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7.

Der alte Aspalter schlich, auf den Weichselstecken gestützt, seinen Grund entlang. Es war ihm tägliche Gepflogenheit, dass er das Land, das er bebaut hatte, umging. Anderes konnte er nimmer verrichten. Sein Leib, der sich einst stattlich gereckt hatte, war nun verschrumpft und krumm; die Kraft, die sich in unablässiger Arbeit an diesem Boden ausgetobt hatte, war gering worden wie die eines Kindes; seine Seele war der Welt abgestorben. Nur für eines hatte er sich Liebe, Sinn und Sorge gewahrt: für den Fleck Erde, der ein achtzigjähriges rüstiges Leben lang seine Werkstatt gewesen.

Gelassen stapfte er dahin und schnob den Ruch der aufgeackerten Erde tief in die enge Brust ein. Er streichelte das junge Gras, als wäre es sein Enkelkind. Zu der besonnten Frühlingsscholle beugte er sich, als wolle er sein erkaltendes Blut daran wärmen und sich stützen an der urvertrauten.

Mit erfahrener Hand rüttelte er an den Zäunen, deren Flechtwerk die Saat behüten sollte gegen wildes und zahmes Getier; er prüfte die Gatter, ob sie eingehängt und zugetan und im guten Stand seien und kein Sprisslein daran fehle.

Mühsam kletterte er über die Stieglein und sah auf allen Feldwegen nach dem Rechten. Ob er auch den Besitz schon längst in die Hände des Sohnes hatte gleiten lassen, so tat er doch, als halte er noch immer die Zügel, und gebärdete sich als Herr und Eigner, dessen starrem Kopf sich alles zu fügen hatte.

In einem erhöhten Feldrain hatte er sich einen Sitz eingraben lassen und ihn weich mit Rasen ausgelegt. Von dort aus konnte er das Gehöft und fast den größten Teil des Anwesens überschauen. Nun rastete er dort von seinem Weg.

Der Hof, eine ansehnliche, burgartig geschlossene Vierung, lag abseits der Straße in einer heimlichen Mulde klug angelegt, begehrlichen Blicken entzogen und gesichert in seiner Einsamkeit. In den letzten Jahren, da die Weltläufte immer feindlicher und betrüblicher worden waren, hatte der Aspalter die Wege zu dem Hof verstrüppen und verwachsen lassen, und die Seinen gingen nur selten in die benachbarten Dörfer; sie schafften, wie es sich für einen rechten Bauern gebührt, sich selber all ihren Bedarf und lebten ganz für sich und abgesondert wie auf einer vergessenen Insel. So geschah es auch, dass die Kriegshaufen, die durchs Land reisten und längs den Straßen allenthalben sengten und schadeten, dieses stillen Winkels nicht inne wurden.

Der Alte lächelte in sich hinein. Hier ließ sich gehäbig hausen in der Geducktheit und mancher harte Wind überdauern.

Wie grün das übermooste Dach blinkte! Wie friedsam stieg der Rauch aus dem Gehöft! Eine grenzenlose Ruhe umspann die Gefilde. Fernab ackerte der älteste Enkel, ein hochstämmiger Bursch, echter Aspalterwuchs. Darüber zwischen Furche und Himmel hing selig die Lerche, der Bauernvogel. Und in den grünenden Zäunen und im rahmenden Wald schollen lebhafte Schreie, die Amsel schwegelte, der Ammering rief, die Hohlkrähe gellte.

Eine Blaumeise sank aus der Höhe herab und setzte sich auf die im Rasen rastende Hand des Alten und mochte sie wohl für einen Wurzelknorrling halten. Da empfand er, wie furchtlos die Vögel und Falter hier dem Menschen begegneten, und dass sie fast die Gefahr nicht kannten in dieser abwegigen Stille.

Doch als sollten seine Gedanken Lügen gestraft werden, merkte er im selben Augenblick, wie eine kleine Schar mit Bündeln belastete Leute aus dem Wald drunten drang und dem Gehöft zustrebte.

»Sie werden doch meinem Haus nix Böses anhaben?« dachte er. »Was haben die da zu suchen?« Misstrauisch raffte er sich auf und ging heimzu.

Unterwegs lauschte er oft, ob nicht von dem Hof Geschrei und Lärm herdringe. Aber nur halbverwehte Kuhglocken klangen und die Schellen der Geißen, und im Talgrund sauste der Bach.

Als er heim kam, saßen die Fremdlinge in der Stube, Mann und Weib und Kinder, blass und müd alle und staubig von der Straße.

»Die ganze Nacht sind wir gereist, ohne Rast gereist«, seufzte die Frau. Ein weinendes Kind hielt sie im Arm, die andern Kinder hingen ihr an dem Kittel. Der Schlaf lugte ihnen aus den übernächtigen Augen.

Die Bäuerin rüstete Eier und Suppe her und brachte eine Wiege. »Da tu dein Kind drein! Dann greint es nimmer!«

Der Bauer aber fragte den fremden Mann: Was treibst du dich in der Welt herum? Mit vier Kindern ist übel reisen.«

Der Mann streckte die Füße unter den Tisch und hub an, von sich zu erzählen. »Er ist einmal warm gesessen, der Handschuhmacher Hans Fröhlich, zu Enns in seinem stolzen Haus. Das Geschäft hat mich weidlich genährt, und bei den Zünften bin ich angesehen gewesen. Hernach ist aber die schlechte Münz kommen, und schließlich haben sie von mir begehrt, ich sollt päpstlerisch werden. Doch das Männlein in mir ist laut worden und hat nit zugelassen, dass ich untreu werd. Und drum hab ich in Linz Passbrief und Abschied begehrt, hab lieber in die Fremd gehen wollen, wo man meinen Glauben nit verachtet.«

»Vorerst aber haben sie uns die Soldaten ins Haus gelegt«, unterbrach ihn sein Weib, »drei wilde Kerle mit ihrer argen Sippschaft, den diebischen Weibern und Kindern. O, die haben uns hart zugesetzt! Unsern Speck haben sie sich in Schmalz braten lassen. Wolfsmagen haben sie im Leib gehabt. Einer davon, der Döll, hat auf einem Sitz vier Pfund Fleisch gegessen und hat noch nit genug gehabt. Und dass sie uns ganz kahl abgrasen, haben sich die Leut noch große Hunde gehalten!«

Sie schwieg und weinte in das Fürtuch.

»In Linz ist mir grober Bescheid worden«, fuhr der Handschuher fort. »Einen Schelm, einen Dieb haben mich die Amtsleut gescholten, ins Gesicht haben sie mir gespien, das Tintenzeug hat mir ein Schreiber auf den Kopf geworfen, gehaut haben sie mich, und schließlich hat man mir das halbe Vermögen als Steuer abgenommen. Sie hätten mir am liebsten den letzten Pfennig aus den Rippen gerissen. Und das Haus hab ich zu einem Spott hergeben müssen. Wer hätt es mir auch in der ungewissen Zeit gut gezahlt? Den leeren Beutel hab ich davon getragen. So hat man mich reisen lassen!«

Das Schreierlein lag nun in der Wiege gebettet. Die Kinder kauerten um die Mutter, die Köpfe an ihre Knie geschmiegt, das heimatlose Herdlein. Sie sagte herb: »So ist es. Durch die Steuern sind wir um alles kommen. Um Haus und Gewerb. Um Frieden und Glück. Wir sind Bettelleut. Wir sind ärmer als Bettelleut.«

Der alte Aspalter lehnte an der Tür, er lauschte mühsam, die Hand am Ohr. »Darf es denn so was geben auf der Welt?« staunte er.

»In Regensburg wär ich gern geblieben«, fuhr der Fremde fort. »Der Bischof hat uns nit in der Stadt geduldet. Und der bayerische Kurfürst hat uns auch sein Land nit vergönnt, hat sich gefürchtet, wir vergiften ihm mit unserm Glauben die katholischen Leut. Jetzt reisen wir heim.«

»Müd, voller Hunger, voller Unziefer«, klagte die Frau.

Traurig schaute er sie an. »Den Ähnel haben wir auch mitgehabt, einen gebrechlichen, wunderlichen Mann. Der hat in dem fremden Ort nit bleiben wollen, weil dort die Sonn' anderswo aufgeht als daheim. Der hat zuerst heimbegehrt, recht dringlich, recht flehentlich. Ist aber nimmer heimgekommen. Auf der Heimreise ist er gestorben. ‚Schmeißt mich in die Donau', ist sein letzte Bitt gewesen, ‚da tragt sie mich schön still an der Heimat vorüber!'.«

»Er hat es gut, sein Seel ist versorgt«, sagte sie. Leise schaukelte sie ihr Kleines. »Aber du, mein feins Kind, musst jetzt in einer fremden Wiegen liegen!«

»Und die Kinder haben halt auch heim wollen«, sagte der Handschuher. »Daheim, so haben sie geglaubt, muss alles wieder recht werden. Daheim sind sie vormals geborgen gesessen wie die Kern im Apfelgehäus. Und in Regensburg hat ihnen der Schmalhans gekocht. Und ich selber halt es im fremden Land nit aus. ‚Wo der Has aus dem Loch kommt, ist er am liebste', sagt man. Meinen Glauben muss ich halt jetzt verleugnen. Es geht nit anders. Der Herrgott wird ein Einsehen haben.« Aber mitten in dem bangen Entschluss stöhnte er: »Und nein und tausendmal nein! Ich kann nit abtrünnig werden. Hätt ja kein ruhige Stund mehr im Leben.«

»Was fangst denn hernach an?« fragte der Bauer.

»Ich leg mich in den Straßengraben und sterb«, sprach er trüb.

Die Handschuherin fragte gramvoll: »Und ich? Und die Kinder?«

Ratlos betrachtete er seine staubigen Schuhe und schwieg.

Das Kindlein meldete sich wieder, da wiegte sie es und summte dazu, doch schon halb im Schlaf, und das Kinn sank ihr auf einmal auf die Brust. Und als sie verstummte, begann das Kleine wieder zu schreien, und die Todmüde schrak wieder auf und summte. Und sie hielt inne, schaute groß um sich und sagte: »So ist es, wenn man ein Dach über sich hat.«

Der alte Aspalter humpelte durch die Stube, stellte sich vor dem Fremden auf und prahlte: »Dir geht es schlecht. Aber ich hab Grund und Boden, und den kann mir keiner wegnehmen und keiner wegtragen wie ein Schneckhäusel.«

»Aber dich können sie wegjagen, wenn du dich nit biegst«, antwortete der Handschuher.

In den Zügen des Alten malte sich eine ungeheure Verwunderung. Dann fuhr er auf: »Den möchte ich kennen, der uns vertreiben wollt! Ich gehör ja daher, bin mein Lebtag da gewesen. Wie ein Baum bin ich eingewurzt. Wer hackt mich um? Meine Leut sind hausgesessen da auf dem Fleck« – er dachte bekümmert nach – »tausend Jahr!«

Des alten Sohn, der Bauer, mischte sich ins Gespräch. »Das gibt es nit, Handschuher. In deiner Not willst du die Leut ängstigen, die in Ruh hausen. Seit unser Prediger verjagt ist, hören wir in der Einöd wenig Neues. Aber dumm sind wir deswegen auch nit, und narren lassen wir uns auch nit so bald. Wie könnt man denn uns Bauern verscheuchen? Wo sollten wir denn leben, wenn sie uns die alten Felder verbieten? He, sag! Wir kriegen ja nirgends Land mehr, es ist kein Joch Grund mehr auf der Welt ohne Herrn. Ein anderer kann leicht auswandern. Der Bauer nit. Du kannst überall deine Handschuh nähen, überall haben die Leut vier Finger und einen Daum. Aber der Boden ist überall anders! Wer ihn recht bauen will, muss ihn kennen hundert und hundert Jahr. Der Vater muss es dem Sohn sagen, was der Grund tragt und wie man mit ihm umgehen muss. Und der Sohn sagt es wieder den Nachkommen.«

Die Bäuerin rief: »Wenn sie uns die Arbeit nehmen, was soll ich dann mit meinen Händen anfangen? Sie sollen sie mir gleich mit der Axt vom Leib schlagen!«

»O Bauer«, sagte der Flüchtling, »du bist nit der Herr über deine Seel. Glauben musst du, was der Kaiser glaubt! Das Luthertum musst du verlassen. Zu Pfingsten musst du katholisch sein! Und wenn du dich spreizt und kein Lump werden willst, dann verlierst du das Landrecht und musst reisen wie ich in die graue Welt hinaus. Und du, alter Vater, deine Äcker musst du hinter dir liegen lassen und die Wiesen und den Garten, und die Bäume gehen auch nit mit dir und die Stauden auch nit. Abgetrennt wirst du von deinem Werk, als hättest du dein Lebtag damit nix zu schaffen gehabt.«

»Ist denn das möglich?« staunte der Alte. »Seit ewiger Zeit reuten und ackern wir da, und jetzt sollten wir auf einmal fort? Träumt mir was? Ein ganzes Volk von seinem Grund und Boden jagen, wisst ihr, was das heißt? Denkt drüber nach, und es wird euch grausen! Nur ein Teufel kann so etwas ausdenken!«

Draußen trappelten Rösser näher. Zaungatter wurden aufgerissen. Befehle und rauer Lärm.

Reiter drangen ins Haus.

Der Handschuher richtete sich auf, als wolle er fliehen. Sein Weib taumelte aus dem Schlaf, mit noch geschlossenen Augen hob sie ihr Kleines aus dem Bettlein. Die verschlafenen Kinder schrien.

»Ei, du Donnersketzer, bis du da untergeschlupft?« brauste ein Reiter den Hans Fröhlich an. »Heraus und in den Kotter mit dir und deinem Gezücht!«

Die Bäuerin legte sich ins Mittel. »Sie haben blutige, verschwollene Füß', die ganze Nacht sind sie gegangen. Lasst sie erst ein wenig rasten!« bat sie.

»Wir treiben ihnen die wehen Füß schon aus! Wunderliche Sprüng sollen sie uns machen!« Mit blankem Säbel trieben die Knechte das jammernde Häuflein davon.

Den Aspalter schnauzten sie an: »Und du, Bauerntroll, steh nit so breitmächtig auf deiner Schwelle! Wirst sie bald verlassen!«

»Wer kann mich zwingen?« rief der Aspalter.

Sie lachten. »Alle Bauern hauen wir davon. Aber erst scheren wir euch. Der Schafbock darf nit mit der Woll aus dem Land.«

Sie schwangen sich in die Sättel und ritten fort. Den Handschuher rissen sie am Bart hinter sich her. Wehschreiend schwankte seine unglückliche Sippe nach. Das Gehölz verhüllte den Jammer.

Der alte Aspalter stützte sich an der Tür. »Ich bleib lutherisch. Instament!« rief er »Und von meinem Hof treibt mich keiner, und wenn auch die ganze höllische Heerschar anruckt!«

*

Andern Tags kehrte der Ähnel von seinem Flurgang nimmer heim. Sie fanden ihn auf seinem grünen, blumigen Bauernthron tot sitzen, Augen und Mund staunend offen, die Hände in das flüchtige Gras verkrampft, als wolle er sich daran festhalten.

Da musste der Bauer nach langer Zeit wieder einmal ins Kirchdorf hinab gehen.

Ein fremder Pfarrer empfing ihn, ein hagerer Mann mit kalten Augen.

»Der Aspalter bin ich. Meinen Vater möchte ich in den Freithof schaffen«, sagte der Bauer. »Wie ein Christ soll er begraben werden.«

»Ich bin schon über ein Jahr da in der Seelsorg und kenn dich nit«, erwiderte der Geistliche. »Noch nie hast du bei mir eine Mess gehört, noch nie hast du bei mir gebeichtet.

»Die Ohrenbeicht haben die Leut erdichtet, nit der Heiland«, sagte der Bauer.

»Bist du auch so ein dreister Vogel?« zürnte der Pfarrer. »He, sag mir, ist dein Vater katholisch gestorben? Wer nit im römischen Glauben gestorben ist, der ist kein Leichnam. Und ein Aas gelti ich nit zur Grube, und die Glocken dürfen auch nit geläutet werden!«

Ein Hass zackte in dem Bauern auf, rot und grell. Vor lauter Hass konnte er dem Geistlichen nimmer in die Augen schauen.

»Hast du so viel Gewalt?« fragte er. »Willst du meinen Vater verscharren lassen wie einen Hund? Wie einen, der selber Hand an sich gelegt hat? Einem jeden Raubersknecht, der gehenkt wird, läutet man das Glöckel. Und einem Bauern, der alleweil Gott geehrt und kein Unrecht getan hat, willst du das Geläut verweigern?«

»Schimpf nit, sonst sperr ich deinem Vater den Freithof!« drohte der Geistliche. »Nach der Ordnung unserer Kirche soll jedem, der das heilige Gut in zwei Gestalten genossen hat, der Freithof verboten sein.«

»Willst ihn gar unbeerdigt lassen, dass die Säu ihn fressen?« heulte der Bauer.

In Schmerz und Wut jagte er heim.

Er fand den Toten schon eingeschreint. »Zunageln!« schrie er. »Schnell zunageln!«

Seine sieben starken Buben standen um die Sargtruhe herum.

»Zunageln!« herrschte er sie an. »Oben am Rain graben wir ihn ein.«

»Bist du närrisch worden?« sagte die Bäuerin. »In die geweihte Erd gehört er. Wo anders findet er keine Ruh und muss umgehen.2

Der Aspalter kehrte sich nicht dran. »Die Schaufeln her und die Riedhauen! Droben bei seinem Rastsitz grabt ihm die Grube!«

Und er legte den Arm über das Gesicht und brach in einen krampfhaften Schrei aus.


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