Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. HEINRICH VON PLAUEN

Es war früh am Morgen, als Hans von der Buche die Türme der Burg Rheden sah. Er ritt auf die Brücke und rief dem Wächter zu: Sagt Eurem Herrn, daß die Schlacht verloren ist; er soll sein Haus vor den Polen hüten! Dann sprengte er weiter auf der Straße nach Buchwalde.

Am Hoftor brach das Pferd unter ihm zusammen. Er selbst hielt sich nach zwei durchwachten Nächten kaum auf den Füßen; aber er wußte, was davon abhing, daß er jetzt nicht schwach würde, und faßte alle seine Kräfte zusammen. Vor dem Stall fand er den Kämmerer, der nicht wenig verwundert war, ihn so unerwartet rasch wiederzusehen. Von ihm erfuhr er, daß das Herrenhaus leer stehe, da die Gutsfrau und deren Tochter bald nach dem Abzuge des Ritters nach Schloß Sczanowo abgereist seien.

Es war ihm eine Erleichterung, daß er für die Sicherheit der Frauen nicht zu sorgen hatte. Einer der Hofleute mußte sich sofort aufs Pferd werfen und zum Waldmeister eilen. Ein zweites Pferd für diesen wurde ihm mitgegeben. Der Alte sollte keinen Augenblick säumen, er habe Wichtiges mit ihm zu verabreden und könne diesmal nicht selbst zu ihm in den Wald hinaus. Der Kämmerer erhielt den Befehl, das stärkste und schnellste Pferd aus dem Herrenstall gut zu füttern und für ihn gesattelt zu halten. Dann erst ließ er sich Speise und Trank reichen, stärkte sich und streckte sich eine Weile auf seinem Bett aus. Sollte er einschlafen, so sei er sofort nach des Waldmeisters Ankunft zu wecken.

Aber bei aller Müdigkeit wollte doch der Schlaf nicht kommen: die Aufregung war zu groß gewesen. Sowie die Augenlider zufallen wollten, schreckte er wieder auf. Er hörte noch immer das Donnern der Kanonen, das Klirren der Eisenwaffen, das Splittern der Lanzen, das Wiehern der Streithengste, das Geschrei der Kämpfenden. Und dann war es ihm, als ob er auf dem Hofe den Hufschlag von Rossen vernähme; aber so schnell konnte der Waldmeister auch bei größter Eile nicht eintreffen.

Endlich kam Gundrat. Ihr habt mich rufen lassen, Junker, sagte er beim Eintreten mürrisch; was begehrt Ihr von mir?

Hans sprang auf und reichte ihm die Hand. Mein Vater ist tot, antwortete er, gefallen bei Tannenberg in der Schlacht mit vielen Tausenden.

Der Alte lüftete ein wenig die Kappe. So seid Ihr jetzt hier der Herr. Ich hoffe, Ihr werdet mich aus meiner Waldhütte nicht vertreiben wollen.

Sprecht nicht so, verwies der Junker. Ich glaubte, daß ich auf Eure Freundschaft rechnen dürfte – deshalb berief ich Euch. Ich habe nun die Sorge für Haus und Hof und muß doch noch in dieser Stunde fort. Das Ordensheer ist aufs Haupt geschlagen – nach aller Wahrscheinlichkeit wird König Jagello mit seinen siegreichen Scharen das Land überschwemmen und die Burgen angreifen. Buchwalde ist in Gefahr. Von der Verteidigung des alten Hauses kann nicht die Rede sein; aber die fahrende Habe läßt sich retten. Es ist hier niemand, dem ich so viel Vertrauen schenke als Euch. Wollt Ihr mir helfen, so setze ich Euch über alle meine Leute und gebe ihnen Befehl, Euch in allem gehorsam zu sein wie dem Gutsherrn selbst. Ihr kennt die Schlupfwinkel in den Wäldern am Melno-See. Schafft von unseren Vorräten, soviel Ihr für gut haltet, in den Heidenwall, versteckt dort unsere beweglichen Wirtschaftssachen, Wagen, Pflüge, Eggen und was sich sonst fortbringen läßt. Pferde und Vieh treibt in die Wälder. Der Feind mag dann die leeren Ställe und Speicher finden. Wollt Ihr das für mich tun?

Gundrat besann sich. Ich stehe nicht gern im Herrendienst, sagte er dann mürrisch, weiß auch auf solchem Hof schlecht Bescheid. Ihr habt Eure Kämmerer und Hofmannen, übertragt's denen. Im Walde will ich ihnen die sicheren Stellen anzeigen, aber die Verantwortlichkeit für Euer Hab und Gut kann ich nicht übernehmen.

Das sollt Ihr auch nicht, versicherte der Junker, das vermag in so unsicherer Zeit niemand. Aber es ist ein Unterschied, ob die Leute sich selbst überlassen sind, oder ob sie unter Aufsicht eines Mannes stehen, den sie als streng und gerecht kennen. Ich weiß, daß Ihr am liebsten wie ein Einsiedler lebt. Aber die Dinge haben nun einmal einen solchen Verlauf genommen, daß wir alle tun und meiden müssen, was uns nicht gefällt. Darum handelt freundschaftlich an mir und tretet hier an meine Stelle, bis ich selbst mich wieder des Meinigen annehmen kann. Ich will's Euch danken.

In des Teufels Namen denn! rief der Alte. Aber wenn's blutige Köpfe gibt, so nehmt mich deshalb nicht ins Gericht. Ich bin heftiger Art und schlage rasch zu, wenn man nicht aufs Wort hört. Sagt das den Leuten im voraus.

Ich werde ihnen vorstellen, wie ihre eigene Sicherheit davon abhängt, daß sie Euch in allem gehorchen, entgegnete der junge Gutsherr. Ist aber einer unverständig, den bringt zur Ordnung, wie im Kriege der Hauptmann einen aufrüherischen Gesellen zur Ordnung bringt – es soll Euer Recht sein, und ich will Euch vertreten bei dem Komtur. Jetzt aber folgt mir. Ich habe noch etwas Geheimes auf dem Herzen, das ich nur Eurer Treue anvertrauen kann und wovon niemand sonst wissen darf.

Er führte ihn nach dem alten Hause und die Treppe im Turm hinauf. Zum erstenmal betrete ich dieses Gemach, sagte er, das Schloß öffnend. Es bewahrt die Heimlichkeiten der Eidechsen.

Die dicken Mauern umschlossen nur einen engen Raum, den schmale, mit Holzladen versetzte Fenster mäßig erhellten. Darüber wölbte sich eine Decke, in deren Schlußstein eine Eidechse eingemeißelt war. Auf dem mit Steinfliesen belegten Fußboden stand in der Mitte ein runder Tisch, umgeben von einfachen Holzstühlen. Zwei Schwerter lagen darauf, über einem Kruzifix gekreuzt. Unter dem Tische zeigte sich ein Kasten, mit eisernen Bändern beschlagen, deren auslaufende Enden die Gestalt von Eidechsen hatten. Sicher befindet sich darin der Bundesbrief, äußerte Hans von der Buche, und was ihnen sonst von Urkunden gehört. Den Schlüssel mag einer von den Ältesten in Händen haben. Wie sorgen wir am besten für diese Dinge?

Sie müssen in die Erde vergraben werden, riet der Waldmeister, und niemand als wir beide darf die Stelle kennen. Bis zu mir ist's zu weit; aber hinter dem Hause auf dem Hügel stehen die Buchen dicht, und an heimlichen Verstecken wird's dort nicht fehlen. Er zog die Lade vor und wog sie in den Händen. Es ist Papier darin, sagte er dann lachend, damit werde ich allein fertig. Geht nur voran und holt einen Spaten. Ich lasse indessen unten den Kasten durch eins der Fenster in den Graben hinab, damit man auf dem Hofe nicht merkt, was wir vorhaben. Aber dort an der Wand steht noch eine zweite, größere Lade; die werden wir beide schwerlich regieren.

Der Deckel war nur lose aufgelegt. Im Innern fanden sich Vorräte an Tuchen und Leinwand, silberne Becher und Schalen mit den Wappen der Herren von der Buche, alte Schmucksachen, Pergamente und Briefschaften, ganz unten auch einige Beutel mit goldenen und silbernen Münzen. Das ist Eigentum des Gutsherrn, meinte Gundrat. Euer Vater hat etwas erspart und hier seinen Schatz am besten aufgehoben gehalten.

Ich übergebe ihn in Eure Hände, sagte der Junker. Es ist jetzt keine Zeit, die Lade auszuräumen. Behaltet den Schlüssel zum Turmgemach und seht zu, wie Ihr ein Stück nach dem andern hinausbringt und gut verbergt.

Wollt Ihr nicht das Geld zählen?

Ich hab' Euch gesagt, daß ich Euch vertraue.

Gut denn – so will ich hier im Turm schlafen, bis alles in Sicherheit gebracht ist.

Er lud den kleinen Kasten auf und trug ihn die enge Stiege hinab. Als Hans den Spaten brachte, traf er ihn schon jenseits des Grabens unter den Buchen. Bald war eine Stelle ausgemittelt, die sich für den Zweck trefflich eignete. Der Alte räumte geschickt die Moosdecke ab, ohne sie zu zerstückeln. Sie wurde, nachdem der Kasten einige Fuß tief eingegraben war, wieder sorgfältig aufgelegt. Nun merkt Euch aber den Platz, Junker, sagte der Waldmeister, als sie damit fertig waren. Es wäre doch möglich, daß mir in Eurer Abwesenheit etwas zustieße. Euren Erbschatz sollt Ihr hier in der Nähe finden oder in einer Ecke meiner Waldhütte, wenn es mir gelingt, ihn heimlich dorthin zu schaffen. Hier stehen drei alte Buchen in gleichen Abständen; ich ritze mit der scharfen Seite des Spatens in jeden Stamm ein Kreuz dicht über den Wurzeln, damit es nicht ins Auge fällt. Nun gebt acht! Dort steht eine einzelne Tanne. Genau an derselben vorbei bemerkt Ihr einen großen Stein, und von da ist's nicht weit bis zur Grabenecke. Wenn Ihr also künftig einmal umgekehrt von der Grabenecke auf den Stein losgeht, müßt Ihr an der Tanne vorbei auf die drei Buchen treffen. Das kann ein Kind behalten.

Auf den Hof zurückgekehrt, berief der Junker alle seine Leute, auch die Polen aus dem Dorfe, stellte ihnen den Waldmeister als seinen Gutsverwalter vor und ermahnte sie, gute Zucht zu halten, auch wenn der Feind sie bedrängen sollte. Er wolle es ihnen mit doppeltem Lohn vergelten; der ungetreue Knecht aber werde seiner Strafe nicht entgehen. Dann schüttelte er Gundrat die Hand, warf sich aufs Pferd und jagte davon.

Der Aufenthalt hatte länger als zwei Stunden gedauert. Er suchte ihn einzubringen, indem er den kürzesten Weg auf den Weichselstrom zu nahm, Engelsburg und Graudenz also rechts liegen ließ. Es kam ihm zustatten, daß er die Gegend genau kannte, die Wege waren infolge der großen Hitze der letzten Wochen selbst in den Wäldern trocken, so daß er sein Pferd fast ununterbrochen in rascher Gangart erhalten konnte. Erst in der Niederung stieß er auf Hindernisse, als er die Mühle von Ruda schon hinter sich hatte. Es gelang ihm aber auch, diese letzte halbe Meile bis zum Fluß zu überwinden, bald reitend, bald den Gaul am Zügel führend. Sehr erschöpft langte er in einem Dorfe an, das im Schutz des Weichseldammes lag.

Er wußte, daß er hier eine Fähre über den Strom nicht finden konnte; aber er hatte sich darauf verlassen, daß ein Fischerkahn zur Hand sein werde, und darin täuschte er sich nicht. Daran freilich hatte er nicht gedacht, daß Fahrzeuge dieser Art unmöglich auch ein schweres Pferd übersetzen könnten. Schnell entschlossen stellte er das seine bei einem Bauern ein, gab Befehl, es ihm auf dem Umwege nachzubringen, ließ es absatteln und nahm das Zaumzeug mit sich. Zwischen den Rampen durch gelangte das Boot glücklich nach Sartowitz auf dem andern Ufer.

Hier weideten Pferde auf einer Wiese nahe dem Flusse. Unbedenklich fing er eins davon ein, warf ihm den Sattel und Zaum auf, ließ dem Eigentümer durch den Bootsführer sagen, wo er das Tier nebst gutem Lohn in Empfang zu nehmen habe, und jagte auf dem Damm weiter nach Schwetz.

Auf schaumbedecktem, von dem scharfen Ritt an allen Gliedern zitternden Rosse langte er vor dem Burgtor an und ließ sich sogleich bei dem Komtur melden. Man wies ihn in die Vorburg, wo derselbe gerade eine neue Söldnerschar musterte. Der Junker eilte auf ihn zu. Gnädiger Herr, keuchte er, ein Wort – im geheimen.

Plauen war unwillig über die Unterbrechung. Wer seid Ihr – was wollt Ihr? herrschte er ihn an. Hans von der Buche, gnädiger Herr – ich war kürzlich eine Nacht in diesem Schlosse Euer Gast.

Der Komtur warf einen Blick auf das von Schweiß und Staub entstellte, überwachte Gesicht. Ich erinnere mich – ganz recht.

Herr, eine böse Nachricht –

Von wo kommt Ihr? Ich glaubte Euch bei den Heerfahrten.

Ich war dort – bei Tannenberg –

Nun – was?

Der Junker schöpfte nur mühsam Atem. Nicht vor diesen Leuten. Er beugte sich vor und sagte leise: Das Ordensheer ist aufs Haupt geschlagen – der Hochmeister gefallen –

Plauen fuhr zusammen, wie von einem Blitzschlage getroffen. In seinen grauen Augen loderte das Zornfeuer hell auf. Er stieß den Unglücksboten mit der Hand zurück und rief: Das lügst du, Bube!

Das verzeihe Gott Eurem Schmerz, sagte Hans, sich nur mit Not auf den Füßen haltend, daß Ihr mich so verkennt.

Euer Vater ist einer von den Eidechsen.

Er war's. Seine Leiche liegt auf dem Tannenberger Felde.

Nein, nein und aber nein! Ich kann – ich will Euch nicht glauben. Das Ordensheer – der Meister – es ist unmöglich.

Ich sage die Wahrheit. Ich bin geritten Tag und Nacht –

Wer sendet Euch an mich?

Niemand.

Und welche Beglaubigung habt Ihr?

Keine. Es war alles in wilder Flucht.

Und ich soll Euch glauben?

Ich schwör's – bei dem Andenken eines teuren Freundes, Heinz von Waldstein –

Der Komtur faßte krampfhaft seinen Arm. Ha – er – auch er?

Ich sah ihn unter den Gefallenen – mit einer tiefen Wunde über der Stirn. Diesen Ring – er riß den Handschuh von der Hand –, diesen Ring zog ich ihm vom Finger.

Plauen starrte darauf hin. Aller Zorn war von ihm gewichen, im Augenblick schien ihn der Schmerz zu betäuben. Er sah Hans in die Augen, als wollte er ihm in die tiefste Seele sehen. Ja, es war die Wahrheit! Er preßte die Lippen zusammen, schaute zum Himmel auf und drückte die Hand auf die Stirn. Kommt, sagte er nach einer Weile in ganz verändertem Tone, Ihr sollt mir berichten.

Er übergab den Befehl einem von den Rittern und schritt rasch voran über die Brücke und durch das Tor nach dem Schloßhof. Dort wandte er sich dem Eingang zur Kapelle zu und winkte dem Junker zu folgen. Auf dem ganzen Wege sprach er kein Wort.

Die Kapelle war leer. Plauen sprach ein kurzes Gebet am Seitenaltar und nahm dann in einem der Ritterstühle Platz. Dem Junker wies er den nächsten. Sagt, was geschehen – Gott wird mir Kraft geben, alles zu hören.

Hans von der Buche erzählte, was er mit eigenen Augen gesehen oder von Augenzeugen erfahren. Lebhaft schilderte er alle Schrecken der Schlacht. Der Komtur hatte den Arm aufgestützt und das krause graue Haar über der Stirn mit zusammengeballter Hand gefaßt. Er saß unbeweglich, die Augenlider gesenkt, die Zähne scharf ineinander verbissen. Kein Zeichen des Unglaubens machte sich mehr sichtbar. Es schien, daß kein Zweifel weiter Raum finden konnte in seiner Seele, nachdem sein Herz so schwer getroffen war. Als Hans aber erzählte von des Hochmeisters letztem ritterlichen Kampf und von seinem heldenhaften Ende, da seufzte er laut und stöhnte schmerzlich und sagte leise: Gott – Gott – Gott sei uns gnädig!

Er brauchte einige Zeit, sich zu sammeln: das Ungeheure dieser Nachrichten überwältigte ihn. Und wer führt nun das Heer zurück? fragte er dann.

Es schien keinen Führer mehr zu haben, antwortete Hans. Und ein Heer war's auch nicht mehr. Aufgelöste Haufen stürmten über das Feld hin, keinem Hauptmann gehorchend. Viele versanken in den Moorgründen der Semnitz, andere zerstreuten sich in den Wäldern – die Tataren waren auf ihren schnellen Pferden hinter ihnen her.

Und der Ordensmarschall? Friedrich von Wallenrod ist in der Schlacht gefallen. Und Kuno von Lichtenstein, der Großkomtur –?Gefallen.

So ergriff Graf Albrecht von Schwarzburg das große Banner – er ist ein tapfrer Mann!

Er starb den Heldentod. Ritter an Ritter lag neben ihm hingestreckt.

Auch der Oberst-Trappier – o Jammer! Aber der Ordenstresler –? Sprecht, sprecht!

Man sagte mir, auch der tapfere Thomas von Merheim sei unter den Erschlagenen. Aber ich sah ihn nicht. Die Leichen lagen hoch getürmt, wo er gestanden hatte.

So blieb von den obersten Gebietigern nur noch der Spittler, Werner von Tettingen. Er ist ein alter, kranker Mann.

Ich bemerkte ihn unter den Fliehenden. Er bemühte sich, die Reste der Elbinger Fähnlein zusammenzuhalten. Wenige Ritter waren um ihn.

Und die Komture?

Sie müssen in der Schlacht geblieben sein bis auf wenige. Der von Danzig rettete sich mit einigen Rotten Danziger Bürger und einer Söldnerschar in den Wald. Ich verlor sie bald aus den Augen.

Plauen schwieg wieder eine Weile. Sein Gesicht hatte einen finsteren Ausdruck, die Falten auf der Stirn vertieften sich, die Finger wühlten im krausen Haar. Und warum – kommt Ihr zu mir ?

Ich weiß nicht, wie ich darauf fiel. Es war ein Gedanke – ganz plötzlich. Ich glaube, als ich den armen Freund in seinem Blut – Jetzt nichts von ihm. Was will des einzelnen kleines Leid – Die Stimme versagte ihm.

Ihr standet plötzlich hochaufgerichtet vor meinen Augen, wie ich Eure Gestalt im Gedächtnis bewahrte. Und eine innere Stimme rief mir zu: der ist es – der kann retten aus dieser Not – der ist der einzige, der retten kann! Zu ihm! Und ich spornte mein Pferd und eilte zu Euch, Herr.

Der Komtur lehnte den Kopf zurück. Retten –! Was ist zu retten, wo alles verloren ward? Nicht einmal ein geschlagenes Heer, die Burgen zu decken! Der König wird mit seinen wilden Horden das Land überschwemmen – ein Würgengel wird durch das ungeschützte Land ziehen, morden und brennen. Was kann ich –? Wenig mehr denn dreitausend Mann stehen unter meinem Befehl. Wenn ich mich den Polen entgegenwerfe – ich opfere sie unnütz. Hier kann ich das Schloß – kann ich Pommerellen verteidigen – mich in der Neumark mit Sternberg vereinigen, vielleicht im Rücken des Feindes. Aber wird er uns Zeit lassen? Wird er sich hierher wenden? Wird er einen Angriff abwarten? Was hindert ihn, die Marienburg –

Er sprang auf. Ha, die Marienburg – das muß sein Ziel sein, wenn er nicht mit Blindheit geschlagen ist – ja, ja, die Marienburg! Ist sie genommen, so endet aller Widerstand. Solange des Ordens Banner von ihren Zinnen weht, ist der König nicht Herr im Lande. Des Ordens Haupthaus muß gerettet werden! Dorthin – und sollten wir uns unter seinen Mauern und Türmen begraben!

Es war, als ob eine wilde Begeisterung ihn erfaßte, die Augen blitzten, und helle Röte stieg in sein eben noch aschfahles Gesicht. Laßt mich mit mir allein, rief er, ich will zu Gott beten, daß er mir Kraft gebe zu diesem Menschenwerk, und mich mit ihm beraten, wie ich's vollbringe! Ihr habt mir eine traurige Botschaft ausgerichtet, und wahrlich, so oft ich Euer Gesicht sehe, werde ich an diese Stunde gedenken müssen! Aber wenn ich zur Zeit die Marienburg erreiche vor des Königs Ankunft, will ich sie Euch doch danken. Geht jetzt!

Der Junker entfernte sich: Er schwankte über den Burghof nach dem Brunnen, sich durch einen kühlen Trunk zu erfrischen. Der Körper war ihm so schwer, als könnten die Füße nicht länger die Last trägen. So setzte er sich denn auf die Steinbank und lehnte den Kopf an den Brunnenrand. Keine Minute verging, so war er fest eingeschlafen. Das Hausgesinde fand ihn dort, konnte ihn aber nicht erwecken. Einige Mitleidige, die ihn für erkrankt hielten, trugen ihn nach dem Schlafhause und legten ihn in eine Gastzelle desselben nieder.

Heinrich von Plauen aber sank vor dem Altar auf die Knie und faltete die Hände über der Brust. Unverwandt sah er auf das Bild des Gekreuzigten. Er sprach kein Gebet, nicht laut und nicht leise. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit irdischen Dingen, aber womit sie sich erfüllten, das galt ihm nur als Eingebung von Gott. Er überzählte seine Ritter, seine Dienstleute, seine Söldner, seine Harnische, Armbrüste und Spieße; er überschlug seine Vorräte an Fleisch und Brot und allerhand Zehrung; er teilte den Weg bis zur Marienburg in Tagemärsche und bedachte, welche Flüsse zu passieren, welche Brücken zu schlagen seien. Und wundersam klar wurde ihm alles. Da stand er auf und sagte: Hilf Gott! und schritt durch die Pforte in der Mittelwand nach dem Kapitelsaal.

Dort gab er den Brüdern mit der Glocke das Zeichen, sich zu versammeln. Bald erschienen die Ritter in ihren weißen Mänteln, begierig zu hören, was zu so ungewöhnlicher Zeit zu beraten sei, und doch mit feierlichem Schweigen ihre Plätze aufsuchend und dort geduldig wartend, bis der ganze Konvent versammelt. Auf dem Gesicht ihres Komturs lasen sie wohl dessen tiefe Bekümmernis, über niemand wagte zu fragen. Als die Türen geschlossen waren, erhob Plauen sich von seinem Sitz, nahm sein Schwert in beide Hände und hielt es mit dem Kreuzgriff vor sich hin. Im Namen der Jungfrau Maria, sagte er, das Kapitel ist eröffnet.

Dann teilte er den Brüdern mit, alles was er erfahren hatte, so schlimm es auch war. Diese Nachrichten erschütterten sie tief, aber bei aller Beunruhigung im Innern verlor doch keiner die würdige Haltung, zu der die Beratung im Kapitel verpflichtete; so gute Zucht hatte der strenge Komtur gehalten. Und nun schloß er seine Ansprache: Liebe Brüder! Nichts habe ich euch verschwiegen, obschon mein Herz blutete, es zu melden. Denn nie bisher, solange der Deutsche Orden besteht, hat er einen solchen Tag der Schmach erlebt und einen so tiefen Fall getan. Lasset uns deshalb nicht mutlos werden! Es will mir scheinen, daß Gott uns berufen habe, sein Werk in diesem Lande vor dem Untergang zu bewahren. Wer unter euch möchte dazu raten, uns in des Königs Macht zu geben, weil er unsere Schwäche bedenkt? Gott ist stark in denen, die ihn anrufen! Erwartet auch nicht Befehle von auswärts. Wer soll sie auch geben? Tot ist der Hochmeister, tot der Ordensmarschall. Von allen Gebietigern lebt vielleicht nur der Spittler, und er ist gebeugt von Alter und Krankheit. Wir selbst müssen handeln. Diese Burg Schwetz ist fest und gut versehen mit Waffen und Vitalien. Eine kleine Schar kann sie gegen den Feind im Notfall halten, und mein Vetter von Plauen ist im raschen Anzuge mit mehreren Fähnlein Söldnern, die der Besatzung helfen können. Aber die Marienburg ist in Gefahr! Aus den Briefen, die mir der Herr Hochmeister schreiben hieß, hab' ich ersehen, daß sie entblößt ist von Mannschaft, Geschütz und Vorräten jeder Art. Das Heer ist zersprengt; es ist niemand da, der es sammelt und aufnimmt in ihren Mauern. Leicht mag es dem Könige gelingen, wenn er den allgemeinen Schrecken und die Verwirrung benutzt, die schlecht bewachte Feste ohne Schwertschlag einzunehmen. In der Marienburg aber ist des Ordens Heil! Sie muß ihm erhalten werden, es koste, was es wolle! Darum ist mein Rat, zu handeln auf eigene Verantwortlichkeit und uns selbst Vollmacht zu geben, was wir zu des Landes Bestem halten zu tun. Ich will in so wichtigen Dingen nicht entscheiden ohne der Brüder Zustimmung. Aber ich weiß es, sie wird mir nicht fehlen. Wer meines Sinnes ist, der erhebe sich von seinem Sitz und sage: amen!

Da wagte niemand sitzenzubleiben. Alle erhoben sie sich, die einen schneller, die anderen langsamer, und alle sagten amen, wenn auch nicht mit gleicher Freudigkeit. Denn mancherlei Bedenken stiegen in den älteren auf, ob die Nachrichten ganz zuverlässig seien, ob man zur Zeit die Burg erreichen werde, und ob man nicht in den gewissen Tod gehe, wenn des Königs siegreiches Heer ihnen den Weg vorwärts und rückwärts verlege. Nun sie ihren guten Willen gezeigt hatten, hielten sie auch nicht ganz zurück mit bescheidenen Vorstellungen, wie schwierig und unsicher das Unternehmen sei. Plauen aber rief: Es ist beschlossen, und nun mag Gott helfen, wenn er will! Ans Werk denn! Keine Stunde ist zu versäumen! Stehe ein jeder an seiner Stelle als ein ganzer Mann, und er wird Männer finden, die ihm dienen. Noch vor Abend muß unser Heerhaufe gerüstet sein und ausrücken. Es ist alles bereit. In drei Tagen können wir die Marienburg erreichen.

Ohne Zögern gab er nun jedem der Ritter seine Befehle. Der Hauskomtur sollte als Pfleger in der Burg zurückbleiben und für ihre Verteidigung sorgen. Ein anderer erhielt Auftrag, in der Rüstkammer auszuwählen, was an Harnisch und Waffen entbehrlich. Ein dritter hatte die Fuhrwerke zu beschaffen und mit dem nötigen Proviant zu beladen. Ein vierter wurde nach den Vorwerken geschickt, eiligst die Pferde herbeizuholen. Und so gab es für jeden zu tun. Auch gingen reitende Boten ab an die vornehmsten Landesritter mit der Weisung, sich sofort auf dem Schlosse einzufinden. Ebenso wurde der Bürgermeister von Schwetz geladen. Der Komtur selbst ging ins Lager der Söldner und sprach mit den Hauptleuten. Sie sollten die Zelte abbrechen und auf Wagen laden, ihre Fähnlein aber marschfertig machen.

Nur einen Teil seines Heerbannes hatte der Komtur schon ausgehoben. Mehr als sechzig Ritterdienste und vierzig Schützendienste waren im Gebiet der Komturei zu leisten. Die noch auf ihren Höfen geblieben waren und auf die Einmahnung warteten, wurden nun mit Boten beschickt und aufgefordert, sich unterwegs an vorbestimmten Orten anzuschließen. Aber auch für die Landesverteidigung in des Komturs Abwesenheit mußte gesorgt werden. Deshalb eben waren die Landesältesten aufs Schloß berufen. Sie versprachen, gute Ordnung zu halten. Im stillen bei sich aber mochte mancher denken: steht des Ordens Sache auf so schwanken Füßen, so dürfen wir nicht vergessen, daß wir des Königs von Polen nächste Nachbarn sind. Wir wollen vorsichtig zuwarten, daß wir nicht in Schaden kommen. Nur Herr Both von Ileburg schüttelte des Komturs Hand und sagte: Wem ich mich zugeschworen habe mit Leib und Leben, der soll mich allemal treu befinden. Verlaßt Euch auf mich.

Erst spät am Nachmittage, als alle Anordnungen für den Heerzug getroffen waren und die Söldner schon in Rotten zusammentraten zur letzten Musterung, gedachte Plauen des jungen Freundes, den er nach der Unterredung in der Kapelle nicht mehr gesehen, aber in der Unruhe des Tages auch nicht vermißt hatte. Nun fragte er nach ihm, und er wurde in das Schlafhaus gewiesen. Dort fand er den Junker wirklich noch immer in tiefem Schlaf; wie man ihn hingelegt hatte, so lag er da; nicht die Hand oder den Arm hatte er gerührt, nur die Brust hob und senkte sich bei den regelmäßigen schweren Atemzügen.

Der Komtur stand eine Weile neben seinem Lager und betrachtete ihn nachdenklich. Der Junker von der Buche war ihm keine Persönlichkeit gewesen, zu der er schnell Vertrauen fassen konnte. Auf den ersten Blick – damals bei der Begegnung im Hause des Ratmanns Clocz – hatte er sich eher abgestoßen gefühlt, er wußte selbst nicht den Grund davon. Lieber wäre es ihm gewesen, Heinz hätte sich diesen Gesellen nicht ausgesucht, der ihm etwas Unfaßliches hatte, das ihn beunruhigte. Auch der Gastaufenthalt im Schlosse hatte ihm den Junker nicht nähergebracht, und nun mußte der gerade ihm die Todesnachricht des jungen Freundes zuführen und des Ordens schwerste Niederlage berichten. Das verstärkte bei ihm das Gefühl der Abneigung. Und doch mußte er sich gestehen, daß der Junker sich redlich bemüht hatte, ihm und seinem Orden einen großen Dienst zu leisten, daß er alles Vertrauen verdiente und auf einen wärmeren Dank rechnen durfte, als der ihm zuteil geworden war. Er soll ihm werden, sprach er vor sich hin.

Nun legte er die Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn ein wenig, um ihn zu erwecken. Es gelang nicht so leicht. Erst als er sich über ihn beugte und laut seinen Namen rief, schrak der Junker auf und sah ihn mit verwunderten Augen an. Wo bin ich –? fragte er schlaftrunken. Gleich darauf aber sprang er vom Lager auf. Oh, Ihr seid's gnädiger Herr –! Ich schlief gewiß lange – verzeiht!

Gern hätte ich Euch länger Ruhe gegönnt, antwortete der Komtur, denn Eure Ermüdung nach dem scharfen Ritt muß groß sein. Aber in einer Stunde verlasse ich das Schloß und wollte Euch vor meiner Abreise noch gesprochen haben. Gedenkt Ihr nach Eurer Heimat zurückzukehren?

Ich werde dort wenig nützen können, sagte Hans, sich den Schlaf aus den Augen reibend und sein Gedächtnis anstrengend, da alles, was in den letzten Tagen geschehen, ihm wie ein wüster Traum vorkam. Meine Meinung war, daß ich mich Euch zur Verfügung stellen wollte, wenn Euch mein Dienst genehm wäre. Ich war überzeugt, daß Ihr etwas Tapferes unternehmen würdet, und wollte dabei nicht gern fehlen. Deshalb setzte ich für alle Fälle in Buchwalde einen Verwalter ein; man erwartet mich dort nicht so bald.

Der Komtur nickte freundlich. Ihr habt Euch in mir nicht getäuscht. Ich führe meine Mannschaft nach der Marienburg, zu sehen, ob ich sie gegen die Litauer und Polen halten kann. Wollt Ihr mir dahin folgen? Einen Mann mehr weiß ich zu schätzen.

Von Herzen gern! rief der Junker. Gebietet über mich, gnädiger Herr!

So hört, was ich Euch zu sagen habe. Ich will Euch ein Gut anvertrauen, das ich in den treuesten Händen wissen muß, wenn ich ruhig sein soll. Euch ist bekannt geworden, daß Heinz von Waldstein, den Ihr Euren Freund nanntet, eine Schwester –

Waltrudis! Was kann für sie geschehen? Mein Blut und Leben –

Hört mich zu Ende. Ich vertrete Vaterstelle bei der Waise, wie Ihr wißt, und meine Sorge um ihre Sicherheit ist daher gerechtfertigt. Es kann sein, daß der Feind die Stadt Schwetz nicht belästigt. Aber wahrscheinlicher dünkt mich's, daß er sie berennen wird, um sich dieses Grenzgebietes zu versichern, das er als den ersten Preis seines Sieges fordern wird. Nun sind die Mauern zwar stark genug, in gewöhnlichen Fällen einem Heerhaufen Widerstand zu leisten; aber eine ernstliche Belagerung von einigen Tausenden, die mit Geschütz versehen sind, kann die Stadt schwerlich aushalten. Wird sie genommen, so hat sie das Schicksal Gilgenburgs zu erwarten. Ich zittere vor dem Gedanken, daß Waltrudis den rohen Horden der Litauer oder Tataren in die Hände fallen könnte; nicht einmal das schlimmste wär's dann, wenn sie in Gefangenschaft fortgeschleppt und in die Sklaverei verkauft würde. Auch hier im Schlosse weiß ich sie nicht genügend sicher, und den Zurückbleibenden mag ich nicht die Sorge für ein Weib aufbürden. Am besten aufgehoben halte ich Waltrudis in meinem eigenen Schutz, mag die Gefahr für sie sonst in meiner Nähe auch größer sein, da ich dem Kampf entgegengehe. Sie ist ein mutiges Mädchen und wird sich von mir nicht trennen wollen. So habe ich denn beschlossen, sie mit mir nach der Marienburg zu nehmen.

Oh, das ist das beste! rief der Junker. Die Heilige Jungfrau selbst hat Euch das eingegeben.

Ich hoffe es, sagte der Komtur. Aber die Ausführung ist nicht so leicht. Ich bin der Heerführer und habe in den nächsten Tagen andere Sorgen, als auf ein Mädchen zu achten. Auch könnte ich Waltrudis nicht in meiner Nähe haben, ohne allerhand schlimmen Argwohn zu erregen. Dem lieben Kinde muß jede Nachrede erspart werden. So will ich denn, daß Waltrudis mir erst morgen in der Frühe folge und nach mir im Haupthause eintreffe. Ich werde sorgen, daß sie dort bei einem der Beamteten ein Unterkommen findet, die verheiratet sind und ihre Familie bei sich haben. Auf dem Wege aber braucht sie einen Begleiter und Beschützer – und dazu hab' ich Euch ausersehen, Junker. Wollt Ihr der Schwester eines Freundes den Dienst erweisen?

Oh, von ganzem Herzen, versicherte Hans eifrig, indem er des Komturs Hand ergriff. Ihr ehrt mich hoch durch diesen Auftrag, und mein ganzes Bemühen soll sein, daß ich ihn zu Eurer Zufriedenheit erledige.

Plauen schüttelte seine Hand. So nehme ich Euer Ehrenwort, daß der Jungfrau kein Leides geschehen soll in Eurem Schutz, und daß Ihr sie hüten wollet wie Eure eigene Schwester.

Mit meinem Leben will ich einstehen für mein Wort.

Gut, es sei so! Ihr reitet den ersten Tag bis Neuenburg. Dort wird Waltrudis bei den Schwiegereltern des jungen Lippolt Clocz nächtigen. Ihr selbst findet Herberge auf dem Schloß; der Pfleger soll bei meinem Durchzuge unterrichtet werden. Den folgenden Tag gelangt Ihr bis Mewe. Bringt dem Bürgermeister diesen Brief, so wird er willig Eure Begleiterin bei sich aufnehmen. Am dritten Tage erreicht Ihr leicht die Marienburg vor Abend, wenn Ihr nicht Aufenthalt habt beim Passieren des Flusses. Aber haltet in Mewe erst genaue Nachfrage, ob etwa der Feind schon vorgerückt ist und die Straße besetzt hat. Wär's so, dann handelt nach Umständen. Meidet die Gefahr und bringt das Fräulein lieber nach der Stadt Danzig. Und nun, Gott befohlen, Junker! Ich muß meines Amtes warten.

So verabschiedete er ihn, und Hans von der Buche ging sogleich nach der Stadt, die erforderliche Abrede zu treffen. So traurig er noch wenige Stunden vorher gestimmt war, jetzt fühlte er sich frohen Mutes, durch das Vertrauen des Komturs gehoben und in Hoffnung des Wiedersehens. Wie eine Gunst des Himmels schien es ihm, daß er ausersehen war, das teure Mädchen in seinen ritterlichen Schutz zu nehmen. Die nächsten drei Tage gehörten ihm.

In der Stadt fand er alles in großer Unruhe. Der Bürgermeister hatte gleich nach seiner Rückkehr vom Schloß Anordnungen wegen der Verteidigung getroffen, und von den besorgten Gesichtern war abzulesen, daß man den Feind schon in der Nähe glaubte. Den Ratmann Johannes Clocz traf der Junker im Hausflur an. Er hatte aus einer Kammer, deren Tür offen stand, seinen Harnisch herausgeholt und war eifrig bemüht, die Rostflecken von der Platte fortzuputzen und das Riemenzeug in Ordnung zu bringen. Jungfrau Maria! rief er. Seid Ihr's? So weiß ich auch, wer der Bote gewesen ist, der alle die Hiobsposten gebracht hat. Einen hübschen Lärm habt Ihr angerichtet. Steht's denn wirklich so schlimm um des Ordens Sache?

Hans beantwortete seine Fragen mit möglichst knappen Worten. Der Alte kratzte sich hinterm Ohr und zog den Mund schief. Da werden böse Tage kommen, sagte er, böse Tage. Wir Bürger sind der Nachtwachen auf den Mauergängen schier entwöhnt. Und die Ernte hat noch nicht einmal angefangen. Könnten wir wenigstens unser Getreide gut einbringen, ehe die polnischen Pferde unsere Äcker zerstampfen! Böse Tage, böse Tage!

In der großen Stube oben waren die Frauen beschäftigt, die wertvolleren Kleider, Pelzsachen und Silberzeug in feste Holzkisten zu verpacken. Sie sollten im Notfalle zu Schiff gebracht und nach Neuenburg geschafft oder in die Erde vergraben werden.

Waltrudis half dabei. Als sie nun beim Knarren der Tür aufblickte und den Junker erkannte, erhellte sich ihr ganzes Gesicht. Gott sei Lob und Dank, sagte sie, Ihr lebt! Ihr seid heil entkommen aus der mörderischen Schlacht!

Beglückt durch diesen Empfang trat er auf sie zu und hielt ihr zum Gruß beide Hände hin. Sie legte die ihrigen hinein, senkte nun aber tief errötend den Blick. Da war's plötzlich, als ob sie sich an einer spitzen Nadel verletzt hätte, so fuhr sie zusammen. Sie hatte den Ring mit den blauen Steinen an seinem Finger bemerkt. Mein Bruder! schrie sie auf. Und als bedürfte es gar keiner Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtung, wiederholte sie in leisem Klageton: Mein Bruder!

Es fiel Hans schwer auf die Seele, daß er während des Ganges hierher des armen Freundes gar nicht mehr gedacht und sich's nicht einmal vorgestellt hatte, wie schmerzlich der Bericht seines Todes das Schwesterherz berühren müsse. Nun, schon in der Minute des Wiedersehens, war ihr dieser Verlust gewiß geworden, ohne daß er zu sprechen brauchte. Er ließ den Kopf und die Arme sinken, jetzt ganz mutlos. Er ist tot, klagte das Mädchen. Wie hätte er sich sonst von diesem Ringe getrennt!

Der Junker nickte schwermütig: er war keines Wortes mächtig.

Ein Tränenstrom brach gewaltsam aus den Augen des schönen Mädchens vor und überflutete die bleichen Wangen. Krampfhaft schluchzte die Brust. Marie-Annel und Bärbel umarmten sie und suchten sie durch freundliche Worte zu beruhigen. Nach einer Weile faßte sie sich und bat um Bericht, wo und wie er gefallen sei.

Hans teilte mit, was er wußte. Es war nicht viel und sagte doch alles. Waltrudis dankte ihm, wandte sich ab und verließ das Zimmer. Man hielt sie nicht zurück. Jeder verstand, daß es ihr Bedürfnis sein mußte, mit sich allein zu sein und sich auszuweinen.

Nach einer Stunde kam sie wieder. Der Junker hatte indessen die Hausfrau von dem unterrichtet, was der Komtur über Waltrudis beschlossen hatte. Es war ihr, so lieb sie das Fräulein hatte, eine Erleichterung, in dieser Zeit der Not dieser fremden Sorge überhoben zu werden, und so machte sie sich gleich eifrig an die Zurüstung zur Reise. Eben als Waltrudis eintrat, hörte man draußen in einiger Entfernung die Pfeifer und Trompeter des abziehenden Heeres. Sie erkundigte sich, was das bedeute, und so hatte der Junker nun gleich einen Anlaß, seinen Auftrag auszurichten.

Sie hörte ihn ruhig an. Es geschehe mit mir, wie der Herr Komtur will, sagte sie. Kann ich doch nicht zu Heinz, seinen Leib zu bestatten. Die Tränen flossen wieder. Ach, die Freude war so kurz – ich habe keinen Bruder mehr!

Aber einen Freund, versicherte Hans mit wärmstem Ausdruck, und was an ihm ist, das will er sein Leben lang daransetzen, Bruderstelle zu vertreten. Glaubt mir!

Sie sah zu ihm auf mit einem Blick, der unter Tränen zu lächeln versuchte. Ich glaube Euch – ich habe einen Freund!


 << zurück weiter >>