Louis Weinert-Wilton
Die Königin der Nacht
Louis Weinert-Wilton

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2

An dem Vormittag, der dieser Nacht folgte, lag über dem Riesengebäude der Cartwright-Presse Gewitterstimmung. Man wußte, daß ein Unwetter im Anzug war, aber man war sich noch nicht im klaren, wo es einschlagen würde.

Der augenblicklich allmächtige Chef, der Anwalt Mr. Thomas Hyman, den täglich mindestens hundertmal der Schlag hätte treffen müssen, wenn es nach den liebevollen Wünschen so ziemlich aller Angestellten gegangen wäre, war bereits um zehn Uhr vorgefahren, und der ›süße Pat‹, der Portier, hatte kaum einen Blick aus den kalten, farblosen Augen aufgefangen, als er auch schon eiligst die Tagesprognose ›Sturm‹ an die einzelnen Abteilungen ausgab. Diese Voraussage war für alle Abteilungsleiter und Redakteure, soweit sie überhaupt mitzählten, eine sehr wichtige Sache, denn Mr. Hyman an einem kritischen Tag unter die Augen zu kommen, war gleichbedeutend mit einer Katastrophe.

Deshalb bezog Pat Coppertree aus seiner inoffiziellen Obliegenheit auch ein weit höheres Einkommen als aus seiner sonstigen vielstündigen, aber langweiligen Tätigkeit, und man mußte zugeben, daß er alles daran setzte, um sich seiner wichtigen Aufgabe und des aufgewandten Geldes würdig zu erweisen. Denn so ausdruckslos das breite, schwammige Gesicht des Gewaltigen der Cartwright-Presse selbst in den Augenblicken zügellosester Erregung und grimmigster Laune auch war, der kleine, krummbeinige Ire mit den verschmitzten Augen und dem bärtigen Affengesicht war innerhalb weniger Wochen doch dahintergekommen, was hinter der ewig gleichen starren Maske des gefürchteten Chefs jeweils vorging.

So bedenkliche Anzeichen wie heute hatte er allerdings noch nie wahrgenommen, und er hatte auch nicht unterlassen, dies in seinem ›Wetterbericht‹ nachdrücklichst hervorzuheben.

Der Reportersaal der ›London Sensations‹ war noch ziemlich leer, als die beunruhigende Meldung eintraf, aber fünf bis sechs Herren lungerten doch schon an ihren Tischen herum, und der Mann vom Gerichtssaal war der erste, der fünf Schilling auflegte, daß der Blitz in die außenpolitische Abteilung einschlagen werde, weil man in der heutigen Morgenausgabe Paris wieder einmal zu offen die Meinung gesagt habe, was in die augenblickliche politische Orientierung nicht so recht passe. Demgegenüber setzte der gemütliche Mr. Bilkert, der das Gras wachsen hörte, denselben Betrag auf einen gewaltigen Rüffel für den Volkswirtschaftler, weil im Handelsteil eine abfällige Bemerkung über Aktien stehe, an denen wahrscheinlich Mr. Hyman interessiert sei, und der Bearbeiter von Verkehrsunfällen gab seine letzten drei Schilling für die feste Überzeugung hin, daß der Redakteur des lokalen Teiles endlich hinausfliegen werde, weil dieser alle interessanten Berichte, die er ihm auf den Tisch lege, skrupellos in den Papierkorb werfe.

Der sehr jugendliche, aber äußerst gerissene Mr. Fish, der wegen seines roten Haarschopfes und seines von Sommersprossen übersäten Gesichts sowie wegen einiger anderer Eigenschaften kurz der Fliegenpilz genannt wurde, schob nach einiger Überlegung rasch ebenfalls fünf Schillingstücke auf den Tisch, von denen drei etwas verdächtig aussahen, hielt jedoch als kluger Mann mit seiner Meinung vorläufig noch zurück.

Nur Noel Wellby beteiligte sich nicht an der Sache, und nicht einmal dem sonst recht zudringlichen Fish fiel es ein, ihn dazu zu animieren. Man hatte mit dem Mann, der erst wenige Wochen der Redaktion angehörte, noch keine rechte Fühlung, weil er in seinem ganzen Gehabe zwar sehr korrekt, aber ebenso zurückhaltend war. Er schien an den Vergnügungen und Späßen, mit denen man sich im Reporterzimmer die freie Zeit vertrieb, keinen sonderlichen Geschmack zu finden, und die leicht angegrauten Schläfen waren dafür keine ausreichende Begründung. Denn erstens taten auch ältere, würdige Herren dabei gern mit, und zweitens sah das junge, wettergegerbte Gesicht Wellbys gar nicht aus, als ob er durch harte Lebenskämpfe zu einem griesgrämigen Menschenfeind geworden wäre. Dem mißtrauischen ›Fliegenpilz‹ kam es sogar zuweilen vor, als ob der seltsame Kollege, der immer stumm und anscheinend völlig teilnahmslos hinter seinen Zeitungen vergraben saß, mit gespitzten Ohren auf jedes Wort hörte und manchmal sogar den dünnen, bartlosen Mund zu einem Lächeln verzöge.

»Ein aufgeblasenes Ekel«, entschied Mr. Fish am dritten Tag in seiner bestimmten Art, und so oft er fortan in die Nähe Wellbys kam, warf er ihm einen mißtrauischen Blick zu.

Die Debatte über die Streitfrage, wen der Zorn Mr. Hymans heute treffen würde, war auf ihrem Höhepunkt angelangt, als sie ganz unvermittelt verstummte. Mr. Fish, der das große Wort führte und dazu lebhaft und ausdrucksvoll mit den Händen gestikulierte, blieb ein halber Satz in der Kehle stecken, und er verharrte mit ausgestreckten Handtellern wie eine Statue von Offenbachs König Mydas.

In der Tür stand der gefürchtete Boy des Gewaltigen und schnarrte mit selbstbewußter Würde seinen Auftrag herunter.

»Mr. Hyman wünscht Mr. Wellby sofort zu sprechen.«

Am wenigsten überrascht und betroffen schien Noel Wellby zu sein. Er räkelte sich nicht allzu eilig aus seiner bequemen Lage auf und nahm sich sogar noch Zeit, einen Griff nach seiner Krawatte zu tun und die Bügelfalten seiner etwas spiegelnden Hose umständlich glattzustreichen.

Als er endlich gegangen war, war der fünfundzwanzigjährige Mr. Fish der erste, der seine Fassung wiedergewann. Er riß die wasserblauen Augen auf, verzog den Mund von einem Ohr bis zum andern, schnalzte vielsagend mit der Zunge und strich zunächst einmal bescheiden, aber mit einiger Hast die aufgelegten Beträge ein, ohne sich durch die etwas betretenen Gesichter seiner Kollegen irgendwie beirren zu lassen.

»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« meinte er unverfroren. »Nicht nur lumpige fünf Schilling, ganze hundert Pfund hätte ich wetten können, wenn ich Sie hätte 'reinlegen wollen. Lesen Sie die Notiz über den Tod von Sir Nicholas Morton in den heutigen ›London Sensations‹, und Sie werden wissen, weshalb der Alte so schief gewickelt ist. In seinem eigenen Blatt muß er gleich beim ersten Frühstück so etwas finden.« Der junge Mann grinste schadenfroh und klimperte befriedigt mit den Schillingen in seiner Hosentasche. »Dabei hat sich dieser Naivling Wellby wahrscheinlich die Beine ausgerissen, um die Geschichte noch in der Morgenausgabe unterzubringen – auf eigene Verantwortung, weil nicht einmal der Nachtredakteur mehr anwesend war. Toll, was er jetzt zu hören bekommen wird. Ich glaube, Hyman schmeißt ihn eigenhändig die Treppe hinunter. Das könnte mir den Alten geradezu sympathisch machen.«

Der gemütvolle Fish legte keinen Wert darauf, die Wirkung seiner Worte abzuwarten. Er hatte es plötzlich sehr eilig, rückte den Hut weit nach hinten auf seinem roten Birnenkopf und schoß mit wichtiger Miene davon.

 

Das in Ebenholz, Kardinalsrot und mattem Gold gehaltene riesige Chefzimmer war noch in dem etwas prunkliebenden Geschmack des kürzlich verstorbenen Sir Benjamin Cartwright eingerichtet, und Thomas Hyman machte darin keine gute Figur. Von dem mächtigen borstigen Schädel bis zu den gewaltigen behaarten Händen und den riesigen Füßen war alles an ihm von einer geradezu erschreckenden Grobschlächtigkeit, und sein Körper schien an dieser Masse zu viel zu tragen zu haben, da er ständig vornübergeneigt war.

Wie ein verdrießlicher Stier, dachte Noel Wellby respektlos, als er das Zimmer betrat und minutenlang warten mußte, bevor der Chef von seiner Anwesenheit Notiz nahm und seinen schwerfälligen Spaziergang in dem großen Raum unterbrach.

Dafür machte es Hyman nun kurz. Von einer Begrüßung, selbst in der flüchtigsten Form, sah er überhaupt ab, einmal, weil er kein Freund von Förmlichkeiten war, und zweitens, weil er sie einem so untergeordneten Wesen gegenüber, wie einem Reporter, doppelt überflüssig fand. Er stützte seine massige Gestalt auf den Schreibtisch und kam in seiner direkten Art sofort auf den Kern der Sache.

»Waren Sie betrunken oder leiden Sie zuweilen unter Wahnvorstellungen?« krächzte er kurzatmig, indem er die Rechte aus der Hosentasche zog und wuchtig auf die letzte Ausgabe der ›London Sensations‹ fallen ließ.

Wellby beeilte sich mit seiner Antwort auf diese grobe Frage nicht, sondern betrachtete zunächst einmal den gefürchteten Mann, dem er zum erstenmal gegenüberstand, mit dem sorglosen Interesse, das man etwa einem gereizten Löwen hinter Gitterstäben entgegenbringt. Er wollte vor allem wissen, was er von dem ergrimmten Koloß zu halten hatte und wie dieser zu nehmen war.

»Weder das eine noch das andere«, gab er endlich mit unverschämtem Phlegma zurück. »Um jemals betrunken zu sein, vertrage ich zuviel, und auf meine Sinne kann ich mich mindestens ebenso verlassen, wie Sie sich auf die Ihren.«

Es war wohl die frechste Antwort, die der allmächtige Hyman in diesem Raum je erhalten hatte, und sie kam so unerwartet, daß er den Sprecher aus seinen verquollenen Augen wie ein Wundertier anstarrte. Dann stieg eine Blutwelle in sein ungesundes Gesicht, die die Adern an den Schläfen in dicken Knoten hervortreten ließ, und er fuhr sich mit seinen gewaltigen Fingern um den gedrungenen Hals, als ob ihm sogar der gut einen halben Zoll abstehende Kragen zu eng würde.

Der Reporter wartete gefaßt auf eine Explosion, aber sie kam wider Erwarten nicht. Hyman war zwar eine cholerische, brutale Natur, aber er war nicht umsonst lange Jahre hindurch einer der gewiegtesten Anwälte Londons gewesen, bevor er in den Zeitungspalast eingezogen war, und er wußte sich zu beherrschen, wenn es not tat. Und diesmal schien es ihm dringend geboten. Der Mann, der mit so unerschütterlicher Ruhe und so impertinenter Schlagfertigkeit vor ihm stand, hatte Andeutungen in eines der Blätter seines Konzerns geschmuggelt, die ihm höchst unangenehm waren, und er mußte erfahren, ob es sich hier bloß um einen seltsamen Zufall handelte oder ob dieser Noel Wellby von der heiklen Geschichte wirklich etwas wußte und vielleicht seine erste Karte ausgespielt hatte.

»Dann kann ich nur annehmen«, lenkte er daher in verbissenem Grimm ein, »daß Sie mit Ihrer albernen Nachricht die Leute zum Narren halten wollten. Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie für ein ernstes Blatt arbeiten und nicht für die Boulevardpresse, die sich derart blödsinnige Sensationen gestatten darf. Ganz Fleet Street wird vor Vergnügen kopfgestanden haben, als man Ihre Notiz bei uns las, und ich glaube, wir werden einige recht anzügliche und unangenehme Bemerkungen zu hören bekommen.«

Er nahm die Zeitung, die er vor sich liegen hatte, auf, und obwohl er die betreffenden Zeilen bereits ungezählte Male überflogen und der andere sie ja selbst geschrieben hatte, fühlte er sich doch veranlaßt, sie mit seiner dicken, heiseren Stimme unter nachdrücklicher Betonung einiger Stellen vorzulesen:

»Sir Nicholas Morton in seiner Wohnung tot aufgefunden wie vor einigen Monaten Sir Benjamin Cartwright. – Was wollte die ›Königin der Nacht‹?«

Die Stimme Hymans wurde bei jedem dieser Titel, die einen geheimnisvollen Fall gellend in die Welt schrien, immer knarrender und wütender, bis sie sich schließlich völlig überschlug.

»Sind Sie bei den ›London Sensations‹ angestellt oder wo sonst?« fauchte er atemlos. »Mit einer solchen Geschmacklosigkeit hätten Sie Ausrufer bei einer Schaubude, aber nicht Reporter werden sollen.«

»Das war ich bereits«, gab der junge Mann mit höflicher Gelassenheit zurück. »Aber jeder Mensch hat den Ehrgeiz, es weiter zu bringen.«

Wieder verschlug diese Antwort dem gewaltigen Mann die Sprache, und sein Blick wurde flackernd und unsicher.

»Mit solchen Dingen werden Sie nicht weit kommen«, sagte er dann sarkastisch, und seine Augen, verhießen nichts Gutes. »Wenigstens bei mir nicht.« Er schlug wiederum verächtlich auf das unschuldige Blatt, und um weiter zu gelangen und aus dem anderen möglichst unauffällig das herauszubringen, was er wissen mußte, las er weiter vor:

»Wie wir nach Redaktionsschluß erfahren, ist der bekannte Finanzier und Sammler Sir Nicholas Morton heute nacht kurz nach ein Uhr in seinem Haus in der Nähe des Porchester Square tot aufgefunden worden. Das plötzliche Ableben des allgemein geschätzten Mannes, der sich um das öffentliche Leben hervorragende Verdienste erworben hat, kommt um so überraschender, als Sir Nicholas erst achtundvierzig Jahre alt war und sich der besten Gesundheit erfreute. Unwillkürlich erinnert der Fall an den ebenso unerwartet raschen Tod Sir Benjamin Cartwrights vor fünf Monaten. Seltsamerweise waren die beiden Männer eng befreundet und haben vor zwölf Jahren eine afrikanische Jagdexpedition unternommen, die in völlig unerforschte Gebiete vorgedrungen ist. Diese eigenartigen Umstände dürften wohl den seltsamen Gerüchten, die bereits nach dem Ableben von Sir Benjamin in Umlauf kamen, neue Nahrung geben und diesmal hoffentlich zu einer etwas nachdrücklicheren Untersuchung führen . . .«

Der große, starke Mann hatte den letzten Satz Wort für Wort hervorgestoßen und dabei kein Auge von seinem Gegenüber gewandt. Nun beugte er sich vor, und das Zittern seiner blutleeren Lippen verriet, wie sehr er sich beherrschen mußte.

»Zum Teufel, was sind das für Gerüchte? Sind Sie wirklich übergeschnappt oder so einfältig, daß Sie auf das Gewäsch von Klatschweibern hereinfallen?« Er rang heftig nach Luft. Der Reporter zuckte gleichmütig die Achseln.

»Ich kann doch nicht gut annehmen, daß dieses ganze Haus aus lauter alten Klatschweibern besteht«, gab Wellby gelassen zurück. »Wohin Sie hören, wird davon geflüstert, sobald die Rede auf den verstorbenen Sir Benjamin kommt. Und auch draußen munkelt man allerlei.«

Hyman öffnete den Mund, aber erst nach einer Weile kam ein Ton heraus, der halb wie ein Glucksen, halb wie ein Gurgeln klang, aber wahrscheinlich ein spöttisches Lachen sein sollte.

»So . . . Man munkelt allerlei . . . Da haben Sie wohl auch die seltsame Geschichte aufgefangen, die Sie zum Schluß zum besten geben?«

Er senkte den Blick wieder auf das Zeitungsblatt und begann neuerlich zu lesen:

»Weiter erhalten wir von einem zuverlässigen Gewährsmann die interessante Mitteilung, daß Sir Nicholas Morton am verflossenen Freitag einer großen Gesellschaft bei Lord Etheridge beigewohnt hat und dort unmittelbar vor seinem Weggehen von einer dicht verschleierten Frau angesprochen wurde, die ihm die Worte zuflüsterte: ›Königin der Nacht vom Brunnen der sieben Palmen wartet noch das Viertel eines Mondes ab.‹ – Auf Sir Nicholas schien diese Begegnung einen außerordentlichen Eindruck zu machen, denn er brauchte mehrere Minuten, um sich zu fassen, und verließ dann verstört und in fluchtartiger Eile die Gesellschaft. – Das Viertel eines Mondes wäre morgen abgelaufen gewesen.«

Der Chef des Cartwright-Konzerns knüllte die Zeitung mit seinen schaufelartigen Händen geräuschvoll zusammen und warf die Papierkugel verächtlich in eine Ecke.

»Woher haben Sie dieses gruselige Märchen?« fragte er ironisch, vermochte aber sein lebhaftes Interesse doch nicht ganz zu verbergen.

»Dieses gruselige Märchen habe ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört«, erklärte der Reporter, und Hyman horchte bei dem ruhigen, bestimmten Ton, in dem Wellby sprach, mit ungeduldiger Spannung auf.

»Sie wollen mir also einreden . . .«, begann er nach einem kurzen Schweigen etwas stockend, aber Wellby fiel ihm sofort sehr entschieden ins Wort.

»Ich will Ihnen gar nichts einreden, sondern Sie dürfen überzeugt sein, daß sich alles so verhielt, wie ich es berichtet habe. Ich kenne die Bedeutung unseres Blattes zu gut, um unseren Lesern irgendwelchen lächerlichen Tratsch aufzutischen. Die Geschichte von der ›Königin der Nacht‹ mag sich ja etwas sonderbar anhören, aber sie hat sich tatsächlich zugetragen.«

Thomas Hyman schob die Hände in die Hosentaschen und sah mit starren Augen lauernd auf den jungen Mann.

»Wenn ich Ihnen das glauben soll, müssen Sie schon etwas deutlicher werden«, knurrte er.

»Nichts ist leichter als das. Ich habe nämlich dicht neben Sir Nicholas hinter einer Portiere gestanden, als die Frau ihm in den Weg trat, und so leise sie auch sprach, konnte ich doch jedes ihrer Worte deutlich vernehmen.«

Es schien, als ob Hymans graues Gesicht noch um einen Ton fahler geworden wäre, und er nagte erregt an den Lippen, bevor er sich abwandte und etwas zögernd weiterfragte.

»Hat Sir Nicholas irgend etwas erwidert?«

»Nein. Er war so entsetzt, daß er die Erscheinung wie ein Wesen aus einer anderen Welt anstarrte und vor ihr zurückwich.«

»Wie sah sie aus?«

Wellby hob die Schultern.

»Wie alle die anderen Damen, die anwesend waren. Lord Etheridge hatte gegen zweihundert Einladungen ergehen lassen, und weil die Sache ein so großes gesellschaftliches Ereignis war, hatte mich der Chef mit noch zwei Kollegen von unserem Blatt hinbeordert. Die Frau trug ein schwarzes Abendkleid, wie ich noch viele andere gesehen habe. Nur der Kopfputz war apart: Ein dunkler Turban aus feinstem Gewebe mit einer großen silbernen Mondsichel und drei Sternen in der Mitte der Stirn. Davon war eine Falte so geschickt drapiert, daß sie mit einem Griff Gesicht und Hals völlig verdecken konnte, aber diese Maskierung konnte praktisch ebenso mit einem einzigen Griff wieder entfernt werden.

»War es eine jüngere oder eine ältere Frau?« wollte Hyman nach längerem Schweigen weiter wissen.

»Nach der Figur und den Bewegungen eine junge Frau. Außerdem –«

Wellby brach plötzlich ab, aber der andere war nicht gewillt, sich mit dem unvollendeten Satz zufrieden zu geben.

»Was wollten Sie noch sagen?« drängte er, indem er den jungen Mann mit einem seiner unangenehmen, lauernden Blicke ansah.

»Oh, nichts von Bedeutung«, erwiderte der Reporter leichthin, und der gleichmütige, etwas gelangweilte Ausdruck in seinem Gesicht schien dies zu bestätigen.

Der Anwalt fühlte, daß der Mann ihm etwas Wesentliches vorenthielt. Aber schon das, was er gehört hatte, genügte, um ihn außerordentlich zu beschäftigen. Er beendete die Unterredung, die er so polternd eingeleitet hatte, mit einer stummen entlassenden Geste, und als Wellby ebenso stumm gegangen war, begann er, mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern, schwerfällig auf und ab zu marschieren.


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