Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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7. DANZIGER PFINGSTEN

Aber zur Vollstreckung des Urteils kam es fürs erste nicht. Der Rat machte zwar dem Herrn Komtur pflichtschuldigst Anzeige, daß es ergangen sei, bat aber nicht, wie sonst üblich, um die Genehmigung, sondern teilte nur mit, daß man »unverzüglich« zur Exekution schreiten werde, da es sich um fremdes, heimatloses Gesindel handele, das »über die äußerste Not aufzubewahren« gefährlich sei. Diese Wendung aber hatte der Komtur nach dem Bericht seines Kumpans und nach dem Ratsbeschluß am Sonntag schon vorausgesehen, eiligst aus dem Marstall eine Briefschweike herausziehen und satteln lassen und dem Boten Auftrag gegeben, mit Wechsel des Pferdes im Hause zu Dirschau nach der Marienburg zu reiten und dem Hochmeister ein den ganzen Vorfall meldendes Schreiben zu überbringen. Er trug darin vor, daß es für den Orden sehr wünschenswert sei, »allezeit mehrere von den Vitalienbrüdern zur Auswechslung gegen Ordensangehörige« auf den Schlössern zu haben, daß auch den Danzigern der Rechten Stadt durch den glücklichen Ausgang dieses Kampfes zur See »gar sehr der Kamm geschwollen« sei, und daß sich hier wieder recht merklich der Geist der Widersetzlichkeit zeige, der schon oft habe beklagt werden müssen, »also sie sich für etwas Besonderes im Lande dünken und sich allerhand Vorrechte zuschreiben möchten, von denen ihre Briefe nichts wissen«. Er bat deshalb um ein schleuniges Inhibitorium, schloß aber respektvoll: »Was Ew. Gnaden darin zu Sinne ist, zu Ew. Gnaden ich es setze, und gebietet an mich als Ew. Gnaden willigen gehorsamen – Johann von Schönfels.«

Der Hochmeister stimmte ihm in allem bei und fertigte andern Tages mit demselben Boten einen belobenden Brief an den Komtur ab, einen zweiten, sehr streng gehaltenen, aber an den Rat der Rechten Stadt Danzig mit dem Befehl, bei seiner höchsten Ungnade in das Gericht über die Vitalienbrüder den Hauskomtur mit anderen vom Orden, die man bestimmen werde, aufzunehmen, oder, wenn wider Erwarten das Urteil schon gesprochen sein sollte, von der Vollstreckung Abstand zu nehmen und die Gefangenen mindestens zur Hälfte auf das Schloß abzuliefern, auch sonst in der Sache nichts weiter zu tun bis zu seiner endlichen Entscheidung. Der Brief wurde auf dem Rathause übergeben.

Nun stritten da sehr verschiedene Meinungen. Arnd Hecht in seiner zufahrenden Weise hielt es für das sicherste, in dieser Angelegenheit, wo das Recht so unzweifelhaft auf seiten der Stadt, das Schreiben des Hochmeisters nicht anders zu beachten als durch einen feierlichen Protest, inzwischen aber zu hängen und zu köpfen. Die Kreuzherren würden sehr böse darüber werden, sehe er voraus, und großen Lärm schlagen, aber was geschehen sei, sei dann doch nicht zu ändern, und wenn schlimmstenfalls der Stadt eine Geldbuße auferlegt werde wegen Ungehorsams, das sei immer noch lange nicht so schlimm, als wenn man so willfährig der Stadt Rechte vergebe. Dagegen sprach mit aller Entschiedenheit Gerd von der Beke und sein adeliger Anhang, der es mit dem Orden nicht verderben wollte. Das sei offenbare Auflehnung gegen die Herrschaft, hieß es hier, und man könne es vor der Gemeinde nicht verantworten, sie in solche Gefahr zu bringen. Der Streit im Rat, mit gegenseitigen Vorwürfen aller Art, wurde so heftig, daß Konrad Letzkau ernstlich Ruhe gebieten mußte. Man dürfe nichts gegen Eid und Pflicht tun, sagte er, und es stehe ihnen nicht zu, des Hochmeisters Willen zu verwerfen, wenn man seinen Entscheid auch für unrichtig halte. Er schlug vor, die Verurteilten in festem Gewahrsam zu halten, beim Herrn Hochmeister aber sofort vorstellig zu werden. Das wurde mit geringer Mehrheit der Stimmen angenommen.

Der Bote ging noch denselben Tag ab, brachte aber einen noch gemesseneren Befehl zurück, in allem dem Inhalt des ersten Briefes zu gehorsamen. Es folge wieder eine stürmische Beratung. Einer der jüngeren Ratmannen meinte, weil der Herr Hochmeister doch »die Hälfte« der Gefangenen verlangt habe, so solle man ihm doch die Hälfte geben: nach des Komturs Wahl Kopf oder Rumpf. Der Bürgermeister verwies ihm den Scherz als ungeziemend, aber jener hatte doch die Lacher auf seiner Seite. Endlich ward beschlossen, dem Komtur mit allem Protest anzuzeigen, daß er seinen Teil der Gefangenen auf dem Langgassentor in Empfang nehmen könne; über die Auswahl solle er sich mit den Bürgermeistern vergleichen.

Letzteres hatte keine sonderliche Schwierigkeit, außer daß über den Hauptmann Hader entstand. Der Komtur verlangte Marquard Stenebreeker für sich, Hecht für die Stadt. Letzkau meinte nun, ohne seine Pflicht zu verletzen, für seinen Retter etwas Freundliches tun zu dürfen, und sprach Hecht gütlich zu, nachzugeben. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, daß man den Räubern auf dem Schloß ans Leben gehen werde, während sie von der Stadt das Schlimmste zu erwarten hätten. Seine Meinung gab den Ausschlag, und so wurde Stenebreeker ins Schloßgefängnis übergeführt. Ihr tut wahrlich nicht gut, schalt Hecht auf dem Heimwege, dem Orden so willigen Gehorsam zu zeigen. Er wird bald übermütig werden in seinen Forderungen, und wir verderben uns unseren Anhang im Rat und in der Gemeinde, wenn wir im Schlosse gut angesehen sind.

Sorgt darum nicht, lieber Kumpan, antwortete der Bürgermeister, und schaut's von der rechten Seite an. Ihr seid lange Jahre zur See gefahren und wißt, daß man ein Schiff nicht geradeaus gegen den Wind steuern kann; man muß lavieren und kommt doch ans Ziel. Der Orden ist uns zu mächtig, und er kann leicht aus dem Kampf mit Polen noch mächtiger hervorgehen. Warten wir auf günstigere Gelegenheit.

Die Aufregung in der Stadt war groß. Es traf sich unter solchen Umständen wahrlich günstig, daß die Vorbereitungen zum Pfingstfeste schon im Gange waren und die Gedanken der Bürger auf friedliche Dinge ableiteten. In jedem Hause fast wurde darüber gesprochen, wie man sich beteiligen wolle. Die jungen Gesellen übten sich im Reiten und Tanzen, die Fräulein sorgten für ihren Putz, und die Hausväter und die Hausmütter ließen sich gern zu Rate ziehen, wie es vor Jahren gewesen sei und nun wieder sein solle.

So gab's denn auch nicht viel Gerede über die von einigen Brauseköpfen aufgeworfene Frage, ob man diesmal, wie sonst, den Herrn Komtur und die anderen Herren Ritter einladen oder sie lieber übergehen solle wegen des letzten Streites. Hier war auch Hecht der Meinung, daß man nicht unhöflich scheinen dürfe. Das Pfingstfest habe nichts gemein mit diesen öffentlichen Händeln, und sie seien ja auch vorläufig verglichen. So erging denn die übliche Einladung aufs Schloß und wurde mit einem freundlichen Dank erwidert. Man wolle verzeihen, wenn die Ritter nicht in voller Zahl erschienen, da einige der Dienst im Schlosse und in den Vorwerken, andere Krankheit abhielte, aber der Komtur bäte, ihm und mehreren Begleitern Platz zu halten. Man wollte auch dort geflissentlich zeigen, daß man den jüngsten Vorfall nicht nachtrage und ohne Groll sei.

Junker Heinz war indessen im Großschen Hause täglicher Gast. Dort gingen auch die Schwestern der Hausfrau oft aus und ein, und Katharina brachte mitunter ihre Freundin Maria Huxer mit. Heinz begleitete sie dann gern nach Hause, stellte sich wohl auch ohne solche Gelegenheit dort ein und fand immer freundliche Aufnahme selbst bei dem knurrigen Alten. Der Ritter, mit dem er die Schlafkammer teilte, hatte ihm sein Pferd zum Stechspiel zu leihen versprochen, da der Komtur aus dem Konventsstalle zu solchen Zweck keins herzugeben befugt war, und so durfte er hoffen, gut zu bestehen. Hans von der Buche erhielt sein Pferd von Barthel Groß, der auf seinem Gute vor der Stadt eine ganz ansehnliche Stuterei unterhielt und schöne englische Pferde für dieselbe hatte kommen lassen, aus denen ihm nun die Auswahl freistand. Er hatte zwar kein sonderliches Vergnügen an ritterlichen Künsten, meinte aber doch, diesmal nicht fehlen zu dürfen, und brachte nun halbe Tage auf dem Gutshofe zu, um sich eine sichere Hand im Stechen vom Pferde herab zu verschaffen, was er seit Jahren nicht geübt hatte. Verlangte sein Ehrgeiz auch nicht nach einem Preise, so wollte er doch mindestens nicht ausgelacht sein.

Endlich kam der ersehnte Tag und brachte blauen Himmel und hellen Sonnenschein von früh an. Die Luft war weich und warm, und der Mai, sonst durchaus nicht der Wonnemonat in diesen nordischen Küstenländern, schien eine rechte Freude daran zu haben, das Fest zu begünstigen. Die Schiffe und Kähne auf dem Flusse hatten geflaggt, die Türen der Häuser waren mit grünen Birkenreisern umsteckt, auf den Geländern der Vortreppen und aus den Fenstern hinaus hingen bunte Teppiche, und weiterhin auf die Straße waren überall gehackte Kalmusblätter und gelbe Blumen gestreut. Die ganze Stadt hatte ein Festgewand angelegt, und selbst von den finsteren Türmen der Mauern herab wehten Fahnen mit dem Stadtwappen. Sobald die Glocken läuteten, zogen die Bewohner der Stadt in ihren besten Festtagskleidern scharenweise nach der Marienkirche, deren weiter Raum sie kaum zu fassen vermochte. Nach der Messe wurde durch die Stadt spaziert, um deren Festschmuck in Augenschein zu nehmen, durch den sich namentlich die Langgasse, die Brauer- und die Bäckergasse auszeichneten, überall, wo die Ämter ihre Vereinslokale hatten, da waren vor den Türen ganze Bäume aufgepflanzt und mit bunten Bändern und Goldflittern verziert. Die Trompeter und Pfeifer des Artushofes aber zogen durch die Stadt, hielten vor den Häusern der Bürgermeister und Ratmannen und luden durch ein lustiges Stückchen zum Feste ein, gefolgt von der Danziger Stadtjugend.

Die Tore waren geöffnet, damit die Nachbarn aus der Altstadt und Jungstadt freien Durchgang hätten. Auch die Fischer vom Hakelwerk fanden sich ein, und die Seeleute der fremden Schiffe durchzogen in kleinen Trupps die Straßen. In allen Brauhäusern war heute der Ausschank frei, und allerorts gab's Leben und Bewegung.

Zeitig wurde zu Mittag gegessen, und eine Stunde darauf begannen die eigentlichen Festlichkeiten mit dem Mairitt. Die jungen Kaufgesellen, meist Patriziersöhne, sämtlich im blanken Waffenschmuck und mit grünen Kränzen auf den Hüten, eröffneten den Zug zu Pferde; dann waren die Trompeter und Pfeifer eingereiht, und ihnen folgten die Jungmeister und Gesellen der zünftigen Gewerke, die Brauer und Fleischer, gleichfalls beritten, die übrigen wenigstens von Berittenen im Harnisch der Gewerkschaft angeführt, sämtlich mit grünen Maien geschmückt. Vor den Zimmerleuten und Maurern gingen Fahnenschwenker her, die ihre erstaunliche Kunstfertigkeit bewiesen, im Gehen mit ihrer Fahne an kurzem Stock allerhand Bewegungen auszuführen, sie hoch in die Luft zu werfen und bald mit dem rechten, bald mit dem linken Arm aufzufangen. Der Zug bewegte sich vom Rathause, wo die Bürgermeister und Ratsgenossen auf der Freitreppe standen und zuschauten, durch alle Hauptstraßen der Stadt und machte dreimal die Runde, aus allen Fenstern beugten sich die Zuschauer und namentlich die schönen Zuschauerinnen mit ihrem glänzenden Kopfputz vor, und selbst in den Luken der spitzen Giebel wurden die neugierigen Gesichter der Hausmägde sichtbar, von denen so manche ihren Schatz unter den Handwerksknechten erkannte. Nach dem feierlichen Umzuge hielt man wieder vor dem Rathause, der vorderste Reiter sprang vom Pferde und überreichte dem Bürgermeister einen Kranz »für die schöne junge Dame, die auserkoren, den Sieger im Stechspiel zu belohnen«, und bat zugleich um des Hohen Rats Erlaubnis, daß jede Gewerkschaft in ihr Quartier oder in den Gemeindegarten ziehen und sich dort vergnügen dürfe. Der Bürgermeister dankte mit freundlichen Worten und erteilte die Erlaubnis gern, in Erwartung, daß es überall ehrbar zugehen und im Trinken Maß gehalten werde.

Eben wurde vom Haustor das Zeichen gegeben, daß der Komtur einreite. Die Kaufgesellen auf ihren schmucken Pferden sprengten sofort die Dammstraße hinab, ihn festlich einzuholen, während die Gewerke sich in zwei Reihen ordneten, ihn nach dem Rathause durchzulassen. Aller Streit und Hader war jetzt vergessen; es galt jetzt nur, dem gnädigen Herrn einen recht stattlichen Empfang zu bereiten, der Rechten Stadt Danzig würdig. Und wie er nun im weißen Mantel auf seinem Rappen heranritt, gefolgt von einigen Rittern seines Konvents, und freundlich nach rechts und links und zu den Fenstern hinauf grüßte, brach die Menge unwillkürlich in lauten Jubelruf aus. Die Bürgermeister aber gingen ihm mit entblößtem Haupt die Treppe hinab entgegen und verbeugten sich tief, als er ihnen die Hand bot.

Während dann der Komtur mit seinen Begleitern nach dem kleinen Hofe geführt und auf der St.-Georgs-Bank festlich mit Wein und würziger Krude bewirtet wurde, begaben sich die Gewerke nach ihren Herbergen, die Fahnen und Zeichen an die Ladenmeister abzugeben. Die Kaufgesellen aber zogen mit den Musikanten vor den Artushof. Hier in der weiten Marktecke zwischen Rathaus und Hof waren auf zwei Seiten hölzerne Tribünen für die Frauen und Fräulein der Großhändler, Seeschiffer, Krämer und Brauer und dahinter noch höhere Tribünen für die älteren Männer erbaut, und jede Genossenschaft hatte ihren besonderen Platz hierzu angewiesen erhalten, daß jeder wüßte, wohin er nach des Hofes Ordnung gehöre und keiner sich überhebe. Die Seite nach dem Markte hin war offen gelassen für das gaffende Volk und nur durch eine starke Leine abgegrenzt. In dem eingehegten Raume tummelten sich die jüngeren Artusbrüder und die Gäste des Hofes. Junker Heinz hatte auf sein neues grünes Wams nicht warten dürfen und lenkte wegen seiner kräftigen Gestalt und wegen seines prächtigen Kraushaares alle weiblichen Blicke auf sich. Er selbst stand am liebsten unter der Tribüne, auf der in einer der ersten Reihen Maria Huxer saß. Sie trug ein Mieder von hellblauem Atlas mit Goldlitzen über der Brust; die runden Schultern umschloß ein faltiges Untertuch von feinster Leinwand, und um den zierlichen Hals lief eine Spitzenkrause, vorn zusammengehalten durch eine Nadel mit großem blitzendem Stein. In die langen braunen Zöpfe waren Goldschnüre eingeflochten, und über dem Scheitel erhob sich ein Netzwerk von Goldfäden mit aufgenähten Perlen an den Kreuzpunkten. Heller aber als Gold, Perlen und Edelsteine blitzten die munteren Augen in den Kreis hinab; sie schienen sagen zu wollen: das alles ist für mich.

Nun stießen die Trompeter dreimal mit vollen Backen in ihre langen Zinken, und die Festordner machten in der Mitte den Raum frei. Es erschienen Gaukler, Luftspringer und Seiltänzer, sie breiteten einen Teppich aus und bauten aus Kreuzhölzern schnell ein Gerüst auf, über das ein Tau gespannt wurde. Die Pfeifer stimmten eine lustige Weise an, und es begann das Spiel mit Kugeln von verschiedener Größe, das Balancieren von spitzen Schwertern, Stühlen und Leitern, das Gliederverrenken und Seiltanzen. Zwischen jedem Stück trieben zwei Lustigmacher in bunten Jacken und mit schnurrig bemalten Gesichtern ihre neckischen Späße zur größten Belustigung von jung und alt, jagten sich mit ihren Pritschen im Kreise umher, fielen auf die Nase und sprangen wohl auch gelegentlich über die Leine unter das dichtgedrängte Publikum, dort zum allgemeinen Gelächter Verwirrung anrichtend.

Nachdem sich die Schaulust an diesen Kunststücken genügend gesättigt hatte, wurde der Platz von den Gauklern geräumt und eine Pause angekündigt. Während man sich auf den Tribünen und unterhalb derselben munter über das Gesehene unterhielt, besorgten die Knechte des Artushofes, sämtlich in roten Wämsern, die Vorbereitung zum Stechspiel. Sie trugen einen langen, an den Ecken abgerundeten Tisch auf die Vortreppe und bedeckten ihn mit einem weißen Tafeltuch. Kannen mit Wein und Schenkbecher wurden aufgetragen. In die Mitte, gegen den Eingang zum Hofe hin, stellten sie einen thronartigen Sessel, auf dem ein Kissen mit Goldstickerei lag; zu beiden Seiten rund um den Tisch noch zwölf andere, niedrigere Stühle. Dort sollte König Artus mit seinen Rittern Platz nehmen. Dann steckten sie vor dem Hause in weitem Kreise laubumwundene Stangen in die Erde, setzten darauf Mohrenköpfe mit Krallen, weißen Augen und roten, gewulsteten Lippen lose auf und hingen an die nach innen zu vorstehenden Pflöcke kleine eiserne Ringe. Die Bahn an diesen Stangen entlang wurde mit weißem Sande bestreut. Dann meldeten sie dem ältesten von den vier Hofherren, die zum Rat gehörten und noch über den acht Alderleuten des großen und kleinen Hofes standen, daß alles bereit sei.

Nun trat derselbe an den Komtur heran, verbeugte sich tief und bat ihn in wohlgesetzter Rede, zu Ehren des Hofes selbst die Stelle des Königs Artus zu übernehmen und an der Tafelrunde zu präsidieren. Johann von Schönfels erklärte sich lächelnd bereit, erhob sich und ließ sich von dem schmucken Gefolge der Patriziersöhne unter dem Klange der Trompeten und Pfeifen nach dem Thronsessel auf dem Treppenvorsprung führen, wo er nun allem Volke sichtbar war. Die zwölf auserwählten Ritter der Tafelrunde, darunter Heinz von Waldstein und Hans von der Buche, traten vor, verneigten sich, wurden durch den Hofherrn vorgestellt und nahmen nach der Reihe Platz. Die Knechte füllten ihnen die Schenkbecher, und sie leerten sie auf das Wohl des Königs Artus. Dann bat der Hofherr für sie um die Erlaubnis, ein Stechspiel aufführen zu dürfen. Der Komtur nickte echt königlich die Gewährung.

Nun wurden die zwölf prächtig aufgeschirrten Rosse am Zügel von Knechten in Heroldsrücken und mit langen Kugelstäben eingeführt. Es war ein Vergnügen, die mutigen Tiere zu sehen, die unruhig nach der Musik die Ohren spitzten, zur Seite sprangen oder zierlich über den Sand hintanzten. Dreimal wurden die Pferde im Kreise herumgeführt und dann vor der Treppe aufgestellt.

Die zwölf Ehrenritter, sämtlich einen langen Degen am Gurt, stiegen auf, nachdem sie sich vom Könige beurlaubt hatten, und ritten in den Kreis. Schon bei diesem Einreiten nahmen sie die Gelegenheit wahr, ihre Geschicklichkeit zu beweisen. Nachdem sie die Tiere beruhigt und sich in einer Linie aufgestellt hatten, brach auf ein gegebenes Zeichen der erste ab in die Bahn; die anderen folgen in kleinen Abständen, und es begann nun ein wildes Reiten, bald zu zweien, bald zu dreien und vieren, in großen oder in mehreren engeren Kreisen, bald geordnet, bald jeder für sich, bemüht, den andern zu überholen und im Vorbeijagen anzuschlagen. Das war aber nur das Vorspiel. Nach einer Weile sammelten sie sich wieder in der Mitte und zogen sich in langer Reihe gegen die Treppe zurück. Die Herolde reichten ihnen Lanzen mit stumpfen Spitzen über den kleinen Fähnchen, und das eigentliche Reiten nach der Tafelrunde nahm seinen Anfang.

Jeder Ritter umkreiste erst einmal im Galopp mit gesenkter Lanze die Sandbahn innerhalb der Stangen, dann hob er rasch den Schaft und versuchte den nächsten Mohrenkopf herabzustechen. Das gelang nicht immer; oft ging die Spitze ganz fehl, oft streifte sie nur, daß der Kopf wackelte, aber nicht fiel, mitunter scheute das Pferd und mußte erst wieder in die Bahn zurückgespornt werden. Dreimal durfte ein jeder auf diese Weise umreiten, dann wurden die abgeworfenen Köpfe gezählt. Die meisten waren von Anfang zu hitzig, stießen zu stark oder konnten, wenn sie glücklich getroffen hatten, die Lanze nicht schnell genug in die ruhige Lage bringen, so daß sie dann an einer Reihe von Stangen vorüber mußten, ohne auch nur das Stechen zu versuchen. Doch hatte keiner weniger als drei Köpfe abgeworfen, und einige brachten es auf eine weit höhere Zahl, Hans von der Buche sogar auf sieben, Heinrich von der Beke nach ihm freilich auf acht von zwölfen. Die beiden folgenden Ritter blieben dahinter weit zurück, man betrachtete ihn schon als den Sieger.

Zuletzt ritt Heinz von Waldstein in die Bahn. Er spornte sein feuriges Roß zur schnellsten Gangart und hielt es dabei so fest zwischen den Schenkeln und im Zügel, daß es keinen Zoll breit ausweichen konnte. Wie spielend hob und senkte er die Lanze, und jedesmal, wenn er sie hob, rollte ein Mohrenkopf in den Sand. Schon nach dem zweiten Umritt hatte er sie sämtlich abgeworfen bis auf den einen, der gegenüber der Tribüne stand, auf der Maria saß. Beim dritten warf er ihn ab, indem er die Lanze, statt sie mit dem Arm zu stützen, frei in der Hand hielt. Dann parierte er sein Pferd mit einem schnellen Ruck in den Zügel und verneigte sich vor der Königin des Festes.

Von den Tribünen und aus der Menge wurde lauter Beifall geklatscht und gerufen. Aber dieser erste Sieg entschied noch nicht. Die schwierigere Aufgabe stand noch aus: mit spitzem Degen die Eisenringe von den Pflöcken abzuheben. Nach kurzer Pause wurde das Reiten nach der Tafelrunde fortgesetzt. Diesmal waren die Herren vorsichtiger und zielten gut. Einer nur hatte keinen Ring gelöst und wurde ausgelacht. Als am Ende gezählt wurde, hatten Heinz von Waldstein und Rambold von Xanten, des Schultheißen Sohn, gleich viel Ringe gestochen.

König Artus verkündete, daß der Sieg beim Ringstechen unentschieden geblieben sei, aber daß Junker Heinz von Waldstein die meisten Mohrenköpfe geworfen und also den Vorzug habe. Heinz aber wollte das nicht gelten lassen. Erlaubt, Herr König, sagte er, daß wir beide noch einmal um die Ehre des Tages reiten. Daß wir Eisenringe stechen können, haben wir wohl zur Genüge bewiesen. Gefalle es Eurer Gnaden, zu befehlen, daß ein goldener Fingerreif an einem Faden an einen der Pflöcke gehängt werde. Dreimal darf jeder von uns beiden daran vorüberreiten; wer dann den Ring auf seinem Degen zu Euch bringt, der soll Sieger sein.

Ist's Euch so genehm? fragte der Komtur Rambold. Der ärgerte sich über seines Gegners Keckheit, konnte doch aber die kühne Wette nicht ausschlagen. So erbittet Euch von einer der Damen den Ring, fuhr Johann von Schönfels fort und erhob sich dabei von seinem Sitz, wie ich hiermit kraft meines Königsamtes die edlen Frauen und Fräulein gesamt bitte, ihm zu willfahren, an wen er sich auch wende. Wahrlich, ich habe nach einem goldenen Fingerreif noch niemals stechen sehen und würde mich nicht wundern, wenn er am Pflock hängenbliebe.

Heinz ging ohne Besinnen auf die Ratstribüne zu und verneigte sich vor Maria. Das junge Fräulein errötete bis zur Stirn hinauf, senkte die Augen und schien einen Augenblick unschlüssig. Dann zog sie langsam den Handschuh ab, streifte einen kleinen Ring mit vier blauen Steinen, die wie ein Vergißmeinnicht zusammengefügt waren – nicht den kostbarsten an ihrer Hand – vom Goldfinger und reichte ihn ihm mit verschämtem Lächeln hinüber. Er selbst band ihn an den Pflock und strich den Faden aus, bis er sich nicht mehr drehte. Und nun losen wir um den Vorritt, Herr Rambold von Xanten, wandte er sich an denselben.

Rambold ritt vergebens, aber einmal hatte sich der Ring merklich bewegt, und auch das galt schon als ein rühmlicher Erfolg. Nun war die gespannteste Aufmerksamkeit auf Heinz gerichtet. Das erstemal ritt er an dem Ringe mit gesenktem Degen vorbei, das zweitemal fehlte er ihn, das drittemal stach er ihn glücklich ab und brachte ihn zu König Artus auf der Degenspitze.

Ihr seid der Sieger, sagte derselbe, Junker Heinz von Waldstein ist der Sieger.

Die Trompeter bliesen, die Pfeifer trillerierten, das Volk rief ein Hoch über das andere, die Freunde kamen. Glück zu wünschen, und niemand neidete ihm den so errungenen Sieg. König Artus aber forderte seine Ritter auf, ihm zu folgen, und brachte den Kranz und die Ehrenbecher, die er aus des Bürgermeisters Hand empfing, zu der schönen Maria Huxer, indem er sie bat, die Gaben nach Gebühr zu verteilen.

Maria winkte Heinz von Waldstein zu sich heran, setzte ihm, als er sich vor ihr auf ein Knie niedergelassen hatte, den Kranz auf das krause Haar und reichte ihm den Becher mit den drei Goldmünzen am Rande zu, den Letzkau für den ersten Sieger im Stechspiel ausgesetzt hatte. Er aber weigerte sich, ihn anzunehmen, und sagte: Ich habe neben diesem Kranz schon reichlich meinen Lohn, wenn Ihr mir gütig gestattet, den kleinen Ring zu behalten, den ich mir gewonnen habe. Darf ich ihn zum Andenken an diesen Tag bewahren?

Sie errötete wieder, noch stärker als vorhin, und warf einen fragenden Blick nach ihrem Vater hinüber, der seitwärts neben Letzkau stand. Der Ring ist wenig wert, antwortete sie, nehmt lieber den Becher.

Er schüttelte den Kopf. Den Becher ließe ich gern meinem wackeren Genossen, Herrn Rambold von Xanten, der ihn wohl verdient hat, sagte er; gönnt mir die Gunst, ihn gegen das Ringlein austauschen zu dürfen. Ich möchte gern, daß man freundlich von mir in dieser Stadt dächte; nähme ich zuviel Ehren mit hinaus, so könnte man sie mir leicht neiden.

Den Ring hat er sich ehrlich verdient, bemerkte Huxer, und da du ihn einmal preisgegeben hast, mag ihn der Sieger wohl behalten, wenn er ihm ansteht und du ihn nicht ungern missen magst. Den Becher aber hat Herr Konrad Letzkau ausgesetzt, und ihm gebührt, darüber zu verfügen. Mag er denn sprechen.

Der Bürgermeister lächelte freundlich. Ich meine, sagte er, wenn der Sieger ein Andenken von so schöner Hand erhält und selbst so hohen Wert darauf legt, so hat er wirklich seinen Lohn dahin und mag den Becher seinem Kampfgenossen lassen. Ich will seine Bescheidenheit loben, daß er ihn ausschlägt. Die Ehre des Tages gibt der Kranz.

Der Ring gehört Euch, Junker, entschied Maria; ich gab ihn Euch nicht, Ihr nahmt ihn Euch, und so darf ich ihn verschenken. Er küßte ihre Hand und trat zurück. Darauf wurden die übrigen Geschenke nach der Ordnung verteilt; auch Hans von der Buche ging nicht ganz leer aus.

Wieder folgte eine längere Pause. Die Musikanten gingen in den ausgeräumten, rundum mit grünen Maien geschmückten Hof, um dort in einer Ecke zum Tanz aufzuspielen. Die Tribünen leerten sich langsam, die Kaufherren führten ihre Frauen und Töchter in den Saal und wiesen ihnen auf den Bänken an den Wänden entlang ihre Plätze an. Heute forderte die St.-Georgs-Brüderschaft bei der allgemeinen Lustbarkeit kein Vorrecht für sich, und den Patriziersöhnen waren auch die schönen Brauertöchter zum Tanz recht.

Der erste Reigen wurde bei den Klängen der rauschenden Musik von Heinz und Maria aufgeführt. Sie mußte es nun wohl leiden, daß er ihr die kleine Hand drückte und bei den zierlichen Wendungen ihre Schulter streifte oder seinen Arm einen Augenblick an ihrem schlanken Leibe ruhen ließ. Sie sagte ihm auch nicht ab, als er sie später noch wiederholt aufforderte. Den Ring mit dem blauen Vergißmeinnicht hatte er an den kleinen Finger gesteckt; er ließ sich aber nur wenig über das zweite Glied schieben.

Spät erst endete die Lustbarkeit und doch den jungen Leuten noch viel zu früh. Das war ein Pfingstfest, an das mancher noch lange denken sollte. –

Am nächsten Vormittag trat der Junker von Waldstein in die offene Schmiede des angesehenen Goldschmieds Heinrich Kempfer ein, der dort mit zwei Gesellen und zwei Lehrlingen – der höchsten zulässigen Zahl – vor aller Leute Augen arbeitete. Er erkundete bei ihm, ob er irgendein hübsches Geschmeide vorrätig habe, das er ihm verkaufen könne. Der Meister kannte ihn schon und erriet, was er im Sinn hätte. Ob es denn ein Ring sein dürfte, fragte er.

Kein Ring, antwortete Heinz ihm, auf seine Hand hinabblickend, sondern ein anderes hübsches Geschmeide – eine Kette am liebsten.

Der Goldschmied nahm dem einen der beiden Gesellen die Arbeit ab und hielt sie dem Junker vor Augen. Das tut mir leid, sagte er. Mein Geselle da hat eben sein erstes Meisterstück fertiggebracht, einen Edelstein nämlich in ein güldenes Fingerlein gefaßt. Mich dünkt, die Arbeit ist wohlgeraten und darf ihm Mut machen zu den beiden anderen Stücken. Nun – später braucht Ihr vielleicht auch dergleichen, dann geht mir nicht vorbei. Den Kelch dort und das Sakramentshäuschen hat ein polnischer Prälat bestellt; man läßt mir wenig Zeit, auf Vorrat zu arbeiten; wenn Ihr Euch aber in meinen Laden bemühen wollt, hoffe ich doch etwas zu finden, das Euch gefallen mag. Folgt mir.

Er ging die kleine Treppe hinauf voran und führte den Junker in ein enges Gemach, dessen Fenster sich mit Eisenstäben gut verwahrt zeigten. In einem flachen Kasten auf dem Tische lagen Ketten, Ohrgehänge, Schnallen und Ringe. Der Junker wählte ein Kettchen von dichtem Maschenwerk, das der Meister venezianisch nannte, mit einem zierlichen Kreuz, in das ein roter Stein eingelassen war. Das Schloß bildeten zwei Hände, die ineinandergriffen. Ihr habt einen feinen Geschmack, Junker, sagte der Meister, und seid Eures Dankes im voraus sicher. Wißt Ihr, daß der Schmuck schon einer jungen schönen Dame sehr in die Augen geblitzt hat? Kürzlich war Herr Huxer mit seiner Tochter Maria hier, eine Gürtelschnalle auszusuchen; da fehlte nicht gar viel, so hätte er auch die Kette mitgenommen.

Ihr macht mir meine Wahl durch diese Mitteilung noch erfreulicher, antwortete Heinz, indem er so viel Goldgulden auf den Tisch zählte, als Meister Kempfer gefordert hatte, und dabei das Gesicht tief hinabbeugte.

Heinz begab sich von da zu Huxer und fragte sogleich nach dem Fräulein. Man wies ihn in das Erkerstübchen, und dort fand er Maria mit dem Fortpacken ihres gestrigen Putzes beschäftigt, wobei eine ältliche Magd, ihre Amme, half. Sie schrak sichtlich zusammen, als er eintrat, warf die Sachen eiligst in die offene Lade und schloß den Deckel. Meiner Treu, da kommt der Junker wie gerufen! sagte die Magd. Maria aber gab ihr einen Wink und zischelte ihr leise zu: Schweig, Barbara!

War ich erwartet? fragte Heinz, näher tretend.

Barbara hüstelte verlegen, da Maria schwieg. Erwartet – ich meine gewiß nicht, antwortete sie dann für jene. Aber gesprochen ist eben von Euch, Junker; und wie man so zu sagen pflegt: Wenn man vom Wolf spricht –

Barbara! rief das Fräulein.

Ei, wahrhaftig, das paßt schlecht, gab die Magd zu, und es kam mir auch nur so in den Mund. Aber zu verwundern ist's doch nicht, daß man nach dem gestrigen Tage von Euch ein wenig plauderte. Ich wollte zu gern erfahren, wo Ihr das Stechen und das Tanzen so gut gelernt hättet, und das junge Fräulein –

Wußte darüber gar nichts zu sagen, fiel Maria ein. Man muß nicht so neugierig sein.

Ihr seid also auch mit meinem Tanz wohl zufrieden gewesen? fragte Heinz. Das freut mich nicht wenig; denn für einen feinen Tänzer galt ich am Hofe der Plauen gerade nicht. Es mag wohl auch ein Unterschied sein, mit welcher Tänzerin man in den Reigen eintritt.

Ich habe auch gar nicht behauptet, daß Ihr fein tanztet, bemerkte Maria verschämt; Barbara hat sich's so eingeredet.

Der Junker lächelte verschmitzt. Dafür muß ich ihr danken, sagte er, ihr mit den Augen zublinzelnd. Übrigens würde ich wohl meinen, die edle Kunst bald aus dem Grunde zu lernen, wenn es mir vergönnt wäre, sie noch weiter mit Euch zu üben. Leider … sein Gesicht wurde plötzlich ernst und nahm einen fast traurigen Zug an. Ich komme, Euch Lebewohl zu sagen, schloß er.

Maria wurde bleich und sah mit einem fragenden Blick zu ihm auf. So müßt Ihr wirklich schon fort?

Ich sollte schon vor einer Woche gereist sein, und ich weiß kaum, wie ich mein Zögern vor dem Komtur von Schwetz, meinem gnädigen Herrn Oheim, verantworten soll. Aber mein Bleiben gereut mich doch nicht, und am liebsten ging ich gar nicht von hier. Es wird mir auch schwer genug, von Euch zu scheiden, Fräulein, und nur weil's sein muß. –

Barbara wollte sich leise entfernen, aber Maria winkte sie ängstlich zurück.

Seid außer Sorge, fuhr er fort, daß ich Euch etwas verrate, was mein Herz beschwert. Ist auch keinem Menschen gewiß, was in der nächsten Stunde sein wird, so ist doch mir mehr als manchem andern die Zukunft dunkel. Weiß ich doch nicht einmal über meine vergangene Lebenszeit volle Auskunft zu geben. Gewiß ist nur, daß ich nach Preußen gesandt bin, um an dem Kampfe teilzunehmen, der gegen Polen bevorsteht. Vielleicht, daß ich mir darin etwas erstreite, was des Besitzes wert ist, und dann nach Jahr und Tag vor Euch trete und nicht im Zweifel bin, was ich Euch zu fragen komme. Es kann aber auch ebensogut sein, daß ich nach einigen Monden kalt und starr auf dem Kampfplatz liege mit vielen andern –

Ihre Augen wurden feucht, und eine Träne tropfte herab auf ihr Busentuch. Rasch wandte sie sich zur Seite.

Er schwieg eine Weile. Auch ihm wurde recht weh zumute, obschon er nun die Gewißheit hatte, daß er Maria nicht gleichgültig sei. Das steht in Gottes Hand, sagte er dann, wir müssen's dahingestellt sein lassen. Aber ich nehme ein Andenken von Euch mit mir, das mir als Talisman gilt, und ich hoffe zuversichtlich, er wird mich schützen und aus der schwersten Not befreien.

Maria antwortete nicht; sie wischte mit der Hand die Tränen fort, ohne zu ihm umzublicken. So mußte er nun wohl gleich sein Anliegen anschließen. Er zog die Kette unter dem Wams vor, wo er sie verwahrt hatte, und fuhr schüchtern fort: Es wäre mir lieb, Maria, wenn Ihr Euch einen kleinen Dank gefallen lassen wolltet und meine Gabe nicht verschmähtet wegen ihres geringen Wertes. Ich darf nicht wagen, Euch ein Geschenk anzubieten – aber wenn auch Ihr gern dieser Maitage gedenkt und auf ein frohes Wiedersehen hofft, tragt dieses von mir als ein Erinnerungszeichen.

Er wollte ihr das Kettlein auf die Hand streifen, aber sie zog sie scheu zurück. Dabei ließ sie doch die Augen darüber hingleiten, und blitzartig zuckte die Freude darin auf. Ich darf nichts von Euch annehmen, antwortete sie so unsicher und zögernd, daß Barbara gleich meinte, sich einmischen zu müssen, um ihre Bedenken zu beseitigen.

Heilige Brigitta, rief sie, sehe ich recht? Das ist ja nun das Kreuz, von dem Ihr letzte Nacht geträumt hattet. Freilich war's ein böser Traum, denn das Kreuz legte sich Euch schwer auf die Brust, daß Ihr vor Beängstigung weinen mußtet. Aber sagte ich Euch nicht gleich, daß man Träume nicht geradeaus nach ihrem Inhalt auslegen dürfe? Muß denn ein Kreuz gleich ein Leiden bedeuten? Und war's Euch nicht auch geschienen, als ob das Kreuz an allen vier Enden einen Lichtschein ausströmte und in der Mitte wie eine rote Kohle flammte? Da ist nun das gefürchtete Kreuz, Närrchen. Golden glänzt es an allen vier Armen, und in der Mitte liegt der rote Stein. Nun – beschweren wird es Euch die Brust wahrlich nicht. Sie nahm dem Junker die Kette ab, öffnete das Schloß und wollte sie ihr um den Hals hängen. Prüft einmal, es hat wenig Gewicht.

Maria aber wehrte ihre Hand ab. Der Vater erlaubt's nicht, sagte sie.

Ei, dem wollen wir's schon nach der Wahrheit berichten, beschwichtigte Barbara, ihre Schulter streichelnd, und er soll dann selbst zugeben, daß es eine Versündigung wäre, sich gegen einen solchen Traum zu stellen. Will er nicht seines einzigen Kindes Wohlergehen? Und soll sich's etwa erfüllen, daß ihm ein schweres Kreuz aufbewahrt ist und die feurige Kohle einen gefährlichen Brand herbeiführte, während dieses güldene Kreuzchen mit dem roten Stein alle Befürchtungen ableitet, da es ja nun den Traum schon bestätigt? Nein, Kind, er ist ein verständiger Mann und sieht so etwas ein, wenn man's ihm gehörig klarmacht. Und dazu soll mir die Zunge nicht umsonst in den Mund gewachsen sein.

Das reizende Gesichtchen wurde wieder ganz hell, die spitzen Finger flochten emsig an dem Zopf, der beim Neigen des Kopfes über die Schulter vorgefallen war. Sie hatte an der Bandschleife gezupft, ohne es zu wissen, und dadurch die braunen Flechten gelöst. Wenn's denn wirklich solche Gefahr hat – sagte sie und nickte der Amme zu. Aber wenn's der Vater nicht einsieht, tragen wir's gleich ins Brigittinerkloster zu den Schwestern. Sie wandte sich an den Junker. Das müßt Ihr erlauben.

Ich kann's nicht hindern, antwortete er, aber ich zweifle nicht, daß Herr Huxer mir diese kleine Gabe nicht verargen wird, da er doch freundlich gestattete, daß ich Euer Ringlein behalten durfte. Das deute ich mir gut.

Das Blut stieg ihr wieder in die Wangen, aber sie sagte nichts darauf und litt, daß Barbara ihr die Kette um den Hals hing und das Kreuzchen über der Brust zurechtzupfte.

Sie reichte Heinz die Hand und drückte sie ein wenig. Mag es Euch wohlergehen, sagte sie, ich will viel für Euch beten.

So werdet Ihr mich nicht vergessen können, entgegnete er, ihr tief in die Augen blickend. Nehmt meinen Dank, daß Ihr mich so entlaßt. Lebt wohl und – auf Wiedersehen, Maria!

Er hielt noch eine Sekunde lang ihre Hand, bis auch sie leise sagte: Auf Wiedersehen – und dann kehrte er sich rasch ab und ging.

Barbara begleitete ihn zur Treppe. Er wollte ihr einen Goldgulden zustecken, aber sie weigerte sich ganz ernstlich, ihn anzunehmen. Ihr sollt nicht denken, Junker, fügte sie hinzu, daß ich Euch nur so etwas zum Munde geredet habe. Aber ich liebe das Kind, als wär's mein eigenes, und wenn's sein Glück sein sollte … Nun, geht nur, geht – ich sage nichts mehr. Gott befohlen!

Er sprach unten noch im Kontor an und verabschiedete sich von Huxer. Dann sagte er auch Letzkau und seinen Töchtern Lebewohl und beredete mit Hans von der Buche bei Barthel Groß alles Erforderliche zur Abreise. Sie wollten mit einem Weichselkahne den Fluß aufwärts fahren, Hans bis Graudenz, Heinz noch ein paar Meilen weiter bis Schwetz. Mit dem Nordwestwinde hofften sie rasch vorwärts zu kommen, wennschon es gegen den Strom ging. Groß versorgte sie mit wollenen Decken einheimischen Fabrikats zum Schutz in den kalten Nächten, die sie wohl würden unter freiem Himmel auf Deck oder am Feuer unter den Uferweiden verschlafen müssen. Auch ließ Frau Anna für sie einen Korb mit ungarischem Wein, geräuchertem Schinken, getrocknetem Rindfleisch in langen Streifen, Würsten und englischem Käse aus ihrer Vorratskammer für die Reise einpacken. Ihr bleibt auf dem Schiffe unsere Gäste, sagte sie, als sie sich weigerten, das Gebotene anzunehmen.

Dann speiste Heinz zum letztenmal zur Vesper im Refektorium des Ordenshauses, bat den Komtur um Urlaub, erhielt Briefe von demselben an Heinrich von Plauen in Schwetz und zur Weiterbeförderung nach Thorn, wo er feines Pelzwerk zu seinem Bedarf bestellte, und bestieg gegen Abend mit Junker Hans das Schiff.

Bald waren die Mauern und Türme von Danzig ihren Blicken entschwunden.


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