Louis Weinert-Wilton
Die Königin der Nacht
Louis Weinert-Wilton

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12

»Sie sehen, auf mich kann man sich verlassen«, sagte Mr. Fish, indem er die riesige Taschenuhr aus goldähnlichem Metall, die er eine Viertelstunde lang möglichst auffallend in der Hand gehalten hatte, nachlässig in die Westentasche schob und den eben in die Halle des Princes-Restaurants tretenden Boyd mit freundschaftlicher Herablassung begrüßte. »Wir gehen selbstverständlich in den großen Speisesaal. Man sieht da alle möglichen interessanten Leute, und es kann für Sie nur nützlich sein, wenn ich Sie mit einigen von ihnen bekannt mache. Ich bin schon etwas früher gekommen, um uns einen möglichst guten Tisch zu sichern.«

Er ging ohne weiteres voran und bewegte sich mit der Sicherheit und Selbstgefälligkeit eines Mannes, der gewohnt ist, auf kostbaren Teppichen zu schreiten und seinen auf Seide gearbeiteten Frack von dem grellen Licht mächtiger Lüster bestrahlen zu lassen. Daß ihm das für einen Lord angefertigte fabelhafte Kleidungsstück um die Schultern etwas zu weit und in der Taille zu eng war und daß es auf dem Revers einige umfangreiche Flecken hatte, kümmerte Mr. Fish nicht sonderlich, denn diese kleinen Schönheitsfehler wurden durch eine prallsitzende weiße Weste und zwei riesige Perlen in der vorquellenden Hemdbrust ausgeglichen. Zwar hatten die Beinkleider die Gewohnheit, ständig in die Höhe zu rutschen, ließen dafür aber ein Paar prächtige schwarze Seidenstrümpfe und die erst vor einer Stunde frisch geputzten Halbschuhe zu besonderer Geltung kommen.

Als sie an dem kleinen Tisch an der Stirnwand des großen Saales Platz genommen hatten, griff der ›Fliegenpilz‹ zunächst einmal ohne weiteres nach der Speisekarte.

»Sie gestatten wohl, daß ich bestelle«, meinte er höflich. »Selbstverständlich können Sie nach Belieben wählen, aber ich muß leider auf meinen Magen Rücksicht nehmen.«

Das erschwerte ihm natürlich die Wahl einigermaßen, und er benötigte eine geraume Weile, bis er sich für frischen Hummer, Hammelkoteletts mit Mixed Pickles, jungen Truthahn, Konfitüren-Omelett, Käse und Obst entschieden hatte. »Die Getränke überlasse ich Ihnen«, sagte er entgegenkommend, »aber bitte etwas Kräftiges, weil mir das die Verdauung erleichtert.«

Der nette weißhaarige Herr, der bis jetzt noch nicht zum Sprechen gekommen war, kam dem Wunsch seines Gastes nach, und das wiederholte anerkennende Nicken Fishs bewies, daß er das Richtige getroffen hatte.

»Nur noch eine Kleinigkeit vorher, sagen wir Sherry oder Madeira«, erlaubte sich Fish bescheiden zu ergänzen. »Meine Magennerven bedürfen immer einer derartigen Anregung.«

Mr. Boyd war schon dabei, diesem Bedürfnis der Magennerven Mr. Fishs Rechnung zu tragen, und der ›Fliegenpilz‹ fand, daß er sich in seinem neuen Kollegen nicht getäuscht hatte. Der Mann sah noch frischer und rosiger aus als sonst und machte in seinem tadellosen Abendanzug eine Figur, die selbst vor den kritischen Augen des Reporters bestand.

»Wir müssen Freunde werden«, erklärte dieser mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch ausschloß, »und Sie werden dabei nicht schlecht fahren. Einen Menschen muß man ja in der Redaktion haben, auf den man sich verlassen kann, und wer sollte das sein, außer mir? Was Sie sonst noch bei uns treffen, ist nicht der Rede wert. Ein paar ältere Herren, die nichts im Kopf haben als ihre Familie und ihren langweiligen Klub, und außerdem züchtet der eine Kakteen, und der andere ist hinter alten Spazierstöcken oder Briefmarken her. – Ist das ein Verkehr, frage ich Sie? Nicht einmal das Derby kann so jemand aufrütteln, und wenn Oxford und Cambridge auf der Themse um die Wette rudern, sitzen sie womöglich und spielen Bridge.«

Mr. Fish erhielt in diesem Augenblick glücklicherweise seinen Madeira und konnte seine unsägliche Verachtung hinunterspülen.

»Und was Sie bei uns an jüngeren Leuten, finden«, fuhr er nach einem lauten befriedigten Schnalzen neugestärkt fort, »taugt ebensowenig. Nichts Seriöses. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Wellby. Einfach ein Hochstapler.« Der ›Fliegenpilz‹ blähte gereizt die Nüstern. »Abgewetzte Hosen, aber ein Getue wie ein Pair. Haben Sie schon beobachtet, wie er sich die Zigarette anzündet? Nein? Nun, dann passen Sie einmal auf, und Sie werden wissen, woran Sie sind.«

Mr. Fish war so empört, daß er nach Luft schnappen mußte, wodurch Boyd Gelegenheit fand, eine bescheidene Frage zu tun.

»Ist Mr. Wellby schon lange bei den ›London Sensations‹?«

»Lange? Was heißt lange?« Er dachte einen Augenblick nach. »Sagen wir sechs oder sieben Wochen. Ich erinnere mich noch heute, wie er eines Morgens ganz plötzlich dagesessen und sofort angefangen hat, sich unbeliebt zu machen Der Mann hat keine Ahnung von Benehmen. Glauben Sie, daß er sich mir vorgestellt hat? – Nein! Was sagen Sie dazu? Eine halbe Stunde habe ich ihm Zeit gegeben und ihn angesehen, daß er unbedingt hätte darauf kommen müssen, was sich schickt, aber er hat nichts dergleichen getan. Nun, der Gescheitere gibt nach. Ich bin also schließlich zu ihm gegangen und habe gesagt: ›Fish‹. Und was glauben Sie, daß er darauf getan hat? Anstatt ebenfalls einfach zu sagen: ›Wellby‹, hat er mich erst von oben bis unten gemustert und dann genickt. Und erst dann hat er das ›Wellby‹ herausgebracht.«

»Ein ganz interessanter Name«, fand der weißhaarige Herr, aber der kritische Jüngling war anderer Ansicht.

»Lassen Sie mich in Ruhe mit diesem ›interessanten Namen‹«, meinte er wegwerfend. »Mit arrogantem Gesicht zu sagen: ›Ich heiße Noel Wellby‹ ist sehr leicht, aber weiß man, was dahintersteckt? Wer und was ist er denn schon, dieser Mr. Wellby, und wo kommt er her?«

»Ja, wer ist er und wo kommt er her?« gab Mr. Boyd nachdenklich zu. Aber der ›Fliegenpilz‹ überhörte diese höfliche Zustimmung, denn man servierte ihm eben den wunderbaren Hummer, der seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahm. So gesprächig er bisher gewesen, so stumm wurde er plötzlich, und nur hie und da, wenn er gerade den Mund ganz voll hatte, legte er den Daumen und den Zeigefinger seiner Rechten zusammen, um seinem Gastgeber durch diese verzückte Geste zu verstehen zu geben, daß das Gericht wirklich delikat sei. Auch die Hammelrippchen schienen Mr. Fishs ungeteilten Beifall zu finden, und als er damit fertig war und ungeduldig des jungen Truthahns harrte, fand er einen Augenblick Zeit, seiner Befriedigung Ausdruck zu geben.

»Eines der wenigen Londoner Lokale, in denen man halbwegs anständig speist. Nur die Bedienung läßt zu wünschen übrig. Man könnte sich an den vornehmen Privathäusern ein Beispiel nehmen. Dort geht alles so schnell, daß man das Besteck überhaupt nicht aus der Hand zu legen braucht. Ich liebe das.«

Der Truthahn hinderte ihn an weiterem Tadel, und Boyd war nun wieder längere Zeit darauf angewiesen, seine Mahlzeit ohne den würzenden Redestrom Mr. Fishs fortzusetzen. Der weißhaarige Herr verhielt sich still und bescheiden und schien nur auf das Wohl seines Gastes bedacht zu sein. War Mr. Fish befriedigt, so schweiften Boyds graue Augen gelangweilt durch den großen Raum, der sich immer mehr gefüllt hatte. Nur wenige Tische waren noch unbesetzt, und der Schluß der Vorstellungen in Piccadilly brachte immer neue Gäste. Von irgendwoher klangen diskret gedämpft die aufreizenden Weisen einer Original-Negerkapelle, und die Luft war erfüllt von dem Duft feiner Parfüms und frischer Blumen.

Zwischen dem dritten und vierten Gang hatte sogar der beschäftigte ›Fliegenpilz‹ einen interessierten Blick für dieses glänzende gesellschaftliche Bild übrig, und die Art, wie er seine etwas widerspenstige Hemdbrust zurechtrückte und an seinen großen Perlen herumfingerte, zeigte, wie angemessen er diese illustre Umgebung fand.

»Ganz nett, was?« meinte er, indem er sich mit blinzelnden Augen zurücklehnte. »Alles erste Gesellschaft. Und fast durchwegs Bekannte. Sie werden schon bemerkt haben, daß ich es vermeide, allzuviel herumzublicken, denn dann nähme die Grüßerei kein Ende, und mit unserer Gemütlichkeit wäre es vorbei. Lord Shellam, der große blonde Herr dort unten links, wendet kein Auge von mir, um mir zuzunicken, aber er kann lange warten. Ich bin mit ihm ziemlich befreundet, und er ist mir ganz sympathisch, aber . . .«

Mr. Fishs großer Mund blieb plötzlich halb offen, und seine wäßrigen Augen hingen gespannt an einer Gruppe von zwei Damen und zwei Herren, die eben an einem schräg gegenüberliegenden Tisch Platz nahmen. Die Erregung des blasierten jungen Mannes war so groß, daß er sogar das eben aufgetragene Omelett übersah. Er hatte offenbar das Bestreben, die Aufmerksamkeit der kleinen Gesellschaft auf sich zu lenken, und versuchte alles, um diesen Zweck zu erreichen. Er hob sich in seinem Sessel ununterbrochen wie ein Reiter im Sattel, räusperte sich vernehmlich, zog kokett und unternehmend an seinen Manschetten und war sichtlich darauf vorbereitet, jede Sekunde elastisch aufzuschnellen. Dabei wiegte er zum Zeichen seiner Überraschung leicht den Kopf, schnalzte diskret mit der Zunge und führte ein leises, abgehacktes Selbstgespräch, wobei er jedoch in seiner Höflichkeit darauf Rücksicht nahm, daß Mr. Boyd auch jedes Wort verstand.

»Natürlich . . . Wie ich mir gedacht habe . . .« Er lächelte befriedigt über seine unfehlbare Voraussicht und fuhr sich, weit ausholend, durch den strähnigen roten Haarschopf. »London ist doch eigentlich ein kleines Nest. Man trifft einander überall.« Seine Blicke ruhten dabei unausgesetzt auf der kleinen Gruppe, die seiner noch immer nicht gewahr geworden war.

»Fabelhaft«, flüsterte er, indem er die eine der Damen mit Kennermiene fixierte. »Kunststück, so auszusehen, wenn man so ein Gehalt hat. Was glauben Sie, was Mrs. Dyke monatlich bekommt?« wandte er sich mit wichtiger Miene an Boyd.

»Ist eine der Damen Mrs. Dyke?« fragte dieser mit höflichem Interesse.

Der Reporter nickte und legte dem weißhaarigen Herrn die Hand jovial auf den Arm. Der Mann sah fast aus wie ein Diplomat, und es konnte nicht schaden, wenn man an der maßgebendsten Stelle des Cartwright-Hauses davon Kenntnis erhielt, daß Mr. Fish nicht nur in den vornehmsten Restaurants zu speisen, sondern dort auch mit Persönlichkeiten von Welt in höchst familiärer Art zu verkehren pflegte.

»Die große dunkle Dame«, erklärte er. »Nicht ganz mein Geschmack, denn ich ziehe das Zarte vor, aber immerhin . . . Wenn Sie dagegen Mrs. Osborn anschauen . . . Allerdings soll sie eine Menge Geld gehabt haben. Die Tochter vom alten Robbins, sicher haben Sie von ihm schon gehört. Unter hundert Prozent war von dem Halsabschneider nicht ein Penny zu haben. Mrs. Osborn mag nicht schlecht geerbt haben, als er vor einem halben Jahr gestorben ist. Aber sie kann es brauchen und ihr Mann auch. Er spielt – was soll er auch tun, wenn er eine solche Frau zu Hause hat . . .«

Trotz seiner Mitteilsamkeit hatte Mr. Fish den Tisch schräg gegenüber nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, und da er nun endlich dem erkennenden Blick von Mrs. Dyke zu begegnen glaubte, fuhr er blitzschnell empor, um ihr eine höchst förmliche Verbeugung zu machen.

Mrs. Dyke dankte mit einem leichten Lächeln, und der Reporter verbeugte sich nochmals.

»Da haben Sie es«, hauchte er resigniert, als er endlich wieder saß, und wischte sich mit dem farbenfreudigen, seidenen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Man müßte die Augen zumachen, um vor diesen gesellschaftlichen Verpflichtungen Ruhe zu haben. – Haben Sie übrigens bemerkt, wie freundlich Mrs. Dyke gelächelt hat? Wir verstehen uns nämlich ausgezeichnet, und wenn ich nicht in Gesellschaft wäre, hätte sie mich sicher an ihren Tisch hinübergeholt. Sie tut das immer, wenn wir uns irgendwo treffen«, fügte er ganz nebenbei hinzu. »Aber so sympathisch sie mir ist, die beiden Afrikaner können mir gestohlen werden. Die Aufgeblasenheit, die die besitzen, möchte ich haben. Dabei haben sie nie etwas anderes gemacht in ihrem Leben, als Cartwright damals zu begleiten.« Plötzlich gewahrte er das kalt gewordene Omelett und begann es mit weltmännischer Gelassenheit zu verspeisen.

»Wer ist der reizende Junge, dem Sie es angetan zu haben scheinen?« fragte Osborn mit einem vergnügten Grinsen. »So etwas Nettes habe ich noch nicht oft gesehen.«

»Der Reporter Fish von den ›London Sensations‹«, gab Mrs. Dyke leise zurück, ohne den Blick vom Teller zu heben.

»Sind alle Ihre Reporter von diesem Schlag? Auch der gewisse Wellby?«

Evelyn sah Osborn unter halbgeschlossenen Lidern hervor an und dämpfte ihre Stimme noch mehr. »Leider nicht. Der Mann ist ganz anders. – Haben Sie etwas veranlaßt?«

»Was notwendig war«, gab er kurz und leichthin zurück, aber der harte Blick in seinem etwas schwammigen Gesicht verriet ihr, wie er das meinte. Sie legte das Besteck so hastig nieder, daß es auf dem Teller einen leisen Klang gab, und ihre Nasenflügel vibrierten in verhaltener Erregung.

»Ich hoffe, daß Sie sich nicht zu einer Unvorsichtigkeit verleiten ließen . . . Das wäre das letzte, was wir augenblicklich brauchen könnten. Was zu tun ist, muß in aller Ruhe, ohne Aufsehen und vor allem ohne Gewalttätigkeiten geschehen. Stellen Sie sich den Lärm vor, wenn dem Urheber der Morton-Notiz plötzlich etwas widerfahren sollte.«

Osborn zuckte ungeduldig mit den Achseln, und es fiel ihm sichtlich schwer, seine nervöse Gereiztheit zu beherrschen.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Ich habe doch nur gesagt, daß ich das veranlaßt habe, was notwendig war. Sie selbst haben mich doch wissen lassen, daß der Mann für uns eine große Gefahr bedeutet und daß etwas geschehen müsse. Was wollen Sie denn nun mit Ihren sonderbaren Redensarten? Es sagt sich leicht: Es muß etwas geschehen, aber das und das darf nicht geschehen. Vor allem verwahre ich mich auf das entschiedenste dagegen, für alles, was dem Mann passieren könnte, verantwortlich gemacht zu werden. Ich lasse ihn einfach überwachen, wie Sie es ja selbst vorgeschlagen haben. Wenn er bei seinen nächtlichen Wanderungen in der Hafengegend oder sonstwo zu Schaden kommen sollte, so hat dies damit nichts zu tun. Solche Fälle kommen in London täglich vor.«

Er sah Evelyn herausfordernd an, und seine Frau, die sichtlich ihren King Charles vermißte und sich langweilte, fand die Sache so heiter, daß sie zu kichern begann.

»Evelyn hat ganz recht«, mischte sich Selwood plötzlich entschieden ein. Er hatte bisher schweigsam und verdrießlich auf seinem Teller herumgestochert, und erst die Andeutungen seines Vetters hatten ihn aus seiner Teilnahmslosigkeit aufgerüttelt. »Ich bin jedenfalls für solche Dinge nicht zu haben und will auch nichts davon wissen«, fügte er nachdenklich hinzu. »Wenn etwas Derartiges geschehen sollte, so werde ich diesmal unbedingt sprechen, mag kommen, was will. Die Geschichte hat schon genug Unheil angerichtet.«

Sein Gesicht verriet, daß es ihm mit seinen Worten ernst war, und William zog eine leichte Grimasse.

»Schön. Tu, was du willst«, sagte er bissig. »Aber bilde dir nicht ein«, fuhr er drohend fort, »daß ich mich von dir so ohne weiteres hineinreiten lasse. Es geht um meine Haut genauso wie um deine, und ich werde mich schon irgendwie zu sichern wissen. Lächerlich, diese Skrupel, mit denen du es plötzlich zu tun bekommst«, lenkte er, noch immer ärgerlich, aber schon wieder völlig beherrscht, ein. »Du weißt doch ganz gut, daß wir jetzt erst vor der eigentlichen Entscheidung stehen und unsere Nerven nicht verlieren dürfen. Deine Begegnung hat dir ja gesagt, daß nun wir an die Reihe kommen und daher verdammt auf unserer Hut sein müssen.«

»Wann hat sie gesagt, daß sie Sie wieder aufsuchen wird?« flüsterte Helen, und ihre Frage klang so kindlich naiv, daß Selwood trotz seiner üblen Laune sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.

»Wenn der Mond in sein letztes Viertel tritt. Das wäre in neun Tagen«, gab er halblaut zurück, und Mrs. Osborn empfand ein furchtsames Kribbeln.

»Du darfst nicht vergessen, daß sie es mit ihren Terminen nicht so genau zu nehmen scheint«, warnte ihn der Vetter, aber der andere hatte dafür nur ein gleichmütiges Achselzucken.

 

»Sie brechen auf«, raunte Mr. Fish eine halbe Stunde später seinem Gastgeber aufgeregt zu und traf umständlich Anstalten, um sich für diesen großen Augenblick entsprechend in Szene zu setzen. Er verwischte mit der Serviette eilig die verschiedenen Flecken, die die einzelnen Gänge auf seiner Hemdbrust hinterlassen hatten, und fuhr dann mit geschäftigen Fingern bald an die Krawatte, bald über die Weste, die nun noch praller saß als vorher.

»Grüßen Sie mit, Mr. Boyd, das kann nur einen guten Eindruck machen, und man kann nicht wissen . . .« Er sprach nicht aus, was man nicht wissen konnte, sondern machte ein betretenes Gesicht, da Mrs. Dyke mit ihrer Gesellschaft den Saal verließ, ohne nur einen flüchtigen Blick für ihn zu haben. Dann hob er die Achseln und lächelte verständnisvoll. »In Gedanken und etwas schlechter Laune«, erklärte er vertraulich. »Natürlich nicht meinetwegen. Wahrscheinlich wieder eine kleine Auseinandersetzung mit Mr. Selwood.« Er blinzelte vielsagend. »Das soll öfter vorkommen. Man weiß zwar nichts Bestimmtes, aber Sie verstehen mich . . .«

An dem Wagen Selwoods, der Mrs. Dyke nach Hause bringen sollte, machte die kleine Gruppe noch einen Augenblick halt.

»Wir fahren morgen zum Weekend nach Weybridge und werden nachsehen, ob es in Threecourts etwas Neues gibt«, sagte Osborn. »Wenn hier etwas geschehen sollte«, wandte er sich an den Vetter, »so weißt du ja, wo ich zu erreichen bin.«

Während der Heimfahrt gab es zwischen dem Ehepaar noch eine etwas ungemütliche Auseinandersetzung, als Helen auf ihre schüchterne Frage, ob er bereits zu Hause bleibe, ein schroffes: »Ich denke nicht daran«, zur Antwort erhielt.

»Du denkst überhaupt an nichts, was mich angeht«, beklagte sie sich in dem weinerlichen Ton eines gekränkten Kindes. »Und jetzt weiß ich auch warum«, fügte sie spitz hinzu, indem sie ihn lauernd von der Seite beobachtete. »Du hast nämlich eine Geliebte. Eine dicke, blonde Person, und sie wohnt . . .«

Der wütende, gehässige Blick, der sie aus seinen Augen traf, ließ sie erschreckt verstummen.

»Halte den Mund«, zischte er leise durch die Zähne und riß so heftig am Steuer, daß der Wagen in ein gefährliches Schlingern geriet. »Also, du spionierst«, fuhr er dann mit kaltem Hohn fort. »Das sieht dir ähnlich. Ganz Familie Robbins. Aber ich bin kein Krämer aus einem Vorort, meine Liebe, der dafür Verständnis hätte. Ich glaube, ich habe dir das schon einige Male sehr deutlich gesagt, und du würdest gut daran tun, es dir endlich zu merken.«

»Du kannst ja tun, was du willst, aber daß du eine Geliebte hast, dulde ich nicht«, gab sie heftig und hartnäckig zurück.

Er nahm sich gar keine Mühe, ihre Behauptung in Abrede zu stellen oder sie zu beruhigen, sondern blieb bei seinem aufreizenden Hohn. »So, das duldest du nicht? Du wirst wirklich von Tag zu Tag alberner. Als ob ich mich je darum gekümmert hätte, was du gestattest oder nicht.«

»Nein«, fauchte sie heftig. »Du hast dich nur um mein Geld gekümmert.«

»Mache keine großen Worte«, sagte er noch ruhiger und schneidender als bisher. »Dazu hast du wirklich keine Veranlassung. Bis jetzt habe ich dir dadurch, daß ich dich zur Frau nahm, weit mehr gegeben als du mir. Du weißt, wie ich das meine. Dein Vater hat mich bei dem Handel um dich ebenso übers Ohr gehauen, wie er jeden betrogen hat, der sich mit ihm in ein Geschäft einließ. Die paar tausend Pfund, die wir zu seinen Lebzeiten erhielten, waren kaum der Rede wert, und von dem, was er hinterließ, habe ich auch noch sehr wenig gesehen.«

»Ich gebe dir immer Geld, wenn du welches verlangst«, wandte sie hastig ein.

»Sehr nett von dir, mir hie und da einen Brocken zuzuwerfen«, spottete er. »Aber es paßt mir nicht, auf deine Gnade angewiesen zu sein, und ich hatte mir schon längst vorgenommen, in dieser Angelegenheit einmal ein ernstes Wort mit dir zu reden. Gut, daß du mich daran erinnert hast.«

Helen wurde plötzlich sehr schweigsam, und Osborn vernahm während der weiteren Fahrt nur ihre erregten Atemzüge.


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