Louis Weinert-Wilton
Die Königin der Nacht
Louis Weinert-Wilton

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15

Osborn war in einer derartigen Laune, daß Helen sich scheu in das entlegenste Zimmer zurückgezogen hatte und sich hier mit ihrem King Charles die Zeit vertrieb.

Mittlerweile wanderte ihr Gatte mit fahlem Gesicht ruhelos durch das ganze Haus und versuchte, mit der Nachricht vom Tode Bryans' fertig zu werden. Hatte ihm die Geschichte der ›Königin der Nacht‹ schon genug ernste Sorgen bereitet, so wuchs die Spannung, die das allmähliche Nahen einer unsichtbaren Gefahr hervorruft. Osborn war nichts weniger als feige, aber das jähe Ende Bryans' unter so seltsamen Begleitumständen hatte ihm doch Furcht eingejagt. Er mußte sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß, wie Selwood, nun auch ihm schon in den nächsten Stunden die Erscheinung in den Weg treten werde, und daß dann die Dinge ihren unheimlichen Lauf nehmen würden. Aber er war entschlossen, sich nicht überrumpeln zu lassen. In seinem Köpf wirbelten die verwegensten Pläne, wie er dem drohenden Unheil begegnen und dem bösen Spuk ein für allemal ein Ende bereiten könnte. Er hatte vor den bisherigen Opfern das eine voraus, daß er auf der Hut war, und wenn ihn seine Kaltblütigkeit nicht verließ, so hatte er einen Vorsprung, den er ausnützen konnte. Die ›Königin der Nacht‹ pflegte immer zuerst zu warnen, er aber wollte sofort handeln. Und mit dem Phantom war auch die ganze Sache wohl für immer aus der Welt geschafft.

Das Bewußtsein, daß Ruhe und Entschlossenheit das einzige Mittel zur Rettung seien, ließ ihn seine Fassung wiedergewinnen, und als er nach einer Stunde zu Helen ins Zimmer trat, war er wieder ganz gefaßt.

»Es muß Montag nachts geschehen sein«, bemerkte er ohne weitere Einleitung, »denn als wir gegen Mittag von Weybridge zurückfuhren, sah ich den Diener noch ganz gemütlich unter dem Tor stehen.«

Helen zog die Schultern ein, wie immer, wenn von so aufregenden Dingen gesprochen wurde, und dachte nach.

»Montag nachts, jawohl«, plapperte sie dann los. »Da bist du bereits kurz nach vier Uhr nach Hause gekommen . . .«

»Natürlich«, höhnte er, »das scheint dein Kalender zu sein. Weiß der Kuckuck, wie du es anstellst, das immer so genau auf die Minute zu wissen. Ich gebe mir alle Mühe, damit du durch mein Kommen nicht gestört wirst.«

»Oh, ich habe scharfe Ohren«, sagte sie lächelnd und schien darauf sehr stolz zu sein, aber seine Antwort verdarb ihr die Freude.

»Auch schon etwas. Ich wünschte, du hättest andere Vorzüge, die einem weniger auf die Nerven fallen. Im übrigen« – er sah sie mit seinem verschleierten Blick an – »bin ich bereits um vier Uhr nach Hause gekommen, weil ich ganz niederträchtiges Pech hatte. Und der gestrige Abend hat mir den Rest gegeben. Du wirst mir also wieder einmal aushelfen müssen.«

Sie schrak sichtlich zusammen, und in ihre Augen kam plötzlich ein unruhiges Flackern.

»Ich habe dir doch erst vor einigen Tagen . . .«, begann sie nach einer Weile stockend, aber er schnitt ihr wütend das Wort ab.

»Mit Vorträgen aus deinem Kassabuch ist mir nicht gedient, sondern ich brauche Geld. Du scheinst ja den Schatz, den dein Vater zusammengescharrt hat, wie ein Drache hüten zu wollen. Bis heute weiß ich nicht einmal, wieviel es war.«

»Die Erbschaftsabhandlung ist noch nicht ganz beendet«, erklärte sie hastig und setzte sofort gefügig hinzu: »Wieviel brauchst du?«

»Sagen wir dreitausend Pfund«, warf er unbefangen hin, als ob es sich um eine Bagatelle handle, aber sie war über diese Summe so entsetzt, daß sie ihrem Hündchen ziemlich unsanft ins Fell fuhr, was ihr wehleidiger Liebling mit einem verzweifelten Satz und einem kläglichen Geheul erwiderte.

»Wegen dieser Kleinigkeit mußt du deinen Köter nicht gleich massakrieren, obwohl er es verdient«, schrie Osborn sie an und hielt sich die Ohren zu. »Das Vieh ist genauso unausstehlich wie du. Aber wenn sich, wie ich hoffe, das Blatt wendet, werfe ich dir den Bettel vor die Füße. Und dann werden wir miteinander endgültig abrechnen. Ich habe nicht die Tochter eines Wucherers geheiratet, um mit ihr um jedes Pfund zu feilschen.«

Ihr dunkles Gesicht verfärbte sich jäh und bekam einen erschreckend wilden und tückischen Ausdruck. Aber schon im nächsten Augenblick war sie wieder das untertänige, verschüchterte Wesen. »Ich verstehe dich nicht, William«, jammerte sie. »Ich habe dir doch gesagt, daß du das Geld haben kannst. Schon morgen. Jawohl«, fügte sie hastig hinzu.

Osborn fuhr sich über die Stirn, und in dem Gefühl, wieder einmal zu weit gegangen zu sein, suchte er nach einer Beschönigung für seine Roheit.

»Es ist furchtbar, daß man mit dir nicht ein vernünftiges Wort reden kann. Anstatt einfach ›ja‹ zu sagen oder ›nein‹, kommst du immer mit deiner larmoyanten Art und bringst mich in Harnisch. Wo ich doch augenblicklich den Kopf wirklich mit anderen Dingen voll habe. Es geht alles schief. Auch der Mann, den du mir für diesen Wellby so dringend empfohlen hast, hat versagt. Der Bursche wird obendrein noch frech und verlangt mehr als ausgemacht war.«

»Ich werde mit ihm reden«, erklärte sie eifrig und in einem Ton, der ihm sagen sollte, daß er sich um diese Angelegenheit nicht mehr zu kümmern brauche. Aber er mußte seinen Sarkasmus erst an ihr auslassen. »Eine nette Sippschaft, mit der ich mich da eingelassen habe. Woher kennst du diesen Kerl überhaupt?«

Helen sah einen Augenblick verwirrt und ratlos drein.

»Mein Vater hat ihm einmal geholfen.«

Osborn brach in ein schallendes Gelächter aus. »Großartig. Ein Mann, dem der alte Robbins einmal geholfen hat! Der Kerl könnte sich in London geradezu für Geld sehen lassen. Nun, für diese Hilfe scheint er sich jetzt erkenntlich zeigen zu wollen, indem er dem Herrn Schwiegersohn seines Wohltäters die Daumenschrauben ansetzt. Er behauptet, daß seine Leute schauderhaft verprügelt worden seien und von ihm Schadenersatz verlangen. Es soll sehr wüst dabei zugegangen sein. Jedenfalls ist dieser verdammte Wellby diesmal glücklich entwischt, und wir haben weiter mit ihm zu rechnen. Du mußt nur irgendwie die Hand mit im Spiel haben«, schloß er anzüglich, »so ist das Malheur fertig.«

Helen sank schuldbewußt in sich zusammen und war auf weitere Liebenswürdigkeiten gefaßt. Aber der eintretende Diener enthob sie dieser unangenehmen Aussicht.

Man war im Hause Osborn seit dem Fall Morton an den Besuch aller möglichen fremden Leute gewöhnt, denn es gab kein Blatt, das nicht einen Reporter entsendet hätte, um den ehemaligen Reisebegleiter der auf so geheimnisvolle Weise aus dem Leben geschiedenen Männer gründlich auszuholen. Aber Osborn war entweder nicht zu Hause oder krank oder sonstwie verhindert, diese Besuche zu empfangen, und überließ es seiner Frau, mit ihnen fertig zu werden. Und Helen zog sich hierbei nicht nur glänzend aus der Affäre, indem sie in großartiger Haltung und mit dem pathetischen Englisch einer Schauspielschülerin ihre eingelernten Phrasen herunterleierte, sondern sie fand mit der Zeit an der Sache sogar Gefallen. Seitdem eine der Zeitungen von der ›interessanten und liebenswürdigen Mrs. Osborn‹ berichtet und ein zweites Blatt sie sogar ›eine entzückende, geistreiche Frau‹ genannt hatte, mit der es ein Vergnügen sei zu plaudern, war Mrs. Helen auf derartige Besuche geradezu versessen und hätte sich sehr gekränkt, wenn Osborn sie ihr vorenthalten hätte. Er dachte aber nicht daran, sondern hatte kaum einen flüchtigen Blick auf die Karte geworfen, als er sie ihr auch schon gelangweilt zuschob.

»Wahrscheinlich wieder einer von der gewissen Sorte. Das ist etwas für dich. Aber lege endlich einmal eine andere Walze ein, daß ich nicht immerfort lesen muß, daß ich zu Bett liege oder nicht zu Hause bin. Streng deinen Kopf an, damit dir etwas Gescheiteres einfällt.«

Helen hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, denn sie war bereits eifrig mit Puderquaste und Lippenstift beschäftigt, und erst als auch ihr King Charles empfangsfähig und malerisch auf ihrem Schoß placiert war, erteilte sie dem Diener mit hoheitsvoller Geste die Weisung, den Besucher einzulassen.

Der frisch aussehende Herr mit dem weißen Haar sah nicht so aus wie die anderen Reporter, die sie zu sehen gewohnt war, und das brachte sie etwas aus dem Konzept.

»Mr. Osborn ist in eine wissenschaftliche Arbeit vertieft«, begann sie stockend. »Jawohl. In eine sehr gelehrte Sache. Jawohl. Und es tut ihm sehr leid, nicht erscheinen zu können.« Sie hatte ihre Befangenheit nun ganz abgestreift und sprach so flüssig und gespreizt, daß Boyd interessiert aufhorchte. »Aber deshalb sollen Sie Ihre kostbare Zeit nicht vergeblich aufgewendet haben. Gewiß wünscht Ihr Blatt Informationen über die afrikanische Sache. Damit kann ich Ihnen dienen. Mr. Osborn und ich haben diese interessanten Tage an Hand seiner Aufzeichnungen und Erinnerungen ungezählte Male gemeinsam durchlebt, und ich weiß alles. Sie brauchen nur zu fragen.«

Mrs. Helen atmete tief auf und lehnte sich erleichtert zurück, denn sie war auf die letzten Sätze sehr stolz, denn sie machten ihr immer einige Schwierigkeiten.

»Sehr liebenswürdig«, sagte der weißhaarige Herr verbindlich. »Ich möchte aber feststellen, daß es sich nicht um eine Zeitung handelt, sondern . . .«

Mrs. Osborn war nicht gesonnen, sich wegen solcher Kleinigkeiten lange aufzuhalten.

»O bitte, das macht gar nichts«, fiel sie ihm zuvorkommend ins Wort. »Also, wahrscheinlich um etwas anderes Gedrucktes. Ich verstehe. Solche Herren sind auch schon hier gewesen.«

Der Detektiv verneigte sich. Wenn die Frau so darauf erpicht war, aus ihm einen Zeitungsmenschen zu machen, so wollte er ihr das Vergnügen nicht nehmen.

»Ich bin eigentlich nur wegen einer Frage gekommen«, sagte er bescheiden.

»Alle Herren kommen nur wegen einer Frage«, verriet sie ihm mit verschmitztem Lächeln. »Ich weiß schon. Wegen der ›Königin der Nacht‹. Aber Sie können Ihrem Blatt mitteilen, daß wir darüber gar nichts wissen. Mr. Osborn meint, daß es sich dabei überhaupt nur um einen Zeitungsvogel oder eine große Schlange handeln dürfte.«

Sie tat sich auf diese beiden Ausdrücke, die sie irgendwo aufgeschnappt hatte, sichtlich sehr viel zugute, aber Boyd mußte überlegen, was sie damit sagen wollte.

»Sehr gut«, pflichtete er ihr dann plötzlich mit einem verständnisvollen Lächeln bei. »Eine Zeitungsente oder eine Seeschlange. – Ich bin auch der Ansicht, daß sich die ›Königin der Nacht‹ schließlich als so etwas entpuppen wird. Die ganze Geschichte klingt unglaublich, und es ist unmöglich, in ihr einen Sinn zu finden. – Ob dieses Gerücht wohl auch anläßlich des plötzlichen Todes von Mr. Bryans wieder auftauchen wird?«

Helen neigte den Kopf und machte ein sehr geheimnisvolles Gesicht. »Oh, ich habe diese Kolportage schon vernommen«, flüsterte sie mit wichtiger Vertraulichkeit. »Der Diener von Mr. Bryans, hat sie uns zugetragen, als wir den armen Mann vor einigen Tagen aufsuchten.«

»Was Sie nicht sagen!« Der nette weißhaarige Herr zog die Brauen hoch, und Mrs. Helen war sehr befriedigt, daß er ein so dankbarer Zuhörer war. »Wie interessant! Also bereits vor der Katastrophe hat man davon gesprochen? Aber Sie haben es gewiß nicht ernst genommen?«

»O doch«, sagte sie mit einem etwas ängstlichen Blick. »Wenn ich solche Dinge höre, bekomme ich gleich eine Gänsehaut, das heißt, es läuft mir eiskalt über den Rücken. Auch als Mr. Selwood erzählte, daß ihm die ›Königin der Nacht‹ erschienen sei, hatte ich dasselbe gruselige Gefühl.«.

»Mr. Selwood hatte auch bereits eine Begegnung mit ihr?«

»Jawohl, vor einigen Tagen.« Sie sprach so leise, daß er sie kaum verstehen konnte, und ihre Hände strichen ruhelos durch das Fell des gähnenden Hündchens.

»Dann käme also als nächster Mr. Osborn an die Reihe«, sagte Boyd nach einer kleinen Pause und sah sie forschend an, aber sie schüttelte sehr energisch mit dem Kopf.

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß wir der ganzen Sache sehr zweifelhaft gegenüberstehen«, meinte sie in ihrer geschraubten Ausdrucksweise und machte ein erstauntes Gesicht. »Mr. Selwood hat wahrscheinlich nur einen Scherz gemacht, weil er weiß, wie solche Geschichten an meinen Nerven reißen. Und auf das, was in den Zeitungen stand und was der ungebildete Diener Bryans' erzählte, ist doch nichts zu geben.«

Boyd fand, daß die Ansichten von Mrs. Osborn ebenso unausgeglichen und widerspruchsvoll waren wie ihre gedrechselten Redewendungen und ihre sonderbare Aussprache.

»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte hätten, mir Mr. Selwoods Adresse anzugeben. Vielleicht ist er bereit, mir selbst einiges mitzuteilen.«

»Sehr gerne«, sagte sie. »9, Sussex Street, Paddington.«

Der weißhaarige Herr entnahm seinem Notizbuch eine kleine Karte und schrieb sie auf.

»Habe ich Sie richtig verstanden?« fragte er dann und reichte ihr das Blatt.

Sie griff mit zwei Fingern danach, überlas es und gab es ihm dann wieder zurück.

»Jawohl. Soviel ich weiß, werden Sie ihn am sichersten zwischen elf und zwölf Uhr vormittags antreffen.«

Als der Detektiv langsam die Treppe hinabstieg, machte er einen Augenblick halt, nahm die Karte vorsichtig an den Rändern aus dem Notizbuch und bettete sie sorgfältig in eine kleine Blechschachtel.


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