Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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51. DER HAUPTMANN VON LÜBECK

Über Jahre müssen wir hinwegeilen.

Auf dem Kostnitzer Konzil, das ja der ganzen Christenheit den lange ersehnten Frieden bringen sollte, wurde in der Streitsache des Deutschen Ordens mit Polen verhandelt, aber es kam zu keinem Abschluß, und die Entscheidung der Waffen schien nur hinausgeschoben zu werden.

Dann brach in Danzig, wahrscheinlich von fremden Schiffern eingeschleppt, eine pestartige Krankheit aus, die viele Menschen schnell hinraffte. Sie verbreitete sich über Pommern und ganz Preußenland bis in die Wildnis hinein und holte ihre Opfer nicht nur in Städten und Dörfern, sondern auch in den Schlössern des Landes, so daß mehr als achtzig Ordensritter der entsetzlichen Seuche erlagen, Elend und Jammer über das ganze Land kam.

Dazu trat eine furchtbare Teuerung aller Lebensmittel. Die Ernten waren kümmerlich gewesen, der Handel ging infolge des immer drohenden Krieges zurück, die Münze hatte sich in den Notzeiten des Ordens so verschlechtert, daß man für alle Bedürfnisse das Dreifache des früheren Preises zahlen mußte. Der Hochmeister machte Vorschläge zur Verbesserung, aber das Land scheute die Opfer und ließ alles beim alten, während doch die Unzufriedenheit überall im Wachsen war und der gemeine Mann den Magistraten und den Münzmeistern schuld gab, dem wirtschaftlichen Verderben nicht Einhalt zu tun.

Darüber brach in Danzig ein Aufstand aus. Gerade am Fronleichnamsfeste, als Michael Küchmeister sich in der Stadt befand, rottete sich das gemeine Volk, aufgewiegelt und geführt von einigen Rädelsführern, in großen Haufen zusammen, zog lärmend auf den Markt, kündete dem Rat und dem Herrn Hochmeister den Gehorsam, läutete die Sturmglocke, bemächtigte sich der Schlüssel der Stadt und drohte jeden Widerstand mit Gewalt niederzuschlagen. Ein frecher Geselle namens Johann Lupi war an der Spitze.

Der Hochmeister mit seinen Begleitern, da sie gegen die empörte Masse nichts vermochten, verließ die Stadt. Der Rat rettete sich mit Mühe auf die Burg, denn die Ratsherren waren ihres Lebens nicht sicher. Besonders richtete sich die Wut des Pöbels gegen den Bürgermeister Gerd von der Beke. Man beschuldigte ihn, Konrad Letzkau dem Orden verraten zu haben. Die Tore gegen die Burg wurden verschlossen, die Stadt frei und unabhängig erklärt. Die Masse griff unter den abscheulichsten Freveln den Münzhof an, stürmte das Rathaus, erbrach alle Gemächer, raubte sie aus und vernichtete, was sich nicht fortschleppen ließ. Dann ließ das Volk an des Bürgermeisters Wohnhaus seine Wut aus, plünderte es, zerstörte alles Hausgerät und peinigte die Dienerschaft auf entsetzliche Weise. Schanzen wurden aufgeworfen, um die Stadt gegen einen Angriff der Ordensmannschaft zu verteidigen.

Die Bewegung ging von unten auf bald auch in die Bürgerkreise hinein. Die Handwerksgesellen hatten es längst übel empfunden, daß sie von den Meistern niedergehalten wurden und in den Ämtern nicht vertreten waren, auch nicht eigene Vereinigungen bilden und ihre Morgensprachen halten sollten. Die Meister aber waren ebenso aufgebracht gegen die Kaufleute, weil diese allein das Stadtregiment an sich gerissen hatten und die Münznot für sich ausbeuteten. Die Bierbrauer und Krämer machten mit ihnen gemeinsame Sache. So beteiligten sich nun beim Aufstande alle Gewerke. Die reichen Warenlager der Kaufleute wurden mit Beschlag belegt, ihre Kontore geschlossen. Alle Ordnung war aufgelöst. Vergebens bemühten sich die Gemäßigteren, Gewalttaten zu verhindern; Lupi mit den anderen Rädelsführern begünstigten die Schreckensherrschaft, um sich nach Kräften zu bereichern.

Nach acht Wochen erst, als die Not in der abgesperrten Stadt auf den Gipfel gestiegen war, kehrte die Besinnung zurück. Der Hochmeister selbst kam nach Danzig und bestellte ein Gericht. Viele von den Aufrührern wurden gefangengesetzt, achtzehn von den Rädelsführern enthauptet, vierzig der Hauptschuldigen aus dem Lande verwiesen. Lupi mit den Schuldigsten war entflohen. Die Güter der Aufrührer wurden eingezogen, die Gewerke hatten schwere Geldbußen zu entrichten, und die einzelnen Meister wurden dazu nach ihrem Vermögen eingeschätzt. Den aufrührerischen Innungen wurde ein Jahr lang jede Versammlung und Morgensprache untersagt; ihren Harnisch mußten sie in der Stadtkammer niederlegen.

Unter solcher Ungunst der Verhältnisse und zuletzt durch den großen Aufstand hatte der Ratsherr Tidemann Huxer schwer gelitten. In den letzten Jahren war sein Wohlstand zurückgegangen. Eins seiner Schiffe war im Kanal gescheitert, ein anderes mit einer sehr kostbaren Ladung von Wein und Gewürzwaren hatte Kapitän Halewat in den spanischen Gewässern verloren. Ein Teil der Mannschaft hatte sich auf ein Boot gerettet; er aber wollte sein Schiff nicht verlassen und ging mit demselben unter: es war die »Maria von Danzig«. Zwei Schiffe, die mit Gütern nach Stockholm geschickt waren, wurden von den Seeräubern mit Beschlag belegt und an einer der kleinen dänischen Inseln in Sicherheit gebracht; sie forderten für die Mannschaft und Ladung ein unerschwingliches Lösegeld. Unter den Matrosen war auch Klaus Poelke. In dem alten Kaufhause zu Danzig stockte das Geschäft, mehrere von seinen Brotknechten mußten entlassen werden, da im Kontor, auf dem Schiffsbauplatz und in den Speichern nicht mehr genügend Arbeit für sie war.

Des alten Reeders Gemüt wurde immer umdüsterter. Sein Haar war grau geworden, die gelbe Haut auf der Stirn legte sich in ein Netz von Falten und hing schlaff über die eingefallenen Backen zum breiten Kinn hinab, seine Augen hatten einen unsicheren Blick. Selten und immer nur auf kürzeste Zeit ließ er sich im Artushof sehen, der Bierkrug blieb meist unberührt. Auch in der Ratsstube erschien er selten. Im notwendigsten Verkehr mit den Geschäfts- und Amtsgenossen zeigte er sich mürrisch und argwöhnisch; das unschuldigste Wort konnte ihn verletzen, wenn er dadurch seine Würde angegriffen fühlte. Kein Scherz war in seiner Gegenwart erlaubt. Man sagte ihm heimlich nach, daß er wegen seiner Tochter ein schlechtes Gewissen habe.

Als der Aufruhr losbrach, war er aufs Rathaus geeilt und hatte eifrig gegen der erschreckten Herren Flucht gesprochen. Er mußte sich von Gerd von der Beke daran erinnern lassen, daß er einst zu Letzkaus Vertrauten gehört und schon einmal große Not über den Rat gebracht habe. Man werde sich nicht nochmals zu einer feindseligen Haltung gegen den Orden drängen lassen und lieber in der Burg Schutz suchen. Wo das Blut Konrad Letzkaus und Arnold Hechts, eurer wackersten Männer, geflossen ist! rief Huxer verächtlich.

Gleich darauf verließ er den Saal, für seine Person entschlossen, zu bleiben. Mit seinen Dienern sperrte er sich in seinem Hause ab und verriegelte die Tür. Das betrachteten die Aufrührer als eine trotzige Herausforderung und gingen ihm zu Leibe. Für sie kam nur in Frage, daß er für einen reichen Mann galt und im Rate saß; auch verlautete, daß er habe die Feuerbüchsen aufs Rathaus schaffen und unter sie schießen lassen wollen. Nun rotteten sie sich vor seiner Tür zusammen und verlangten, daß er ihnen öffne, schlugen auch mit Äxten und Beilen gegen das Holz und die eisernen Bänder. Er aber ließ oben aus den Fenstern schwere Gegenstände hinabwerfen und siedendes Wasser ausgießen, so daß die Angreifer sich zurückziehen mußten. Drei Tage und Nächte wurde er belagert. Endlich warf ihn ein Stein nieder, der die Fensteröffnung traf. Die Dienerschaft, todmüde vom langen Wachen und ausgehungert, kapitulierte. Inzwischen hatte sich die erste Wut der Angreifer schon gelegt; sie bewilligten freien Abzug. Der verwundete Huxer wurde ins Hospital der Reuerinnen getragen, und der schnell umgestimmte Pöbel rief ihm nun wegen seines tapferen Widerstandes lauten Beifall zu. Das hinderte freilich nicht, daß sein Haus bis unter das Dach ausgeplündert wurde. Man fand viel weniger, als man erwartet hatte.

Als er nach einigen Wochen notdürftig hergestellt war, litt es ihn in der Krankenstube nicht. Er sammelte unter den bedächtigeren Handwerksmeistern, Krämern und Brauern eine Partei und versuchte es mit deren Hilfe, den Pöbel im Zaum zu halten. Vornehmlich ihm war's zu danken, daß die Vernunft allmählich die Oberhand gewann und der ordnungslose Zustand als unleidlich empfunden wurde. Als dann die Bürgerschaft sich vor dem Hochmeister demütigte und der Rat zurückkehrte, hatte er freilich wieder schlechten Dank. Wagte man auch nicht, ihm offen vorzuwerfen, daß er mit den Aufständischen gemeinsame Sache gemacht habe, so verzieh man's ihm doch nicht, daß er in der Stadt geblieben war und gezeigt hatte, wie die Ratsherren als tapfere Männer sich gesamt hätten benehmen sollen. Für seine Verluste erhielt er aus den Bußen keine Entschädigung; man sagte, er hätte sie sich selbst zuzuschreiben.

So kam Huxer nun noch tiefer in Vermögensverfall und mußte seine Schiffshölzer auf der Lastadie verpfänden, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Er sah den Tag nahen, da er sich würde bankerott erklären müssen. Er wollte ihn nicht überleben.

Da geschah es, daß die Lübecker namens des Hansebundes einige Kriegsschiffe nach Danzig schickten, die eine Gesandtschaft an den Orden dort aussetzen und ihrem Anliegen mehr Nachdruck geben sollten. Überall hatte es nämlich der Bund durchgesetzt, daß der Pfundzoll abgeschafft wurde; nur in den preußischen Städten wurde er noch erhoben, weil der Orden an dieser Einnahme, von der er den besten Teil hatte, zähe festhielt. Nun glaubten die Lübecker, da er in beständiger Not war, die Zeit günstig, ihm etwas abzutrotzen, und schickten deshalb ihre Boten nach der Marienburg. Zugleich sollte aber auch den preußischen Städten Mut gemacht werden, und so war diese kriegerische Begleitung gewählt.

Die Lübecker Ratsherren mußten sich bald überzeugen, daß Danzig nach dem schweren Leiden, das die Stadt erst durch die Pest, dann durch den Aufstand betroffen hatte, schlecht in der Lage war, beim Hochmeister und seinen Gebietigern etwas durchzusetzen. Doch wurden sie in dem schnell wiederhergestellten Ratssaal in feierlicher Sitzung empfangen. Mit ihnen war auch der Hauptmann ihrer Kriegsmannschaft mit einem stattlichen Gefolge von Unterbefehlshabern.

Er kam in glänzender Rüstung und war bei dem Aufzuge durch die Straßen wegen seines mannhaften Aussehens die Bewunderung aller Frauen und Mädchen, die von den Fenstern aus zuschauten. Der Eisenhelm saß ihm auf dem dichten, braunen Lockenhaar, als ob er festgewachsen wäre, und wie er, die Hand auf dem Schwertgriff, aus den offenen Augen um sich blickte, meinte jeder, auf den könnten die Lübecker sich verlassen. Auch standen ihm zwei breite Narben über Stirn und Wange gar gut; die untere verlief in den krausen Bart, der die Lippen umschattete.

Während die Boten sprachen, sahen doch viele von den Ratsherren auf ihn. Er mochte ihnen bekannt vorkommen, und sie wußten ihn doch nicht recht unterzubringen. Einer von ihnen war heftig erschrocken von seinem Sitz aufgefahren, als er eintrat und mit einer stolzen Kopfneigung grüßte: das war Tidemann Huxer. Auch nachdem er sich wieder gesetzt hatte, schien er den Blick nicht von ihm abwenden zu können, so tief er auch den Kopf neigte, um sich der Beobachtung zu entziehen.

Nach Schluß der feierlichen Sitzung, in der man übereinkam, daß der Danziger Bürgermeister Gerd von der Beke die Lübecker Herren nach der Marienburg begleiten solle, um mit ihnen beim Hochmeister vorstellig zu werden, traten die zwei ältesten Hofherren an die Gäste heran und baten sie, ein Mahl im Artushof anzunehmen. Erwartet keine reichbesetzte Tafel, sagte der Sprecher, wie sie freilich eurer Würde und unserer Freundschaft gebührte, sondern nehmt in Anbetracht der traurigen Zeiten mit einer Kollation vorlieb, wie Küche und Keller sie ohne lange Vorbereitung bieten können. Wir hoffen euch ein andermal, wenn mir wieder zu Kraft gekommen, vornehmer bewirten zu können.

Die Gäste nahmen mit Dank an und mahnten, alle Umstände zu vermeiden. Es sei ihnen nicht um Speise und Trank, versicherten sie, sondern um ein gut Wort hinüber und herüber, daß man einander ohne Zwang kennenlerne und Vertrauen gewinne. Sie wünschten dann in die Marienkirche geführt zu werden, von deren wunderherrlichem Bau und reicher Ausschmückung im Reich viel Rühmens und Bewunderns sei.

Als Huxer den Saal verlassen wollte, vertrat der fremde Hauptmann ihm vor der Tür den Weg und verneigte sich höflich und sprach: Wollt Ihr mir nach Tisch eine Stunde in Eurem Hause schenken, Herr Tidemann Huxer? Ich hab' etwas Wichtiges mit Euch zu besprechen.

Der Ratsherr blieb stehen und sah ihn von unten her scheu an. Ich kenne Euch wohl, antwortete er mürrisch, und hätte nicht erwartet, von Euch angeredet zu werden. Ihr seid der Junker von Waldstein, und jetzt, wie ich merke, zu großen Ehren gekommen. Was wollt Ihr noch von mir? Mein Haus ist von den Aufrührern verwüstet und wenig tauglich zum Empfang eines so hohen Gastes. Auch möcht' ich nicht daran erinnert werden, wie Ihr's zuletzt verlassen habt.

Weist mich gleichwohl nicht unfreundlich ab, bat Heinz. Ich brauche nichts als einen Schemel, darauf zu sitzen, und stehe auch gern, wenn Ihr mir den nicht gönnen mögt. Uns beiden täte wahrlich ein Wort der Verständigung not, nachdem wir so hart aneinandergeraten sind.

Huxer zog die Augenbrauen zusammen. Was soll's nützen? Ihr habt mich in Schande gebracht. Wie wollt Ihr die von mir nehmen? Ich bin ein einsamer Mann.

Hört mich an, Herr Tidemann!

Der Alte wandte sich ab. Ich lade Euch nicht zu mir ein.

Aber Ihr erlaubt … ?

Ich mag einem Kriegshauptmann der Stadt Lübeck nicht meine Schwelle verbieten. Tut, was Ihr wollt.

Damit ging er, kurz grüßend. Indem kamen auch schon die Lübecker Herren mit großer Begleitung der jüngeren Ratmannen, nach der Kirche zu gehen, und nahmen ihn mit sich.

Am Hauptaltar wurden die Grabsteine der beiden Bürgermeister Konrad Letzkau und Arnold Hecht gezeigt. Die Gäste sprachen dort ein Gebet, und einer von ihnen sagte: Sie ruhen aus in Frieden. Euch aber und diesem Lande haben sie viel Unruhe hinterlassen, das werden eure Kinder und Enkel noch merken. Denn so oft ihr Klage haben werdet über eure Herrschaft, wird diese obenan stehen, daß die beiden Bürgermeister ohne Recht und Gericht hingemordet sind, da sie der Stadt und des Landes Freiheit männlich vertraten. Und so sind sie nicht tot, sondern ihr Geist wird umgehen und lebendig werden in denen, die ihr Werk fortsetzen. Ihr Blut ist nicht umsonst vergossen.

Nun schickten die Hofherren und ließen melden, daß das Mahl bereitet sei. Die Tafel war im kleinen Hof gedeckt, und man hatte das feinste Linnen auf die Tische gebreitet und viel Silbergeschirr aufgetragen, das zum Hof gehörte und in den Gewölben vor der Habgier Lupis und seiner Genossen gerettet war. Auch fehlte es nicht an Braten, Mehlspeisen und mancherlei Wein sowie süßem Backwerk und gewürztem Zuckerbrot zum Nachtisch, wonach es der Entschuldigung kaum bedurft hätte. Jeder Gast fand neben seinem Gedeck eine alte seltene Münze als Geschenk, damit er sich des Tages erinnere.

Huxer war nicht zur Tafel erschienen. Man vermißte ihn nicht, da er sich schon längst von allen Festlichkeiten fern hielt. Nur der Hauptmann fragte nach ihm bei seinen Tischnachbarn, zwei jungen Herren von der Georgsbrüderschaft, an, die ihm rechts und links zur Seite gesetzt waren, um ihm die Schüsseln zu reichen und Wein einzuschenken. Er habe viel verloren, hieß es, und halte sich nur mit Mühe. So viel die Herren nötigten, aß und trank ihr Gast doch wenig. Sobald die gute Sitte es erlaubte, stand er auf und entschuldigte sich, daß er zum Nachtisch nicht bleiben könne, da ihn noch ein ernstes Geschäft erwarte. Sie wollten ihn begleiten, aber er versicherte, daß es ihm am liebsten wäre, wenn sein Weggehen ganz unbemerkt erfolge, verabschiedete sich daher nur mit einem Händedruck unterm Tisch und wollte ihnen keine Störung verursachen. So ging er fort, als ob er gleich wieder zurückzukehren gedächte.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als nun doch sogleich das Gespräch auf ihn kam. Er sehe einem jungen Manne sehr ähnlich, bemerkte einer, der vor Jahren hier im Artushof vergnüglich mitgetanzt habe, nachdem er im Stechen Sieger geblieben.

Und von dem später bei anderer Gelegenheit viel gesprochen worden, setzte ein zweiter mit listigem Lächeln hinzu. Es folgten allerhand Andeutungen, aus denen sich ergab, daß man über die Persönlichkeit nicht im Zweifel war.

Wie nannte er sich doch? hieß es.

Waldstein – Heinz von Waldstein.

Und so heißt unser Hauptmann in der Tat, sagte der Lübecker Ratsherr.

Oh – er war in ritterlichen Künsten sehr bewandert!

Und galt bei dem damaligen Herrn Hochmeister viel. Man wollte wissen …

Was, was?

Es soll Seiner Gnaden viel Ärgernis bereitet haben, daß er das Kreuz nicht nehmen konnte. Die Marienburger wollten wissen, daß des Junkers wegen eigentlich der Streit zwischen dem Hochmeister und dem Marschall ausgebrochen sei. Plauen hätte in seinem Zorn den Marschall von der Tür gewiesen, und darauf hätte der ihm Rache geschworen. Ruhte denn auch nicht eher, bis jener abgesetzt war und er selbst an seine Stelle kam.

Wie dem auch sei, ihr Herren, sagte der Lübecker, jedenfalls hat unser Hauptmann bei uns aus sich selbst gemacht, was er geworden ist. Er bot der Stadt seine Dienste an und hat sich im Kampfe mit den Seeräubern so tapfer gehalten, daß bald in der Ost- und Nordsee sein Name ein Schrecken für das wilde Volk war. Erst führte er ein kleines Schiff, dann ein größeres, bald wurde er über eine Abteilung der Flotte gesetzt, da die Mannschaft zu keinem ein besseres Vertrauen hatte als zu ihm und unter seinem Befehl Wunder von Tapferkeit verrichtete. Er spürte die Nester der Seeräuber an den Küsten von Gotland und Friesland aus, schleifte ihre festen Häuser, bohrte ihre Schiffe in den Grund. Als er im letzten Herbst den berüchtigten Marquard Stenebreeker mit seinen Gesellen einbrachte und an den Galgen lieferte, bot ihm der Rat das Bürgerrecht der Stadt und setzte ihn trotz seiner Jugend zum Hauptmann ein. Darüber war allgemeine Freude, denn für unsere Schiffe hat's von den Vitalienbrüdern wenig Gefahr, solange er mit seinen Orlogs die See kreuzt.

So ging die Rede über ihn weiter, und ihm hätte wohl das rechte Ohr davon klingen können, so viel Löbliches wurde ihm nachgesagt. Er selbst gab draußen einem seiner Diener einen Auftrag und wies ihm den Weg nach dem Wasser durch das nächste Tor. Er soll sogleich kommen, rief er ihm nach, und vor dem Hause warten! Dann begab er sich, von allen Leuten respektvoll begrüßt, über den Markt zu Huxer.

Er fand den Alten allein in seinem Kontor. Verzeiht, sagte er, daß ich ohne rechte Einladung komme. Ich habe Euch viel Kummer bereitet, aber Gott weiß, wie wehe auch Ihr mir getan habt, so daß es sich wohl reichlich ausgleichen möchte. Dennoch will ich Euch gern alles abbitten und bekennen, daß ich Euer Schuldner bin.

Das habt Ihr wohlfeil, entgegnete Huxer und deutete mit der Hand auf einen lederbezogenen Stuhl. Kommt aber nichts dabei heraus. Was Ihr mir genommen habt, könnt Ihr mir nicht wiedergeben.

Es ist nichts unwiederbringlich, antwortete der Hauptmann ernst, als was uns der Tod abgefordert hat.

Huxer stützte den schweren Kopf in die Hand. Ja, ja – der Tod! Er bringt seine Ernte sicher ein.

Ihr seid in gar trüber Stimmung, nahm Heinz nach einer Weile wieder das Wort. Laßt sehen, ob ich Euch durch eine gute Nachricht ein wenig erheitere.

Der Ratsherr lachte auf. Mich? Es geht mit mir zu Ende.

Ich höre, daß Ihr viel schwere Verluste gehabt habt. Vielleicht war's noch nicht einmal der schwerste, daß Euch die Seeräuber zwei gute Schiffe genommen haben.

Eins zum andern, Herr Hauptmann, eins zum andern.

Das meine ich eben auch. Nun – was die zwei Schiffe anbetrifft, da kann ich Euch die tröstliche Nachricht geben, daß sie samt der Ladung im Hafen von Lübeck liegen und nur auf Weisung von Euch warten, wohin sie steuern sollen.

Huxer richtete sich im Sessel auf und blickte ihn eine Weile starr an. Meine Schiffe –?

Eure Schiffe, Herr Tidemann Huxer.

Der »Christoffer« und die »Barbara«?

Die Namen stehen vorn am Bug aufgeschrieben. Die Seeräuber haben sie mit Farbe überstrichen, aber sie deckt nicht völlig.

Huxer schüttelte ungläubig den Kopf. Wie aber … ?

Ich selbst habe den Räubern die Schiffe abgenommen und sie nach Lübeck gebracht. Hoffentlich ist's Euch genehm?

Herr Hauptmann –! Wenn die Schiffe gerettet sind, bin ich selbst … aber ich will nicht zu früh freudig aufatmen. Mich treffen nur noch Unglücksschläge. Wie sollte dies … ? Geht, geht! Ihr betrügt mich.

So mag einer die Nachricht bestätigen, dem Ihr doch werdet glauben müssen. Kennt Ihr Klaus Poelke?

Meinen Matrosen – gewiß. Der Bursche hat's freilich nicht verdient, daß ich ihn in Dienst nahm. Aber er ist tüchtig, und mein Kapitän bestand auf ihm. Er soll sich tapfer gegen das Räubervolk gewehrt haben. Was half's gegen die Übermacht! Klaus Poelke – was soll's mit dem?

Geduldet Euch einen Augenblick. Er ging hinaus und kam bald wieder mit einem Manne in Matrosenkleidung zurück. Ist er das?

Wahrhaftig, er ist's!

So berichte deinem Reeder, Bursch, wie alles geschehen ist.

Klaus trug die Geschichte von der Rettung der Schiffe mit knappen Worten vor, wie's seine Art war zu sprechen. Huxer erfuhr genug, um ganz beruhigt sein zu können, und entließ den Matrosen mit einem ansehnlichen Geldgeschenk.

Als sie wieder allein waren, reichte Huxer dem Hauptmann die Hand. Ich sehe, sagte er, daß ich Euch in der Tat zu Dank verpflichtet bin, und ich will ihn Euch nicht vorenthalten. Vor Jahren hätt' ich mich um zwei Schiffe wenig gekümmert – ich war ein reicher Mann. Heute ist dies fast mein einziges Hab und Gut. Auch die Ladung gehört mir. Bring ich sie nach Danzig ein, so sind alle meine Verbindlichkeiten gedeckt und die Pfänder gelöst. Nehmt also meinen Dank.

Heinz schüttelte seine Hand und schien sie nicht loslassen zu wollen.

Gestattet nun auch, sagte er, daß ich an Euch eine Bitte wage. Ich darf's heute wohl, ohne den Kopf senken zu müssen. Ich bin ein Bürger der Stadt Lübeck und unter ihre Ratsverwandten aufgenommen. Schon jetzt hat man mich mit einem hohen Amt bekleidet, und ich hoffe durch treuen Dienst noch höher in meiner Mitbürger Gunst zu wachsen. Ihr dürft mir vertrauen, Herr Tidemann Huxer. Wohlan denn! Versagt mir heute nicht aus altem Groll, was Ihr mir zu anderer Zeit nur deshalb weigertet, weil ich Euch nicht ansehnlich genug war. Ich liebe Eure Tochter Maria noch immer wie an jenem Tage, da sie mir entrissen wurde. Hat auch sie ihr Herz bewahrt, wie ich nicht zweifle, so laßt es genug sein an dieser schweren Prüfungszeit und – gebt uns Euren Segen.

Huxer war, als der Name Maria genannt wurde, in ein Zittern verfallen, das sich von seiner Hand aus auch dem jungen Kriegsmanne mitteilte und im unsicheren Ton seiner Sprache merkbar wurde. Dem Alten schien die Kehle wie zugeschnürt; er reckte den kurzen Hals auf und hustete stoßweise. Fragt in der Stadt, antwortete er endlich – man wird Euch sagen, Maria Huxer ist tot.

Heinz heftete den Blick fest auf ihn, wie der Richter, der einen Zeugen verhört, von dessen Aussage es abhängt, ob seine Voraussetzungen haltbar waren. Und er war nicht nur der Richter, sondern die Partei selbst, die gewinnen oder verlieren sollte. Eine gewaltige Spannung malte sich auf seinem Gesicht. Aber er war gewohnt, seine Leidenschaften im Zaum zu halten. Darum sagte er nun anscheinend ganz ruhig: Man wird mir überall in der Stadt sagen, Maria Huxer sei tot, denn man muß es wohl so glauben. Ich aber glaube es nicht.

Ihr glaubt es nicht?

Ich weiß es anders: Maria lebt!

Der Körper des alten Mannes zuckte zusammen wie von einem unsichtbaren Stoß. Er legte den Arm auf die Leiste des Stehpultes und atmete schwer. Von wem wollt Ihr das erfahren haben? fragte er.

Von demselben, der uns damals Euch verraten hat. Es war ein Weib, das Eifersucht zu diesem verzweifelten Entschlusse trieb. Und Eifersucht trieb dasselbe unglückliche Weib auch, Maria im Kloster nachzuspüren. Ich erfuhr's aus dem Munde der zum Tode Gerüsteten, daß Maria lebt.

Der Ratsherr steckte den Daumen in seinen Ledergürtel und drückte ihn gewaltsam ab, als ob er ihm zu eng würde über dem Leibe. Seine Augen waren auf den Boden gerichtet. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf und sagte leise: Sie ist tot.

Seht mir ins Gesicht, rief der Hauptmann, und wiederholt die Worte noch einmal, wenn Ihr könnt. Die begraben liegt in Eurer Gruft in der Marienkirche, war Eure Tochter nicht. Ist sie seitdem ihrem Gram erlegen? Laß es nicht geschehen sein, Gott im Himmel! Es wäre mein Elend.

Ihr habt sie in Unehre gebracht, sagte Huxer nach einigem Bedenken, das war ihr Tod. Wie kann sie von diesem Tod auferweckt werden?

Heinz hob die Hand wie zum Schwur auf: Durch meine Liebe! Meine Liebe gab ihr diesen Tod, und meine Liebe weckt sie zum Leben. Seht, was ein treues Herz vermag. Glaubt – o glaubt an Liebe und Treue, und auch Euer starres Herz wird sich erwärmen für unser Glück! Könnt Ihr heute noch zweifeln, daß ich nichts begehre als sie? Ladet nicht unsühnbare Schuld auf mich: Laßt mich gutmachen, was ich in jugendlichem Ungestüm verbrach. Gebt mir Maria zum Weibe!

Er sank vor ihm nieder und umfaßte seine Knie. Huxer fühlte sich wundersam bewegt – seine Augen wurden feucht, die Festigkeit seines Willens war gebrochen. Er streckte die Hand aus und ließ sie auf das Lockenhaar des Jünglings niederfallen. Aus seinen Fingerspitzen strömte es wie zitterndes Feuer. Sie ist mein Kind, rief er, mein geliebtes Kind! So schwer sie mich gekränkt hat – ich habe doch nicht aufgehört, sie zu lieben. Wohlan! Wenn Ihr's so ehrlich meint – kommt nächste Nacht an die Pforte des Reuerinnenklosters. Ich will sie befragen, und wenn sie Euch folgen will – so mag sie die Eure sein. Ich will sie Euch zusprechen vor zwei verschwiegenen Zeugen. Bringt sie dieselbe Nacht auf Euer Schiff und – Gott mit Euch!

Heinz sprang vom Boden auf und umhalste ihn stürmisch. Sie lebt! Lebt wirklich! Oh, habt Dank – habt Dank – die Rührung überwältigte ihn –, habt Dank! Er riß am Halse sein Wams auf, sich Luft zu machen, warf sich in den Sessel und schluchzte in seine Hände, sprang wieder auf und umarmte den Alten, lief in der Kontorstube auf und ab. Endlich gewann er seine Fassung wieder. Ich hörte nur, daß Maria lebt, sagte er, und daß sie mein sein soll, wenn sie will. Jetzt aber, da mir dieses gewiß ist, klingen noch andere Worte nach, die eine Antwort fordern. Heimlich bei Nacht wollt Ihr, daß ich Maria aus dem Kloster abhole und aufs Schiff bringe? Nein, Herr Tidemann Huxer, das war nicht gut gesprochen. Heimlich entführen wollte ich sie, da Ihr Eure Einwilligung versagtet. Nun der Vater unsern Bund segnet, soll alle Welt wissen, daß ich mein Wort halte und begangenes Unrecht gutmache. Lebt sie mir, so soll sie auch denen leben, für die sie tot sein mußte, weil sie mir zuliebe ihre Pflicht vergessen hatte. So nehme ich Maria von Euch nicht an. Verzeiht Ihr, so führt sie zurück in Euer Haus, wohin sie gehört, und laßt sie vor der ganzen Stadt wieder Eure Tochter sein. Dann will ich um sie werben, wie es dem hansischen Hauptmann geziemt, und meine Herren von Lübeck sollen als Zeugen zugegen sein, wenn ich in der Kirche ihre Hand nehme und ihr Wort erhalte.

Huxer besann sich nur kurze Zeit. Ihr denkt brav, antwortete er, und so ist's mir auch am genehmsten. Er reichte ihm die Hand. Kommt morgen wieder zu mir, lieber Hauptmann, aber geht gleich treppauf und klopft am Fräuleinzimmer an. Ruft Euch Maria hinein, so wißt Ihr, woran Ihr seid, ohne viel Redens.

So bitt' ich noch für einen, sagte Heinz lächelnd, oder vielmehr für eine, die Ihr in Eurem gerechten Zorn hart angefahren habt, und die es doch gar so böse nicht gemeint hat. Soll Euer Fräulein hier wieder einkehren, so braucht sie doch auch ihre Dienerschaft, und wenn sie auch sonst neue Gesichter sehen mag – ihre Barbara würde sie doch sonst ungern vermissen.

Da krauste der Ratsherr die Stirn und knurrte unwillig in sich hinein. Aber tief ging doch der Ärger über diese Mahnung nicht, und es fand sich zum Glück rasch eine Ableitung. Freilich, brummte er, es sieht oben wüst genug aus – die Bande der Aufrührer hat da gehaust und alles durcheinandergeworfen. Aufgeräumt muß werden – und das heute noch. Und es weiß kein andrer so gut, wie es dem Mädchen gefällig ist, als die Barbara, die verdammte Hexe. Gut denn! Ich will sie auf Euer Fürwort wieder zu Gnaden annehmen und in ihren alten Dienst einsetzen. Ich hoffe, sie hat's in diesen Jahren oft genug bereut, sich die sichere Brotstelle so mutwillig verschlagen zu haben.

So erlaubt, daß ich ihr's selbst ankündige, bat der Hauptmann; ich hab' ihr viel Kummer verursacht und hab's nötig, mich in ihrer Gunst wieder herzustellen. Sie glaubt's sicher auch keinem andern, daß Maria lebt.

Damit verabschiedete er sich. An der Tür aber blieb er stehen und schien etwas zu bedenken. Wird Maria mich nicht vergessen haben –? sprach er halblaut mit gesenktem Kopfe. Wird sie mir auch heute noch in die weite Welt folgen wollen? Ich kam so mutig her, und jetzt – ist mein Herz fast zaghaft. Er sah auf seine linke Hand hinab, zog langsam den Ring mit dem blauen Stein vom kleinen Finger und reichte ihn Huxer. Das war ihr erstes Geschenk, sagte er, und ihr zweites. Seht nun zu, ob sie mir's zum dritten und letzten Male gönnen mag. Schickt sie ihn mir morgen früh, so ist's ein Zeichen, daß ich kommen darf. –

Er ging nach dem Hakelwerk hinaus. Klaus Poelke war ihm schon vorausgeeilt und hatte gemeldet, was aus dem Junker geworden. Als Heinz sich nun auf der Straße blicken ließ, da warf Barbara den Spinnrocken um und stürzte hinaus, ihm entgegen. Trotz alles Abwehrens bedeckte sie seine Hände mit Küssen, schluchzte jämmerlich und rief: Ach – ach – ach! Daß meine Maria das nicht erlebt hat!

Und als er nun versicherte, sie lebe, da glaubte sie's anfangs ihm nicht einmal. Täuscht Euch nicht, gestrenger Herr Hauptmann, sagte sie, ich habe sie hinaustragen sehen in einem schwarzen Sarge, und wer tot ist, der ist tot. Aber am Jüngsten Tage wird sie gewißlich auferstehen und von den Engeln geführt werden und wird selbst ewiglich ein schöner Engel sein. Bringen die guten Heiligen nur einen kleinen Teil der Gebete vor Gottes Thron, die ich täglich für ihr Seelenheil an sie richte, so muß sie schon jetzt ohne Makel befunden werden.

Endlich gelang es ihm, sie wenigstens so weit zu überzeugen, daß sie ihm zu Huxer zu folgen und das Stübchen oben wieder einzurichten versprach. Aber glaubt mir nur, sie kommt nicht, war doch ihr letztes Wort.

Und sie kam doch! Vater und Tochter fanden sich wieder in dem stillen, vergitterten Sprechzimmer des Klosters. Sie meinte erst, Heinz wäre gestorben, da sie den Ring sah, und dann jauchzte sie bei der frohen Nachricht auf, daß er gekommen sei, sie zu erlösen. Er wußte ja, daß ich ihn nie vergessen könnte, rief sie, und auf ihn gewartet hätte bis ans Ende!

Und dann die Begrüßung im Vaterhause! Wie Barbara meinte, es sei doch nur ihr seliger Geist und auf die Knie niedersank und betete, Gott möchte doch nur ein Wunder geschehen lassen, daß dies Wirklichkeit sei. Und wie es nun mehr und mehr Wirklichkeit wurde und zuletzt gar kein Zweifel mehr war, weil alle Sinne es bestätigten. Es fehlte nicht viel, daß die treue Person selbst vor Freude das Zeitliche gesegnet hätte.

Den Ring brachte Barbara dem gestrengen Herrn Hauptmann, knickste und sagte: Mein Fräulein läßt schön grüßen und schickt Euch zurück, was Euch gehört, und will's nimmermehr mit Augen sehen als an Eurer Hand. Dazwischen kicherte sie und wischte die hellen Tränen von den Backen.

Da ward erst sein Herz ganz froh. Ich folg' Euch auf dem Fuße, sagte er. Er überholte sie fast noch. Als er aber in die Nähe des Hauses kam, stand da vor der Tür viel Volk und schaute verwundert zum Erkerfenster hinauf. Dort war die Lade geöffnet und ein schönes, bleiches Frauenbild sichtbar, das unbeweglich hinabblickte. Als nun der Hauptmann sich durch die Menge Bahn machte, die um ihn murmelte: Die Tote – die Tote, da belebte es sich plötzlich, hob die Arme und nickte freundlich. Er stand einen Augenblick wie gebannt. Ihre Wangen röteten sich – sie trat vom Erker zurück.

Mit einigen raschen Schritten war er die Steinstufen hinauf und im Hause.

Welches Wiedersehen! Durch die Stadt lief die Wundermär, daß Maria Huxer erstanden sei, wie ein Blitzfeuer. Auch daß der lübische Hauptmann in dem Hause wohl aufgenommen und mit dem Ratsherrn versöhnt sei und um des Fräuleins Hand werbe, das seinetwegen den Schleier nicht habe nehmen wollen, wußte man bald. Noch denselben Vormittag aber konnte man das Brautpaar Arm in Arm nach der Marienkirche gehen sehen, dort Gott zu danken. Aus den Häusern strömte jung und alt, vornehm und gering herbei, und als sie an die Kirchenpforte kamen, hatten sie einen langen Zug von Menschen hinter sich. An dem Altar, den Huxers Vater gestiftet hatte, knieten sie nieder und beteten lange. Die aber mit ihnen gekommen waren, knieten hinter ihnen bis weit in den Hauptgang hinein. Der Pfarrer erschien mit dem Sakristan und zwei Chorknaben, Messe zu lesen. Als sie beendet war, trat der Hauptmann zu ihm und bat um die Erlaubnis, zwei schwere silberne Leuchter für den Hauptaltar der Kirche stiften zu dürfen zur Sühne dafür, daß man eine Lebende totgesagt hätte. Dieses Gelübde wurde gern angenommen und dafür Absolution erteilt.

Nach einigen Tagen kamen die Lübecker Herren mit Gerd von der Beke von Marienburg zurück. Sie hatten beim Hochmeister nichts ausgerichtet. Er werde tun, was seine Vorfahren getan, hatte er wegen des Pfundzolles geantwortet. Dafür hatten sie gedroht, daß die Hansa ihn in seinen Streitsachen nicht unterstützen und des Ordens Handel auswärts belasten würde.

So sehr dieser Mißerfolg der Botschaft verstimmte, so glücklich traf es sich nun, daß die Gelegenheit zu einem großen Abschiedsfeste gegeben war, bei dem die leidige Politik vergessen werden konnte. Der Rat der Stadt Danzig sah es als eine Ehrenpflicht gegen die Stadt Lübeck an, daß er sich feierlich bei der Hochzeit des lübischen Hauptmannes beteiligte. Sie wurde deshalb im Artushof gefeiert, nachdem die kirchliche Einsegnung des jungen Paares in der Marienkirche vor einer ungeheuren Volksmenge vor sich gegangen war.

Nach langer Zeit spielten wieder einmal die Pfeifer und Trompeter vor dem Hof auf, daß es bis zur Burg hinüberschallte.

Dort saß im Turm ein Gefangener: Heinrich von Plauen war von der Brandenburg in das Schloß zu Danzig übergeführt, vielleicht weil man ihn da sicherer verwahrt glaubte. Bei ihm war ein Priesterbruder, der ihm aus einem Buche vorlas.

Da nun die fröhlichen Weisen durch das offene Fenster tönten, schaute der Gefangene auf und fragte: Was gibt's da?

Sie feiern eine Hochzeit, antwortete der Bruder. Ein Hauptmann der Stadt Lübeck heiratet eine von den Ratstöchtern. Auch unser Komtur ist eingeladen.

Plauen senkte wieder das Haupt. Lies weiter.

Hätte er ahnen können, daß sein Sohn eben sein junges Ehegemahl zum Tanz aufführte!


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