es der Bundesbrief vorschreibe, und sein Siegel neben das seines Vaters gehängt. Desselben Tages war noch viel über Landessachen gesprochen worden und wie man die Schadensforderungen am besten durchsetze. Als die Gäste in der Halle den Abschiedstrunk nahmen, lösten sich die Zungen mehr. Da fehlte es nicht an derben Flüchen und Verwünschungen des Ordensregiments. Hätten sie den Michael Küchmeister gewählt, meinte Friedrich von Kynthenau, so stände es besser um den Frieden. – Ganz recht, stimmte Hans von Ezippelyn zu, der Erbschulze im Dorf Sczepil war, dem Plauen verzeiht's der König nimmermehr, daß er die Marienburg gegen ihn gehalten hat. Der Ritter von Pfeilsdorf, der auf Bartholmitz saß, wollte sichere Nachricht aus Polen haben, daß während der Gefangenschaft Küchmeisters viel heimlich zwischen ihm und dem König oder seinen obersten Räten verhandelt worden sei, wovon der Hochmeister schwerlich etwas wisse, und Hans von der Damerau auf Dombrowken lachte dazu und äußerte, der Hochmeister könne es wohl noch bereuen, daß er so eilig gewesen sei, ihn zum obersten Marschall zu ernennen. Niklas von Renys aber strich seinen Fuchsbart und sagte: Die Partie steht nicht nur zwischen den beiden, und die Dinge können wohl noch einen Verlauf nehmen, an den vor kurzem noch niemand gedacht habe. Es sei da einer, der seinen Kopf für sich haben wolle, und es werde davon noch manch Wörtchen zu sprechen sein. Des näheren ließ er sich jedoch darüber nicht aus.

Nun fand sich mitunter auch Georg von Wirsberg als Gast in Buchwalde ein. Als er von Königsberg gekommen war, brachte er für Hans von der Buche eine Nachricht mit, die diesen zu großem Dank verpflichtete: sein Freund Heinz lebte! Der Komtur schien an seiner Freude darüber herzlichen Anteil zu nehmen, und so wurde er auch ihm lieb. Von da ab kam er häufiger, mitunter noch spätabends zum Schachspiel oder zu anderer Unterhaltung, besonders in den Zeiten, in denen Natalia sich bei ihrem Bruder aufhielt. Er machte dem Fräulein artig genug den Hof und wußte immer viel Merkenswertes aus aller Herren Ländern zu erzählen, die er bereist hatte. Nahm sie auch in ihrer finsteren Stimmung selten lebhafteren Anteil am Gespräch, so schien sie ihm doch nicht ungern zuzuhören. Es kam auch wohl vor, daß sie unvermutet Fragen stellte, die ihn ein wenig in Verwirrung brachten; zum Beispiel: was er vom geistlichen Leben denke, da sein Sinn so merklich zu weltlichen Dingen stehe? Er gab darauf ausweichende Antwort und meinte, man dürfe die Frucht nicht schütteln, bevor sie reif sei; er hoffe wohl noch einmal seine Ernte zu machen, und die Zeit sei vielleicht nicht so fern, als es denen schiene, die nicht nach der Sonne sehen wollten. Auf der Erde sei alles im Wechsel, und selbst Kaiser und Papst könnten nicht hindern, daß eine Kugel rolle. Was nicht leben könne, müsse sterben, und es sei mit Körperschaften nicht anders als mit einzelnen Menschen. Manches Haus sehe äußerlich noch gar stattlich aus und sei innen doch jeder Balken von Würmern zernagt und jeder Dachsparren angefault; es frage sich nur, wann und von welcher Seite es einen kräftigen Stoß erhalte, daß es über den Haufen stürze. Man müsse sich vorsehen für alle Fälle, und wer jung sei, könne noch etwas erleben.

Hans achtete auf solche unverständliche Reden wenig; Natalia zuckte die Achseln und bemerkte spöttisch: Sagt mir doch, wann es so weit ist, Herr Komtur, daß ich das Schauspiel nicht versäume. Ihr nehmt gern den Mund voll großer Worte und gebt, denke ich, Rätsel auf, zu denen Ihr die Auflösung selbst nicht wißt. Dazu lachte er verschmitzt und sagte: Wartet nur ab, Ihr habt's ja bei Euren Jahren noch nicht so eilig, Fräulein.

Daß auf dem Schlosse zu Rheden etwas Ungewöhnliches vorging, konnte bald keinem Aufmerksamen entgehen. Fast täglich kamen dort Fuhrwerke an, die mit Kisten und Kasten beladen waren. Sie mußten wohl einen kostbaren Inhalt haben, da stets ein Ordensritter mit einigen Knechten sie begleitete und für die Ablieferung an den Komtur Sorge trug. Es war in der Tat das Gold- und Silbergeschirr, das nach des Hochmeisters Befehl aus allen Landesburgen nach Rheden zusammengebracht werden sollte, um dort eingeschmolzen und zur Befriedigung des Königs von Polen oder zu Kriegsrüstungen verwandt zu werden. Auch aus vielen Landkirchen wurden die wertvollen Altargeräte aufs Schloß gebracht, wie es hieß, zur besseren Sicherung im Falle der Not. Das geschah auf des Komturs Weisung. Selbst aus der Marienburg langten mehrere vierspännige Wagen an, die des Hochmeisters Tafelgeschirr überbrachten. Nicht weniger flossen hier die Geldsummen zusammen, die noch an Schoß von den kleinen Städten und vom Lande aufzubringen gewesen waren. In der Schatzkammer des Hauses häuften sich die Wertsachen und füllten sich die Truhen. Georg von Wirsberg aber hatte den Schlüssel und trug ihn stets bei sich.

Die Brüder hatten ein gutes Leben. Ihr Komtur war nicht streng und hielt selbst wenig von Fasten und Beten. Mitunter wurde bis in die Nacht hinein munter pokuliert, und die Wächter der Stadt hörten vom Refektorium des Schlosses her wüsten Gesang und helles Lachen. Auch Vermummte wollte man einschleichen gesehen haben, die man für Weibspersonen hielt.

Darüber gab's in der ehrsamen Bürgerschaft viel böses Gerede. Das muß ein schlimmes Ende nehmen, meinten die Alten kopfschüttelnd: sie verprassen des Ordens letztes Gut, und solche Zuchtlosigkeit war noch nie im Lande.


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