Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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2. DIE VITALIENBRÜDER

Nun brauste das Schiff heran. Auf zwei- oder dreihundert Schritte fiel ein Kanonenschuß, der dem Kauffahrteifahrer Halt gebieten sollte. Die Kugel strich seitwärts vorbei und schlug eine Strecke weiter aufs Wasser auf. Es folgte wenige Minuten darauf ein zweiter Schuß. Diesmal traf die Kugel das Holz neben dem Steuer dicht über dem Wasser. Nun wird's Zeit! rief der Kapitän seinen Leuten zu. Er gab ein Zeichen mit der Pfeife: die großen Segel wurden sofort gerefft und die Flagge – rot mit zwei weißen Kreuzen übereinander – von der Spitze des Fockmastes herabgelassen.

Das Holkschiff, das so dem Winde keinen Widerstand mehr bot, verlangsamte sofort seinen Lauf. Der Führer der Barse hatte wahrscheinlich auf so schnellen Gehorsam nicht gerechnet und schoß links mit vollen Segeln dicht vorüber. Zwar warfen einige seiner Leute ihre Enterhaken über das Schanzkleid, mußten sie aber fahren lassen, um nicht bei der schnellen Vorwärtsbewegung über Bord gerissen zu werden. Einer fiel wirklich ins Wasser und ertrank. Die Haken blieben im Holz stecken und legten sich an die Seitenwand des Schiffes. Nun ließ auch die Barse das Großsegel fallen; zugleich machte sie eine Wendung nach rechts, um den Kauffahrer aufzunehmen, konnte aber vor dem Winde nicht schnell genug ausweichen und mußte, da Kapitän Halewat geschickt die Gelegenheit ausnutzte, einen kräftigen Stoß von dem Vordersteven gegen ihre Flanke erleiden, daß die Rippen krachten. Zugleich fuhr das Bugspriet der Holke durch ihre Wanten und verwickelte sich darin, so daß nun ein Teil der Mannschaft vollauf mit dem eigenen Schiffe zu tun hatte. Indes legte doch die Barse herum, so daß Bug gegen Bug stand und der Übergang keine Schwierigkeiten weiter bot. Es sprangen denn auch sofort mehr als zwanzig von den verwegenen Gesellen, voran der Hauptmann, mit wildem Geschrei über das Schanzkleid oder kletterten am Bugspriet entlang auf das Vorderkastell, schwangen Schwerter und Streitkolben durch die Luft und drangen auf die Matrosen ein, die sich auf einen Wink des Kapitäns zurückzogen und auf dem Steuerdeck sammelten.

Ergebt euch! rief der Anführer, ein Mann von wohl sechs Fuß Höhe mit fuchsrotem Bart. Ihr seht, daß jeder Widerstand vergeblich ist. Ergebt euch, wenn euch das Leben lieb ist!

Darüber ließe sich verhandeln, sagte der Kapitän. Das Leben ist jedem lieb. Wer seid Ihr?

Das kümmert Euch nicht, antwortete der Rotbart, näher tretend. Nach Eurer Flagge gehört das Schiff nach Danzig. Wir liegen in Fehde mit den Danzigern um wichtiger Ursachen, die Euch nichts angehen, und nehmen ihr Gut, wo wir's finden. Sagt also, ob ihr uns gutwillig folgen wollt nach Gotland?

Der Kapitän nickte. Wenn Ihr uns eine Verschreibung an unsere Herren in Danzig zu geben versprecht, daß Ihr uns mit Gewalt gezwungen habt –

Der Hauptmann lachte. Die sollt Ihr haben. Also folgt uns auf unser Schiff, wir besetzen die Holke mit unseren Leuten. Vorwärts!

Indessen war die Räuberbande, lauter stämmige Burschen von verwildertem Aussehen, dem Hauptmann nachgerückt und umstand den Raum vor dem erhöhten Steuerdeck. Auf manchem Gesicht spiegelte sich der Verdruß, daß es zu keinem Kampfe kommen sollte. Keiner von ihnen merkte, daß sich in ihrem Rücken die Luke zum Schiffsraum öffnete und zwei Feuerstöcke die eisernen Läufe herausstreckten. Im nächsten Augenblick blitzte das Pulver auf, krachten die Schüsse und fielen zwei von den Räubern getroffen zu Boden. Die Matrosen, die gefeuert hatten, sprangen aus der Luke, kehrten die Gewehre um und drangen damit auf die Bande ein. Ihre Genossen folgten, die Ritter und Junker brachen aus ihren Verstecken vor, und der Kapitän mit seinen Leuten warf sich von vorn den Räubern entgegen.

Verrat! Verrat! schrie der Hauptmann. Hierher, Brüder! Festgeschlossen! Nieder mit der Brut! Werft sie über Bord ins Wasser! Nicht einer bleibt am Leben!

Es entstand nun ein wildes Handgemenge. Die Schwerter blitzten und klirrten, die Eisenpanzer rasselten, dicht fielen die Hiebe auf die Sturmhüte und Blechhauben. Als die Seeräuber der Ritter ansichtig wurden, stutzten sie, aber der Rückzug war unmöglich, und so mußte auch mit ihnen der Kampf aufgenommen werden. Freilich mit ungleichen Waffen. Denn die langen Schwerter derselben waren vom besten Stahl und ihre Rüstung undurchdringlich. Aber von der Barse her eilte noch ein Dutzend Gesellen zu Hilfe, und so wurde diese Ungunst für sie wieder ausgeglichen. Unter den wuchtigen Streichen der Ritter waren schon einige von den Räubern neben den erschossenen zu Boden gesunken, und ihr Blut färbte die Planken des Overlops, aber noch immer griffen zwei und drei zugleich an. Barthel Groß stand mit dem Rücken gegen den Mast gelehnt und verteidigte sich mehr, als er angriff. Die beiden Junker waren hier und dort, wo einer der Matrosen zu hart bedrängt wurde, und zogen immer neue Feinde auf sich. Die Schiffsknechte, wenig geübt im Waffendienst, suchten die Kämpfenden von hinten zu fassen und zu Boden zu ringen oder aufzuheben und über Bord zu werfen. Dem einen und andern gelang's.

Der Hauptmann, der alle an Länge überragte und bereits den Reffssteuermann und einen Bootsmann niedergestreckt hatte, schien nun einzusehen, daß doch die Hauptgefahr von den Rittern drohe. Er warf sich auf den, der in der vordersten Reihe kämpfte, unterlief sein Schwert, umfaßte mit den Armen seinen Leib und suchte ihn hintenüber zu stürzen. Der Ritter wollte seine Waffe, die ihm doch wenig mehr nützte, nicht fallen lassen und wurde dadurch behindert, den rechten Arm zu gebrauchen. Dennoch hätte er vielleicht Widerstand geleistet, wenn er nicht in eine Blutlache getreten und ausgeglitten wäre. Blitzschnell warf sich der Rotbart auf ihn und stieß ihm den langen Dolch zwischen Halsberge und Plate in die Brust.

Die Seeräuber erhoben ein Freudengeschrei und erneuerten mit frischem Mut ihren Angriff. Aber der Jubel dauerte nicht lange. Heinz von Waldstein nahm den Kampf mit dem Hauptmann auf. Fast einen Kopf kleiner als er, meinte er sich doch an Stärke mit ihm messen zu können. Mit einem Streitkolben, den er einem Gefallenen abgenommen hatte, ging er ihm zu Leibe, als er sich eben vom Boden erheben wollte, und traf seinen Eisenhut so sicher, daß der Bügel desselben zersprang und der gewaltige Mann betäubt zurücktaumelte. Aber seine Kraft war nicht gebrochen. Den Schwertangriff parierte er eine Weile geschickt mit dem langen Dolch und brachte auch seinem immer wütender anstürmenden Gegner einige wohlgezielte Stöße bei, die freilich seinem Ringpanzer nur geringen Schaden taten. Endlich aus mehreren Wunden blutend, schlug er mit der Armschiene das Schwert zur Seite und packte Heinz bei der Kehle, mit ihm zu ringen. Bald drängten die Kämpfer einander Brust an Brust gegen das Schanzkleid des Schiffes hin, jeder bemüht, den anderen mit dem Rücken gegen dasselbe zu zwingen und ins Wasser hinabzustürzen. Dabei kam dem Räuber seine Körperlänge zustatten, indem er den kleineren Gegner von Zeit zu Zeit aufzuheben und eine Sekunde lang schwebend zu halten vermochte. Doch verlor er gleich wieder den Vorteil, sobald der Junker im Rücken einen Halt fand. Endlich gelang es dem letzteren doch, ihn mit einer unvorhergesehenen raschen Schwenkung zu Boden zu schleudern. Sie rollten über das Verdeck hin, bis Heinz gegen den Mast festen Fuß faßte, sich mit dem Aufgebot aller Kräfte aufrang und das Knie auf die Brust des keuchenden Feindes setzte. Ergib dich! schrie er ihm zu, indem er mit beiden Händen seinen Hals faßte.

Zwei von den Raubgesellen, die ihren Hauptmann in ernstlicher Gefahr sahen, eilten nun aber zu seiner Hilfe herbei. Einer derselben holte schon mit dem Schwerte aus, Heinz einen Hieb über den Kopf zu versetzen, der leicht hätte tödlich werden können, als Hans von der Buche zusprang und ihn abfing. Der Angreifer mußte sich nun gegen ihn wenden, und Heinz hatte es nur noch mit einem Gegner zu tun. Den Hauptmann durfte er dabei nicht wieder vom Boden aufkommen lassen. Er schnürte deshalb dessen Hals so fest zusammen, daß er blutrot im Gesicht wurde und das Bewußtsein verlor. Sobald Heinz merkte, daß er für die nächsten Minuten zu jedem Widerstande unfähig war, entriß er ihm den Dolch und nahm den Kampf mit frischer Kraft auf. Es wurde ihm nicht schwer, hier Sieger zu bleiben.

Als die Seeräuber ihren Anführer anscheinend tot auf dem Deck liegen sahen, ergriffen sie, so viele ihrer noch aufrecht standen, die Flucht und suchten nach der Barse zu entkommen. Die dort Zurückgebliebenen hatten längst die Gefahr erkannt und inzwischen alle Anstrengungen gemacht, das Bugspriet der Holke aus den Tauen frei zu ziehen, in dem es sich beim Anprall verwickelt hatte. Nun suchten sie, um rascher loszukommen, den Baum mit Beilen zu kappen.

Kapitän Halewat, der sich mit den Räubern tapfer herumgeschlagen hatte, richtete zunächst sein Augenmerk darauf, zu sichern, was man errungen hatte. Er rief den Schiffsknechten und Putken zu, Stricke aus dem Raum heraufzubringen. Damit wurden dann dem Hauptmann und seinen Gesellen, die entweder verwundet am Boden lagen oder von ihren Siegern an der Flucht gehindert wurden, die Hände auf den Rücken gebunden. Vier von den Räubern waren getötet, zwölf andere wurden auf diese Weise dingfest gemacht, einige hatten in der See ihren Tod gefunden. Ich denke, wir können zufrieden sein, sagte der Alte.

Noch nicht ganz, rief Heinz, der aus einer leichten Stirnwunde blutete. Das Gesindel darf uns nicht entkommen. Nun wollen wir ihnen einen Besuch abstatten. Wer folgt mir?

Laßt's genug sein, meinte der Kapitän, unsere Leute sind erschöpft. Die Barse kommt auch schon frei, und wenn sie erst wieder den Wind in den Segeln hat –

In diesem Augenblick krachte das Bugspriet und fiel ins Wasser hinab. Die Matrosen auf dem Räuberschiff stießen sofort ab und gewannen freie Fahrt. Heinz stampfte vor Ärger mit dem Fuß auf. Der Sieg ist nur halb! rief er. Gibt's denn kein Mittel? Er sah mit blitzenden Augen der Barse nach, die schon hundert Schritte weit abgetrieben war. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Die Lunte her! Er riß sie einem der Schiffsjungen aus der Hand und eilte damit auf das Vorderkastell. Dort richtete er die Blide, die ganz vergessen war, und feuerte sie ab. Das Glück war ihm günstig; die Kugel traf den Vordermast und brach ihn mitten durch. Der obere Teil mit den Stangen und Segeln fiel über Bord und blieb in den Tauen hängen. Das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr und drehte sich um sich selbst, während die Mannschaft bemüht war, die Taue zu kappen.

Nun gab der Kapitän sein Kommando. Die Bootsleute machten die Segel klar; in wenigen Minuten war man hinter dem Feinde her. Barthel Groß gab den guten Rat, die Enterhaken, die noch im Schanzkleide steckten, herauszuziehen und zu benutzen. Bald steckten die spitzen Eisen im Holz der Barse. Ehe die Räuber sie mit den Beilen fortschlagen konnten, lag schon Schiff an Schiff. Die beiden Ritter sprangen über und trieben das schon mutlose Gesindel vor sich her. Nach kurzer Gegenwehr ergab sich die Mannschaft und ließ sich binden.

So war denn ein glänzender Sieg erfochten, freilich aber auch mancher Verlust zu beklagen. Der Hauptbootsmann, zwei von den Knechten und ein Matrose lagen neben dem Ritter tot auf der Kampfstätte; fast keiner der Lebenden war ohne schwere oder leichtere Wunden davongekommen. Doch war man des schönen Erfolges froh.

Der alte Kapitän entblößte das Haupt und sprach ein kurzes Gebet für die Toten. Dann sonderte man sie – auch im Tode noch Freund und Feind –, legte die Zusammengehörigen nahe beieinander und bedeckte sie mit Segeltüchern. Im Raum der Barse waren einige Fäßchen Bier gefunden; die wurden als gute Beute betrachtet und ausgestochen. Darauf ging's wieder an die Arbeit. Die Putken ließen an Stricken kleine Tönnchen an der Schiffswand hinab, zogen sie mit Wasser gefüllt hinauf und reinigten den Overlop von dem reichlich vergossenen Blute. Die Schiffsknechte sammelten die Waffen, die den Seeräubern abgenommen waren, und brachten sie in Sicherheit. Einige von den Bootsleuten, noch im Harnisch, wurden auf die Barse geschickt, die gefangenen Matrosen dort in Dienst zu nehmen. Der zerschossene Mast wurde an Bord gezogen, das Räuberschiff mit einem langen Tau am hinteren Greifen der Holke festgelegt und von dieser unter vollen Segeln mitgeschleppt. Der Esping, die größte Schaluppe des Kauffahrers, war flottgemacht und ins Wasser hinabgelassen, damit man im Notfalle zwischen den beiden Schiffen leicht eine Verbindung herstellen könnte. So wurde die Fahrt fortgesetzt.

Ich hoffe, unseren Gefangenen sind die Hände so fest auf den Rücken geschnürt, sagte Halewat lachend, indem er seine Wunden wusch, daß sie an das Rebellieren nicht denken. Sonst gäb's wohl noch ein Mittel – ha, ha, ha! Wißt ihr, wie's die Stralsunder einmal machten, als eins ihrer Schiffe einen solchen Fang getan hatte? Freilich noch einen besseren! Denn als sie ihre Gefangenen zählten, waren's über hundert, und sie hatten nicht so viel Ketten, Stöcke und Behältnisse, sie alle zu schließen. Da war guter Rat teuer, denn es stand zu befürchten, daß das Gesindel in der Nacht rebellierte. Zum Glück fiel's ihnen ein, daß sie eine große Zahl leerer Tonnen an Bord hatten, denn sie wollten nach Schonen, die Heringe abzuholen. Was taten sie also? Sie schnitten runde Löcher in die Deckel, spundeten die Räuber ein, so daß nur die Köpfe aus den Löchern herausstaken, und stapelten die Tonnen wieder fein säuberlich im Raume auf. So brachten sie die Beute wohlbehalten nach Stralsund, wo der Henker Arbeit bekam. Ha, ha, ha, so unbequem sollen's diese Burschen nicht haben! – Die Geschichte wurde von dem rohen Schiffsvolke weidlich belacht.

Als man so eine Stunde gefahren war, immer die flache Küste im Auge, merkte der Kapitän, daß sein Schiff ein Leck haben mußte. Es fand sich Wasser im Raume. Die Untersuchung ergab, daß die zweite Kugel hinten durchgeschlagen hatte und die Wellen durch die Öffnung spülten. Es war keine sonderliche Gefahr dabei, aber der Zimmermann wurde doch hinabgeschickt, das Loch mit Tüchern zu verstopfen und ein paar Säcke mit Grütze gefüllt vorzulegen, die von der Schiffskost übrig waren und das nachsickernde Wasser einziehen konnten. Dann wurden die Pumpen in Bewegung gesetzt, damit die geladenen Güter nicht Schaden nähmen.

Nachmittags langte man am Ausfluß des Weichselstromes an. – Auf der Landspitze links war vom Ordensschloß aus kürzlich ein festes Blockhaus zum Schutze der Einfahrt gegen die Seeräuber errichtet. Einer von den Brüdern hatte dort mit mehreren bewaffneten Knechten sein Quartier als Mündemeister. Um das Haus war im Viereck ein Wall aufgeworfen, über den nach der Wasserseite hin die Köpfe zweier Bombarden schauten. Das Schiff mußte hier anlegen, um dem Mündemeister Rede zu stehen, der zugleich den Pfundzoll erhob, die Abgabe von den eingehenden Gütern, um die fortwährend Streit war zwischen dem Orden und den Städten, und die man dann gemeinsam zu erheben und zu teilen übereingekommen war. Es fand sich auch der von der Rechtstadt angestellte Pfahlknecht mit seinen Leuten und der Hafenwärter ein, den sonderlichen Fang zu besichtigen. Sie waren städtische Beamte und hatten das Bollwerk bei der Einfahrt instand zu halten und die Hafenanlagen zu beaufsichtigen. Das Pfahlgeld zur Unterhaltung des Hafens zahlten die Schiffer aber nicht an sie, sondern legten es erst in der Stadt in der Pfahlkammer nieder, die sich im unteren Raume des Rathauses befand. Kapitän Halewat wußte auch ohne ihre Weisung Bescheid.

Dann nach der Zollabfertigung ging's weiter mit gutem Winde den mächtigen Weichselstrom hinauf. Die beiden Freunde standen auf dem Vorderkastell und schauten neugierig nach rechts und links um, was sich ihren Augen in der Nähe der großen Handelsstadt neues bieten möchte. Auf beiden Seiten des Flusses breiteten sich anfangs weite Wiesenflächen aus, auf denen hier und dort Pferde und Vieh weideten. Dann wurden rechter Hand Schneidemühlen und kleine Häuser von Holz am Ufer sichtbar. Herr Barthel Groß trat heran und erklärte ihnen, daß sich die Jungstadt Danzig bis hierher hinausziehe. Der Orden hat sie erst vor dreißig Jahren angelegt, sagte er, und tut, was er kann, ihren Handel in Schwung zu bringen, von dem er selbst Vorteil hat. Er übertrug dem Lange Klaus und dem Peter Sandowin die Besetzung, gab ihnen auch vier Freihöfe und den dritten Teil aller Gerichtsbußen. Es wollte mit der neuen Ansiedlung doch nicht ganz nach Wunsch vorwärts, und noch immer sind viele Stellen unbebaut, obgleich die Herrschaft der Stadt zwei Dörfer geschenkt und ihr geholfen hat, das Rathaus und die Kaufhäuser zu bauen. Uns Rechtstädtern ist die Jungstadt kein gefährlicher Nachbar. Sie wird sich niemals ganz frei machen vom Orden, ob sie schon wie wir kulmisch Recht und selbständiges Gericht, auch volle Marktgerechtigkeit hat. Überall reden ihr die Herren in die Verwaltung drein, und jeder Hausbesitzer muß für sich seinen Zins aufs Schloß tragen, während wir aufs Stadthaus zinsen und den Orden durch unseren Kämmerer in runder Summe befriedigen. Das ist ein gar merklicher Unterschied, ob er euch gleich kaum des Redens wert scheinen mag. Denn ein anderes ist's, ob der Bürger sich der Stadt verpflichtet fühlt und nur durch den Rat dem Orden, oder ob die Herrschaft die Hand auf jedes einzelnen Säckel legt.

Die Häuser traten nun dichter zusammen, freilich von Zeit zu Zeit noch immer durch Holzgärten und Weideplätze getrennt. An den zu zwei und drei eingerammten Pfählen lagen Schiffe und dicht am Ufer Holzflöße. Es war da viel reges Leben bemerkbar. Hier beginnt die Straße auf dem Bollwerk, erklärte der Ratsherr, indem er sich hinter die Junker stellte und die Hand mit dem großen Siegelringe zwischen ihren Schultern vorstreckte. Dort weiter hinein ragt das Rathaus über die Häuser des Ringes hinaus. Ein ganz stattlicher Bau, wie auch das Kaufhaus dort. Aber es gehört ihnen doch nur die Hälfte davon, und sie müssen jährlich alle Einnahmen aus den Kaufstellen mit dem Orden teilen, weil er die Hälfte der Kosten getragen hat. Pah! Wer fremden Beistand anruft, muß auch fremden Rat annehmen. Ich lobe mir's, auf eigenen Füßen zu stehen.

Ist die Stadt ganz offen? fragte Hans von der Buche, der sonst überall im Lande auch den kleinsten Ort befestigt kannte.

Barthel Groß stieß den Atem durch die Nase. Die Jungstädter haben die Mauern so gut in ihrem Verschreibungsbrief als wir, antwortete er, aber sie warten, bis der Orden ihnen die Steine anfahren lassen wird. Er wird ihnen dann aber auch die Torwächter stellen – ha, ha, ha!

Nun wurde der mächtige Backsteinbau des Ordensschlosses sichtbar, ein Viereck von Gebäuden, durch Ecktürme überragt und von Mauern mit Zinnen ringsum eingeschlossen. Das Schloß war gerade an der Stelle angelegt, wo rechter Hand die Mottlau in die Weichsel einmündete; es zog sich mit seinen starken Vorwerken bis an die beiden Flüsse heran. Die dritte Seite vorbei floß der Mühlgraben, der damals oberhalb der Mottlau ebenfalls in die Weichsel seinen Abfluß hatte, und ein Teil des Wassers war in den Burggraben geleitet. Nur von wenigen kleinen Fenstern waren die gewaltigen Außenmauern des Burgbaues durchbrochen, der dadurch ein recht düsteres Aussehen gewann.

Die »Maria von Danzig« steuerte in die Mottlau ein und zog die Barse nach sich. Bald glitt sie über eine schwere eiserne Kette hin, die am jenseitigen Ufer angepfählt war und sich rechts über eine große Rolle in die Mauer hineinzog; sie hing schlaff und zu zwei Dritteln unter dem Wasserspiegel.

Was bedeutet das? erkundete Junker Heinz.

Das Gesicht des Ratsherrn verfinsterte sich. Wir können's vorläufig nicht hindern, sagte er, daß die Herren hier eine Kette durch den Fluß legen und sie aufziehen, wann sie wollen. Sie haben hier die Macht, also auch das Recht. Es hat einen gar glimpflichen Namen: der Fluß soll gesperrt werden können im Notfall gegen feindliche Schiffe, etwa gegen die Seeräuber oder gegen die dänischen Orlogs, die der Stadt einen unliebsamen Besuch machen möchten. Nun ja, eine Art von Schutz ist's schon, aber gebeten haben wir nicht darum. Und ich denke, im stillen ist auch noch eine andere Absicht dabei: die Kette kann auf einmal uns Rechtstädtern zum Schimpf aufgezogen werden, unsere Schiffe nicht hinauszulassen. Das Ding ist uns sehr beschwerlich.

Steht ihr so schlecht mit der Herrschaft? fragte Hans. Das war früher nicht so.

Nicht schlecht und nicht gut, antwortete Groß, das Kinn aufwerfend. Wir wachsen zu kräftig, das macht dem Orden Sorge. Er möchte gern wie eine Henne alle seine Küchlein unter den Flügeln haben, und es sind darunter doch einige, die schon gern auf eigene Faust ihr Futter suchen. Thorn, Elbing, Danzig – die kleineren nicht zu nennen –, wir gehören zur Hansa und tagen mit zu Lübeck, innerhalb Landes aber untereinander zu Marienburg, und was unsern Handel angeht, darüber leiden wir nicht gern Einsprache. Das gefällt dem Orden immer wenig, ob er's gleich anfangs ohne Widerspruch gelitten hat. Er möchte auch alljährlich gern dreinreden bei der Ratswahl, um stets seine Freunde im Stadtregiment zu wissen, und seine Freunde sind nicht immer der Stadt gute Männer. So gibt's denn allerhand kleine Häkeleien mit dem Komtur – es wäre zu weitläufig, das des näheren zu erklären. An das Schloß lehnte sich die Vorburg mit großen Speichern nach der Wasserseite. Sie fuhren dicht daran vorüber. Da speichert der Orden sein Korn, fuhr der Ratsherr fort, und er hat noch mehr Magazine weiter am Fluß hinauf. Seht ihr, das ist auch so ein Punkt, über den wir schwerlich jemals einig werden. Der Orden hat überall im Lande großen Besitz und kann das Korn, das er baut und das ihm von den Bauern gezinst wird, nicht verzehren; daß er's verkauft, ist ganz in der Ordnung; aber daß er nun selbst damit Handel ins Ausland treibt und sich allerhand Privilegien beimißt, die den Kaufmann in der Stadt drücken (er blickte nach den beiden Rittern um, die am Mast standen und den Mauerwächtern zuwinkten), das macht viel böses Blut. Es sollte alles durch die Hand des Kaufmanns gehen.

Rechts folgte nun eine Strecke sumpfiges Ufer. In einiger Entfernung landeinwärts dicht unter dem Schloß lag ein Häuflein kleiner und niedriger Häuser um ein größeres herum, das sie mit dem Dach überragte. Das ist das Hakelwerk, erklärte Groß, da wohnen die Fluß- und Seefischer zusammen in einer besonderen Gemeinde. Das Haus in der Mitte ist der Krug und Kramladen. Die Schiffskinder haben durstige Kehlen. Dort aber, an den letzten Häusern, geht's durchs Haustor in die Rechtstadt. Gottlob, ich bin zu Hause!

Die Mauern der Stadt, von Strecke zu Strecke mit vortretenden Türmen bewehrt, zogen sich gegenüber der Insel links bis an das Flußufer heran und dann demselben entlang, von vielen niedrigen Toren durchbrochen. Dach an Dach ragte über dieselben hervor, so weit das Auge blicken konnte, und über alle erhob sich die breite Masse der Marienkirche und der schlank aufstrebende Turm des Rathauses, hinter dem eben die Sonne unterging. Hunderte von metallenen Kreuzen, Kugeln und Fähnchen blitzten und leuchteten auf den hohen Giebeln der Häuser und Türme. Ein prächtiger Anblick!

Schon vom Schlosse ab hatte eine Schar von größeren und kleineren Booten die Schiffe begleitet. Es mußte auffallen, daß die »Maria von Danzig« eine Barse im Schlepptau hatte, der ein Mast heruntergebrochen war. Es wurde hinaufgefragt und von den Schiffsleuten Antwort gegeben. Bald lief das Gerede von Boot zu Boot, daß ein Räuberschiff nach heftigem Kampfe genommen sei, daß es Tote und Gefangene an Bord gebe. Die Nachricht wurde blitzschnell ans Ufer weiterverbreitet. Links an der Speicherinsel lag Schiff an Schiff, Getreide einzunehmen. Die Sackträger hatten eben Feierabend gemacht und standen nun mit den Matrosen auf den Bohlensteigen oder auf den Hinterdecken, das Schauspiel zu betrachten. Dann flatterte eine Flagge zum Top des Mastes hinauf. Das war unverabredet das Zeichen für alle übrigen Schiffe, ihre Flaggentücher zu Ehren der »Maria« zu entfalten. Kapitän Halewat hatte die Blide noch einmal laden lassen und gab nun einen kräftigen Freudenschuß. Gleich darauf legte das Schiff dicht beim Koggentor an.

Vom Fischmarkt an war ihm schon eine sich immer vermehrende Menschenmenge am Bollwerk entlang gefolgt. Nun, durch den Schutz erschreckt und gleichsam herangerufen, strömte sie auch von der Breiten Gasse her durchs Wassertor und aus der Brauergasse durchs Ankerschmiedetor und vom Langen Markt durchs Koggentor und durch alle die anderen kleinen Tore an den Fluß hinaus, so daß bald der Raum unter der Mauer dicht gefüllt war. Ein Seeräuberschiff genommen! lief die Kunde von Mund zu Mund. Wer ist der Kapitän – wem gehört das Schiff – gibt's Tote – wie viele Räuber sind gefangen? fragte einer den andern. Und dann, von Zeit zu Zeit: Hurra – hurra – hurra!


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