Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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16. AUF DEM SCHLACHTFELDE

Zurück zum Schlachtfelde von Tannenberg! Nicht gar weit hinaus hatten die Polen und Litauer ihre Verfolgung fortgesetzt. Zufrieden mit dem Erfolge, die Reste des Ordensheeres zerstreut und in die Wälder getrieben zu haben, dachten sie nur daran, sich selbst wieder in Sicherheit zu bringen und über die Beute herzufallen, die unschwer zu erjagen war.

Das Lager bei Dorf Frögenau war genommen. Viele Hunderte von Wagen, beladen mit Lebensmitteln und Getränken aller Art, fielen den Siegern in die Hände und wurden sofort geplündert. Die Anführer kannten ihre Leute und gaben sich nicht vergebliche Mühe, diesem tollen Treiben Einhalt zu tun. Bald brannten überall auf dem Felde, wo in der Nacht vorher die Ordensritter mit ihren Scharen gelagert hatten, lustige Feuer, und herum lagen die müden Streiter, schmausend und zechend nach Herzenslust, während die Pferde in der Nähe weideten. Der eine Haufe jubelte dem andern zu, und laut erschollen die Siegesgesänge der Frohlockenden bis zu dem Totenfelde hin. Auch drüben im polnischen Lager gab man sich ungebunden der Lust hin. Der König und der Großfürst hatten eiligst ihren Troß herangezogen und reichliche Vorräte unter das Kriegsvolk verteilt. Jede Rotte lagerte, wo sie gerade zuletzt ihren Standort gehabt hatte. Wüstes Geschrei tönte bald überall, und der Fürsten Gesundheit wurde so oft getrunken, daß die Zecher ins Gras taumelten.

Wenn jetzt ein Heer von einigen Tausenden mit einem kühnen Führer an der Spitze aus dem Hinterhalt vorgebrochen wäre und die Siegestrunkenen überfallen hätte, die Verwirrung wäre furchtbar gewesen, die ganze Frucht des Kampfes vielleicht verloren. Aber die Erschöpfung der Fliehenden war zu groß, niemand dachte an solche Rückkehr, und im Dunkel der Nacht verloren die einzelnen Haufen bald jede Fühlung. Am besten geschlossen bewirkten noch die Söldner ihren Rückzug; doch suchte auch hier nur jeder Hauptmann für sich die Reste seines Fähnleins zu sammeln und auf irgendeiner Landstraße nordwärts in Sicherheit zu bringen.

Endlich überwältigte der Schlaf die lärmenden Zecher, und es wurde still in den Lagerplätzen. Auf dem langgestreckten Schlachtfelde aber ächzten und stöhnten die Sterbenden, Freund und Feind beieinander. An hunderttausend lagen da von den beiden Heeren, und wohl denen, die ein tödlicher Streich gefällt hatte! Ewig lang schien die Nacht dem langsam Verschmachtenden. –

König Wladislaus Jagello war durch den so entscheidenden Sieg überrascht worden. Er überließ es auch jetzt seinen Feldherren und Witowd, für die weiteren kriegerischen Maßregeln zu sorgen, dankte Gott in seiner Feldkapelle für die erwiesene Gnade und ordnete für den nächsten Tag einen feierlichen Gottesdienst seines ganzen siegreichen Heeres auf dem Schlachtfelde an.

Zugleich gelobte er, daß er daselbst dem Brigittiner Orden ein Kloster gründen und reich mit Gütern ausstatten wolle. Täglich solle dort für das Seelenheil der Gefallenen gebetet werden.

Die Leiche des Hochmeisters ließ er auf dem Schlachtfelde aufsuchen und vor seinem Zelte niederlegen. Lange stand er, umgeben von seinen Großen, neben derselben und stellte Betrachtungen an über den Wechsel des Glückes. Es schien ihm eine barbarische Genugtuung zu gewähren, den Sieger und den Besiegten so nebeneinander allem Volke zu zeigen. Bedeutete doch der gefallene Hochmeister das ganze vernichtete Ordensheer! Aber was er sprach, waren fromme und demütige Worte. Nicht ihm gehöre der Ruhm des Sieges, sondern dem Höchsten. Ritterlich sei Ulrich von Jungingen gefallen, nicht nur den Seinigen, sondern auch seinen Feinden ein glänzendes Vorbild der Tapferkeit. Von Herzen verzeihe er dem toten Manne, was er im Leben an ihm gesündigt, und nicht wolle er sich im Glück überheben, daß nicht Gott seinen Übermut strafe. Die Leiche des Meisters solle nicht auf dem Schlachtfelde eingescharrt, sondern nach der Marienburg vorausgeschickt werden, daß sie dort in der Sankt-Annen-Kapelle ihre Ruhestätte finde bei den anderen Ordensmeistern. So ehren wir Polen noch im Tode den tapferen Feind, schloß er.

Gleichwohl blieb die Leiche noch viele Stunden lang in der Nähe des königlichen Zeltes, dem rohen Kriegsvolk zur Schau, am Boden liegen. Erst spät am Abend wurde sie fortgeschafft.

Mit dem Dankgottesdienst auf freiem Felde wurde eine Siegesfeier verbunden, die ebenso geeignet war, die Meinung des Königs von sich selbst zu erhöhen, als ihm in den Augen der kriegerischen Polen, Litauer, Russen und Tataren das Ansehen eines siegreichen Feldherrn zu geben. Er stand dabei in voller Waffenrüstung auf einer eigens zu diesem Zweck aufgeschlagenen, mit kostbaren Tüchern belegten und mit einem Baldachin bedeckten Estrade, umgeben von den Großen seines Reiches, den litauischen Bojaren, den Anführern der Hilfsvölker und den Söldnerhauptleuten – selbst der Großfürst Witowd hatte seinen Platz einen Schritt hinter ihm – und ließ sich die eroberten Banner und Fähnlein vorüberführen. Es waren ihrer wohl hundert, die meisten nicht im Kampfe selbst genommen, sondern auf dem Schlachtfeld aufgelesen oder unter den Leichen ihrer tapferen Verteidiger hervorgezogen. Darunter befand sich das große Banner des Hochmeisters, dessen kleines Banner, das Banner des Ordens, das der Großmarschall Friedrich von Wallenrod geführt hatte, auch die Fahne des heiligen Georg, die Georg von Gersdorf trug, bis alle seine Mannen erschlagen waren und man den Verwundeten gefangennahm. Weiter folgten die Banner der Bischöfe, der Komture, der Städte, auch viele Fähnlein der Söldner. Alle diese Trophäen, dazu Waffenstücke von ausgezeichneten Gefallenen und Mäntel der Ordensritter wurden von denen getragen, die sie erobert oder aufgefunden hatten, und alle Banner und Fahnen neigten sich vor dem mächtigen Könige. Sein Schreiber aber zählte sie und schrieb jedes Stück in ein Verzeichnis.

Dahinter wurden die Gefangenen vorübergeführt. Es war ein Zug von mehreren Tausenden, aber nur wenige Komture und Ordensritter waren darunter, viele Verwundete.

Das Banner des Bischofs von Pomesanien – der goldene Adler im roten Felde zwischen zwei Bischofsstäben war darauf zu schauen – ließ der König sich reichen und übergab es seinem Kronfeldherrn mit dem Auftrage, es als Siegeszeichen voraus an seine Gemahlin und die polnischen Großen, die mit der Hut des Krakauer Schlosses betraut waren, abzusenden. Die anderen Banner und Fahnen befahl er rings um seine Feldkapelle aufzupflanzen, später aber ebenfalls nach Krakau zu schaffen und in der Kirche des heiligen Stanislaus daselbst aufzuhängen. Hier erhob Witowd ehrerbietigen Einspruch. Er meinte, die von den Litauern eroberten Siegeszeichen sollten ihm wohl nach Billigkeit bleiben. Die Bojaren stimmten zu. Da hielt der König es nicht geraten, geradeaus zu widersprechen. Die Trophäen sollten erst in allen großen Städten des Reiches ausgestellt werden, entschied er, damit alles Volk sich des Sieges erfreue; dann wolle er über die Teilung beschließen.

Diese Festlichkeiten unterbrach nur für wenige Stunden das schon am frühen Morgen begonnene Werk der Plünderung auf dem Schlachtfelde. Scharen beutegieriger Polen, Litauer und Tataren zogen über den weiten Plan hin und warfen sich über die Haufen der Erschlagenen. Sie nahmen ihnen die Waffen ab, zogen ihnen die Kleider aus, leerten ihnen die Taschen, rissen ihnen die Siegelringe und Goldreifen von den starren Fingern. Mancher, der noch atmete, erhielt dabei den Gnadenstoß.

Unter diesen Plünderern war auch ein Bekannter. Auf einem kleinen braunen Pferde mit dichter heller Mähne und langem Schweif ritt der Pole Michael von Kroczinski, umgeben von der gleichfalls berittenen Schar seiner Dienstleute. Sein Zaumzeug war mit allerhand Zierat dicht behängt, und die Füße steckten in breiten silbernen Bügeln, die an roten Riemen hingen. Seine Begleiter hatten sich schon mit Beutestücken aller Art beladen und sprangen von Zeit zu Zeit ab, wenn ihre Aufmerksamkeit sich auf einen Gegenstand lenkte, der des Aufhebens wert schien. Herr von Kroczinski spähte umher, ob er etwas von seinem Schwager von der Buche entdecken könnte, der sich, wie er annehmen mußte, unter den Kämpfenden befunden hatte.

Es konnte ihm nur die geringste Beruhigung gewähren, daß er ihn bisher nicht unter den Erschlagenen entdeckte, denn an vielen Stellen lagen sie übereinandergehäuft oder mit dem Gesicht der Erde zugekehrt, ihrer Waffen und Kleider bereits beraubt, und ihre Zahl war so groß, daß immer nur der Zufall leiten konnte. Es war aber auch möglich, daß er entkommen war, und er wünschte es seiner Schwester wegen, der er gern nach Schloß Sczanowo eine gute Nachricht gegeben hätte.

Während er so im Kreise umschaute, stieß sein Pferd mit dem Vorderfuß an einen der menschlicher Körper, die gerade hier so dicht auf das Feld gesät waren, daß auch das vorsichtigste Tier sie nicht hätte vermeiden können, und trat gleich darauf wie erschreckt zurück. Er vernahm einen ächzenden Laut und blickte seitwärts hinab, flüchtig zu erforschen, wen er da unter sich habe. In demselben Augenblick zog er aber auch den Zügel an und zwang das Pferd mit dem Sporn, zur Seite zu treten. Beim heiligen Stanislaus, rief er, den Burschen kenne ich!

Er täuschte sich nicht. Es war Heinz von Waldstein, der da hingestreckt lag. Das Blut über der Kopfwunde war geronnen und sickerte nur noch tropfenweise über die bleiche Stirn. Das Wams hatte man ihm abgerissen, die Brust war nackt bis zum Gürtel hinab, an dem die Tasche fehlte. Er hatte die Hände über derselben gefaltet. Schon früh am Morgen war er von den Leuten des Königs geplündert, die des Hochmeisters Leiche suchten.

Seid Ihr's, Junker? rief der Pole, ihn mit dem Schaft der Lanze berührend, als ob er ihn wecken wollte. Tot sein oder noch lebendig? He, wachen auf, Junker! Noch nicht sein tot, aber Kopf schwer. Er sprang ab, warf einem aus dem Gefolge die Zügel zu, bückte sich und rüttelte ihn. Ah, noch atmen – noch nicht sein tot! Junker Heinz – Junker Heinz!

Laßt mich sterben – bat der so Ermunterte mit schwacher Stimme.

Der Pole lachte. Wozu sterben, wenn kannst du leben? Schwere Wunden, aber Schädel nicht sein zerschlagen – heilen zusammen. Richten auf, Junker, richten auf! Er schob den Arm unter seine Schultern und bemühte sich, ihn ein wenig zu erheben und gegen den Schenkel des toten Gauls zu lehnen, von dem ihn die Plündernden hinabgezerrt hatten. Die schweren Augenlider hoben sich zuckend, die farblosen Lippen bewegten sich, aber nur ein Seufzer war vernehmbar.

Mit dem scheint's zu Ende zu gehen, sprach Herr von Kroczinski polnisch vor sich hin. Er hat zuviel Blut verloren. Schade um den hübschen Menschen! Das wäre ein Geschenk für Natalia gewesen – er schien ihr zu gefallen. Er überlegte. Ah, man kann doch nicht wissen! Die Wunde sieht gefährlich genug aus, heilt aber vielleicht bei guter Pflege zusammen. Diese deutschen Schädel halten schon einen kräftigen Hieb aus. Jedenfalls ist er mein Gefangener.

Er gab seinen Dienern Befehle. Zwei von den Reitern jagten sofort über das Feld hin dem polnischen Lager zu, ein dritter eilte seitwärts fort in der Richtung des Dorfes Seemen. Er kehrte zuerst zurück und brachte in seinem Helme Wasser, das er aus dem Semnitzflusse geschöpft hatte. Ein Teil davon wurde dem Gefangenen eingeflößt, was ihn sichtlich erfrischte. Auch benetzte man ihm das Gesicht und wusch ihm die Kopfwunde. Aus dem Hemde, das einem der Gefallenen in der Nähe abgezogen wurde, riß man einige Streifen ab und stellte damit einen Verband her. Dann setzte ihm Herr von Kroczinski eine mit Wein gefüllte Lederflasche an den Mund, die er bei sich trug. Der Verwundete atmete etwas kräftiger, schien aber immer nur für wenige Augenblicke zu Bewußtsein zu kommen, und wiederholte auch dann nur die Worte: Laßt mich sterben!

Nach einer Stunde etwa langten die beiden Reiter an. Sie brachten einen Leiterwagen mit, auf den Stroh gelegt war. Er gehörte dem polnischen Edelmann, der darauf von Schloß Sczanowo für sich und seine Leute die unentbehrlichen Lebensmittel hatte nachfahren lassen. Er sollte nun die Beute aufnehmen und über die Grenze zurückbringen, wurde dann auch mit Waffenstücken, Kleidern und Mänteln beladen, doch so, daß in der Mitte ein Raum frei blieb, der zu einem Lager für den Verwundeten eingerichtet wurde. Man hob ihn vorsichtig auf dasselbe und breitete über ihn einen weißen Mantel aus, der die Glut der Sonne milderte; einen von den Reitern gab Herr von Kroczinski dem Fuhrwerk zur Begleitung mit und trug ihm auf, ohne Verzug und auf dem kürzesten Wege seinen Gefangenen und die Beute nach seinem Schlosse zu schaffen.

Dem »deutschen Fräulein« ließ er einen Gruß bestellen und sagen, daß der Gefangene ihr gehöre und daß sie nach Willkür über ihn verfügen dürfe, Lascziek, der Diener, schüttelte freilich den Kopf dazu und meinte: Bringen wir ihn lebendig nach Schloß Sczanowo, so tut der heilige Stanislaus ein Wunder!

Die kleine Schar gab dem Wagen eine Strecke über Feld das Geleite, bis er aus dem Bereiche des eigentlichen Schlachtfeldes war, und kehrte dann zurück, die Plünderung fortzusetzen.

Der Tag ging zu Ende, und zum zweitenmal wurde es Morgen, ohne daß der König Befehl zum Aufbruch gab. Die versprengten Haufen hatten sich bereits im Lager zusammengefunden, die notwendigste Ordnung war wieder hergestellt, aber er schien sich von der Stätte seines Ruhmes nicht trennen zu können.

Vergebens hatte der Großfürst einen Auftrag erwartet, seinen Heerkörper in Bewegung zu setzen. Nun ritt er am Vormittag ungeduldig nach dem königlichen Zelte.

Er fand vor demselben Zindram, den Kronfeldherrn, im Gespräche mit anderen Anführern und fragte ihn, welchen Grund die Zögerung habe. Der Ritter zuckte die Achseln und versicherte, schon in der Frühe dem König gemeldet zu haben, daß dem Abmarsche nichts im Wege stehe. Er hat viel Briefe zu schreiben, setzte er hinzu.

Witowd wurde gemeldet und nach einer Weile eingelassen.

Jagello saß in einem Hausrock von weicher Wolle am Feldtische neben seinem Schreiber Sbigneus von Oleßnitz, der eifrig schrieb. An einem zweiten Tische hatten noch zwei andere Schreiber Platz genommen, die Abschriften von den Briefen machten, deren Fassung festgestellt war. Der Großfürst verneigte sich zum Gruß und nahm sogleich das Wort. Ich komme, zu fragen, Vetter, sagte er, welche Befehle Ihr wegen des Vormarsches zu erteilen habt. Meine Litauer sind jede Stunde bereit.

Der König verzog den breiten Mund zu einem spöttischen Lächeln und maß die hohe Gestalt mit den listigen kleinen Augen. Ich hoffe, meine Polen nicht minder, antwortete er; aber sie warten, bis der König ihnen seine Befehle sendet.

Witowd hob sein Schwert aus der Kette und stützte sich darauf. Den Vorwurf, der in Euren Worten liegt, kann ich nicht annehmen, sagte er. Die Litauer schicken mich nicht; ich komme, weil ich ein Recht habe, zu wissen, was uns der nächste Tag bringen soll. Ich habe mich Ew. Gnaden willig untergeordnet in diesem Kriegszuge, wie ich Euch gern nach altem Vertrage als meinen Oberherrn anerkenne. Aber ein Fürst bin ich wie Ihr, und stehe ich nicht neben Euch, so stehe ich doch der nächste an Euch und mit niemand im ganzen Heere auf gleicher Stufe. Darum ziemt es mir nicht, in Euren Rat zu gehen, aber ich darf erwarten, daß Ihr Rat von mir, Eurem Verbündeten, annehmt, wenn es mir nötig erscheint, ihn Euch anzubieten.

Dem König klangen diese stolzen Worte recht unsanft in die Ohren; aber er wußte sich jederzeit zu beherrschen und durfte den mächtigen Vetter jetzt nicht verstimmen. Er winkte ihm daher, auf einem Stuhle Platz zu nehmen, und entgegnete nur: Ich schätze deinen Rat, Vetter, auch wenn ich ihn nicht stets befolge. Meine Sorge ist nicht deine Sorge, das bedenke, und vieles muß geheim betrieben werden, wenn es gelingen soll. Aber sprich, ich will hören.

Witowd biß die Lippe. Es wäre ihm lieber gewesen, der König hätte ihm eine heftige Antwort gegeben, daß er darauf ohne Rückhalt hätte antworten können. Wir haben eine große Schlacht geschlagen, sagte er, sich ebenfalls zu einem ruhigen Tone zwingend, und sind Sieger. Unsere Aufgabe ist es nun, den Sieg zu nützen. Der Feind ist auf diesem Schlachtfelde vernichtet, aber noch mächtig im Lande. Wir dürfen nicht zulassen, daß er sich wieder sammelt und uns zu einer zweiten Schlacht zwingt, die leicht nicht so günstig verlaufen könnte. Unsere Reihen sind gelichtet; fast die Hälfte unserer vereinten Heere ward erschlagen oder kampfunfähig gemacht, und wir haben keinen Zuzug zu erwarten. Der Feind aber hat im eigenen Lande Mittel genug, uns jeden Schritt zu erschweren, wenn wir ihn erst wieder zu Kraft kommen lassen. Darum scheint mir jedes Zögern unheilvoll.

Jagello lächelte grinsend. Du siehst die Dinge nicht aus der Höhe an, Vetter, antwortete er. Kannst du glauben, daß der Deutsche Orden sich nach diesem Schlage je wieder kräftig erhebt? Das ist mehr als eine verlorene Schlacht! Und wenn sie alle wieder aufstehen und zu den Waffen greifen könnten, die Toten im weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz – die wären sie nicht mehr, die sie gewesen sind. Seit zweihundert Jahren fast sind die Brüder von St. Marien Sieger geblieben in jedem Kampfe. Die Welt glaubte an ihre Unbezwinglichkeit, und sie selbst glaubten daran. Nun ist dieser Glaube ausgelöscht für ewige Zeiten. Sie sind klein geworden vor denen, die sie verachteten; ihr Orden ist vernichtet, ihre Herrschaft schwach geworden im Lande. Für uns aber kommt die Zeit der Ernte!

Seine kleinen Augen blitzten von ungewöhnlichem Feuer; die gebückte Gestalt hob sich triumphierend, sie hatte jetzt wirklich etwas Königliches, das nicht ohne Eindruck auf Witowd blieb.

Ich freue mich, zu erfahren, daß Ihr so guten Mutes seid, sagte er. Aber auch sonst schon hat der Orden Niederlagen erlebt, und immer ist er nach kurzer Zeit um so mächtiger aufgestanden.

Nie eine Niederlage wie diese, rief der König, nie! Ich wiederhole, Vetter, es handelt sich nicht um eine verlorene Schlacht. Ich habe gute Kundschafter gehabt in den Schlössern und in den Städten und kann mich auf ihre Berichte verlassen: der ganze Orden stand bei Tannenberg, der ganze Orden! Sein Meister, seine Gebietiger, seine Brüder sind erschlagen bis auf wenige! Seine Burgen sind fast gänzlich entblößt von Verteidigern und müssen sich ergeben, sobald wir's fordern. Und seine Untertanen schwanken schon lange. Wahrlich, die reife Frucht fällt uns in den Schoß!

So laßt sie uns ergreifen, riet der Großfürst, weniger vertrauensvoll. Wir können das Heer nur wenige Wochen zusammenhalten. Je rascher wir vordringen und jeden Widerstand brechen, um so schneller wird der Orden – er hat noch seine Vertreter im Lande – zu einem Frieden geneigt sein, der uns die Vorteile des Sieges sichert.

Die Vorteile des Sieges – wiederholte Jagello. Was nennst du die Vorteile des Sieges … dieses Sieges? Aber davon ein andermal. Du bist ein tapferer Kriegsmann, Vetter! Wer wollte dir das bestreiten? Aber du siehst nicht viel weiter, als wohin dein Schwert schlägt. Verzeih mir, wenn ich dir so offen meine Meinung sage, sie beleidigt dich nicht; denn gerade was dir fehlt, macht dich zu dem, was du bist! Du rühmtest sonst meine Klugheit. Warum vertraust du jetzt nicht ein wenig darauf? Halte diesen Tag nicht für verloren, weil er nicht neuen Kampf bringt. Unsern Leuten ist eine Rast zu gönnen; sie würden es nie verschmerzt haben, wenn wir ihnen nicht die Beute des Schlachtfeldes überlassen hätten. Jetzt sind sie uns dankbar und folgen gern mit frischer Kraft. Auch unterwegs werden wir ihnen Zeit lassen müssen, dem Feinde seinen Überfluß abzunehmen. Es eilt nicht so sehr. Wir kommen immer noch zur Zeit, unsern Einzug in die Marienburg zu halten.

In die Marienburg – da triffst du das Richtige, König! rief Witowd. Gehört uns die Marienburg, so fallen die andern Schlösser von selbst. Ich war dort jahrelang des Ordens Gast und weiß, was diese Feste bedeutet. Darum eben mahne ich zu schnellem Aufbruch.

Ich schicke eine kleine Schar gar mächtiger Hilfstruppen voraus, sagte der König, mit den Augen zwinkernd und zu seinem Schreiber hinüberschielend, der emsig weiterarbeitete, als hörte er gar nicht auf das Gespräch. Er legte seine Hand auf einen Pack Papiere. Das sind meine Schützen, die aus der Ferne zu treffen wissen. Diese Briefe sind gerichtet an die Ordenskonvente in den Burgen, an die Bischöfe und Kapitel, an die Bürgermeister der Städte, an die vornehmsten Landesritter – sie drohen und schmeicheln, sie fordern Unterwerfung und versprechen guten Lohn. Glaubt mir, Vetter, sie fallen auf fruchtbaren Boden. Jeder von ihnen spart einem Tausend unserer Krieger das Leben. Schreib, Sbigneus, schreib! Du siehst, daß man uns die notwendigste Zeit verkürzen will.

Der Großfürst überlegte eine Weile. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß diese Fetzen Papier von solcher Wichtigkeit sein sollten. Dann stand er auf und sagte: Laßt mich voraus mit meinen Litauern, Vetter! Jeder versucht's auf seine Weise.

Jagello schüttelte den Kopf. Nichts konnte weniger sein Wunsch sein, als diesem gefährlichen Bundesgenossen eine selbständige Stellung einzuräumen. Wir dürfen uns nicht voneinander trennen, antwortete er. Unserer Vereinigung ist es gelungen, diesen Sieg zu erkämpfen; Preußenland soll wissen, daß wir auch ferner einig sind.

Wir sind's um so mehr, wenn Ihr mir willfahrt.

Morgen, Vetter, brechen wir gemeinsam auf. Die Briefe sind dann geschrieben und abgesandt. Gedulde dich bis morgen. Der Schreiber schob ihm wieder ein Blatt hin; er drückte sein Siegel in den roten Wachs.

Der Großfürst stand unschlüssig. Du hörst nicht auf meine Stimme, begann er nach einer Weile. Gut, ich will mich auch diesmal deiner Einsicht fügen. Wenn du aber weiter hinaus Pläne hast, König Jagello, von denen ich nichts wissen darf –

Der König griff mit der Hand in die Luft. Wovon sprichst du?

Vom Friedensschlusse in der Marienburg. Was da geschieht, muß mit meinem Wissen und Willen geschehen. Auch ich habe mit dem Orden abzurechnen wegen Szamaiten.

Jagello kniff die Lippen zusammen, daß sich tiefe Falten von den Mundwinkeln zum Kinn hinabzogen. Die Augen suchten im Zelt umher und hafteten zeitweise auf den Gesichtern der Schreiber. Ihre Gesellschaft schien ihm nun unbequem zu werden. Du wirst müde sein, Sbigneus, sagte er, endlich zu einem Entschlusse kommend, ruhe deine Hand ein halbes Stündchen aus und nimm deine Gesellen mit dir. Verstehst du?

Der Schreiber nickte, stand sogleich auf und winkte den andern, ihm vor das Zelt zu folgen. Er wußte, daß der König nicht an ihre Erholung dachte, sondern mit dem Großfürsten allein sein wollte.

Jagello faßte Witowds Hand, als der Türvorhang gefallen war, und veranlaßte ihn, sich wieder zu setzen. Du sprichst von meinen Plänen, Vetter, sagte er schmeichelnd, und hast das beste Recht, sie zu kennen. Versprich mir, daß du fortan Mißtrauen und Argwohn fernhalten wollest, wenn ich sie dir enthülle wie einem brüderlichen Freunde.

Mein Herz ist nicht zu Mißtrauen und Argwohn geneigt, entgegnete Witowd, nur zu offen hat es sich dir stets ergeben. Sprich ohne Rückhalt, so will ich ohne Rückhalt hören.

Der König stützte den Kopf mit dem struppigen Haar, das den größten Teil der finstern Stirn deckte, in die Hand. Ihr Litauer glaubt zu wissen, sagte er leise, um was wir diesen Krieg angefangen haben, und haltet ihn für beendet, wenn wir's erreichen. Ich habe weitergesehen und sehe weiter. Es geht uns nicht um ein Stück Grenzland am Memelstrom und in der Neumark! Als Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden ins Land rief, ahnte er nicht, welche Gefahr er über sich und seine Nachbarn heraufbeschwor. Die Preußen wurden besiegt, aber die Sieger gründeten ein mächtiges Reich an der Weichsel und breiteten den deutschen Stamm weithin aus an der Meeresküste von Pommern bis zum Lande der Esten. Uns aber, die Litauer und Polen, schnitten sie ab von der See, und ihr ganzes Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, uns weiter und weiter von der Küste abzudrängen und botmäßig zu machen ihrem mächtigen Willen. Durch unsere Länder fließen die großen Ströme Weichsel und Njemen, aber wo sie sich ins Meer ergießen, sind jene nun die Herren, nicht wir. Und sie haben deutsche Städte gegründet und mit Mauern fest umschlossen und mit Burgen bewehrt, und wenn wir unsern Überfluß an Getreide, Flachs, Hanf, Holz oder Asche verkaufen und ausführen wollen, müssen wir sagen: kauft unsre Waren, gnädige Herren, und ladet sie auf eure Schiffe. Zahlt uns, was ihr möget, denn besser ist's, wir gewinnen ein weniges, als daß wir sie verderben lassen. Und wieder, wenn wir Tuche brauchen, uns zu kleiden, oder Salz und Heringe und Gewürze aus fernen Ländern, müssen wir zu ihnen gehen und bitten: gebt uns, was ihr zu Schiff heraufgebracht habt und stellt den Preis. Ihre Kaufleute haben in unseren Städten Kontore; die Deutschen allein sind handelsmächtig in unseren Gebieten, und ihnen dienen Völker und Fürsten. Ist dem so?

In der Tat! rief Witowd. Aber wir ändern nichts daran. Unsere Edelleute und Bauern sind nicht geschickt, in Städten zu wohnen und Handel zu treiben, Schiffe zu bauen und zu bemannen oder im Auslande mit fremden Kaufherren zu verkehren. Wollen wir verkaufen und kaufen, so können wir den deutschen Kaufmann nicht entbehren.

Der König blinzelte listig. Es mag so sein, antwortete er, und ich will den deutschen Kaufmann nicht vertreiben oder in seinem Besitz stören. Aber er soll nicht arbeiten und schaffen für meinen Feind. Oder glaubst du, Vetter, die Städte Thorn und Danzig, Elbing und Königsberg, Braunsberg und Memel würden verderben, wenn sie den König von Polen oder den Großfürsten von Litauen zum Herrn hätten, wie jetzt den Orden? Wir müssen herrschen über das Land bis zu den Küsten der See, dann werden sie einen ewigen Frieden haben, und an Freiheit in ihren Mauern, auf Straßen und Flüssen und in dem weiten Reich überall soll es denen nicht fehlen, die uns dienen. Das ist mein Ziel! Wir waren ohnmächtig dem Orden gegenüber, solange wir uneins waren und einander bekämpften. Nun hat ein Litauerfürst die Krone Polens auf sein Haupt gesetzt und die beiden Reiche vereinigt. Das soll zu großen Dingen geschehen sein! Auf dem Felde von Tannenberg haben wir den Orden niedergeworfen, und – nie wieder soll er erstehen! Ziehen wir gegen die Marienburg, so geschieht's nicht, um einen Frieden zu erzwingen, dem nach wenigen Jahren ein neuer Kampf folgen muß. Unser soll das Land sein mit allen seinen Städten, Dörfern und Schlössern. Was diese deutschen Ritter in Jahrhunderten aufgebaut haben ihrem Christengott zu Ehren, das sollen sie uns gebaut haben, die wir jetzt mit besserem Erfolg zu ihm beten. Er hat uns geholfen, zu besiegen, die des Heiligen Vaters Feinde sind. Er wird uns auch ferner helfen, daß wir ihr Erbe antreten zu seinem Ruhm. Gottes Name in Ewigkeit!

Er bekreuzte sich Stirn und Brust, faltete die Hände und blickte zur Zeltdecke auf. Witowd stützte das Kinn auf den Schwertknopf und sah gedankenvoll vor sich hin. So wird sich erfüllen, sagte er, was wir einander zugeschworen haben – anders als wir dachten. So kühn waren meine Hoffnungen nicht. Ja, wir werden sie zwingen unter unser Schwert!

Wenn wir einig sind, schloß Jagello und reichte ihm die Hand.

Der Großfürst schlug ein. Wir sind einig.

So weißt du nun auch, Vetter, was diese Briefe bedeuten. Wir führen Krieg gegen den Orden, aber nicht gegen das Land. Wir versprechen seinen Gliedern, wenn sie sich vom Körper trennen, reichen Ersatz: Herren sollen die Landesritter sein, wo sie Diener waren, wenn sie unsere Oberherrschaft anerkennen. Wir lieben das Land und wollen es ungern heimsuchen mit Brand und Plünderung. Das liegt in der Städte Hand. Wenn sie uns freiwillig aufnehmen und huldigen, so sollen sie mit größeren Freiheiten begnadet sein, als je der Orden ihnen zubilligte. Sie werden dieser Lockung nicht widerstehen! Denn überall hab' ich meine Freunde in den Ratsstühlen, und der Kaufmann kennt seinen Vorteil.

Witowd erhob sich und hängte sein Schwert auf den Haken an der Kette. Befehlet, und ich will gehorchen, sagte er.

Der König gab ihm das Geleite bis zum Türvorhang. Morgen brechen wir gesamt auf, rief er ihm nach; grüßt mir Eure Litauer!

Meine Litauer! berichtigte er sich, als er allein war. Ich dulde dich, solange dein Beistand mir unentbehrlich ist, meine Feinde zu demütigen. Je mächtiger du mich machst, desto leichter wird es mir werden, dich abzuschütteln. Rechne nicht auf Dank.

Gleich darauf trat Sbigneus mit den Schreibern wieder ein. Sie setzten ihre Arbeit fort bis zum späten Abend.

Von Stunde zu Stunde gingen Boten ab, die im königlichen Zelt Anweisung erhalten hatten.

Am nächsten Vormittag setzte sich endlich das Heer nordwärts in Bewegung. Zwei volle Tage hatte der König auf dem Schlachtfelde zugebracht. Erst am dritten verließ er es.

Der längere Aufenthalt war unmöglich geworden wegen des entsetzlichen Leichengeruches, der meilenweit die heiße Luft erfüllte. Erst als die letzten Fähnlein abgezogen waren, wagten die geflüchteten Bauern der umliegenden Ortschaften sich aus den Wäldern vor und suchten ihre verwüsteten Höfe auf.

Noch eine Nachlese hielten sie auf dem Schlachtfelde. Dann öffneten sie tiefe Gruben und warfen die Gefallenen hinein, Freund und Feind, Rosse und Menschen nebeneinander. Aber erst nach vieler Tage Arbeit vermochten sie notdürftig das weite Feld aufzuräumen.

Der König indessen führte sein Heer in kleinen Tagemärschen über die Städte Hohenstein, Osterode, Preußisch-Mark und Christburg der Marienburg entgegen, überall vor sich her Schrecken verbreitend, ausgeplünderte und brennende Dörfer zurücklassend. Großer Jammer erhob sich im ganzen Lande.


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