Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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32. DAS BLUTGERICHT

Was den doch wieder nach Danzig zurückgebracht hat! knurrte Huxer vor sich hin, während er die Böttchergasse kreuzte, an der Marienkirche entlang ging und auf den Damm einbog. Das Mädchen hatte ihm schon damals gefallen, und weshalb er nun kommt, da er doch sonst hier nichts zu schaffen hat, kann man sich denken. Und Maria – Torheit, Torheit! Ein solcher Junker Habenichts! Das soll sie sich nur nicht in den Kopf setzen.

Er war so in seine Gedanken vertieft, daß er nicht einmal bemerkte, wie sich viele Menschen auf der sonst stillen Straße drängten. Es war aufgefallen, daß eine größere Zahl von Ratmannen und Schöppen den Weg nach dem Haustor nahm, und man wollte nun neugierig in Erfahrung bringen, was da im Werke sei.

Am Tore fand Huxer schon die beiden Bürgermeister, Barthel Groß und zwölf von der Gemeine, alle in braunen Mänteln, wie für die Bürgertracht vorgeschrieben war. Sie hatten auf ihn gewartet, und Letzkau machte ihm deshalb freundliche Vorwürfe. Nehmt's auf Euch, sagte er scherzend, wenn der gestrenge Herr Komtur sich über unser Verspäten unwillig äußert.

Er kann froh sein, daß wir überhaupt kommen, antwortete Arnold Hecht, für ihn lachend.

Der Zug setzte sich sogleich durchs Haustor und durch die Altstadt aufs Schloß hin in Bewegung, gefolgt von müßigem Volk. Die Herren sprachen leise miteinander und verabredeten, was sie dem Komtur sagen wollten, wenn er sie dies oder das frage. Nur Huxer ging schweigsam, die Lippen zusammengekniffen, neben Barthel Groß her, und diesem war's lieb, daß er nicht zu antworten brauchte. Die Schloßbrücke war aufgezogen, aber der Wächter auf dem Turm über dem Tore gab sogleich ein Zeichen, worauf nach einer Weile die Ketten rasselten und der Weg frei wurde. Schon standen die Vordersten unter dem Fallgatter im Tore, als Huxer plötzlich kehrtmachte. Laßt mich zurück, liebe Freunde, sagte er, ich bin in meinem Hause nötiger als hier in diesem Augenblick, und der Herr Komtur wird mich kaum vermissen.

Man erkundigte sich nach dem Grunde dieses unvermuteten Entschlusses. Ich habe einen Gast zu Hause, erklärte er, der heute erst zugereist ist. Und weil mir die Hausfrau fehlt, wie ihr wißt, und meine Tochter zu jung ist, neben ihm allein zu Tisch zu sitzen, ist's besser, ich versäume dort meine Pflicht nicht.

Es war keine Zeit, ihm lange zuzureden. Der Hauskomtur erschien schon, die Bürger zu empfangen und über den Hof zu geleiten. Sie kümmerten sich deshalb nicht weiter um ihn und ließen ihn gehen. Hinter ihm wurde die Brücke wieder aufgezogen.

Die andern wurden eine Holztreppe hinauf zur Galerie und an mehreren Türen vorbei bis zum Remter geführt, der neben des Komturs Gemach lag. Unten im Hofe in der Nähe des Tores und in den gedeckten Gängen, die ihn auf zwei Seiten umliefen, standen Knechte mit langen Spießen, den Eisenhut auf dem Kopfe. Sie machten den düsteren Raum noch unbehaglicher.

Wenn wir aus dieser Löwengrube heil wieder hinaus sind, zischelte Hecht, mag ein Vaterunser ganz an der Stelle sein.

Wer Waffen bei sich trägt, lasse sie hier auf der Galerie zurück, mahnte der Hauskomtur. Die Ratmannen schlugen ihre Mäntel auf; niemand trug ein Schwert am Gürtel. So wurden sie denn in den Remter eingelassen und stellten sich an der Wand gegenüber der Tür zu des Komturs Gemach in guter Ordnung auf. Nachdem sie gemeldet waren, erschien dieser. Er trug einen Hausrock, aber darüber eine Plate und an einer Kette ein breites Schwert, wie es die Ritter sonst nur zum Kampfe anlegten. Wie er schritt und sich bewegte und das Schwert am Griffe mit der Hand hob oder niederließ, klirrte das Gehänge auf dem Brustharnische, daß es den Bürgern schrill in die Ohren fuhr.

Mit ihm war Waltharius, ein gelehrter Priesterbruder, der vor Jahren in den Konvent geschickt war, um während der Tafel den Brüdern vorzulesen und die Heilige Schrift auszulegen. Er hatte in seiner Jugend die Universitäten in Italien besucht und den Doktorgrad erlangt. Er hielt sich zurück in der Nähe des Einganges.

Der Komtur ging die Reihe der Bürger entlang und musterte jeden mit einem eindringlichen Blick, als ob er ihn durch und durchsehen wollte. Die Gemeine unserer Rechten Stadt Danzig ist lange nicht auf dem Schlosse versammelt gewesen, begann er, mitten im Gemache stehenbleibend und den blonden Bart streichend. Was hat das für Grund?

Man hat sie nicht geladen, antwortete Letzkau.

Es war sonst Sitte, daß die Stadt um Erlaubnis bat, dem neu ins Amt getretenen Komtur aufwarten zu dürfen. Ich habe nichts davon erfahren.

Gnädiger Herr, Ihr wisset, daß Feindschaft war zwischen Schloß und Stadt, die erst gestern ausgeglichen ist. Man geht nicht in des Feindes Lager, es sei denn gegen Versprechen sicheren Geleites. Wir hoffen aber, daß dieses alles abgetan und vergessen sein soll, und daß Ihr uns willkommen heißen werdet, wie wir nun unweigerlich erschienen sind, zu vernehmen, was Euer Begehr.

Des Komturs Lippe zuckte spöttisch unter dem blonden Bart. Ich heiße euch willkommen, wenn ihr ein gutes, redliches Gewissen mitbringt! Was gestern vertragen ist, das ist geschehen vor dem gestrigen Tage. Wollte Gott, daß keine neue Irrung zu beklagen wäre. Aber zunächst beantwortet mir eine Frage. Was bedingt und erhält alle Ordnung dieser Welt?

Da sahen die Bürger einander überrascht an, und mancher zuckte die Achseln, um anzudeuten, daß er nicht wisse, wo das hinaus solle. Konrad Letzkau aber sagte nach einer Weile: Das Recht.

Ist dem so? wandte der Komtur sich an den Priesterbruder.

Nein! entgegnete derselbe vortretend. Das Recht ist nur unwandelbar in Gott. Die Menschen streiten unaufhörlich darum, und wer Recht gewinnt, setzt alle andern ins Unrecht. Weil nun auf Erden neben dem Recht überall Unrecht steht, so gibt es keinen Frieden außer durch den Richter. Der Richter aber ist nicht mächtig durch sich selbst, sondern durch die Obrigkeit, die ihm Gewalt gibt. Also ist das Recht nicht der Grund von aller Ordnung dieser Welt, sondern setzt umgekehrt die Ordnung voraus, damit es gedeihe.

Wohlgesprochen! rief der Komtur. So antwortet also besser.

Gebt jedem so viel Freiheit, als er nach seiner natürlichen Art braucht, sich zu bewegen, erwiderte Hecht leichthin, und ich wette darauf, daß jeder mit der Welt Ordnung zufrieden ist.

Der Komtur hob den Kopf und forderte den Priesterbruder durch einen Blick zum Sprechen auf. Es könnte wohl so sein, sagte dieser vornehm lächelnd. Aber ihr begehrt unmögliche Dinge. Es ist nicht so viel Raum in der Welt, daß jeder Freiheit erhalten kann, sich zu bewegen, wie er mag. Wo die Menschen zusammenwohnen, muß im Gegenteil ein jeder sich beschränken zu des andern Gunsten, und nur wo

diese Schranken geschützt werden, ist Ordnung.

Antwortet besser!

Die Wortführer der Bürgerschaft schienen wenig Neigung zu haben, noch weiter des Komturs Meinung erraten zu wollen. Es entstand ein peinliches Schweigen. Endlich sagte ein Mann mit weißem Barthaar, der älteste auf der Schöppenbank: Man hat uns gelehrt, gnädiger Herr, daß alle Ordnung in der Liebe sei.

Der Komtur lachte auf. Im Reiche Gottes allerdings, und wir hoffen, daß es dereinst auch einkehre auf Erden. Bis dahin aber bedarf's eines anderen Zwanges. Auch die einander nicht lieben, müssen sich zueinander fügen.

Gnädiger Herr, nahm Letzkau unwillig das Wort, wir glaubten, Ihr hättet uns zu anderen Dingen berufen. Sollten wir über so Allgemeines disputieren, so hätten wir leicht einen gelehrten Mann mitbringen können, der uns unterstützte und für uns spräche.

Gemach, rief Plauen, wir werden schnell genug darauf kommen! Hört erst, wie ich selbst auf meine Frage antworte. Aller Ordnung Grund ist der Gehorsam ! Nicht alle können wir herrschen, stets muß einer sein über vielen. Wer aber eingesetzt ist zum Herrschen, der soll seines Amtes walten stark und vollmächtig, daß jeder sage: er ist ein Herr! Und wer ihm untergeben ist, soll ihm dienen ohne Arglist und böse Ränke, und soll nicht einen anderen Herrn suchen und seinem eingesetzten Herrn einen Feind erwecken, sondern alle Feindschaft von ihm abwenden und in Treue zu ihm stehen und tun, was sein Gebot ist, es erscheine ihm Recht oder Unrecht. Ihr habt aber dessen wenig geachtet und die Ordnung in Unordnung verkehrt. Und so sehr habt ihr während des Streites vergessen, was Untertanen ziemt, daß ihr nun auch im Frieden euch in die Ordnung nicht zurückgewöhnen könnt und Zuchtlosigkeit zu eurem Gesetz macht. Aber gebt acht, ich will euch den abgestreiften Zügel wieder anlegen!

Dabei schüttelte er das Schwert in der Hand, daß die Kette über die Plate rasselte, und sah mit blitzenden Augen über die Reihe hin. Mancher erbleichte und fühlte sein Herz erzittern! Arnold Hecht trat unruhig von einem Fuß auf den andern und rückte den Hals aus der Krause, als ob ihm etwas die Kehle beschnüre; Barthel Groß murmelte unwillige Worte, und Konrad Letzkau krampfte die Hand zusammen, um seinen Ärger abzuleiten. Gnädiger Herr, sagte er, Ihr solltet uns billig mit solchen Vorwürfen verschonen, die schlecht geeignet sind, das Friedenswerk zu fördern, zu dem Ihr uns berufen habt. Wollt Ihr uns nicht gütigerer Worte für wert halten, so entlasset uns lieber und mögen dann beide Teile vor dem Herrn Hochmeister ihre Sache führen, wie es verglichen ist. Denn wahrlich, es ziemt uns nicht, so ungerecht gescholten zu werden!

Ungerecht? fuhr der Komtur auf. Geht eure Frechheit so weit, daß ihr euer Siegel verleugnet? Er griff in den linken Ärmel seines Rockes und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor. Kennt ihr diesen Brief? Wie solltet ihr nicht! Die Tinte ist noch blaß, mit der er gestern geschrieben worden. Nun antwortet ja, oder lügt in euren Hals hinein! Kennt ihr diesen Brief?

Er hatte sich in Zorn geredet und lief nun die Reihe der Bürger entlang, jedem das Blatt nahe vor Augen haltend, ohne ihnen doch Zeit zu lassen, es zu lesen. Immer ergrimmter wiederholte er die Frage: Kennt ihr diesen Brief?

Was ist sein Inhalt? fragte Letzkau.

Wollt Ihr das wissen? höhnte der Komtur. Was ist sein Inhalt? Eine freche Absage an den Vogt zu Dirschau – die Drohung mit Gewalt –, ein Fehdebrief in aller Form, wie er im Reiche Sitte sein mag unter denen, die dem Kaiser den Gehorsam gekündigt haben und sich nun untereinander mit Raub und Plünderung bedrohen. Aber im deutschen Ordenslande gibt's noch einen Herrn, der sich dergleichen nicht bieten läßt von seinen Untertanen, so frei und ebenbürtig sie sich auch denken mögen. Euch das zu sagen, dazu berief ich euch!

Gnädiger Herr, ich weiß von keinem solchen Briefe, versicherte der Alte, die Hand aufs Herz legend.

Auch ich nicht – auch ich nicht – ich ebensowenig –, ließen sich Stimmen vernehmen. Der Gemeine Rat ist gestern nicht versammelt gewesen, außer in der Kirche.

So ist diese Schandtat in der Kirche geplant! rief der Komtur.

Nein – nein – nein! Wir wissen nichts davon. Der Brief ist untergeschoben.

Ist dies des Rates Siegel?

Es ist unser Siegel, sagte Letzkau, und die es beidrückten, haben es zu verantworten, was damit gesiegelt ist.

Wollt Ihr's verantworten?

Letzkau sah auf Hecht, der feuerrot geworden war und sich die Lippe biß, während Barthel Groß finster zur Erde blickte. Was ist da zu verantworten? brach endlich Hecht los. Ich habe den Brief schreiben lassen in Gegenwart und mit Wissen mehrerer vom sitzenden Rat, die in der Eile zusammengebracht werden konnten; die von der Gemeine sind daran so unschuldig wie die gestern geborenen Kinder. Wollt Ihr Euch beklagen, so beklagt Euch über Euren Vogt, der mitten im Frieden wie ein Räuber unser Gut vergewaltigt hat, nicht aber über uns, die wir notgedrungen zur Abwehr schritten. Was fordern wir anders als die Freigabe unseres Gutes? Nennt Ihr das einen Absagebrief, so galt er doch nicht Euch und Eurem Orden, sondern allein dem Vogt, der uns herausgefordert hat.

Und ich sage Euch, schrie der Komtur, dicht vor ihn hintretend und mit der Faust vor seinem Gesicht drohend, daß der Geringste unserer Brüder ein Teil des Ordens ist, und daß Ihr den Orden selbst angreift in jedem seiner Glieder! Das soll Euch übel bekommen, Arnold Hecht, Euch und Euren frechen Genossen. Kündigt Ihr Fehde an, so schlagen wir Euch den Handschuh um die Ohren! Er faßte die Schulter des kleinen Mannes und schüttelte ihn derb hin und her.

Letzkau suchte dazwischenzutreten. Mäßigt Euch, Herr Komtur, mahnte er. Ihr tut, was Euch gereuen wird.

Mäßigt Euch, baten die Ratmannen, die durch diesen unvermuteten Angriff ganz bestürzt waren und mit bleichen Gesichtern dastanden.

Das Gesicht des Komturs aber verzerrte sich noch mehr. Er ließ plötzlich die Schulter los, griff in den Halsausschnitt des Wamses und riß dasselbe vorn über der Brust bis zum Gürtel hinab auf. Kommst du in Waffen, Bube? schrie er zornig. Die Wachen herbei! Untersucht ihre Kleider! Sie kommen in Waffen!

Arnold Hecht trug unter seinem Wams ein stählernes Panzerhemde, das nun sichtbar wurde. Auch fiel ein Dolch zur Erde. Man muß sich gegen Euch vorsehen, stammelte er. Laßt uns unserer Wege gehen.

Vier von den Spießträgern traten ein, zwei andere besetzten den Ausgang. Auf des Komturs Geheiß wurden die Bürger untersucht. Die meisten lösten freiwillig ihre Gürtel und öffneten die Kleider über der Brust. Die Bestürzung war allgemein. Barthel Groß erinnerte sich des Dolchmessers, das er auf Frau Annas Rat mit sich genommen hatte, und erschrak. Er wartete nicht ab, bis man Hand an ihn legte, sondern zog es vor und reichte es dem Komtur hin. Ich hatte es vergessen, sagte er, bei Gott, ich hatte nichts Böses gegen Euch im Sinn.

Bei den anderen wurden keine Waffen gefunden.

Ihr scheint auch an dem Briefe nicht schuldig zu sein, sagte der Komtur. Er ist ohne euer Wissen geschrieben und abgesandt, und ich merke wohl, daß ihr selbst ihn verurteilt. Ich will euch entlassen. Geht nach Hause und meldet, daß ich Gewalt zu brauchen entschlossen bin, wenn der Geist der Widersetzlichkeit und des Ungehorsams sich noch ferner in der Stadt regt. Diese drei behalte ich noch bei mir. Wir haben noch miteinander zu verhandeln.

Ihr wollt mich im Schlosse zurückhalten? fragte Letzkau. Mit welchem Recht? Auf welche Veranlassung? Wodurch hab' ich Euch verletzt?

Du bist der gefährlichste von allen! rief der Komtur. Glaubst du, daß ich deine geheimen Anschläge nicht kenne? Verantworte dich nun, wenn du kannst. Fort mit den andern!

Die Bürger wurden hinausgetrieben und mit Schmähworten durch das Tor nach der Burgfreiheit ausgelassen. Sie verbreiteten die Nachricht von dem Geschehenen rasch durch die ganze Stadt. So spät es am Tage war, versammelte sich doch der Rat auf dem Rathause. Nur wenige wußten etwas von dem Vorfall in Dirschau. Allen schien es sicher, daß der Komtur ihn nur zum Vorwand genommen habe, sich der Häupter zu versichern. Es wurde beschlossen, sofort beim Hochmeister Beschwerde zu führen. Die ganze Nacht durch schrieb der Stadtschreiber am Bericht.

Die beiden Bürgermeister aber und Bartholomäus Groß wurden nach der Entfernung ihrer Genossen von dem Komtur von neuem wütend angefahren und meineidige Verräter genannt, denen von Rechts wegen der Kopf vor die Füße gelegt werden müsse. Letzkau stieß er mit dem Griffe des Schwertes gegen die Brust, daß er zurücktaumelte. Bei Gott, Herr Komtur, Ihr tut schweres Unrecht! stöhnte der unglückliche Mann.

Führt sie ins Gefängnis! befahl der Komtur. Tief unten im Wasserturm! Da mögen sie über ihre Schandtaten nachdenken und mit ihren harten Schädeln gegen die Mauern stoßen. Sie werden's wohl aushalten. Wer sich widersetzt, wird in Ketten gelegt!

So wissen wir, weshalb wir aufs Schloß gerufen sind, rief Hecht, als er hinausgeführt wurde. Vertrauen habt Ihr mit Hinterlist vergolten! Vor Gottes Altar habt Ihr –

Die Tür wurde zugeschlagen. –

Sogleich versammelte der Komtur die im Schlosse anwesenden Brüder im Kapitelsaal neben der Kapelle. Rasch war allen bekannt geworden, was sich ereignet hatte; und wie sich's von Mund zu Mund weitersprach, vergrößerte sich das Geschehene. Es hieß, einige von den Bürgern hätten mit versteckten Waffen den Komtur überfallen und töten wollen. Als er nun unter den Brüdern erschien, umringten sie ihn und wünschten ihm Glück zu seiner Lebensrettung. Da er nicht widersprach, erregte sich die Versammlung noch mehr und machte ihrem Unwillen in lauten Schmähreden und Drohungen Luft.

Der Komtur bedeutete sie, Platz zu nehmen. Was wäre an diesem armen Leibe gelegen? rief er, sich auf die Brust schlagend. Wir alle haben Gott und der Jungfrau Maria unser Leben gelobt, und jeden Augenblick sind wir bereit, es hinzugeben im Kampfe. Nicht ich war in Gefahr, sondern der Orden. Er las ihnen den Brief an den Vogt vor und fuhr fort: Sollen wir abwarten, bis das Haus über uns brennt? Sehen wir, daß die Buben mit der Brandfackel kommen, was sollen wir tun? Sie ruhig gewähren lassen? Des Sinnes bin ich nicht. Es sind zur Zeit viel in unserer Brüderschaft, die da meinen, ein wildes Pferd bändigen zu können mit Streicheln und freundlichem Zureden. Aber es wird den Reiter in den Sand werfen, der nicht den Mut hat, die Zügel straff zu halten und die Sporen einzusetzen. So schlechte Reiter wollen wir nicht sein! Und darum frag' ich euch, was soll geschehen mit diesen, die ein gutes Geschick in unsere Macht gegeben hat, bevor sie noch mehr Böses anrichteten, dazu sie den Willen hatten? Sprecht!

Darauf wußten die Ritter nicht sogleich zu antworten. Endlich meinte der älteste, man müsse die Sache streng untersuchen.

Untersuchen! rief der Komtur. Was ist da noch zu untersuchen? Leugnen sie, diesen Brief geschrieben zu haben?

Sind sie nicht mit Waffen ergriffen? Was wollt ihr untersuchen? Was fragt ihr noch nach ihrer Schuld? Ich sage: sie sind schuldig! Und wer an ihrer Schuld zweifelt, den nenne ich ihren Mitschuldigen.

Sie sind schuldig – schuldig – schuldig –! bestätigten die Brüder ringsum. Keiner wollte im Eifer zurückbleiben.

Wir wollen sie in sicherem Gewahrsam halten, fügte der älteste zu, bis der Herr Hochmeister ein Gericht über sie gesetzt hat.

Der Komtur lachte hellauf. Welches Gericht soll der Herr Hochmeister über sie setzen? Ihr werdet altersschwach, Bruder Firmian, und bedenkt nicht, was Ihr redet. Wir sind das Gericht! Es ist kein Fall, der in den Rechtsbüchern steht. Alle Ordnung des Rechts ruht auf dem Landfrieden. Diese aber haben ihn gebrochen, indem sie mit frecher Hand gegen ihren Herrn schlugen. Sagt ihr, sie sind schuldig, so sind sie gerichtet. Und ich spreche als euer Obmann das Urteil: sie sind des Todes schuldig!

Da verstummte jeder weitere Einspruch. Die Brüder saßen da mit finstern Gesichtern, und jeder fürchtete sich, in Verdacht zu kommen, daß er aus Bedenklichkeit des Ordens Sache schlecht diene. Aber sie bestätigten auch des Komturs Urteil nicht, sondern ließen ihm alle Verantwortlichkeit. Weil er des Hochmeisters Bruder war, meinten sie, daß er geheime Weisung habe, und daß sie ihn nicht hindern dürften. Als der Komtur nun eine Weile gehorcht hatte, ob jemand zu reden begehre, und alles still blieb, sagte er: Da ihr schweigt, nehme ich euch gesamt als zustimmend, und hob das Kapitel auf.

Als die Ritter den Saal verließen, war die Sonne eben im Untergehen: ihre letzten Strahlen, vorbrechend aus einem dunklen Gewölk, röteten die weißen Mäntel und Baretts der Männer. Keiner von ihnen warf aus dem Fenster hinaus einen Blick auf die Stadt, deren rotes Gemäuer zu flammen schien.

In sein Gemach zurückgekehrt, überlegte der Komtur, was nun zu tun. Überlegen ließ sich eigentlich dieses finstere Brüten über einen Entschluß nicht nennen. Seine Gedanken flogen zu gleicher Zeit in die Stadt hinab, zu seinem Bruder, dem Hochmeister, in den Kerker im Wasserturm zu den Gefangenen, in die Zellen der Brüder. Er mühte sich nicht einmal, seiner Unruhe Meister zu werden; die leidenschaftliche Erregtheit, die ihm das Blut in die Stirn trieb, tat ihm wohl. Er wollte sich erzürnen, immer noch mehr erzürnen, um nicht lässig zu werden zur Tat. Kein Bedenken durfte aufkommen. Das muß geschehen – das soll geschehen. Nur das Wie ...

Sie dürfen das Schloß nicht mehr verlassen – sie müssen sterben! Darüber kam ihm nicht der leiseste Zweifel. Und noch heute – diese Nacht – vor dem nächsten Tage. Was heute nicht geschah, geschah morgen nicht mehr – vielleicht nimmermehr. Der Hochmeister war fern. Tage vergingen, bis ein Brief ihn erreichte, und was ließ sich in einem Briefe sagen? Dann würden wieder Tage vergehen, bis er antwortete. Und was sollte er antworten? Es konnte ihm nicht lieb sein, gefragt zu werden. Inzwischen würden ihn auch die Boten der Stadt erreicht haben. Sie würden über Gewalt schreien, die Schuld in Abrede stellen oder verkleinern. Dann wurde vielleicht der Großkomtur geschickt, ein Verfahren einzuleiten; er selbst war nicht mehr der Richter, sondern der Kläger – er sollte beweisen, verantworten. Die Tat gewann ein ganz anderes Gesicht, je älter sie wurde.

Schnell zu handeln, ohne langes Besinnen das Notwendige zu tun, war seine Pflicht. Dazu war er als Komtur beamtet, das erwartete man von ihm. Auch wenn er im Eifer zu rasch vorging, konnte niemand ihn schelten. Es war nicht ein Fall, für den es sichere Vorschrift gab, was zu tun, was zu unterlassen. Wie ein Anführer im Kriege mußte er nach Umständen seinen Entschluß fassen und die Zeit zum Handeln nicht nutzlos verstreichen lassen. Der Hochmeister, der ganze Orden würde es ihm danken, wenn er die günstige Gelegenheit benutzte, sie von ihren schlimmsten Feinden mit einem mutigen Schlage zu befreien.

Und er war auch schon zu weit gegangen. Was er getan hatte, durfte er nur getan haben, wenn darauf sofort die Vollstreckung des Urteils folgte. Sie war seine beste Rechtfertigung. Die Toten konnten durch kein Geschrei auferweckt werden. Was nützten Klagen und Beschwerden, wenn die Entscheidung unwiderruflich war? Und wer konnte zu zweifeln wagen, daß man Verräter zum Tode brachte? Es mußte dem Lande ein Beispiel gegeben werden, das alle Abtrünnigen und Schwankenden zur Besinnung brächte. Floß das Blut dieser wenigen, so wurde ein Kampf verhütet, der leicht Tausenden das Leben kosten konnte.

Das alles jagte dem Komtur durch den Kopf. Er sonderte es nicht; es bestürmte ihn von allen Seiten zugleich, und immer war der Schluß: sie müssen sterben – müssen – müssen! Er sprang auf, durchschritt ein paarmal das Gemach, öffnete die Tür nach der Galerie und horchte auf den Hof hinaus. Es war alles still. Das Urteil ist gesprochen, murmelte er, und ich weiß auch einen Nachrichter für euch, der nicht erst aus der Stadt bestellt werden darf. Er trat an einen Wandschrank, nahm ein kurzes Schwert und zwei Dolchmesser heraus und verbarg sie unter seinem Mantel. Dann stieg er die Treppe hinab, schritt über den Hof bis zum großen Eckturm und klopfte an. Der Wächter öffnete.

Führt Marquard Stenebreeker in Euer Gemach, befahl der Komtur, ich habe mit ihm zu reden.

Es geschah sogleich.

Nun, Marquard, sprach der Komtur ihn an, behagt's dir jetzt besser in deinem Gefängnis bei Licht und Luft?

Gnädiger Herr, antwortete der Rotbart, Gefangenschaft ist ein traurig Ding – so oder so. Es muß bald ein Jahr vergangen sein, seit man uns in Banden schlug.

Ich denke, Ihr werdet Euch daran eine Lehre genommen haben und nicht wieder auf preußische Schiffe Jagd machen.

Höhnt mich nicht, gnädiger Herr. Was hilft's, daß ich gewitzigt bin, da ich doch in diesem Turm festsitze. Oder seid Ihr's satt, uns zu füttern?

Dann hätten wir schon längst ein Mittel gehabt, uns solcher Kostgänger zu entledigen. Er strich mit dem Zeigefinger über seine Kehle hin.

Ganz recht! rief Stenebreeker mit unheimlichem Lachen. Also was soll's?

Der Komtur schwieg eine Minute lang. Ich könnte dir und deinen Gesellen wohl zur Freiheit verhelfen, sagte er dann, mit den Augen blinzelnd.

Marquard sah ihn überrascht und ungläubig zugleich an. Ah –! Wollt Ihr Euch einen Gotteslohn verdienen, gnädiger Herr? Ich will für Euch beten lassen am Altar der Vitalienbrüder in Stockholm.

Es ist mir nicht um Gotteslohn zu tun, Marquard, sondern um einen irdischen Dienst, der Euch nicht einmal sonderlich schwerfallen kann, da er halb und halb in Euer Handwerk

schlägt.

Sprecht, gnädiger Herr.

Ich brauche einen Scharfrichter, Marquard.

Stenebreeker zuckte zurück. Herr – wir sind ehrliche Leute!

Habt aber doch so manchem schon den Hals abgestochen.

Im Kampfe, Herr.

Gutwillig werden die Euch auch nicht das Leben lassen, von denen ich spreche. Und wenn Ihr Euch die Freiheit erkämpft –

Von wem sprecht Ihr, Herr?

Von drei Männern aus Danzig, die unter Euch gefangen sitzen und zum Tode verurteilt sind. Sie müssen noch diese Nacht sterben.

Müssen sie –?

Wie ich sage. Ich will sie in Euren Kerker führen lassen – tut sie ab!

Pfui! mit unsern nackten Händen, Herr?

Ich will Euch Waffen geben.

Das läßt sich hören. Aber Henkerdienst, Herr –

Der Komtur stand auf. Ihr wollt nicht. Gut –!

Stenebreeker legte die Hand auf seinen Arm. Seid nicht so schnell. Zum Teufel, man will dergleichen doch bedenken. Sagt mir noch eins: Wer soll abgetan werden?

Konrad Letzkau, der Bürgermeister.

Ah! Der hat's redlich um mich verdient. Weiter!

Arnold Hecht, sein Kumpan.

Ihr habt vornehme Gesellschaft da unten. Gut! Wär's nach seinem Willen gegangen, so wären unsere Gebeine längst vom Galgen gefallen. Und der dritte?

Bartholomäus Groß, einer vom Rat.

Der war auf dem Danziger Schiff, das uns einbrachte. Topp! Der Handel gilt. Konrad Letzkau, den nehm' ich auf mich. Aber wenn's geschehen ist, Herr – wie gewinnen wir die Freiheit?

Das will ich dir sagen, Marquard. Durch die Tür mag ich euch nicht auslassen. Seht, wie ihr durchs Fenster entkommt.

Wir haben's schon untersucht – die Eisen sind uns zu stark.

Deshalb will ich dir eine Feile geben.

Und dann –?

Das Fenster liegt nicht allzu hoch über dem Wasser. Ich will sorgen, daß ihr unten ein Boot findet. Darin sollen Lebensmittel für einige Tage sein. Auch einen Strick will ich hineinlegen lassen. Einer von euch, der schwimmen kann, springt hinab und wirft den andern den Strick zu. Auf dem Boote könnt ihr die offene See gewinnen – und dann helft euch weiter.

Das heißt: ersauft, wenn es euch gefällig ist.

Der Komtur zuckte die Achseln.

Wir wollen's auf gut Glück ankommen lassen, fuhr der Seeräuber fort. Gebt die Feile und die Waffen.

Versprich mir erst mit einem Schwur –

Hahaha! Was habt Ihr von uns für eine Meinung, Herr? Was wir versprechen, das halten wir ehrlich. Ein Schwur ist nicht mehr als ein Wort.

Euer Wort also –

Mit Handschlag! Sie sollen sterben.

Der Komtur reichte ihm, was er unter dem Mantel verborgen hatte.

Stenebreeker prüfte mit gierigen Augen die Feile und die Spitzen der Dolche. Wißt Ihr auch, bemerkte er, daß Ihr jetzt in meiner Gewalt wäret? Mit diesen Waffen könnte ich mir wohl ins Freie Bahn brechen, wenn ich Euch still machte.

Der Komtur wurde bleich und blickte scheu nach der Tür.

Habt keine Furcht, beruhigte ihn der Räuber. Ich sag's nur, damit Ihr seht, daß ich ehrlich bin. Er versteckte die Waffen unter dem Gewande. Ich weiß nicht, wie groß der Dienst ist, den ich Euch leiste; aber ich will denken, daß ich in Eurer Schuld bleibe, wenn ich die Freiheit gewinne. Sollt' ich je wieder ein Schiff führen, so ist Euer Orden sicher vor demselben.

Ich nehme Euer Versprechen an, sagte der Komtur. Und nun macht's ohne viel Lärm ab. Er öffnete die Tür und winkte den Wächter herbei. Führt ihn in sein Gefängnis zurück.

Er wartete auf den Mann, bis er wiederkam. Ich habe mir's überlegt, sagte er, die drei Danziger Herren haben da unten ein schlechtes Quartier. Schafft sie nach einer Stunde hinauf und laßt sie zu Marquard Stenebreeker und seinen Gesellen ein; der Raum ist groß genug auch für diese Gäste. Ich werde durch Engelke nachfragen lassen, ob mein Befehl ausgeführt ist.

Er soll pünktlich ausgeführt werden, gnädiger Herr, versicherte der Wächter. Es kümmert mich nichts als mein Dienst.

Der Komtur verließ den Turm und ging über den Hof zurück. Am Himmel stand der volle Mond, noch ziemlich bleich in der Abenddämmerung. Der wird ihnen besser leuchten als eine Fackel, sprach er vor sich hin.

Dann gab er Peter Engelke Aufträge wegen des Bootes. Wähle nicht das größte und beste, setzte er hinzu. Lebensmittel für drei Tage, nicht mehr. Vergiß den Strick nicht.

Auch ein Segel?

Gut – ein kleines Segel; aber nicht mehr als zwei Riemen. Engelke versicherte, alles wohl verstanden zu haben, und ging an sein Geschäft. Ich will ihnen Wort halten, aber die Flucht nicht so leicht machen, dachte der Komtur. Entkommen sie mit dem Boot über See, so ist es Gottes Wille. Finden sie in den Wellen ihren Tod – um so besser.

Darauf ging er in die Kapelle zum vorgeschriebenen Nachtgebet, blieb dort nicht länger als gewöhnlich, und suchte sein Lager auf, nicht beunruhigt in seinem Gewissen, aber voll ängstlicher Spannung, was der neue Tag bringen werde. –

Die drei Danziger Bürger waren von den Wachen zwischen die Spieße genommen und über den Hof geführt worden, wobei es an Püffen von den groben Fäusten nicht fehlte. Im Turm stieß man sie die Steintreppe in den Kellerraum hinunter und warf ihnen ein paar Bunde Stroh nach. Dann wurde die Eisentür verschlossen und verriegelt.

Es herrschte tiefe Finsternis in dem Gemach. Erst nach längerer Zeit ließ sich eine schmale Spalte in der Wand bemerken, die sich lichter in dieselbe einzeichnete. Sie tappten umher und stießen an feuchte Mauern, die ein niedriges Gewölbe trugen. An mehreren Stellen waren große eiserne Ringe eingelassen. An einem derselben hing auch eine Kette mit einer Hand- oder Fußschelle. Barthel Groß faßte sie und schauerte zusammen, als sie auf dem Steinboden klirrte.

Sie breiteten das Stroh aus und warfen sich darauf. Wohl eine Stunde lang sprach keiner ein Wort. Das leise Pfeifen des Windes war zu vernehmen, der durch die Spalte in der Mauer zog, dazu ein Ton, der wie das Anschlagen von Wellen klang. Von Zeit zu Zeit stieß Hecht einen Seufzer aus oder wühlte unruhig im Stroh. Schlaft ihr denn? fragte er endlich, sich aufrichtend. Ein Wunder wär's nicht: man ist wie betäubt und kann kaum atmen in der dicken Luft.

Ich denke an Weib und Kinder, antwortete Barthel, da will der Schlaf trotzdem nicht kommen.

Ein abscheuliches Kellerloch! rief Hecht. Puh, dieser Modergeruch. Wir müssen das Wasser in der Nähe haben.

Man hört es an die Außenmauer des Turms spülen.

Das nenne ich Gastfreundschaft! Oh, der Schurke, der nichtswürdige Bube! Eine so heimtückische Bestie –

Spart Eure Worte, riet Letzkau, er hört Euch nicht.

Hecht beruhigte sich nicht so leicht. Ist dies ein Gefängnis für Ratspersonen? Keinen Dieb und Mörder behandelt man so schlecht! Das jämmerlichste Loch im ganzen Schloß hat der Komtur ausgewählt, an uns Rache zu nehmen.

Ich habe in einem Kerker, der nicht viel besser war, schon viele Wochen lang gesessen, sagte der Bürgermeister. Es bleibt nichts übrig, als sich in Geduld zu ergeben.

Geduld ist eine Altweibertugend! schrie Hecht. Ich möchte bersten vor Zorn und Unmut. Uns hierher locken zu lassen – in eine so plumpe Falle zu gehen! Wer konnte aber auch vermuten, daß der Dirschauer Vogt so flink sein würde?

Ich könnte Euch Vorwürfe machen, sagte Letzkau, daß Ihr den Brief geschrieben habt. Aber ich weiß wohl, daß er dem Komtur doch nur ein Vorwand war, sich an uns zu reiben. Hätten wir ihm diesen nicht geboten, so hätte er einen andern gefunden. Schon in der Kirche war mir's gewiß, daß er den Frieden nicht ernst meinte. Er verpflichtete sich uns zu nichts.

Und doch vertrauten wir ihm, seufzte Groß.

Wieder schwiegen sie eine Weile. Es war eisig kalt im Kellerraum. Hecht fing an mit den Zähnen zu klappern – vielleicht nicht nur der Kälte wegen. Der Mut sank ihm schnell. Gebt acht, sagte er, der Komtur läßt uns nicht wieder hinaus. Wir sollen hier elend umkommen.

Es wird so schlimm nicht werden, tröstete Letzkau. Unsere Begleiter hat man entlassen. Sie werden dafür sorgen, daß die Gewalttat in der Stadt bekannt wird. Danzig wird seine gewählten Bürgermeister nicht im Stich lassen. Und steht nicht über dem Komtur der Hochmeister? Sein ganzes Ansehen im Lande geht verloren, wenn er so etwas ungestraft geschehen läßt. Er wird sofort unsere Entlassung aus der Haft befehlen. Aber eine Woche allerdings kann's dauern, bis wir die Freiheit wiedergewinnen, und indessen hat der Komtur seine Rache an uns gestillt.

Oh, seufzte Hecht, ich wollte, es käme einer im Rat auf den klugen Einfall, einen Boten an den König von Polen zu schicken. Der ist mir zuverlässiger als der Hochmeister, den der Komtur schon mit Lügen umstricken wird.

Was kann ihm das helfen? meinte Letzkau. Man muß uns ja doch ordnungsmäßig den Prozeß machen und kann unsere Verteidigung nicht abweisen. Dem Komtur soll seine Voreiligkeit leid werden, wenn noch Gerechtigkeit im Lande ist.

Gott geb's! sagte sein Kumpan mit sehr kläglichem Ton. Hätten wir doch das Schloß ausgebrannt bis auf den Grund und die Füchse aufgestöbert!

Wieder verging eine Stunde. Die Nacht mußte schon vorgeschritten sein, denn ein bleicher Streifen von Mondlicht fiel durch die Spalte auf die unteren Treppenstufen gegenüber. Da wurde oben der Riegel zurückgeschoben und der Schlüssel gedreht. Der Turmwächter erschien mit einem brennenden Kienspan und leuchtete hinab. Steht auf! rief er. Es ist des Herrn Komturs Wille, daß ich euch ein anderes Gemach anweise, wo ihr in muntere Gesellschaft kommt. Bringt aber das Stroh mit hinauf.

Letzkau fragte, was man mit ihnen vorhabe; der Wächter aber antwortete mürrisch: Der Teufel mag's wissen! Gehorcht und haltet mich nicht unnütz auf; ich will endlich auch meine Nachtruhe haben. Der Herr befiehlt's, und so geschieht's.

Sie mußten Folge leisten. Schlimmer kann's doch nicht werden, meinte Hecht.

Der Wächter geleitete sie durch einen schmalen gewölbten Gang. Hinter einer Tür vernahm man wüsten Gesang, mit rohem Lachen untermischt. Der Wächter klopfte mit dem Schlüssel an, worauf plötzlich alles still wurde. Wen bewahrt Ihr dort? erkundete Letzkau erschreckt.

Ihr werdet's sogleich erfahren, versicherte der Mann mit der Fackel, das ist ihr gewöhnliches Nachtgebet. Er schloß die Tür auf. Da – tretet ein.

Der Tür gegenüber befand sich in der Mauer eine tiefe Nische und in derselben, etwa sechs Fuß über dem Erdboden, eine fensterartige Öffnung, die sich nach außen hin verengte. Der Mond stand gerade davor, und die schwarzen Eisenstangen kreuzten ihn. Die plötzliche Helle war fast blendend in ihrer Wirkung auf die Eintretenden. Der Wächter schob sie vorwärts und rief: Da habt ihr zur Nacht Gesellschaft – vertragt euch gut, das rat' ich euch! Dann warf er die Tür zu und schlurrte fort.

Auf der Mauervertiefung saß ein Mensch, seitwärts an die Wand gelehnt. Das Mondlicht streifte sein verwildertes Gesicht. Er kroch gleich wieder an die Eisenstäbe heran und machte sich an denselben zu schaffen. Zu ihm schwang sich ein zweiter auf, wie jener nur mit Lumpen bekleidet und barfuß. Ein dritter half ihm dabei, indem er ihn auf die Schulter nahm. Seitwärts, nahe der Wand, zeigten sich noch mehrere Gestalten, teils auf einem Strohlager sitzend, teils davor stehend. Einer davon trat plötzlich in das Mondlicht vor. Wie Feuer leuchtete der rote Bart, der ihm über die Brust fiel. Kennt ihr mich? fragte er mit schneidigem Ton.

Stenebreeker! riefen sie wie aus einem Munde.

Marquard Stenebreeker – der bin ich. Und diese hier sind meine guten Gesellen. Vorige Pfingsten, als ihr uns in Ketten an eurem Rathause vorbeiführen ließet, den Gassenbuben zum Spott, ahntet ihr Herren nicht, daß wir einander so wieder treffen würden – hahaha – so!

Letzkau durchschauerte es kalt. Wechselvoll sind der Menschen Schicksale, sagte er. Rollt das Rad, so sind seine Speichen bald unten und bald oben.

Stenebreeker streckte die Hand aus und wies mit dem Finger auf ihn hin. Das hast du erfahren, Konrad Letzkau. Es ist nicht das erstemal, daß ich dich im Kerker sehe. Ich half dir zur Freiheit. Du hättest dich dessen besser erinnern sollen, als ich deinen Dank begehrte. Denn das Rad dreht sich, und nun schleifst du den Staub, und ich habe Macht über dich.

Wir sind gefangen und eingekerkert wie ihr, rief Arnd Hecht, in nichts anderem haben wir Gemeinschaft mit euch. Macht Platz für unser Lager. Es ist wahrlich Zeit, daß wir zur Ruhe kommen.

Ihr werdet nicht schlafen diese Nacht, um wieder zu erwachen, entgegnete der Hauptmann.

Heiliger Gott, was soll mit uns geschehen? rief Groß, sich entsetzt umschauend.

In einer Stunde werden wir euch das Quartier räumen, ihr Herren. Vorher aber haben wir miteinander noch ein ernst Geschäft, Wißt ihr, weshalb der Herr Komtur euch zu uns geschickt hat?

Sie schwiegen.

Damit wir euch richten!

Damit ihr uns mordet! rief Letzkau. Ah, nun wird die Schandtat vollkommen!

Ihr seid unsere Richter nicht, sagte Hecht mit bebender Stimme, die Hand wie zur Abwehr vorstreckend.

Ihr seid unsere Richter nicht! wiederholte Barthel Groß.

Nun, so nennt uns eure Nachrichter, entgegnete der Rotbart wild, wenn euch das besser gefällt. Das Kapitel hat euch gerichtet – es kümmert mich nicht, wegen welcher Schuld –, und ihr seid in unsere Hände gegeben.

Das Kapitel kann uns nicht richten, der Komtur nicht verdammen. Wir haben das Landgericht über uns – der Hochmeister ist unser Gerichtsherr! Das heißt Gewalt!

Mag sein! Darum vollstrecken wir nicht fremdes Urteil, sondern unser eigenes. Bereitet euch zum Tode – ihr müßt sterben!

Nochmals – ihr seid unsere Richter nicht!

So vergelten wir Gleiches mit Gleichem. Auch ihr waret unsere Richter nicht, und ihr habt uns gerichtet. Einen Teil unserer Gefährten habt ihr ums Leben gebracht. Daß wir noch atmen, danken wir euch nicht. Euer Tod aber gibt uns die Freiheit, und deshalb – müßt ihr sterben!

Er schlug den zerfetzten Mantel zurück und zeigte das nackte Schwert in seiner linken Hand. Zugleich traten zwei von den Räubern an ihn heran. In ihrem Ledergurt blitzten die Dolchmesser, und sie hatten die Hände an den Griff gelegt, des Befehls ihres Meisters gewärtig.

Nun konnte kein Zweifel mehr sein, daß die Drohung schrecklich ernst gemeint war. Sie haben Waffen! schrie Hecht, sie sind gegen uns bewaffnet! Zu Hilfe – zu Hilfe! Er rannte an die Tür, rüttelte sie im Schloß, schlug mit den Fäusten dagegen.

Die Räuber lachten wild auf. Es nützt euch nichts! Ergebt euch!

O mein Weib – meine Kinder! jammerte Barthel Groß, sich mit beiden Händen ins Haar greifend. Schont uns – tötet uns nicht! Das ist Mord – Meuchelmord!

Des Komturs Rachewerk! sagte Letzkau. Aber es wird aus dieser blutigen Saat eine Frucht aufgehen, an der sie sich vergiften sollen! Nur zu, ihr Buben – nur zu! Gewalt habt ihr über uns, aber nicht Recht.

Im nächsten Augenblick ließ sich vom Fenster her ein Krachen vernehmen: die Eisenstange war gebrochen. Der Mann, der daran gefeilt und gebogen hatte, warf sie hinab. Der Weg ist frei! rief er.

Sieh hinaus, Jost, rief ihm der Hauptmann zu, ob unten das Boot bereit liegt.

Es liegt bereit.

Nun denn – in Teufels Namen, vorwärts! Er hob das Schwert und drang gegen die Ratsherren vor. Seine beiden Genossen folgten mit wildem Geschrei.

Letzkau ergriff einen hölzernen Schemel, der an der Wand stand, und hielt ihn vor sich hin. Sollen wir uns schlachten lassen? Ich verteidige mein Leben.

Barthel Groß blickte sich verzweifelt um, ob sich nicht auch für ihn eine Waffe entdecken ließe. Auf der Erde lag das Eisen. Er sprang zu, hob es auf und schwang es über seinem Kopf.

Arnd Hecht war bis in die Ecke des Gemachs zurückgewichen. Sein Fuß stieß an einen harten Gegenstand. Er bückte sich danach und ergriff eine steinerne Kanne, die noch halb mit Wasser gefüllt war. Den Inhalt goß er seinen Angreifern ins Gesicht, so daß sie geblendet waren; dem einen von den Kerlen, der mit dem Dolch auf ihn eindrang, schlug er so kräftig auf den Schädel, daß er taumelte und zu Boden stürzte. Aber ein anderer Geselle riß ihm den Dolch fort und warf sich auf den Wütenden. Stenebreeker selbst griff mit seinem kurzen Schwert Konrad Letzkau an, der aber den Schemel so geschickt wie einen Schild gebrauchte, daß er längere Zeit keinen Vorteil gewann. Barthel Groß focht mit der Eisenstange wie ein Rasender gegen einen bewaffneten Räuber und zwei seiner Gefährten, von denen der eine die spitze Feile als Dolch zu gebrauchen suchte, während der andere den zweiten Holzschemel ergriffen hatte und damit die wuchtigen Schläge zu parieren bemüht war. Bald lag ein zweiter von den Räubern ächzend am Boden. Nun sprangen auch die übrigen vom Strohlager auf und beteiligten sich beim Kampf.

Es entstand ein wildes Handgemenge. Der Mond erhellte das Gemach hinreichend, daß Freund und Feind einander unterscheiden konnten. Mitunter wurden die Angreifer auch bis unter das Fenster zurückgeworfen, wo dann der Lichtschein auf die blutigen Köpfe fiel. Stenebreeker ermutigte die Seinigen stets zu neuem Vordringen. Sie waren so sehr in der Mehrzahl, daß die Ratsherren fortwährend aufpassen mußten, nicht umgangen zu werden. Ihr Kampf war ganz hoffnungslos, aber sie gaben ihn deshalb nicht auf: in tapferer Gegenwehr wollten sie sterben, wenn sie sterben mußten.

Allmählich ermüdete ihnen Arm und Hand, sie bluteten schon aus vielen Wunden. Endlich gelang es einem von den Räubern, die zu Boden gestreckt waren, Barthel Groß bei den Füßen zu ergreifen und zum Fall zu bringen. Ehe er sich aufrichten konnte, faßte ihn ein anderer ins Haar und riß ihm den Kopf zurück. Anna – Anna! rief er. Schon fühlte er die Schneide des Dolches an seiner Kehle. Im nächsten Augenblick brach er röchelnd zusammen.

Die Räuber erhoben ein Siegesgeschrei. Noch seid ihr nicht am Ziel, ihr Buben! rief Hecht, dem blutiger Schweiß vom Gesicht rann. Er holte mit der Steinkanne mächtig aus und schmetterte sie gegen den Kopf seines nächsten Gegners. Indem aber sprang sein Genosse mit einem Schemel vor und fing den Hieb auf. Die Kanne barst bei dem Anprall gegen das eckige Holz und brach in Stücke auseinander; Hecht behielt den Henkel in der Hand. Nun war er wehrlos, wurde umringt und niedergeworfen. Mit Händen und Füßen schlug er um sich, bis man ihm die Kehle abgestochen hatte.

Fast zugleich mit ihm fiel auch Konrad Letzkau. Der Blutverlust hatte ihn erschöpft. War er auch nicht tödlich getroffen, so hatte er doch dem Schwert Stenebreekers den Zugang zu Brust und Leib nicht wehren können. Nun wurde er von hinten umfaßt und in die Knie gedrückt. Um diesen Angreifer abzuschütteln, schlug er mit dem Schemel hinter sich. Diesen günstigen Augenblick benutzte der Hauptmann, ihm das Schwert zwischen die Rippen zu stoßen. Gott sei mir gnädig! war Letzkaus letzter Schrei.

Die Räuber ließen ihre Wut an den Leichen aus, die sie ins Mondlicht zerrten und noch vielfach mit den Dolchen verwundeten. Dann ergriffen sie durchs Fenster die Flucht, wie es verabredet war. –

Der Wächter hatte bis in seine Zelle hinein den wilden Lärm vernommen. Aber er wagte nicht einzuschreiten. Es war ihm gewiß, daß der Komtur mit Stenebreeker etwas in betreff der drei Gefangenen verabredet hätte, worin er sich nicht mischen dürfe. Er sprach deshalb nur ein Gebet und ließ geschehen, was er nicht hindern konnte.

Am Morgen, als er die Tür öffnete, waren die Räuber verschwunden. Am Boden in einer breiten Blutlache lagen die drei Danziger Ratsherren hingestreckt, ein kläglicher Anblick. Sofort meldete der Wächter dem Komtur, was geschehen war. Derselbe entfärbte sich und schlug ein Kreuz über seiner Brust. Schweige zu jedermann, befahl er ihm, wenn dir dein Leben lieb ist.

Ich weiß ja nichts, als daß sie tot sind, antwortete der arme Mensch.

Das ist auch für alle anderen genug, sagte Plauen. Sie sind tot – sie sind gerichtet.

Es war ihm heut nicht zumut wie gestern. Nicht daß er die Tat ungeschehen gewünscht hätte; aber sie freute ihn nicht. Die Leidenschaft war verraucht, die kühle Überlegung drängte sich vor und mahnte ihn an seine schwere Verantwortlichkeit. Die drei waren des Todes schuldig erkannt, ohne sich verteidigen zu können, und der Spruch war vollstreckt, ehe er ihnen verkündet war. Nun mußte er eine Entschuldigung suchen in den besonderen Umständen, die keinen Aufschub gestatteten. Seine und des Ordens Feinde hatte er niedergeworfen. Ob im Wege Rechtens oder nicht – was beschwerte das die Brüder und den Meister? Und es ist einmal geschehen, murmelte er finster vor sich hin, und unabänderlich. Man muß damit rechnen in der Marienburg.

An diesem Morgen kam Frau Anna Groß mit zwei Mägden bis auf die Brücke zum Schloß gegangen. Die Mägde trugen Wein und süße Krude. Sie fragte nach ihrem Mann und Vater und begehrte vor den Herrn Komtur gelassen zu werden, um zu hören, weshalb sie gefangengehalten würden. Die Torwächter meldeten es, aber der Komtur wollte sich nicht sprechen lassen. Er gab ihr aber auch keine Nachricht, daß die Gefangenen nicht mehr am Leben seien. So bat sie denn, daß man ihren Mann und Vater von ihr grüßen und ihnen den Wein und das Gebäck in ihr Gefängnis geben möge. Das versprachen die Wächter auszurichten. Man ließ aber niemand in den Turm.

Am folgenden Tage geschah's ebenso. Und ob es den Leuten nun schon bekannt war, daß sie ihrem Wunsche nicht würden genügen können, schwiegen sie doch und betrogen die bekümmerte Frau.

Da man sie auch am dritten Tage nicht vor den Komtur ließ und auf ihre Fragen ausweichende Antwort gab, vergrößerte sich ihre Sorge. Sie ging bei allen Ratsverwandten herum und flehte sie an, nicht müßig zu sein, sondern ernstliche Schritte zur Befreiung der Gefangenen zu tun. Ihre Befürchtung, daß deren Leben gefährdet sei, hielt man zwar in der Stadt für übertriebene weibliche Sorge, aber es gingen doch neue Boten an den Hochmeister ab, über Gewalt Klage zu führen.

Der Komtur ließ indessen niemand aus dem Schlosse und niemand ein. Innen hatte das Geschehene nicht verschwiegen bleiben können. Der Konvent war sehr bestürzt, als er aus seinem Munde erfuhr, die drei Ratsherren seien gerichtet, und man habe dabei nicht in aller Form verfahren können. Sie lehnten alle Verantwortlichkeit von sich ab. Meint ihr, daß ich euch dazu brauche? gab ihnen der Komtur höhnend zur Antwort. Ich bin selbst Manns genug, die Tat zu vertreten, und fürchte nicht, daß man mich deshalb zur Rechenschaft zieht. Den Verrätern ist ihr Recht geworden – je schneller, desto besser für den Orden.

Aber so sicher war er im Innersten seiner Sache doch nicht. Er zögerte von Tag zu Tag mit dem Bericht an den Hochmeister. Die Leichen konnten im Turm nicht liegenbleiben; er ließ sie bei Nacht in die Vorburg hinausschaffen und an der Mauer leicht in den Sand einscharren und mit Stroh bedecken. Er wußte nicht, was er mit ihnen anfangen sollte. Das liebste wäre ihm gewesen, wenn die Bürgerschaft mit Waffen vors Schloß gerückt wäre; er hätte dann seine Gewalttat besser beschönigen können. So etwas hatte er gehofft, aber die Stadt blieb ruhig. Eine gedrückte Stimmung hatte sich aller ihrer Einwohner bemächtigt, und ohne eigentliche Verabredung oder Weisung hütete man sich, den Komtur zu reizen, um die Lage der Gefangenen nicht zu erschweren. Der gewalttätige Sinn desselben war bekannt und die Furcht gerechtfertigt, daß er sie jeden Fehltritt der Bürgerschaft würde entgelten lassen.

Endlich kamen die Sendboten vom Hochmeister zurück. Sie brachten ein Schreiben an den Komtur mit dem gemessenen Befehl, die gefangenen Ratsherren freizugeben und seine Beschwerde über sie und die Stadt ordnungsmäßig einzubringen. Sie berichteten, daß sie den Hochmeister sehr erzürnt über die Widersetzlichkeit der Stadt gefunden hätten, und daß er gedroht habe, die Sache mit aller Strenge zu untersuchen. Es bleibe nichts übrig, als schleunigst einzulenken, um Strafe abzuwenden. Der Brief wurde am Schloßtor abgegeben. Es war am Ostersonntag.

Nun fertigte der Komtur einen Boten an seinen Bruder ab. Er schrieb ihm, um welcher merklichen Ursachen willen er die beiden Bürgermeister und den Ratsherrn Groß gefangengenommen und gerichtet habe, daß also der Befehl zu spät komme. Er fügte eine Schrift bei, die sich in Letzkaus Wams gefunden hatte, um die Gefährlichkeit seiner Gesinnung darzutun. Es war das Schreiben, das Letzkau am Palmsonntag für den Hochmeister zu ganz anderem Zweck aufgesetzt hatte. An zwei Stellen war es von Dolchstichen durchlöchert, und neben der Unterschrift zeigte sich eine Blutspur.

In der Nacht aber ließ er die Leichen aus der Vorburg fortschaffen und vor das Schloßtor hinaustragen. Dort wurden sie an der Brücke niedergelegt.

Am Morgen kam wie gewöhnlich Frau Anna mit ihren Mägden, Speise und Trank zu bringen und zu erkunden, was auf des Herrn Hochmeisters Brief geschehen sei. Als sie sich der Brücke näherte, sah sie schon von fern die drei hingestreckten Körper und beschleunigte, von böser Ahnung geängstigt, ihren Schritt. Bald erkannte sie ihres Mannes Kleid, das man über den nackten Leib geworfen hatte, und kreischte auf, stürzte nach dem Schreckensort hin und warf sich laut jammernd über den Toten. Die Mägde aber ließen vor Entsetzen zur Erde fallen, was sie in den Händen trugen, schrien »Mord – Mord!« und eilten nach der Stadt zurück, auch dort die Straßen mit ihrem Geschrei erfüllend: Mord – Mord – Mord!

Die Bürger kamen gerade aus der Kirche von der Frühmesse des Ostermontags. Die Nachricht schlug unter sie wie ein Blitz, im ersten Augenblick ihre Zunge lähmend. Sie blieben in Gruppen stehen und warteten auf Bestätigung. Indessen hatten einige vom Rat die Mägde ausgefragt, und nun lief von Mund zu Mund: Konrad Letzkau ist ermordet – Arnold Hecht ist ermordet – Barthel Groß ist ermordet – der Komtur hat sie im Schloß ermordet! Mit bleichen Gesichtern und zitternden Knien drängten sie nach dem Haustor und gegen die Schloßbrücke. Jeder wollte mit eigenen Augen sehen, was ihm nicht glaublich schien.

Schon von weitem vernahmen sie das Jammergeschrei der unglücklichen Frau. Sie kniete am Boden zwischen den Leichen ihres Vaters und ihres Mannes, rang die Hände und ballte die Fäuste gegen das Schloß. Ihr langes Haar hatte sich aufgelöst und flatterte im Winde wild um ihre Schultern. Das Gewand war über der Brust aufgerissen, von ihrer Stirn tropfte Blut, da sie sich in ihrem grimmen Schmerz selbst mit den Nägeln verletzt hatte. Tot – tot! schrie sie. Seht her – seht! Sie sind ermordet. Vater – Vater! Geliebter Mann! Tot, tot – ermordet! Seht ihre Wunden – ihre zerstückelten Leiber. Fluch dir, Mörder! Fluch dem schwarzen Kreuz in Ewigkeit! Was steht ihr zitternd? So lange habt ihr gezögert – so lange! Greift zu den Waffen – sprengt das Tor – stürmt das Schloß – laßt keinen am Leben! Rache – blutige Rache für diese Schandtat!

Aber die Masse stand um sie her wie gelähmt. So Furchtbares war geschehen, daß man's gar nicht fassen und begreifen konnte. Vieler bemächtigte sich die Angst, daß dies nur der Anfang des Blutbades sei, das vom Komtur über die Bürgerschaft verhängt worden. Es verbreitete sich das Gerücht, daß ein Ausfall der Besatzung vorbereitet werde, und daß der Komtur die wehrlosen Bürger, die er zu diesem Schauspiel hinausgelockt, überfallen und niedermetzeln wolle. Die meisten eilten deshalb zurück zur Stadt, ließen die Tore schließen und verrammeln, wehklagten in ihren Häusern oder auf dem Markt vor dem Rathause. Die Glocken wurden geläutet. Es war eine unbeschreibliche Verwirrung überall.

Die Mutigeren aber, die bei Frau Anna zurückgeblieben waren, untersuchten die Leichen und zählten die Wunden. Da fanden sie, daß man Konrad Letzkau zehn Wunden in seinen Leib gestochen hatte, Arnold Hecht sechs, Barthel Groß aber gar sechzehn – er mußte am wütendsten um sein Leben gerungen haben; auf seiner Brust war keine unverwundete Stelle zu finden, auf die man die Hand hätte decken können. Allen dreien war die Kehle abgestochen, das war ihr Letztes gewesen.

Als da noch viel Jammer um die Leichen der teuren Männer war und der Haufe der Leidtragenden wieder anwuchs und Frau Anna nicht aufhörte, sie zur Gewalt gegen das Schloß aufzustacheln und die Ritter gesamt meineidige Schurken nannte, wurde plötzlich die Brücke niedergelassen und das Tor geöffnet. Es erschien in demselben der Komtur von Kopf bis Fuß in eiserner Rüstung, und hinter ihm die Brüder vom Hause, gleichfalls völlig gerüstet, dazu ein Troß von Lanzenknechten und Bogenschützen, so viel deren das Schloß beherbergte. Hintennach wurden die Pferde der Ritter geführt, alle gepanzert, als ginge es zur Feldschlacht. Die Menge wich scheu zurück, und nur wenige blieben bei den Leichen, darunter Heinz von Waldstein, der auf die erste Kunde von der blutigen Tat hinausgeeilt war, Frau Anna Groß beizustehen. Vergebens hatte er versucht, sie zu bewegen, die Toten nach der Kirche zu schaffen.

Der Komtur trat vor, überschaute die Menge mit einem feindlichen Blick und sagte: Was steht ihr hier müßig und gafft und erfüllt die Luft mit unnützen Klagen. Tragt lieber die Leichen der drei Verräter fort, daß sie uns nicht länger mit ihrem Stank das Schloß verpesten. Wisset, daß wir sie kraft unseres Amtes gerichtet haben, da sie als arge Verräter an ihrer Herrschaft befunden und mit heimlichen Waffen zu uns ins Schloß gekommen sind. Darum haben wir sie des Todes schuldig erkannt und abgetan, damit ihre Tücke und Falschheit uns nicht selbst verderbe. Ihre Güter werden eingezogen werden wegen des Schadens, den sie uns zugefügt haben. So aber soll es allen denen ergehen, die gottlos ihres Eides nicht gedenken und sich der Obrigkeit entgegenstellen, die über sie gesetzt ist. Achtet euch danach!

Mit tiefem Schweigen wurde diese Rede angehört. Frau Anna rang mit einer Ohnmacht; Heinz von Waldstein stützte sie und lehnte ihr Haupt an seine Schulter. Als der Komtur aber geendet hatte, die Schar aus dem Tore sich in Bewegung setzte und die Harnische rasselten, schreckte sie auf, wand sich los und stürzte mit wütender Gebärde auf den Komtur zu. Du lügst, frecher Bube! schrie sie ihn an. Nie waren diese da Verräter. Nicht gerichtet habt ihr sie, sondern selbst verräterisch gehandelt gegen Gott und alles Recht, und sie heimtückisch ins Schloß gelockt und ermordet. Fluch dir und allen deinen Helfershelfern!

Da sah der Komtur sie zornig an und fragte: Wer ist das Weib?

Heinz von Waldstein war ihr nachgeeilt, stellte sich ihr zur Seite und antwortete schnell für sie: Konrad Letzkaus Tochter und jenes Barthel Groß' Eheweib. Schont ihren Schmerz.

Sie aber fuhr fort, seine Schandtat vor Gott und den Menschen anzuklagen und ihm zu fluchen und Rache zu schreien.

Der Komtur sprach unwillig: Schweige still, Besessene, und gehe nach Hause. Ihnen ist ihr Recht geschehen. Wärst du ein Mann, wie du ein Weib bist, wollte ich dir tun, wie deinem Vater und Mann ist geschehen. Jetzt bist du vor meinem Zorn sicher.

Da richtete sie sich hoch auf, warf das lange Haar zurück, streckte drohend die Hand gegen ihn aus und entgegnete mit schriller Stimme: Herr Komtur, ich sage: wär' ich ein Mann, wie ich nur ein Weib bin, und wär' mit dir allein im Felde, ich wollte meinen Vater und meinen Mann an dir rächen mit meiner Hand!

Schweig still, herrschte der Komtur sie an, der wohl merkte, was ihre Worte für Eindruck auf die Menge und selbst auf seine Genossen machten; schweig still, oder ich will dich säcken und ertränken lassen! Demütige dich lieber und bitte um Gnade, daß man dir nicht alles Erbe nehme.

Er schreckte sie damit nicht. Tu mit mir, wie dir's gefällt! rief sie. Dies sei Gott geklagt in der Höhe des Himmels, die große Gewalt und Macht, die mir armem Weibe geschieht und meinen Kindern wider Gott und alles Recht. Ich bin geworden vaterlos eine Waise, ich bin geworden mannlos eine Witwe, meine Kinder sind verwaist, ich bin gutlos und rechtlos gemacht ohne alle Schuld und Urteil. Du allmächtiger Gott, laß dich dies erbarmen und richte das große Unrecht, das mir armem Weibe mit meinen armen Kindern geschieht wider alles Recht!

Sie warf sich ihm in den Weg und erhob flehend die Hände zum Himmel, und ihre Lippen zitterten, da sie keiner Worte mehr mächtig war.

Der Komtur rief: Schafft sie fort, sie ist unsinnig! Er wollte sie zur Seite stoßen, aber der Junker, der seinen Arm um sie gelegt hatte, wehrte ihm. Was wagt Ihr, schrie Plauen ihn an, und wer seid Ihr?

Man nennt mich Heinrich von Waldstein, antwortete er. Hütet Euch, daß ich bei Eurem erlauchten Bruder, dem Herrn Hochmeister, gegen Euch zeuge.

Der Komtur wollte heftig entgegnen, bedachte sich aber und sagte: Wenn Ihr Euch des Weibes annehmt, so sorgt auch, daß sie hier nicht unter die Hufe unserer Pferde kommt. Wir haben nicht Zeit, dieses Gespräch fortzusetzen. Schafft sie nach Hause und vermeidet alle Ärgernis. Ich rate zum Guten.

Damit ließ er sein Pferd vorführen und setzte sich auf. Seine ritterlichen Begleiter schwangen sich ebenfalls auf die Rosse, und der Zug der Reiter, Lanzenknechte und Schützen setzte sich in Bewegung nach der Stadt.

Am Tore begehrte er Einlaß, und man öffnete ihm in der Bestürzung und Furcht sogleich. Er ritt durch die Straßen bis vor das Rathaus und entbot die Gemeine vor sich und erklärte den Rat für abgesetzt, der ohne seine Zustimmung zuletzt gewählt worden. Nur die älteren Ratmannen und Schöppen sollten im Amte bleiben, bis der Herr Hochmeister seinen Willen kundgetan habe. Die Güter der Gerichteten seien für deren Schuld verfallen, und niemand solle bei harter Buße wagen, etwas davon aus der Stadt zu entfernen. Endlich forderte er den Schlüssel vom Haustor und erhielt ihn unweigerlich.

Als er dann zurückritt, wohl zufrieden mit dem Erfolge seiner Maßregeln, begegnete er dem Leichenzuge. Sein Pferd schäumte und bäumte sich auf. Er hatte Mühe, es mit Sporen und Zügel wieder in ruhigen Gang zu bringen. Der Zug, den singende Mönche führten, lenkte in eine Seitengasse nach der Marienkirche ein. Die Leichen waren in weiße Laken eingehüllt und wurden auf den Totenbahren getragen, die man vom Gerät der Artusbruderschaft herbeigeholt hatte.

In der Kirche wurden sie neben dem Altar niedergesetzt. Bald versammelte sich die ganze Gemeinde. Letzkaus Töchter, Hechts Ehefrau, die ganze Verwandtschaft waren erschienen und wehklagten laut. Die Priester lasen die Totenmessen.

Tidemann Huxer betete an einem Seitenaltar neben seiner Tochter und dankte Gott für die wunderbare Errettung seines Lebens. Denn er hatte keinen Zweifel, daß ihm das gleiche Schicksal zugedacht gewesen war. Maria ahnte wohl, weshalb er so eilig zurückgekommen, und freute sich dessen im stillen, daß ihr Geliebter die Ursache seiner Rettung war. Aber davon zu sprechen wagte sie nicht.

Am nächsten Tage gingen sechzehn Männer vom Rat der Stadt, die vornehmsten aus allen Geschlechtern, an den Herrn Hochmeister ab, über die Gewalttat des Komturs zu klagen und die Stadt seiner Gnade zu empfehlen. Heinz von Waldstein erbot sich, sie zu begleiten. Er hoffte ihnen bei seinem Oheim von Nutzen sein zu können.

Huxer befürchtete, daß der Komtur gegen ihn etwas im Schilde führte und ließ heimlich alle Wertsachen in seinem Hause auf ein Schiff bringen, Gold und Silber, gemünzt und ungemünzt, edle Steine, Tücher, Waffen und allerhand kostbares Hausgerät. Auch sich selbst und seine Tochter machte er zur Reise fertig, damit man sofort zu Wasser oder zu Lande aufbrechen könne, wenn sich etwas Bedrohliches zeige.

Die beiden Bürgermeister Konrad Letzkau und Arnold Hecht wurden demnächst in der Marienkirche neben der Hedwigskapelle zur linken Seite des Hochaltars mit großer Feierlichkeit beigesetzt. Ein Stein deckt sie beide, geschmückt mit ihren Wappen und einer lateinischen Inschrift, die besagt, daß sie am Montag nach Palmsonntag des Jahres 1411 verschieden sind.

»Betet für sie!«


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