Louis Weinert-Wilton
Die Königin der Nacht
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

»Scheren Sie sich hinaus«, brüllte Hyman wütend, als sein Boy mit einer Visitenkarte in der Hand in der Tür erschien. Er hatte eben die Abendzeitungen mit den ersten Sensationsmeldungen über den Fall Morton gierig verschlungen und war dabei, die Bescherung, die seine schlimmsten Befürchtungen übertroffen hatte, zu verdauen. Sein breites Gesicht war blaß, und das Weiß seiner Augen war wie von einem roten Spinngewebe durchzogen.

»Mr. Miles Sayer von Scotland Yard«, schnarrte der Bursche an der Tür unbeirrt, und Thomas Hyman wurde noch um einen Ton fahler. Wenn in dieser Stunde noch etwas gefehlt hatte, um ihn vollends aus der Fassung zu bringen, so war es das Eingreifen der Polizei, und er bemühte sich nicht einmal, dem Beamten gegenüber zu verbergen, wie wenig erfreut er über seinen Besuch war. Er empfing ihn mit den Händen in den Hosentaschen, einem kurzen Kopfnicken und einem starren, fragenden Blick, der zur Eile drängte.

Inspektor Sayer, ein gewandter junger Mann, den man eigens für diese etwas heikle Mission ausgewählt hatte, überzeugte sich, daß man ihm von der Eigenart des Chefs des Cartwright-Konzerns nicht zu viel erzählt hatte, und war froh, daß sein Auftrag so begrenzt war.

»Ich möchte Sie um einige Auskünfte ersuchen«, sagte er höflich und gelassen und kam sofort zur Sache, da Hyman mit seinen breiten Schultern so etwas wie eine auffordernde Geste machte.

»In einem der heutigen Morgenblätter Ihres Konzerns ist die erste Nachricht über den Tod von Sir Nicholas Morton erschienen. – Können Sie mir sagen, auf welchem Wege Ihnen diese Meldung zugekommen ist?«

»Durch einen Reporter«, knurrte der Anwalt bissig, und wenn er Wellby in diesem Augenblick in Reichweite gehabt hätte, wäre er ihm unbedingt an die Gurgel gefahren.

»Sein Name, bitte.«

»Wellby. Wenn Sie noch mehr über ihn wissen wollen, erkundigen Sie sich in der Redaktion oder beim Pförtner.«

»Danke«, sagte der Beamte und notierte sich den Namen. »Und dann waren dieser Nachricht noch einige Bemerkungen angefügt. Die eine betraf eine geheimnisvolle Begegnung, die Morton im Hause von Lord Etheridge gehabt haben soll, und die zweite erwähnte gewisse Gerüchte, die angeblich bereits nach dem Tode von Sir Benjamin in Umlauf gekommen sind. – Wer hat das geschrieben?«

»Alles derselbe Mann«, erklärte Hyman mit einem grimmigen Grinsen. »Er hat die ganze nette Pastete fix und fertig geliefert. Und leider hat sie niemand zu Gesicht bekommen, bis sie auf dem Präsentierteller lag.«

Der Inspektor sah in den Hut, den er in den Händen drehte, und suchte die letzte Frage, die er noch zu stellen hatte, so unauffällig und doch so zweckdienlich wie möglich zu fassen.

»Aus Ihren Mitteilungen entnehme ich, daß die so eigenartig gehaltene Notiz in den ›London Sensations‹ nur von einem Ihrer Redakteure stammt und daß auch die gewissen Andeutungen eigentlich nur seine persönliche Auffassung wiedergeben . . .«

»Von einem meiner Reporter«, stellte Hyman mit Nachdruck richtig. »Meine Redakteure haben, wie ich hoffe, so viel Verstand, daß sie der Öffentlichkeit nicht mit solchem Blödsinn kommen!«

Der junge Beamte verneigte sich verbindlich, was alles mögliche heißen konnte, und sah dann dem großen Mann plötzlich voll in das mürrische und ungeduldige Gesicht.

»Wir würden großen Wert darauf legen, Mr. Hyman«, sagte er langsam und in besonders höflichem Ton, »zu erfahren, wie Sie selbst über diesen ganzen Fall denken.«

»Ich?« Der Anwalt warf betroffen den Kopf zurück und zog die wulstigen Brauen so hoch, daß die Augen wie zwei starre feuchtschimmernde Glaskugeln hervortraten. »Was wollen Sie von mir? – Ich denke mir gar nichts«, fuhr er dann plötzlich wütend los. »Ich habe andere Dinge zu tun, als mir über solche Sachen den Kopf zu zerbrechen. Dazu ist doch die Polizei da.«

Er schnappte nach Luft, und der Inspektor gab ihm durch eine kurze Geste recht.

»Allerdings.« Er sah wieder in seinen Hut und drehte ihn langsam durch die Finger. »Wir dachten nur, daß wir von Ihnen vielleicht irgendeine wichtige Andeutung erhalten könnten. Bezüglich des einen oder des andern besonderen Umstandes, der dem Tode von Sir Benjamin vorangegangen ist. – Vielleicht erinnern Sie sich, daß Cartwright wenige Stunden vor seinem Tod mit Ihnen telefonisch ein Gespräch geführt hat, in dessen Verlauf er unter anderem beiläufig sagte: ›Die Sache mit der ››Königin der Nacht‹‹ läßt mir keine Ruhe. Ich muß ihr endlich auf den Grund kommen, und es tut mir leid, daß Sie sich heute nicht frei machen konnten. Jedenfalls sende ich Ihnen sofort das Buch, damit Sie wissen, unter welchen Umständen sich die Episode damals abgespielt hat.‹«

Inspektor Sayer blickte auf, aber Hyman hatte seinen mächtigen Schädel gesenkt und stand regungslos wie ein Steinblock.

»Woher haben Sie das?« fragte er nach einer Weile ruhig.

»Von dem Diener des Verstorbenen. Er hat sich heute vormittag selbst bei Scotland Yard gemeldet, da ihm die Erwähnung der ›Königin der Nacht‹ in den ›London Sensations‹ das Gespräch in Erinnerung gebracht hat. Er hatte damals die Verbindung mit Ihnen hergestellt und will das, was ich Ihnen eben wiederholte, aus dem Mund Sir Benjamins gehört haben, bevor er das Zimmer verließ.«

Das Gesicht des Anwalts war zu einer spöttischen Grimasse verzogen.

»Natürlich. Das ist etwas für diese Leute. Ich kann mir denken, mit welcher Gänsehaut der alte Bursche nun herumläuft und wie wichtig er sich plötzlich vorkommt.« Er blickte aus seiner ansehnlichen Höhe auf den Beamten herab, und in seinen Augen lag eine offene Herausforderung. »Aber ich kann mich leider an dieses Gespräch nicht erinnern. Ich habe Tag für Tag ungezählte Male mit Sir Benjamin telefoniert, und wenn der Diener es behauptet, ist es ja möglich, daß Sir Benjamin einmal etwas von einer ›Königin der Nacht‹ erwähnt hat, aber jedenfalls war das eine ganz belanglose Sache.«

Der gewandte Inspektor erwiderte seinen Blick und verbeugte sich zum Abschied.

»Natürlich«, gab er verbindlich zu. »Aber«, er hob ein wenig die Stimme und betonte jedes Wort, »vielleicht wird es Ihnen möglich sein, sich das betreffende Gespräch doch noch genauer in Erinnerung zu rufen.«

Mr. Hyman nagte an seinen wulstigen Lippen und nickte nur kurz. Erst als der Beamte bereits die Tür öffnete, rief er ihm nach: »Vielleicht.«

Dann hieb er mit seiner mächtigen Faust auf den Tisch und fegte mit einem Ruck den Berg von Zeitungen zu Boden.


 << zurück weiter >>