Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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5. DER WALDMEISTER VOM MELNO-SEE

Der nächste Tag war ein Samstag und Markttag. Heinz kam schon früh vom Schloß nach der Stadt, um das bunte Leben und Treiben zu betrachten, auf das er durch seinen Schlafgenossen aufmerksam gemacht war. Heute hatte jeder volle Freiheit zu kaufen und zu verkaufen. Auf dem Langen Markt waren die Läden der Fleischer, Bäcker und Krämer aufgebaut; auf dem Fischmarkt hielten die Fischer vom Hakelwerk in Bütten, Flechtkörben und Wasserkufen ihre Ware feil. Durch das Tor fuhren die Wagen der Landleute ein, die frische Gemüse, Hühner, Butter, Flachs, Honig und Wachs zur Stadt brachten oder ihre Einkäufe zu machen kamen. In langen Reihen standen sie aufgefahren, und die kleinen Pferde futterten, während Mann und Frau ihre Geschäfte besorgten. Die kleine Stadtwaage am Rathause war dicht umdrängt, aber auch an der großen unten am Koggentor gab's alle Hände voll zu tun, denn der Rat hielt darauf, daß jeder Käufer sein richtiges Gewicht erhalten mußte, wenn die Ware einen halben Stein und mehr wog, und hatte deshalb zwei geschworene Wäger mit einigen Gehilfen angestellt.

Heinz ließ sich nach der Badestube in der Heiligengeistgasse weisen, die dem Bader Wolter Grelle gehörte, einem kleinen, sehr gesprächigen Männchen, das alle Stadtneuigkeiten wußte und den Junker über das Leben im Schlosse auszufragen bemüht war. Die Zeiten sind besorglich, plauderte Grelle, sehr besorglich. Ich habe meine Badestube eine Reihe von Jahren vermietet gehabt und meinte, mich zur Ruhe setzen zu können. Aber wer weiß, was für Unruhen noch über uns kommen; da ist's besser, selbst sein Geschäft in der Hand zu haben. König Jagello ist ein gar mächtiger Herr geworden, seit er sich mit seinem Vetter, dem Herzog Witowd von Litauen verglichen hat, und unser gnädigster Herr Hochmeister Ulrich von Jungingen … Er verschluckte sich, hustete und schnitt Grimassen. Gott schenke ihm den Sieg, fuhr er leiser fort, aber ich fürchte, es steht in den Häusern nicht ganz so gut, als er's sich wünschen mag. Es ist nicht ohne Gefahr, davon zu reden, und ich schweige lieber. Man muß zu vielem schweigen, was nicht in der Ordnung ist, da man's doch nicht ändern kann. Hier, in der Stadt … Er hüstelte wieder. Es ist viel Unzufriedenheit in der Bürgerschaft, und bricht's einmal los, so weiß man nicht, was alles geschieht. Nach unsern alten Briefen soll jeder in der Gemeinde gleiches Recht haben. Der Rat aber schließt sich ab und ergänzt sich nur aus den Werken, das ist: aus den Großhändlern und Seeschiffern; die Ämter stellen auch Männer, die sich der Ehre wert erachten und wohlhabend genug sind, der Stadt dienen zu können. Besonders die Brauer stecken viel die Köpfe zusammen und haben dem Herrn Komtur schon so manches schöne Faß Märzbier zum Geschenk aufs Schloß geschickt, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Fragt nur den Kellermeister. Ei – ei – ei! Das gibt nichts Gutes.

Durch das Bad erfrischt, suchte nun Heinz seinen Freund Hans von der Buche bei Barthel Groß auf und fand ihn bei der Frühstücksbiersuppe. Es wurde gleich wieder wegen des Pfingstfestes beraten, zu dem Vorbereitungen nötig waren. Soll ich mit stechen und tanzen, sagte Heinz, so will ich auch ein neues Wams haben für mein abgetragenes, das nun noch beim Kampf auf der See einige Schlitze an der unrechten Stelle bekommen hat. Ich fürchte nur, der Krämer übervorteilt mich, weil ich fremd bin, und der Schneider schafft das Werk nicht mehr zum bestimmten Tage fertig, wenn er's auch verspricht.

Dazu kann Euch mein Mann helfen, Junker, antwortete Frau Anna. Ich rate Euch, das Tuch nicht beim Krämer nach der Elle abschneiden zu lassen, sondern lieber gleich ein halbes Laken zu kaufen und auch die Borten im ganzen Stück. Was Euch dann übrigbleibt, könnt Ihr allemal brauchen, und Ihr habt's besser und billiger. Auch kann Euch Barthel zu seinem Schneider führen, der dann wohl Wort halten wird, um sich die Kundschaft nicht zu verderben.

Groß erklärte sich gern bereit, ihn zu begleiten, wenn er sich eine Stunde gedulden wolle, die er noch auf seinem Kontor zubringen müsse; am Markttage sei immer mehr zu tun als gewöhnlich, auch für den Getreidehändler, und die Hofleute von seinen Liegenschaften bei der Stadt seien zur Abrechnung hereingekommen. Die beiden Junker gingen deshalb vorläufig allein fort und versprachen, sich wieder zu melden. Frau Anna bat, sich rechtzeitig beim Mittagstisch einzufinden.

Im Marktgewühl kamen sie unversehens auseinander. Heinz ließ sich der Stadtwaage zudrängen, arbeitete sich mit den Ellenbogen durch und stand bald nicht weit von dem großen Gestell. Ein alter Mann mit langem, weißem Haar und zottigem Bart, bekleidet mit einem knappen Lederwams, über dem eine Weidmannstasche hing, und mit einem breitkrempigen Hut, der das verwitterte Gesicht beschattete, ließ mehrere Tonnen Honig und Fastagen mit großen Stücken Wachs verwiegen, die zwei Leute in der Tracht der preußischen Bauern auf einer Trage herangebracht hatten. Gegenüber an der Waagschale stand der Kaufmann, der die Ware behandelt hatte. Heinz bemerkte, daß er dem Gehilfen des Wägers, der die eisernen Gewichte aufsetzte, mit einem heimlichen Wink etwas in die Hand steckte. Der beeilte das Geschäft nun sehr auffällig, drückte mit der Hand die Schale nieder und wollte sogleich wieder abräumen. Das geht nicht ganz mit rechten Dingen zu, dachte Heinz bei sich.

Auch der Alte mußte wohl Unrat gemerkt haben. So gilt's nicht, rief er zutretend und die Kette der Waagschale erfassend. Die grauen Augen blickten zornig aus den tiefen Höhlen.

Wie gilt's nicht? fragte der Knecht zurück, ohne sich im Abräumen stören zu lassen.

Mein Wachs wiegt mehr, antwortete der Alte, Ihr habt die Schale mit der Hand bedrückt.

Wollt Ihr mich wiegen lehren? fuhr der Knecht auf. Sechs Stein und acht Pfund.

Sieben Stein, rief der Alte, nicht ein Pfund weniger! Stellt noch einmal die Gewichte auf!

Habe mehr zu tun, wies ihn der andere ab. Macht, daß Ihr fortkommt, alter Polacke!

Dem Alten schwollen die Adern auf der Stirn. Wer ist ein Polacke? schrie er. Ihr aber seid ein Betrüger, das will ich Euch beweisen!

Ihr habt's gehört, wandte der Knecht sich an die Umstehenden, das Wort soll er mir teuer bezahlen! Wo ist die Marktwache?

Der Mann im Lederwams ließ die Kette nicht los. Ich will mein ehrliches Gewicht! Glaubt Ihr's mit einem dummen Kassuben zu tun zu haben? Zahle ich meinen Wiegepfennig, so muß ich nach dem Rechten bedient werden. Nochmals die Gewichte auf die Schale!

Der Wäger wollte ihn nun gewaltsam mit dem Arm fortschieben. Kaum aber hatte er seine Brust berührt, als der Alte, rot vor Zorn, ein langes Messer zog und sich auf ihn stürzte. Brauchst du Gewalt, du Hund? schrie er. Warte, ich will dich klug machen!

Er hätte ihn sicher verwundet, wenn nicht Heinz vorgesprungen wäre. Ruhig Blut, Alter! rief er ihm zu und drückte mit der Hand seinen Arm nieder.

Der Alte schaute zornig um, gab aber sogleich den Versuch auf, sich zu befreien. Was er sah, schien ihn zu erschrecken, denn der Kopf zuckte zurück, und der Blick wurde unsicher. Wer – seid Ihr – Herr, fragte er, daß Ihr's wagt –

Mein Name kümmert Euch wenig, antwortete der Junker, aber dem Richter will ich ihn nennen, wenn ich für Euch zeuge.

Ihr wollt –?

Ich will für Euch zeugen. Der Schalknecht hat die Schale niedergehalten, auf der die Gewichte standen. Ich hab's mit meinen Augen gesehen.

Was habt Ihr gesehen? wandte sich nun der grobe Mensch gegen ihn. Wollt Ihr mich Lügen strafen? Was habt Ihr hier überhaupt müßig zu stehen und zu gaffen? Schert Euch Eurer Wege! Der Handel ist richtig!

Ho, ho! rief Heinz. So schafft Ihr mich nicht fort! Wenn Ihr's denn wissen wollt: Ich habe noch mehr gesehen. Hat Euch nicht der Kaufmann etwas in die Hand gesteckt? Das war doch nicht der Wiegepfennig.

Nun wurde der Lärm erst recht groß. Der Schalknecht wollte den lästigen Vermittler fassen und der Marktwache übergeben; der Alte aber wehrte ihn ab, und der geschworene Wäger trat nun hinzu, für seinen Gesellen Partei nehmend. Was gewogen ist, das ist gewogen, entschied er, und wer meinen Knecht des Truges beschuldigt, der beschuldigt auch mich, daß ich untreue Genossen halte. Ich leide es nicht!

Und ich nehme meine Ware zurück! schrie der Alte. Schande über eure Stadt, wenn der fremde Mann nicht Recht finden kann gegen den Bürger! Der Handel ist aufgehoben!

Der Handel gilt, behauptete der Kaufmann; wir sind einig geworden über den Preis!

Aber nicht über das Gewicht, wandte der Verkäufer ein und stieß ihn von den Tonnen zurück. Seine Begleiter machten sich daran, wieder aufzuladen; die Beamten wollten sie hindern; wieder blitzte das Jagdmesser in des Alten Hand.

Da rief von hinten her eine Stimme über die Köpfe der Umstehenden hinweg: Gundrat – was gibt's da? Ruhe und Frieden!

Heinz erkannte sie sogleich als die seines Freundes Hans von der Buche. Aber auch dem Alten mußte sie bekannt klingen. Er steckte eilig das Messer fort und griff an den Hut. Seid Ihr's, Junker? fragte er hinüber. Wahrhaftig, Ihr seid's!

Und Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, um Eure eigene Sache zu führen, denn auch Eures Herrn Vaters Gut ist dabei.

Hans schüttelte dem alten Manne die Hand. Muß ich dich gleich wieder in Streit und Hader finden? ermahnte er freundlich. Immer noch der alte Brausekopf, der gleich mit der Faust dazwischenfährt, wenn's nicht nach seinem Sinne geht. Ruhig, ruhig!

Gundrat sah finster zur Erde. Soll ich Unrecht leiden, Junker? Der ist kein Mann, der nicht für seine gerechte Sache eintritt, was auch draus folge!

Unser alter Waldmeister, wandte Hans von der Buche sich an seinen Freund. Er haust in den Wäldern meines Vaters am Melno-See und sieht manchmal wochenlang keinen Menschen. Da muß man ihm sein rauhes Wesen nicht übelnehmen. Warum bringst du denn deinen Honig und Wachs bis Danzig hinauf, Gundrat? Konntest du ihn nicht in Graudenz loswerden?

Er preist dort schlecht, antwortete der Alte, und wir brauchen Geld zur Rüstung in diesen schweren Zeiten. Es ging gerade ein Weichselkahn stromhinab; da meint' ich, die Reise wohl einbringen zu können. Aber lieber nehm ich meinen Jahresertrag wieder zurück und verschenke ihn an die Armen, als daß ich mich von dem Buben hier –

Still, still, fiel der Junker ein. Beginnt den Zank nicht von neuem. Laß deine Leute bei den Tonnen und Bodemen zurück und folge mir aufs Rathaus; ich will dort deine Sache führen.

Ich brauche den Richter nicht, wenn ich mir selbst helfen kann, knurrte der Waldmeister, ging aber doch mit. Auch Heinz schloß sich an, und der Wäger, da er Ernst sah, mußte wohl als verklagter Teil dabeisein.

In einem Zimmer des Erdgeschosses, dessen Türen weit offenstanden, sah einer von den Ratmannen mit zwei Schöffen, die Markthändel sofort zu schlichten. Er kannte die beiden Junker und empfing sie freundlich. Hans von der Buche trug die Sache vor, und Heinz legte sein Zeugnis ab. Nun wurde der Schalknecht sehr kleinlaut, sprach von Irrtum und kam immer wieder auf seine Klage zurück, daß der Alte ihn mit dem Messer bedroht hätte, um von dem Hauptpunkt abzulenken. Aber der Marktherr ließ sich nicht irremachen. Er begleitete die Streitenden zur Stadtwaage und verlangte, daß in seiner Gegenwart nachgewogen werde. Nun gab der Schalknecht dem Kaufmann einen Wink, daß er durch einen Vergleich zuvorkommen solle. Der ging auch darauf ein, aber Gundrat bestand auf seinem Recht. So wurden denn die Tonnen wieder aufgelegt und die Gewichte eingestellt; die Ware wog reichlich sieben Stein. Wollt Ihr sie zu diesem Gewicht annehmen? fragte der Marktherr den Krämer. Der bejahte verdrießlich. So gehört sie Euch gegen Zahlung des Preises nach dem Gewicht, denn darauf war der Handel abgeschlossen. Ihr aber, untreuer Mann, verlasset die Stadtwaage und sollt nicht wieder zurück ins Amt, das ihr gewissenlos verwaltet habt. Und Euch, dem geschworenen Wäger, will ich ernstlich raten, daß Ihr Euch künftig besser vorsehet in der Wahl Eurer Gesellen, damit Euch der Rat nicht kündige. Euch endlich, Waldmeister, lege ich eine Buße von drei Pfennigen auf, weil Ihr das Messer auf dem Markt gezogen habt; sie ist so gering bemessen, weil Ihr in der Sache selbst im Recht gewesen und zum Zorn gereizt worden seid. Straffrei darf ich Euch nicht lassen, ob Ihr schon gute Fürsprecher habt.

Junker Hans griff sogleich in die Tasche und erlegte die Buße für den Alten. So waren die Händel geschlichtet, freilich nicht ganz nach dem Sinne des Waldmeisters, der nicht mitschuldig zu sein meinte. Die Junker nahmen ihn zwischen sich und führten ihn fort. Sie traten mit ihm in ein Brauhaus ein, an dessen Türpfosten eine Kanne hing, durch deren Henkel ein Birkenreis gesteckt war, zum Zeichen, daß hier junges Gebräu ausgeschenkt werde. Im Flur standen ein paar Tische von weißem Holz und Bänke auf beiden Seiten, nur für den Tagesgebrauch hingestellt, denn das Ausschenken im Hause ging nach der Ordnung reihum bei den Brauern. Der Hausherr selbst zapfte es den Gästen, lobte die reine Farbe und die Klarheit des Gebräues und setzte sich selbst mit einem Kruge zu ihnen. Hans von der Buche ließ sich von seiner Heimat berichten, wie es dem Vater gehe und der Schwester. Der Ritter war wohlauf, da ich ihn zuletzt sah, versicherte der Waldmeister, und Eure Schwester werdet Ihr kaum wiedererkennen nach diesen drei Jahren, die Ihr in der Fremde verlebtet, Junker, so groß und schön ist sie geworden. Gott wolle ihr bald einen braven Mann zuführen, wie sie's verdient. Schönheit ist ein zweifelhaftes Geschenk, den einen läßt's erwerben, den andern verderben. Nie zu früh mag der Mann sein Glück preisen, der eine schöne Tochter hat, denn keine Stunde ist er seines Gutes sicher. Nun – ich hoffe, der Ritter hat nichts zu besorgen.

Du sprichst, Alter, als hättest du selbst traurige Erfahrungen gemacht, bemerkte Hans lachend. Ich weiß ja aber besser, daß du nicht Weib, nicht Kind hast, sondern einsam wie eine Eule in deinem Waldnest hausest.

Laßt das, Junker, laßt das, knurrte der Waldmeister, die Stirn in tiefe Falten ziehend. Es lebt selten einer, wie er mag, sondern wie's ihm vorbestimmt ist. Wir müssen's hinnehmen!

Herbergst du noch die Waidelotten in dem alten, waldbewachsenen Burgwall an dem Melno-See? fragte Hans abbrechend. Abkömmlinge von heidnischen Preußen, deren Christentum verdächtig genug ist. Die alte Kräuterfrau, die Gudawe, lebt doch noch, die mich einmal in schwerer Krankheit vom Tode gerettet hat? Du besinnst dich, daß wir sie an einem Herbstabend besuchten, als uns auf der Jagd das Wetter überfiel. Es standen noch mehr Hütten in der Umwallung, und das Volk, das darin hauste, sah danach aus, als ob es sich zu verstecken Grund hätte. Wie es dann blitzte und donnerte, daß man an Weltuntergang hätte glauben mögen, standen ihrer einige unter dem mächtigen Eichbaum und sprachen Gebete, und das Bildwerk oben unter den Laubzweigen schien mir nicht der gekreuzigte Heiland zu sein.

Es ist nicht gut, davon zu sprechen, Junker, sagte der Alte kopfschüttelnd. Ich wünschte, Ihr hättet das vergessen. Die Leute leben friedlich und tun niemand Schaden. Sie wissen, wo die Waldbienen ihren Honig speichern, und sind von ihnen gekannt. Im Herbst kommen sie zu mir ins Waldhaus und tauschen ein, was sie für den Winter bedürfen. Ob sie zu dem rechten Gott beten, weiß ich nicht; sie geben ihm mancherlei Namen, von denen wohl die Kirche nichts wissen mag. Es wäre mir leid, wenn man sie störte, denn sie sind mir gute Gesellen in meiner Einsamkeit. Ihr wißt, es ist eine Verordnung gegeben gegen die Waidelotten und Pilwaiten im Lande, die man für heidnisch hält, und wenn der Kulmer Bischof erfährt –

Sei ohne Sorge, Alter, fiel der Junker ein, ich verrate deine Schützlinge nicht, und meinetwegen mögen sie sich's wohl sein lassen in ihrem Versteck und im Schatten ihrer Eiche. Wann gedenkst du zurückzukehren, Gundrat?

Morgen mit dem frühesten, Junker, da ich mein Geschäft beendet habe. Ein Schiffer, der Heringe nach Thorn bringt, nimmt mich mit. Es gefällt mir auch nicht in der großen Stadt, wo die Menschen einander überlaufen und die Häuser das Sonnenlicht absperren. Da ist's besser im stillen Walde. So grüße mir den Vater und die Schwester herzlich, Alter, und sage ihnen, daß ich einem Freunde zur Gesellschaft hier noch die Pfingstfeiertage zu verleben gewillt bin, dann aber zu ihnen eile. Es wäre mir lieb, wenn in Graudenz für mich ein Pferd eingestellt würde, daß ich keinen Aufenthalt hätte.

Dafür will ich sorgen, erwiderte der Waldmeister, den Hut auf das lange weiße Haar drückend. Er musterte Heinz wieder mit forschenden Blicken und fragte nach einer Weile: Ist der Euer Freund, Junker?

Hans bestätigte es, und Heinz erkundigte sich nun, ob ihm etwas an seiner Person auffällig sei, daß er ihn so prüfend betrachte.

Ich denke, Ihr waret schon einmal in Preußen, Herr? sagte Gundrat zögernd.

Wahrhaftig nicht! rief Heinz. Meine Heimat ist Thüringen, und ich verließ sie nicht bis zu dieser Reise.

Der Alte wiegte den Kopf. Ich hätte schwören mögen, Euch schon einmal gesehen zu haben, aber wenn Ihr versichert – gewiß, es muß ein Irrtum sein. In Thüringen bin ich auch zu Hause, aber als ich von dort auswanderte, mochtet Ihr erst wenige Jahre zählen. Meine Augen werden unsicher – es ist ein Irrtum. Er verabschiedete sich und ging dem Wassertor zu.

Ein wunderlicher Alter, meinte Heinz. Sein finsterer Blick und sein jähzorniges Wesen gefallen mir nicht, und doch ist in seiner Art wieder etwas Kräftiges, Verläßliches, das man liebgewinnen muß.

Hans erzählte, daß man gar nicht wisse, wie lange er schon im Lande sei. Heute erfahre er zum ersten Male, daß er aus Thüringen einwanderte. Sein Vater habe ihn vor siebzehn oder achtzehn Jahren in seinem Walde am Melno-See gefunden, wo er sich wie ein Einsiedler eingerichtet hatte. Da sich ergab, daß er des Forstwesens und der Jagd kundig, habe er ihn, um ihn nicht vertreiben zu müssen, als Waldmeister angestellt. Ich habe als Knabe lange Zeit Scheu vor ihm gehabt, setzte er hinzu, und er war früher auch noch finsterer und bissiger. Ich meinte immer, er müßte irgend etwas Schweres auf dem Gewissen haben, daß er in den Wald geflohen sei und sich ungern vor den Menschen blicken lasse. Aber ihn danach zu fragen, wagte ich nie. Wie er sich bei uns geführt hat, kann man ihm nichts Schlimmes nachsagen.

Heinz forderte keine weitere Auskunft. Er hatte seinen Freund unter den Arm gefaßt und führte ihn durch einige Straßen, die sich hätten abschneiden lassen, wenn er geradeaus zu Barthel Groß wollte. An einem Hause grüßte er freundlich nickend hinauf; in den Sandstein über der Tür war ein Schiff mit vollen Segeln eingemeißelt. Wohnt hier nicht Huxer? fragte Hans.

Freilich, antwortete Heinz, und Maria war oben am Erkerfenster. Ich bin heut schon dreimal vorübergegangen und habe sie endlich doch erhascht. Wie gefällt dir das Fräulein?

Oh – sie hat schöne, muntere Augen!

Und ein prächtiges braunes Haar, und ein Paar Grübchen in den Backen, wenn sie lacht –

Sie lacht zuviel.

Durchaus nicht. Wie kann ein so junges Ding zuviel lachen?

Ei, ei! Nimm deine Augen in acht.

Warum aber? Es ist die reizendste Kurzweil, sie anzusehen. Weißt du, daß ich diese Nacht von ihr geträumt habe? Ich bat sie um einen Kuß, und sie hätte mir ihn vielleicht auch gegeben, wenn nicht der alte Ordensbruder, mein Schlafgenosse, mich mit seinem Schnarchen aufgeweckt hätte. Ich hätte ihn prügeln mögen.

Hans lachte dazu. Laß dir's vergehen, Bester. Da ist sicher schon ein Patriziersohn zum Bräutigam vorausbestimmt. In den Handelsstädten gehören auch die Heiraten zum Geschäft. Wenn du aber noch das Tuch einkaufen willst –

Das will ich, rief Heinz, und lenkte wieder nach der Langgasse ein, und ein Wams muß ich haben, das den Weibern in die Augen sticht; koste es, was es koste!

Barthel Groß wartete schon auf sie. Er führte sie zu einem Gewandschneider in der Heiligengeistgasse, der in der Windlage seines Hauses einen Laden hatte. Auf den Gestellen an der Wand lagen in Rollen und Packen die Laken zur Auswahl für den Käufer. Jedes Stück war in eine wollene Decke eingeschlagen und mit einer bleiernen »Loye« versehen. Der Kaufmann zeigte englische, flandrische und holländische Tuche vor, da die geringeren preußischen gleich ausgeschlossen wurden, erbot sich auch, sie zum Rathause zu begleiten, wo er die neueste Ware lagern habe, die dort noch vermessen werden solle. Heinz wählte ein Brügger Tuch von grüner Farbe, das freilich das Doppelte von dem Amsterdamer kostete, das auch schon recht fein und glatt erschien; dazu leichten Arras zum Futter und gestickte Borten zum Besatz. Sein Geldbeutel war sehr erleichtert, als sie den Laden verließen, aber die Ausgabe reute ihn nicht.

Als sie, gefolgt von dem Lehrling, der ihnen die gekaufte Ware nachtrug, in die Dammstraße einbogen, wo der Schroter (Schneider) wohnte, begegnete ihnen vom Schlosse her der Hauskomtur mit einem kleinen Gefolge. Er ging der Marienkirche zu und hatte vielleicht auf dem Rathause etwas zu verhandeln. Sie grüßten und ließen ihn vorüber.

Der Schroter nahm sorgfältig das Maß, rühmte des Junkers hohe Brust und kräftige Schultern, riet ihm, den Gurt ein wenig fester zusammenzuziehen, damit die Brust freier vortrete, und versprach, alle andere Arbeit liegenzulassen und das Wams pünktlich zum bestimmten Tage abzuliefern. Daß er dem Ratsherrn beim Abschied an der Haustür mit vielen Bücklingen für die neue Kundschaft dankte, versteht sich von selbst.

Und nun zu Mittag! mahnte Barthel Groß, damit Frau Anna nicht die gute Laune verliert, wenn wir verspäten. –

Der Hauskomtur trat durch die Pforte nach der Heiligengeistgasse in die Marienkirche ein, verrichtete am Hauptaltar ein stilles Gebet und setzte seinen Weg durch die Ausgangstür nach der Frauengasse weiter fort, indem er dann seitab bog und die Richtung nach dem Rathaus nahm. Dort ließ er seine Begleiter in der Halle und trug dem Ratsboten auf, die beiden Prokonsuln zu berufen, da er mit ihnen zu verhandeln habe. Der Bote öffnete ihm ehrerbietig eines der Zimmer, das zum Empfang hoher Gäste bestimmt und mit kostbaren Tapeten von Wollenstoff mit eingewirkten Mustern sowie mit Teppichen von gleicher Art geschmückt war.

Eine Viertelstunde darauf erschienen Konrad Letzkau und Arnold Hecht, die Bürgermeister, in ihrer Amtstracht. Nach freundlicher Begrüßung nahmen die drei Männer auf hochlehnigen Sesseln um einen Tisch mit zierlichen Füßen Platz.

Ich komme im Auftrage des Herrn Komturs, begann der Ritter, und bitte für das, was ich zu melden habe, um williges Gehör.

Wir sind alle Zeit des Herrn Komturs dienstergebene Beamte dieser Stadt, über die er von dem Herrn Hochmeister gesetzt ist, antwortete Letzkau, sich verbeugend. Es ist unsere Pflicht, zu hören, was der hohe Herr uns zu melden hat, und je nach den Umständen selbst zu antworten oder dem Rat die Antwort vorzubehalten.

So ist es, bestätigte Hecht.

Die Sache sollte wohl so klar sein, fuhr der Hauskomtur fort, daß es langer Erwägung nicht bedürfte. Es handelt sich um das Gericht über die gefangenen Seeräuber.

Hecht zog die Augenbrauen auf und warf einen Seitenblick auf seinen Amtsgenossen. Letzkau verzog jedoch keine Miene, sondern antwortete in ruhigem Tone: Ich meine, die Sache ist klar, hochedler Herr.

Der Hauskomtur nickte. Und doch hat es fast den Anschein, als ob wir verschiedener Ansicht wären, in welcher Weise sie klar ist. Wir hören im Schlosse, daß euer Schultheiß die Schöffen zu einem Beiding auf nächsten Montag verbottet hat, über Marquard Stenebreeker und seine Genossen zu richten. Ist dem so?

Dem ist so, entgegnete Letzkau.

Und ich denke, wir sind dazu wohl berechtigt, fuhr Hecht lebhaft auf. Letzkau gab ihm mit der Hand einen Wink, sich ruhig zu halten.

Der Hauskomtur wandte sich nun aber an ihn. Wohl berechtigt, sagt Ihr? Wir im Schlosse sind anderer Meinung und haben bisher die Auslieferung der Räuber erwartet.

Hecht schnellte von seinem Stuhle auf. Mit welchem Recht –

Letzkau legte die Hand auf seine Schulter und drückte ihn sanft in den Sessel zurück. Es wird sich ja finden, lieber Kumpan, sagte er, lächelnd über seinen Eifer, hören wir doch den Herrn Hauskomtur bis zu Ende; er hat gewiß seine guten Gründe.

Ohne Zweifel, bestätigte derselbe, denn sonst wäre ich nicht hier. Ihr Danziger der Rechten Stadt habt nach euren Privilegien die Gerichte groß und klein innerhalb der Stadtgrenzen, so jedoch, daß Bluturteile nicht vollstreckt werden dürfen ohne des Komturs Wissen und Genehmigung. Steht es so geschrieben?

Es wird so von alters gehalten im Lande. Aber darüber ist, denke ich, zur Zeit kein Streit. Das Gericht hat über die Räuber noch nicht gesprochen, und es liegt kein Bluturteil zur Vollstreckung vor.

Ganz recht. Es ist aber auch von alters im Lande so gehalten, daß der Komtur selbst oder sein Hauskomtur nach ihrem Belieben jedem Gericht der Stadt vorsitzen dürfen, wenn es ihnen angemessen scheint wegen des absonderlichen Falles oder zur Betätigung der obersten Macht des Ordens, von der alle Gerichtsbarkeit im Lande ausgeht.

Das bestreiten die großen Städte, rief Hecht, ihre Gerichte sind frei und bedürfen keiner Beaufsichtigung, solange sie ihre Rechte nicht mißbrauchen. Unsere gescholtenen Urteile gehen an den Rat der Stadt Kulm nach der Kulmer Handfeste, auf die unser Privilegium gründet, nicht an den Komtur.

Von gescholtenen Urteilen ist hier die Rede nicht, antwortete der Ritter. Im übrigen wüßte ich nicht, daß die großen Städte vor den kleinen etwas voraus hätten nach den Landesordnungen, ob sie schon gern sich über sie setzen und auch der Herrschaft gegenüber als befreit von mancherlei Verpflichtungen gelten möchten. Besonders die Rechtstadt Danzig –

Herr Ritter, unterbrach Letzkau ohne sichtliche Erregtheit, wir kommen da unversehens auf einen Gegenstand, der wohl besser im Hochschloß der Marienburg verhandelt wird, als hier auf dem Danziger Rathause. Was nützen solche Vorwürfe? Verstehe ich Euch recht, so seid Ihr gekommen, um diesmal den Vorsitz in unserem Gericht zu fordern. Ist dem so, so wollen wir Antwort geben, sobald der sitzende Rat einig geworden ist.

Der Hauskomtur blickte finster auf den einen und den andern. Wir fordern mehr, sagte er, und erwarten willigen Gehorsam. Ihr habt die Gerichte in der Stadt über eure Bürger und über Fremde, die in der Stadt ergriffen werden oder euren Schutz anrufen. Die Straßengerichte, wißt ihr, hat der Orden überall sich vorbehalten.

Hecht sah ihn ganz verdutzt an; er begriff offenbar nicht, worauf das hinaus sollte. Der erste Bürgermeister aber entgegnete: Wem kann es in den Sinn kommen, das zu bestreiten? Ich hoffe, der Orden hat keine Klage über uns, daß wir in seine Straßengerichtsbarkeit eingegriffen haben.

Ihr seid aber eben auf dem Wege, bemerkte der Komtur. Es gibt Landstraßen und Wasserstraßen; Straßen aber sind die einen so gut wie die anderen, und was darauf geschieht wider Gesetz und Recht, das kommt vor des Ordens Vogt.

Letzkau richtete sich im Stuhle auf. Es gibt Landstraßen, und es gibt Wasserstraßen im Lande, antwortete er; wir aber haben auf offener See ein Räuberschiff genommen und richten unsere Gefangenen.

So wollt Ihr in Abrede stellen, daß auch die See eine Wasserstraße ist?

Aber eine Wasserstraße zum freien Verkehr aller Völker und außerhalb des Deutschen Ordens Gebiet.

Was wir mit unserer Macht ergreifen, das ist unser Gebiet.

So macht euch doch erst zu Herren des Meeres. Schlimm genug, daß der friedliche Kaufmann sich zur Wehr setzen muß gegen die Vitalienbrüder, um sein Gut sicher in des Landes Häfen einzubringen.

Und war's nicht ein Danziger Schiff, hielt Hecht sich nicht länger zurück, und geschieht nicht auf Danziger Grund und Boden, was auf Deck eines Danziger Schiffes geschieht? Antwortet uns darauf.

Ihr legt's so zu euren Gunsten aus, widersprach der Ritter, aber der Orden stimmt nicht zu.

So sind wir eben uneins über eine Frage des Rechts, die noch unentschieden ist, sagte Letzkau, die Hand auf den Tisch stützend, und da wir im Besitze sind, können wir abwarten, bis ein anderer ein besseres Recht nachweist.

Wie? Ihr wollt uns die Gefangenen weigern? fuhr der Komtur auf.

Wir wollen unser Recht wahren, entgegnete der Bürgermeister.

Bedenkt noch eins! rief der Ritter. Es waren nicht nur Danziger Schiffskinder, die das Räubervolk überwältigt und eingebracht haben. Mit Hilfe unserer Brüder haben sie gesiegt, und unsere Brüder haben das Beste beim Kampfe geleistet; der Orden hat einen Toten zu beklagen.

Ei was – das Beste! knurrte Hecht.

Wir unterschätzen diesen Beistand nicht, antwortete Letzkau mit aller Höflichkeit. Aber die Ritter waren Schiffsgäste und haben für ihre eigene Freiheit gekämpft; daraus folgt nichts gegen unser Gericht. So gut könnte sonst der edle Vogt von Plauen Gericht und Beute für sich fordern, weil einer seiner Verwandten mitgefochten hat.

Der Hauskomtur erhob sich. Steht euch der Vogt von Plauen auf gleicher Staffel mit eurer Herrschaft? Es ist weit gekommen.

Wir sind unserer Herrschaft gehorsam in allen rechten Dingen, versicherte Letzkau, aber sie soll uns nicht schelten, wenn wir unsere Gerechtsame wahren.

Ist das eure Antwort an den Herrn Komtur?

Das ist unsere Antwort, lieber Herr.

Der Ritter grüßte eilig und ging nach der Tür. Dort aber wandte er sich noch einmal zurück. Ich will euch einen Vergleich bieten auf eigene Hand, sagte er. Die Frage mag unentschieden bleiben, bis der Herr Hochmeister und sein Kapitel darüber befinden. Halten wir indes für diesmal das Gericht gemeinsam auf dem Rathause der Jungstadt.

Nie und nimmer, rief Hecht, nie und nimmer!

Letzkau aber schob ihn zurück und erwiderte gelassener: Ihr bietet einen Vergleich, lieber Herr; darüber wollen wir nicht absprechen, ohne die Unsrigen befragt zu haben. Wir werden in so wichtiger Sache den Gemeinen Rat berufen – zu morgen Sonntag nach der Messe, damit nichts übereilt werde. Was der Gemeine Rat beschließt, das ist uns Gebot, und ich will's dem Hause melden lassen durch unseren Schreiber.

Damit reichte er dem Ritter die Hand, in die dieser, wenn auch zögernd, einschlug. Ich behalte ebenso meinem Herrn alle seine Befehle vor, sagte er und verließ das Gemach.

Die beiden Bürgermeister berieten noch eine Weile miteinander, was zu tun sei. Darüber waren sie ganz einig, daß der anberaumte Richttag nicht hinauszuschieben sei.

Draußen vor der Treppe hatte sich viel neugieriges Volk versammelt. Es geschah nur selten, daß einer der Ordensbeamten aufs Rathaus kam, und gewöhnlich war dann irgend etwas Bedenkliches vorgefallen. Aber die beiden Bürgermeister sprachen niemand an, sondern gingen still und ernst über die Straße, und auch die Ratsboten, die ihnen bald nachfolgten, wußten nur, daß der Gemeine Rat morgen nach der Messe berufen sei. Der Gemeine Rat! Das mußte etwas zu bedeuten haben.


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