Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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37. VERLORENE LIEBESMÜH

Es war Abend geworden, als man das Turmzimmer in sehr erregter Stimmung verließ. In der Halle wurde ein Faß Bier aufgestellt, auch Brot und Käse gereicht. Aber die Herren begnügten sich mit einem raschen Trunk, den heißesten Durst zu löschen, warfen sich auf die Pferde und jagten mit ihrer Dienerschaft nach allen Windrichtungen davon.

Der Komtur war in der Halle nicht mehr gesehen worden. Er hatte sich, ohne Abschied zu nehmen, allein auf den Weg gemacht. Die Gesellschaft der Eidechsenritter auf öffentlicher Landstraße mochte ihm nicht genehm sein.

Vielleicht hatte er auch noch einen andern Grund zur Eile. Als er in das Schloß einritt, beleuchtete die untergehende Sonne nur noch matt die obersten Geschosse der beiden Haupttürme mit ihren Zinnenkränzen. Liszek sprang zu und nahm ihm das Pferd ab. Er flüsterte ihm dabei etwas zu, worauf der Komtur lächelnd nickte. Im inneren Schloßhof herrschte schon zwischen den hohen Mauern abendliches Dunkel. Unten an der Treppe stand ein Diener, der eiligst an der nie verlöschenden Öllampe in der Küche eine Wachskerze angezündet hatte. Er ging voran bis zu des Komturs Zimmer und gab dem hohen Gebietiger dort die Kerze in die Hand. Sobald derselbe eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, blies er sie aus und schob die Vorhänge vom Fenster zurück, durch das noch ein ausreichendes Dämmerlicht in das Gemach fiel.

Er zog die schweren Reiterstiefel ab und dafür hohe Schuhe von weichem Leder an, legte das Schwert mit dem Wehrgehenk auf den Tisch und vertauschte das Wams mit einem bequemen Hausrock, der faltig die Knie umschloß. Dann öffnete er die Tür und horchte auf den offenen Bogengang hinaus. Es war alles still; nur von der Kapelle her tönte der Gesang der Priesterbrüder, die sich pflichtschuldigst zur Komplete, dem vorgeschriebenen Abendgottesdienst, eingefunden hatten. Er ging zwanzig oder dreißig Schritte dicht an der äußeren Wand entlang bis fast zur nächsten Wendung des Ganges, immer vorsichtig den Fuß aufsetzend, damit der Sand auf den Ziegelplatten nicht knirschte, und blieb vor einer tiefen Mauernische stehen, die hinten durch eine eisenbeschlagene Tür gesperrt war. Sie führte zu einem Raum, in dem der Vorrat an Tuchen und Laken des Ordenshauses auch an fertigen Rittermänteln und Baretts aufbewahrt wurde. An dieser Tür horchte er wieder. Dann steckte er leise den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um. Mit einem raschen Schritt stand er in dem gewölbten Gemach, das aus zwei schmalen Fenstereinschnitten trotz der Dämmerung draußen so viel Licht empfing, daß die Gegenstände darin erkannt werden konnten.

Von einem Stapel Tuche, der wohl die Stelle eines Lagers vertreten konnte, sprang eine schlanke Gestalt auf. Kommt Ihr endlich? rief eine Frauenstimme in sehr unwilligem Tone. Werde ich nun erfahren, weshalb man mich hier eingesperrt hat?

Der Komtur trat näher. Ihr hier, Fräulein? fragte er mit verstellter Verwunderung. In der Tat, ich bin angenehm überrascht –

Gebt Euch keine Mühe, Eurer Büberei ein Mäntelchen umzuhängen, fiel Natalia ihm heftig ins Wort. Ob Ihr's gesteht oder nicht gesteht, ich weiß doch, daß Eure Leute auf Euer Gebot handelten, als sie mich hierher brachten. Sagt's also gleich geradeheraus, was Ihr von mir wollt, damit ich Euch eine gerade Antwort geben kann.

Ich will's nicht leugnen, entgegnete er geschmeidig, daß ich meinen Leuten aufgetragen habe, Euch hier im Schloß einige Ruhe zu gönnen, wenn Euch der Ritt zu sehr angestrengt haben sollte, wie bei Eurem leidenden Zustande zu erwarten war. Sollten sie nicht mit aller Höflichkeit –

Bube! rief sie. Wage mir nicht so frech ins Gesicht zu lügen! Führt etwa der Weg nach Buchwalde an Schloß Rheden vorüber? Und ladet man einen zu Gast, indem man ihm einen Mantel über den Kopf wirft und den Mund bedrückt, daß er nicht schreien kann? Es ist gut, daß Ihr meinen Zorn ein paar Stunden verrauchen ließet, sonst – bei allen Heiligen, hättet Ihr meine Nägel in Eurem spitzbübischen Gesicht gefühlt!

Sie streckte die gekrümmten Hände gegen ihn aus, so daß es ihm geraten schien, einen halben Schritt zurückzuweichen. Nicht so wild, schönes Fräulein, bat er, nicht so wild. Sitzt Ihr zu Pferde, so mag man Euch solche Tonart nicht verargen, wie sie im Reiche der Amazonen wohl Brauch sein mag. Hier aber seid Ihr nun einmal meine Gefangene und handelt unklug, Euch durch unfreundliche Vorwürfe Euer Lösegeld zu erschweren.

Und weshalb bin ich Eure Gefangene? herrschte sie ihn an.

Zu meiner Sicherheit. Ich habe Euch, nicht zu guter Stunde, allerhand von meinen Plänen enthüllt, um Euch mir geneigt zu machen. Ihr wißt, wie Ihr mir's gelohnt habt. Aber das hätte mich noch wenig besorgt gemacht. Nun aber hat es der Zufall so gefügt, daß Ihr Zeuge eines Gesprächs mit dem Waldmeister am Melno-See wurdet, das für Euer Ohr nicht bestimmt war. Wenigstens muß ich glauben, daß Ihr in Eurem unfreiwilligen Versteck gar gut verstehen konntet, um was es sich handelte. War's nicht so? Ihr habt gehört –

Daß der Komtur von Rheden einen alten wahnwitzigen Mann beschwatzte, den Hochmeister seines Ordens zu ermorden!

Sagt richtiger: ihn aufforderte, seine Rache an einem alten Feinde zu nehmen, dem er schon einmal ans Leben wollte. Doch das ist gleichgültig. Jedenfalls muß es mir daran liegen, das Geheimnis für die nächste Zeit zu wahren. Bei Euch aber, fürchte ich, ist es nicht gut aufgehoben. Und deshalb laßt Euch gefallen, hier im Schlosse mein Gast zu sein, bis sich's entschieden hat, ob der Alte das zweitemal besser trifft.

Wie, Nichtswürdiger, Ihr wollt mich hier vielleicht wochenlang der Freiheit berauben?

Es ist durchaus notwendig zu meiner Sicherheit und der guten Sache wegen. Fügt Euch in Geduld. Es soll Euch hier im Schlosse an nichts fehlen. Ich will Euch des Herrn Hochmeisters Gemach nach Eurer Bequemlichkeit einrichten lassen und meinen eigenen Diener zu Eurer Verfügung stellen.

Den spitzbübischen Polen! Der steckt freilich mit seinem sauberen Herrn unter einer Decke. Ich rate Euch: gebt mich frei. Jede Stunde, die Ihr mich länger in Gefangenschaft haltet, könntet Ihr schwer zu bereuen haben.

Er machte eine ablehnende Bewegung mit der Hand. Spart Euch solche Drohungen. Sie können mich nur darin bestärken, Euch die Macht zu nehmen, mir zu schaden.

Und wenn ich einen feierlichen Eid leiste, zu schweigen? Genügt das zu Eurer Sicherheit, Komtur?

Er bedachte sich einen Augenblick. Ihr könntet sagen, der Eid sei erzwungen worden.

Gott weiß, daß ich mich dazu erboten habe, um die Freiheit zu gewinnen.

Aber die Menschen wissen's nicht, und es gibt gefällige Priester, die von solcher Gewissenspflicht lossprechen.

Natalia schwieg eine Weile und sah mit finsteren Blicken zur Erde. Die rechte Hand war zu einer Faust zusammengekrampft, und die Fußspitze bewegte sich ungeduldig auf und ab. Ihr spracht von einem Lösegeld, sagte sie dann grollend. Ich dachte dabei nicht an heut und nicht an morgen, Fräulein. Eins freilich wüßte ich, das schnell jeden Argwohn beseitigen und mich der Notwendigkeit entheben könnte, Euch mit Gewalt zurückhalten zu müssen.

Und das –?

Bedenkt, welche Geständnisse ich Euch im geheimen gemacht habe. Nie hatte ein anderes Weib über mich solche Macht. Tag und Nacht denke ich nur darauf, wie ich mir Eure Neigung gewinne, in allen meinen Träumen ist Euer Bild. Oh, wenn Ihr mich gütig erhören wolltet! – Er trat wieder vor und streckte den Arm nach ihr aus.

Elender Wicht – Meineidiger! rief sie und stieß ihn zurück.

Nenne mich, wie du willst, flüsterte er, aber glaube mir, daß mich bei deinem Anblick ein brennendes Feuer verzehrt, das keine Vernunft löschen kann! Elend bin ich, wenn du mich verschmähst, meineidig, wenn ich meinem Herzen den Schwur nicht halte, dich zu besitzen. Ich lasse nicht ab von dir, schöne Zauberin – ich bin in deinem Bann für Zeit und Ewigkeit. Was ist deine Gefangenschaft gegen meine? Mit eisernen Ketten bin ich angeschmiedet und lechze nach einem Trunk, nicht zu verdursten. Erbarme dich meiner! Gib mir ein Zeichen deiner Huld und sei frei. Den Mann, dem du deine Liebe schenkst, wirst du nicht verraten!

Er sank in die Knie nieder und hob flehend die Hände zu ihr auf. Natalia maß ihn mit einem Blick der Verachtung. Steh auf, antwortete sie rauh. Jedes deiner Worte ist mir eine Beleidigung. Ich hasse, ich verabscheue dich. Aus meinen Augen, Jämmerlicher!

Da erfaßte ein krampfhaftes Zittern seine ganze Gestalt. Von wilder Leidenschaft gepackt, sprang er plötzlich dicht vor ihr auf, umfaßte sie, riß sie an sich und suchte mit seinen brennenden Lippen ihre Wange und ihren Mund. Mit allen Kräften wehrte sie ihn von sich ab, aber er war der Stärkere. Um Hilfe zu rufen, war vergebens. Schon mußte sie seine heißen Küsse leiden. Da machte sie eine letzte gewaltsame Anstrengung. Sich rasch wendend, bekam sie ein wenig Luft, griff mit der Hand zwischen den Gürtel nach der Waffe und stieß sie einen Augenblick darauf gegen seine Brust. Mit einem Aufschrei ließ er ab von ihr, taumelte und sank rücklings zu Boden. Aus seinem Wams drang ein Strom roten Blutes.

Er griff mit der Hand nach der Stelle, wo er getroffen war. Schlange – Schlange – stöhnte er, und dann: Verruchte Hexe – womit hast du mir's angetan? Ah – das ist – mein Tod!

Natalia stand noch eine Sekunde lang wie zu neuem Angriff gerüstet. Die Hand mit dem kleinen Dolche hatte sich bis zur Brusthöhe gehoben, die Spitze von sich abgekehrt. Sie atmete hastig; die Lippen waren von den festverbissenen Zähnen zurückgezogen, die Augen sprühten Blitze gegen das Opfer ihres Zorns. Als sie sah, daß er sich vom Boden nicht erhob, ließ die Anspannung nach. Die Hand, die den Dolch hielt, fing ein wenig an zu zittern; langsam sank sie hinab bis zum Gürtel, hinter dem dann die Waffe verschwand. Hast du deinen Teil, Unhold? murmelte sie. Beklage dich nicht. Ich riet dir, mich in Frieden ziehen zu lassen. Ohne sich um den ganz Hilflosen weiter zu kümmern, nahm sie eilig einen der langen weißen Rittermäntel auf, die in Packen auf den Holzgestellen an der Wand lagen, und warf ihn um die Schultern. Auf den Kopf setzte sie das dazu gehörige weiße Barett mit dem schwarzen Kreuz, es tief über die Stirn drückend. So schritt sie der Tür zu.

Der Komtur machte Anstrengungen, sich aufzurichten, ihre Flucht zu hindern. Aber der Schmerz warf ihn wieder zu Boden. Er versuchte zu schreien, brachte aber nur einen röchelnden Ton hervor. Natalia schlüpfte aus der Tür und schloß sie gleich wieder. Dann ihre ganze Willensstärke zusammennehmend, schritt sie langsam und hochaufgerichtet den oberen Hallengang entlang, die Treppe hinab und durch das Portal auf die Außenmauer zu, in der sich zwischen zwei Wachttürmen das Tor befand. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß man auf einige Entfernung die Gegenstände nicht genau zu erkennen vermochte. Die Wächter ließen sich täuschen. Sie waren an nächtliche Ausgänge der Kreuzherren gewöhnt. Ohne den Befehl abzuwarten, öffneten sie das Pförtchen und ließen die Fallbrücke hinab. Wenige Minuten später war Natalia jenseit des Grabens und in Sicherheit.

Sie setzte den Weg in ihrer Verkleidung noch eine Strecke fort. Erst als sie die Stadt hinter sich hatte und in ein Wäldchen eintrat, warf sie Mantel und Mütze in die Büsche und eilte nun in rascherem Schritt in der Richtung auf Buchwalde zu.

In der Nacht kam sie dort an, von den Hofhunden wütend angefallen, aber bald erkannt und dann mit frohem Gebell bis zum Tor des alten Hauses begleitet. Sie wußte, daß Hans dort seine Schlafstelle hatte, klopfte an seine Tür und trat ein, ohne seine Aufforderung abzuwarten.

Hans hatte sich nach Entfernung des letzten Gastes auf sein Lager geworfen. Der Schlaf aber wollte nicht kommen. Sein Gewissen war schwer beunruhigt durch die Beschlüsse des Eidechsenbundes, denen er zwar nicht zugestimmt hatte, an die man ihn aber sicher gebunden hielt. Er erinnerte sich wieder der Warnungen des Schwetzer Komturs. Worauf anders dachten die Genossen als auf den schimpflichsten Landesverrat? Und einen wie tiefen Blick hatte er in die innersten Verhältnisse der Ordensbrüderschaft selbst getan! Dieser Komtur, der mit den Feinden gemeinsame Sache machte, das Vertrauen seines Meisters so schnöde mißbrauchte, den Landesschoß unterschlug, Söldner ins Land zog, um sie gegen des Ordens Haupthaus zu führen, seine Burg den Polenfreunden übergeben wollte! Der Kopf wirbelte ihm. Nie hätte er solche Niedertracht auch nur für denkbar gehalten. Und sollte er dazu schweigen? Dieser Hochmeister, den er verehrte wie keinen anderen Mann, war in Gefahr, seine Herrschaft zu verlieren, und er sollte ihn nicht einmal warnen? Aber sein Eid! Freilich galt er nur den Verpflichtungen, die der Bundesbrief auferlegte, die von solcher Verräterei nichts wußten. Aber war's nicht auch Verrat der Bundesgenossen, wenn er ihre Heimlichkeiten anzeigte? Hätte es nur ein Mittel gegeben, ihre finsteren Pläne zu durchkreuzen, ohne ihre Personen zu gefährden.

Nun fuhr er vom Lager auf und rief erschreckt: Wer ist da?

Ich bin's – Natalia, antwortete sie, die Hand auf seine Schulter legend.

Du, Kind – und so spät in der Nacht? Was willst du?

Ich habe Grund, dich zu wecken.

Du weckst mich nicht. Vergebens bin ich bemüht, einzuschlafen – schwere Sorge hält mich wach. Aber was hast du?

War der Komtur im Buchenwalde?

Niklas von Renys hat ihn bei den Eidechsen eingeführt. Was da beraten ist –

Und woher kam er?

Das weiß ich nicht.

Ich aber weiß es und will dir's sagen. Er hat dort einen Mörder gedungen für den Hochmeister.

Natalia! Der Komtur von Rheden hat –

Einen Mörder gedungen für den Hochmeister. Ich bin nicht verstört: ich berichte, was ich mit eigenen Ohren vernommen habe. Sie erzählte, was ihr begegnet war im Walde und im Schloß. Nur von Heinrichs Brief sagte sie nichts. Und nun tu, was dir gut scheint, schloß sie. Es ist möglich, daß ich den Komtur nicht tödlich getroffen habe – der Arm konnte sich nicht frei bewegen. Dann wird er auf Rache sinnen, vielleicht auch dich verfolgen, weil er dich fürchtet wegen des Schimpfes, den er deiner Schwester angetan hat. Sei auf der Hut! Ich kam in der Nacht, dich von dem Geschehenen in Kenntnis zu sehen, weil ich noch vor Morgen fort muß.

Er griff hastig nach ihrer Hand. Wohin, Natalia?

Das muß mein Geheimnis bleiben. Mein Weg ist nicht gar weit, und doch weiß ich nicht, ob ich jemals zurückkehre.

Schwester –!

Frage nicht, ich kann dir nichts weiter sagen. Vielleicht – vielleicht wird noch alles gut. Du weißt, ich habe nun einmal meinen eigenen Sinn – da redet niemand mit Erfolg ab noch zu. Sollten wir einander nicht wiedersehen, Hans –

Ich lasse dich nicht fort, Natalia. Was für Tollheiten spuken dir durch den Kopf?

Willst du mich morgen im Brunnen unter der Linde finden? Wer will mich halten, wenn ich gehen will? Lebe wohl und grüße die Mutter. Noch eine Bitte hätte ich freilich –. Mein Pferd ist im Walde gefallen – ich brauche ein ander Pferd. Gib mir's aus deinem Stall; ich will sehen, daß ich dir's zurückschicke, wenn ich's nicht mehr reiten kann.

Wähle, welches dir gefällt.

Und noch eins: mein Erbteil ist noch in deiner Hand. Ich weiß, daß du mich jetzt nicht befriedigen kannst. Aber schieße mir eine Summe vor – so viel du allenfalls entbehren kannst. Ich brauche Reisegeld.

Hans bückte sich und zog einen Kasten unter dem Bett vor, der dicht mit Eisen beschlagen und mit einem Schloß wohl verwahrt war. Er öffnete ihn, griff mit der Hand hinein und zog einen halbgefüllten ledernen Beutel heraus. Reitest

du nach der Marienburg? fragte er indessen.

Nein, antwortete sie ohne Bedenken.

Laß uns teilen, sagte er nach einer Weile. Auch ich brauche Reisegeld. Wir haben dazu kein Licht nötig. In diesem Beutel sind ungarische Gulden. Ich schütte sie auf die Decke. Und nun halte deine Hand hin: der erste für dich, der zweite für mich und so fort.

Zwanzigmal legte er die Goldstücke hierhin und dorthin. Darauf schloß sie die Hand und sagte: Es ist genug. Sie bückte sich und küßte seine Stirn. Dann verließ sie eilig das Gemach.

Hans war nun mit sich einig, was er zu tun hatte. An Schlafen dachte er nicht mehr. Er stand auf, kleidete sich an und packte seinen Mantelsack. Unter den Hut setzte er eine leichte Blechhaube, über die Brust hing er seine Plate, das Schwert durfte nicht fehlen – für alle Fälle. Als er hinaustrat, sein Pferd satteln zu lassen, dämmerte am fernsten Horizont der Morgen, während die Sterne über ihm noch bleich schimmerten.

Der Stallknecht erzählte, daß das Fräulein ihn geweckt und vor einer Stunde schon mit dem polnischen Grauschimmel den Hof verlassen habe. Hans trug ihm auf, dem Kämmerer zu sagen, daß er in seiner Abwesenheit auf die Wirtschaft achthaben solle. Wenn man nach ihm frage, solle es heißen, er sei auf die Märkte geritten, Vieh zu kaufen.

Er ritt in scharfem Trabe den geradesten Weg nordwärts auf Burg Roggenhausen zu. Vor dem Dorfe Grutte holte er einen Fußgänger ein, der eine schwere Armbrust über der Schulter trug. Bald erkannte er den Waldmeister.

Wohin, Alter? fragte er. Er wußte es nur zu gut.

Das kümmert niemand, war die rauhe Antwort.

Der Junker ritt im Schritt neben ihm her. Warum tragt Ihr Euch hier auf der Landstraße mit der schweren Armbrust?

Der Alte lachte. Ich bin ein Jäger und gehe auf die Jagd.

So weit reicht nicht Euer Revier, Waldmeister.

Mein Wild streicht weit herum. Ich bin einem Edelhirsch auf der Fährte, den ich schon einmal in Schußweite hatte.

Ihr geht mit schlechten Gedanken um, Waldmeister.

Mit finsteren Gedanken, das ist meine Art.

Hans überlegte, ob er ihn merken lassen solle, daß er von seinem Vorhaben wisse. Aber er war nicht sicher, was der Alte dann tat, und zu Fuß brauchte er doch immer doppelte Zeit, mußte ihm also einen weiten Vorsprung lassen. Er sagte daher nur: Kehrt nach Hause zurück, Gundrat, und seht in Eurem Walde nach dem Rechten.

Der Alte schüttelte unwillig das graue Haupt und setzte seinen Weg fort.

Hans gab es auf, ihn anders zu stimmen. Er grüßte ihn und jagte davon, daß der Staub hinter ihm hoch aufwirbelte. Bald verschwand er dem Waldmeister aus den Augen.


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