Louis Weinert-Wilton
Die Königin der Nacht
Louis Weinert-Wilton

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6

Kaum einen Büchsenschuß weiter, zu seiner Rechten, glitt ein zweites Auto fast lautlos und mit Standlicht in derselben Richtung. Am Steuer saß, wie aus Erz gegossen, eine schmale, sehnige Gestalt, deren Augen gebannt durch die Windschutzscheibe starrten, und hinter ihr in der Ecke lehnte eine zweite Gestalt.

Beim Cleveland Square bog der erste Wagen in Richtung Paddington ab, der zweite aber fuhr noch eine Weile geradeaus und wendete dann nach Süden.

In der Ecke raschelte es leise, und in das Summen des Motors klang eine gedämpfte Stimme: »Es ist geglückt, Ali.«

Der Mann am Steuer wandte den Kopf nicht um Haaresbreite.

»Du bist flink wie die Antilope und schmiegsam wie der Schatten, Herrin. Niemand vermag dir zu folgen und dich zu greifen.«

»Wenn es aber doch einmal geschähe?«

Die sanfte Stimme vibrierte, und die dünne Gestalt drückte sich tiefer in die Polster.

»Dann wäre mein Messer noch rascher als die Hand, die nach dir faßt.«

»Das darf nie geschehen, Ali«, klang es zitternd zurück. »Nie, was immer sich auch ereignen mag. Ich habe es dir verboten. Denke daran.«

»Und ich habe zweimal einen heiligen Eid geschworen, dich in jeder Gefahr zu beschützen, Herrin«, klang es ehrerbietig, aber bestimmt zurück. »Und alles steht bei Allah.«

In Brompton fuhr der Wagen durch eine Reihe enger Gassen, bog dann auf einen düstern Platz ein und schoß pfeilschnell in eine dunkle Toröffnung, die sich rasch und geräuschlos, wie sie sich aufgetan hatte, wieder hinter ihm schloß. Aus den verwitterten Mauern drang nicht ein Laut, und die einstöckige Fassade mit den dicht verhangenen Fenstern warf nicht den winzigsten Lichtschimmer in die Nacht.

In einem Raum, der nach einem stillen Hof mit einem verfallenen, ausgetrockneten Springbrunnen ging, hob eine Frau mit einer jähen Bewegung den silberweißen Kopf und lauschte eine Weile mit klopfendem Herzen. Dann flog ein Lächeln über ihr trauriges Gesicht, und ihre zarte Gestalt sank fröstelnd in die Kissen des Lehnstuhls zurück, der dicht an das flackernde Kaminfeuer gerückt war.

Das junge Mädchen in der Tür sah erschreckt auf das Bild der müden Frau und stand im nächsten Augenblick neben ihr.

»Mami, weshalb wartest du auf mich?« Sie schmiegte ihre jugendfrische Wange zärtlich an das blasse Gesicht der andern, und neben dem Silberhaar leuchtete dunkles kupferrotes Haar. »Es hätte noch viel, viel später werden können, und du sollst Ruhe haben.«

Die alte Frau schüttelte mit einem wehen Lächeln den Kopf.

»Ich habe keine Ruhe, wenn ich dich unterwegs weiß.« Sie sah in scheuer Sorge zu der schlanken, geschmeidigen Gestalt auf, und der heitere, unbefangene Blick aus strahlenden Augen, dem sie begegnete, vermochte sie ebensowenig zu beruhigen wie der harmlose Ton der weichen Stimme.

»Meine Wege sind weit und manchmal mühsam, Mami, aber sie sind ohne Gefahr, und Ali ist stets bei mir.«

Die Frau blickte eine Weile schweigend in die Glut, und das junge Mädchen schob fürsorglich die Kissen in ihrem Rücken zurecht und breitete behutsam den Schal über die schmalen Schultern.

»Ich werde Nara rufen, damit sie dich zu Bett bringt. Morgen aber kehre ich recht früh heim, und wir werden den ganzen Abend miteinander verbringen.«

Die alte Frau nickte lebhaft und dankbar.

»Das soll ein schöner Tag werden, mein Kind«, sagte sie glücklich. »Ich habe dich ja so wenig um mich, seitdem wir hier weilen, und doch bist du alles, was mir vom Leben geblieben ist. Wenn ich daran denke, wie es früher war – und ich muß immer daran denken, da ich so viel allein bin –, so wünschte ich, daß wir nie hierhergekommen wären. Und daß ich nie zu dir von dem gesprochen hätte, was dich ruhelos gemacht hat und mich einsam. Es hätte ja noch andere Wege gegeben, als jenen, auf den du verfallen bist.«

»Sie hätten uns nie zum Ziel geführt«, stieß das Mädchen schroff hervor, und ihr schönes Gesicht war plötzlich hart und entschlossen. »Man hätte uns verlacht oder gesteinigt, wenn wir mit unserer ungeheuerlichen Anklage aufgetreten wären, ohne zu wissen, gegen wen wir sie zu richten hätten.«

»Und weißt du das jetzt?« fragte die alte Frau begierig. »Ich lasse dich seit Monaten gewähren und frage dich nicht. Aber wenn es soweit ist . . .«

»Es ist noch nicht soweit.« Zwischen den feinen Brauen über der schmalen geraden Nase stand eine scharfe Falte, aber sie verschwand plötzlich, und ein lachendes Mädchengesicht beugte sich über die leidende Frau.

»Das sind keine Geschichten für eine so späte Stunde. Gute Nacht, Mami.«

Sie drückte einen liebevollen Kuß auf den welken Mund und griff nach der Klingel.

Unhörbar schob sich eine braune Gestalt aus den Falten der verhangenen Wände und rollte den Stuhl mit der müde lächelnden Frau durch das totenstille Haus. Nach einer Weile kehrte die Dienerin leise zurück und setzte mit einem besorgten Blick auf das schöne junge Mädchen ein Tablett auf den kleinen runden Tisch beim Kamin.

Das Mädchen nickte freundlich, kauerte sich dann neben das Feuer und sah mit starren Augen auf die seltsamen Reflexe an den bunten Wänden.

Das weite Gemach des düstern Hauses in Brompton umschloß die farbenfreudige Pracht einer anderen Welt. Kostbare Stoffe und Gewebe verdeckten die Mauern und die wurmstichige Diele. Auf weichem Samt blinkten seltsames Geschmeide und der scharfe Stahl tödlicher Waffen. Was der Orient an köstlicher Üppigkeit und an wilden Schrecken kennt, schien hier zusammengetragen, und jedes Stück sprach eine fremde und beklemmende Sprache.

Aber das Mädchen mit dem Kupferhaar hörte nicht auf diese ihr wohlvertraute Sprache einer geheimnisvollen romantischen Welt, sondern ihre Gedanken kreisten unaufhörlich grübelnd um das furchtbare Rätsel, das ihr die nüchterne Riesenstadt vor den Mauern dieses Hauses aufgegeben hatte.

Noch nie war ein Wort davon über ihre Lippen gedrungen, denn die kränkelnde Frau wäre dadurch um den letzten Rest ihrer Ruhe gekommen. Sie mußte allein mit der grauenvollen Gewißheit fertig werden, daß sich an ihre Fersen unsichtbar und unerbittlich der Tod geheftet hatte, und daß er meuchlerisch zugriff, wo sie ihre Sendung begann. Das erstemal hatte sie an einen verhängnisvollen Zufall geglaubt, der sie so erschreckt hatte, daß sie Monate wartete, bevor sie zum zweitenmal ans Werk ging. Aber auch diesmal war die furchtbare andere Macht jäh dazwischengetreten und hatte ihr eigenes Spiel wiederum nutzlos gemacht.

Lähmendes Entsetzen war über sie gekommen, und die Furcht, die das Unheimliche auslöst, hatte sie fast veranlaßt, ihren Plan aufzugeben. Aber dann war sie sich der unanfechtbaren Berechtigung ihres Tuns bewußt geworden, und der Trotz ihres ererbten abenteuerlichen Blutes war Sieger geblieben.

Wenn an ihrer Seite noch ein anderer unbarmherziger Rächer schritt, so war das nicht ihre Sache.

Und rascher, als sie es sonst getan hätte, war sie heute dem dritten der Männer vom Brunnen der sieben Palmen in den Weg getreten. Und Schlag auf Schlag sollten sie nun ihre unheimliche Botschaft hören.


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