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5.

Der Mond stand Schildwache vor dem Hausruckwald.

Mit Stauden dicht umgeben, daraus sich je und je ein Ulmenbaum türmte, lagerte weiß angeleuchtet der Fadingerhof.

Die Stube war finster. Der Mond dämmerte schmal herein und goss seinen Schein über die breite Tischplatte, darauf zwei zerarbeitete, schwere Hände ruhten, deren Besitzer im Dunkel lehnte.

Der Wirt zu Sankt Aiden, der Kristof Zeller, wühlte in seinem knisternden Bart. »Unser Land ist wie ein Vieh, dem die Zung heraushängt«, eiferte er. »Die fremden Soldaten fressen uns aus. Die Geiermäuler werden nimmer satt. Die Steuern sind nimmer zu erschwingen. In den eigenen Sack wollen die Herren und Prälaten nit langen, und so schindet man alles aus uns Bauern heraus. Wir halten es nimmer aus!«

»Wie die Trud liegt der Soldat auf uns«, murrte der Hans Günther. »Und der Mutwill wird allweil ärger. Auf der offenen Straße haben sie mir jüngst ein Kälbel weggenommen. Am helllichten Tag.«

»Gib dich zufrieden, dass sie dich nit niedergestochen haben!« tröstete der Georg Egger. »Sie habenschon viel ehrliche Leut umgebracht, die Soldaten.«

»Mit unsern evangelischen Büchern zünden sie unter, sieden sich die Hechte dran«, klagte der Achaz Wiellinger. »Sie laden uns zu viel auf. Ein Stier könnt es nit ertragen.«

Der Student Kasparus hob die schöne, sinnende Stirn, im Mondlicht schimmerte sie geisterweiß. Seine Lippen zuckten. »Und der Herbersdorf …?«

Da brannte der Hass auf. »Der Blutknecht! Der Schinder! Der Mördermeister!« zischten die Bauern. »Versuchen will er, wie weit er uns misshandeln kann!«

Die zwei groben, mächtigen Hände auf dem Tisch zitterten, die Finger krümmten sich, setzten die Nägel steil in das Holz.

»Habt ihr von dem Grafen was Gutes erwartet?« grollte der Kristof Zeller und kratzte sich die schroffe Schramme, die sich seine Stirn aus dem Passauer Krieg geholt hatte. »Der Graf, dem luthrischen Glauben ist er abtrünnig worden. Und ein Abtrünniger ist allweil der ärgste Hetzhund.«

»Eines dürfen wir ihm nimmer vergessen, den Aderlasser!« raunte Kasparus wild. »Siebzehn Landsleut haben sich die Marterkron geholt an der Haushamer Linde! Siebzehn unschuldige Männer hat der Graf erbärmlich gemordet! Ohne Verhör! Ohne Urteil! Ohne Recht! Darunter Leut, die bei dem Aufruhr gar nit dabei gewesen sind! In grausamer Verspottung hat er sie würfeln lassen um ihr Leben! Das Herz des Teufels hätt sich erbitten lassen vor solchem Elend. Der Graf nit. Nachbarn, denkt an das verspritzte Blut zu Frankenburg!«

Den Menschen in der Stube verging der Atem. Der Wind seufzte draußen in der Herbstnacht. Die groben, mondhellen Hände auf dem Tisch wandten sich um und höhlten sich, als wollten sie all das Blut auffangen, dessen hier gedacht ward in Zorn und Leid.

»Und wir halten wie die Hammel das Genick dem Fleischhacker hin!« schalt der Wirt zu Sankt Aiden. »Wir knotzen faul daheim und saufen unsern Most! He, dem Grafen sollten wir eins geigen!«

Kasparus, der Student, begann wieder: »Man begnügt sich nit mit unserm Tod. Das ist ihnen zu wenig. Hört zu! Der Kaiser begehrt, dass wir allsamt bis Ostern katholisch sind oder das Land verlassen.«

Die Männer bäumten sich auf, stießen die Stühle geräuschvoll zurück. »Das ist nit möglich! Das kann der Kaiser nit verlangen! Mitten in unsere Seel darf er nit greifen! Das geht über seine Gewalt.«

Nur der Mann im Dunkel rührte sich nicht. Doch seine mondlichen Hände, seine rauen Finger krümmten sich, zogen sich zusammen, bis zwei kantige, strenge Fäuste auf dem Tisch wuchteten.

»Es ist wahr«, beharrte Kasparus. »In Linz ist heut das Gebot feierlich verkündet worden. In Eferding ist es an der Kirchtür angeschlagen. Ich hab es gelesen. Und darum hab ich euch da auf dem Hof zusamm berufen.«

Der Georg Egger hub zu jammern an. »Allweil schon hab ich es gesagt, wir kommen auf den Haberhalm, unsere Häuser werden vergantet, unsere Kinder werden müssen betteln gehen! Man wird uns auch noch den Bettelsack aus der Hand reißen.«

Ein Grauen ließ die Bauern schweigen: sie sahen sich in unbekannter Ferne heimatlos und todmüd rasten auf fremdem Rain, entlegen der vertrauten Erde der Ahnen, fern dem vererbten Gehöft.

Da sprudelte der Kristof Zeller hitzig heraus: Am besten wäre es, wir Bauern rennen schleunig aus dem Land. Nit einer darf zurückbleiben. Alle Äcker sollen brach liegen. Hernach kann der Kaiser mit seinem Gescherr dreinschauen, wo er das Fressen hernimmt. Er soll dann selber Mist führen und ackern. Und die Kaiserin soll die Gäns hüten und die Geiß melken mit der Kron im Haar!«

»Nachbar, jetzt redest du nit wie ein Bauer«, sagte der Hans Günther bedächtig.

»Was sollen wir denn sonst anfangen?« polterte der Zeller. »Klagen wir unsere Not dem Kaiser, so klagen wir einer Stiefmutter. Und es geht so nimmer weiter. Es frisst uns die Wurz ab.«

»Nur eins kann helfen«, redete halblaut der Student. »In alten Zeiten hat der Bauer mit Widerstand und Waffen aufbegehrt gegen seine Zwinger.«

»Oha, willst du da hinaus Kasparus?!« rief der Egger. »Du tätst uns eine saubere Suppe einbrocken!«

Der Student eiferte: »Schlechter kann es uns nimmer gehen! Unser Blut müssen wir in die Schanz schlagen, die Ketten brechen und in den Abgrund schleudern!«

Der Egger schüttelte den versorgten Bauernkopf. »Den Krieg anfangen, ist leicht. Das liegt in unsrer Gewalt. Aber der Ausgang nit. Denk an das Prager Blutgericht, Student! Der böhmische Aufruhr, lauter Herren waren dabei, und wie hat er aufgehört? Mit Marter und Tod! Alles ist verloren gangen. Die Fäust und die Köpf sind ihnen abgehackt worden!«

Der Kristof Zeller hörte nicht hin. »Kasparus, du hast recht«, rief er. »Dreihauen müssen wir. Der Graf muss mit seinen Knechtender die Herberg räumen. Wir gehen nit; sie müssen aus dem Land!«

»Der Graf findet Beistand und Helfershelfer«, warf der Egger ein. »Unsre Dörfer wird er ausbrennen.«

»Wir müssen uns wehren«, sprach der Achaz Wiellinger. »Und hinter uns stehen die evangelischen Landesherren. Und der Mannsfeld hilft uns, der Prinz von Siebenbürgen, der Türk.«

Der Egger lachte grimmig. »Freund in der Not, o weh! Traut den großen Herren nit! Sie schauen nur auf den eigenen Nutz. Und die Türken sollen uns beispringen? Pfui Teuxel! Versündet euch nit!«

»Mal nur allweil recht schwarz!« fauchte der Zeller ihn an. »Gift mich nit mit deinem Geschrei, du alter Klagvogel! Ich reit gleich aus der Haut!«

Der Egger ließ sich nit irren. »Ja, wenn die Bauern aufgestanden sind, haben sie es allweil starkmächtig angegangen. Die Burgen haben geraucht, von den Bergen ist das Herrenblut niedergeschossen wie ein Wildbach. Und der Kaiser mit seinen eisernen Rittern ist erschrocken. Der Mann, der schwitzend und bucklet, gepeinigt und verachtet hinterm Pflug gangen ist, er hat sich aufgereckt bis ins schwarze Gewölk. Aber wie ist das Lied ausgegangen? Was ist es zu guter Letzt mit dem Armen Konrad gewesen? Was mit dem Bundschuh? Am Schindanger unterm Hochgericht ist das Bauernglück verscharrt worden! Der Herrgott soll und hüten, dass es uns nit auch so geht!«

Da regten sich die mächtigen Hände auf dem Tisch, weit spreiteten sich die knorrigen Finger, als wollten sie Besitz ergreifen von einer endlosen Fläche. Und ein schwerer Männerkopf beugte sich vor ins Mondlicht, eine trotzige, faltenzerschluchtete Stirn, geflankt von breiten Schläfen, eine gerade, kräftige Nase, ein voller, struppiger Bart, sinnende und doch lebhafte Augen, und der Stefan Fadinger sprach: »Ist es groß und wild gewesen und ist das Wagnis auch groß und wild und der Ausgang nit gewiss, wir können den Druck und die Schand nimmer leiden! Die Not ist über alle Waffen! Das reine Wort Gottes müssen wir uns bewahren. Aufspringen wollen wir! Es muss sein!«

Es muss sein! Eine himmlische Kraft drang aus diesem festen Wort.

»Es muss sein!« frohlockte Kasparus.

»Es muss sein!« lachte der Zeller. »Auf, wir schlagen den Teufel auf die Schwarte!«

»Fangt es nur nit zu hoch an!« spöttelte der Egger zornig. »He, habt ihr auch Geld, ihr Kriegführer? Geld ist dem Krieg sein Herz uns Seel.«

Der Fadinger redete: »Ich hab einmal erzählen hören, es gibt ein Kräutel, das wächst auf dem härtesten Boden, am liebsten auf der Tenne, die der Flegel steinhart gedroschen hat. So ein herzhaft Kraut, hoff ich, sind auch wir: genügsam in der Wurz, langsam im Wachstum, aber trutzig im Bestand! Ja, wir werden unsere Sach redlich und mannhaft führen!«

»Übereilt es nit!« warnte der Egger. »Schneller Rat schafft Reu. In den Harnisch bringen wir den Grafen leicht, heraus aber nit. Und wie sollen wir schlechten Bauern losgehen gegen sein gerüstet Volk?«

»Können wir nit die Waffen heben?« erwiderte der Fadinger feurig. »Viele von uns haben gegen den Türken gefochten, gegen die Passauer sind wir aufgeboten worden, in Böhmen haben wir gestritten. Und wer von uns sich nit auf das Büchsenrohr versteht, mit der Mistgabel kann er gewiss umgehen. Und wenn die Drischeln und Sensen zu wenig werden, wir brechen uns einen Prügel vom Wald und schlagen drein.«

Der Egger blickte den Fadinger hart an. »Und dem Kaiser sollen wir die Treu brechen?«

»Ich – pfeif auf den Kaiser!« rief der Kristof Zeller.

Der Fadinger aber sagte: »Wir haben gegen den Kaiser nix. Den Herbersdorf und seine Beamten wollen wir wegputzen. Ist das Landel frei, so geben wir Bauern es dem Kaiser zurück. Dafür wird er uns danken. Das alte Herkommen, den alten Brauch wird er wieder herstellen. Die Steuern und Lasten werden sinken, wenn wir die Soldaten nimmer nähren müssen. Und bei unserem Glauben wird man uns lassen.«

»Und dich, Stefan Fadinger, spannen wir vor!« rief Kasparus.

»Du bist der rechte Mann, Nachbar! Du gehst voran und führst uns!« Die Männer drängten sich um ihn, boten ihm die Hände.

Der Fadinger wehrte verlegen ab. »Ich nit! Ich bin ein dummer Bauer. Ich – kann nit schreiben.«

»Das tut nix, Schwager«, sagte der Zeller. »Es finden sich Schreiber und Schulmeister genug, die dir an die Hand gehen.«

»Nehmt einen andern!« bat der Fadinger. »Seht, da ist der Wiellinger, der hat edles Blut in sich. Und vor hundert Jahren hat auch ein Ritter die Bauern geführt mit eiserner Hand. Seht, da ist der Kasparus! Sein Seel fliegt ein Falk hoch droben.«

»Du musst der Feldhauptmann sein«, drängte der Student. »Ich bin zu jung.«

Der Egger nickte sauersüß. »Ja, mit jungen Ochsen soll man nit pflügen, sonst macht man krumme Furchen.«

»Führ du das Heft, Fadinger!« sagte der Achaz Wiellinger. »Dein Ansehen ist groß. Hinter dir wird die ganze Bauernschaft stehen. Du bist streng, fest, nit zu geschwind. So taugst du uns. Herzhaft Werk will herzhaften Mann.«

Der Fadinger rührte sich nicht.

»Geh, sei du unser Obrist!« beschwor ihn Kasparus. »Du darfst uns nit absagen! Die Zeit begehrt nach dir. Wenn wir noch länger stillhalten, sind wir ein verlorenes Volk, vertrieben oder in Schand abgefallen von unserem Gott. Nimm an das herrliche Amt! Du hast ja selber gesagt: ‚Es muss sein!'«

Da atmete der Bauer mächtig auf. Und er sagte: »So will ich es halt auf mich nehmen. Um der Sach willen.«

Der Mond verklärte sein stolzes, ein wenig schwermütiges Gesicht.

»Heb an, Steffel! Der Herrgott vollendet es«, sagte der Kristof Zeller feierlich.

Freudig und doch mit einer leisen, fremden Scheu grüßten die Männer den Führer, und es deuchte sie plötzlich, er stünde fern von ihnen auf einem andern Ufer.

Mit dem Kienbrand leuchtete er dann den Freunden ins Freie, und sie entfernten sich auf Waldsteigen und dünnen Wiesenwegen in den kühlen Herbst.

Spät in der Nacht weckte die Bäuerin den stöhnenden Mann. »Wach auf, Steffel! Der Traum tut dir weh.«

»Der Graf!« murmelte der Fadinger. »Heimgesucht hat er mich wieder. Gestern. Heut. Jede Nacht, Weib, schau meine Stirn an! Ich mein, ich schwitz roten Schweiß.«

Er lag dann wach und wehrte sich gegen den andrängenden Schlaf.

Als er sein Weib wieder im Schlummer atmen hörte, stieg er leise aus dem Bett, legte sich an, und nachdem er aus einer Truhe zwei Kerzen geholt hatte, eine weiße und eine rote, schlich er aus dem Gehöft.

Im nahen Gehölz hatte einst der Blitz eine Grube in die Erde gerissen. Darin zündete der Bauer jetzt die Kerzen an und befestigte sie auf dem Feld. Zu der weißen sagte er: »Du bist dem Fadinger sein Leben.« Und zu der roten: »Du bist der Graf. Sehen will ich, wer gewinnt, ich oder du.«

Der Mond war in den Wald hinab geflammt. Es schwelte die todschwarze Nacht.

Dem Fadinger fielen die Augen zu. Ein hastiger Traum entspann sich. Den Weg daher kroch ein abgeschlagener Kopf, mit den Zähen, mit den Lefzen bewegte er sich im Grase fort und ließ eine dunkle, rote Spur hinter sich. Und dem Kopfe kroch auf ihren fünf Fingern eine blutig abgeschlagene Hand nach.

Sie erreichten den Träumer nicht. Denn er war schaudernd aufgefahren.

Still brannten die Lebenslichter. Das Wachs troff nieder.

Ein mürrischer Schuhu rief.

Der Wind rührte sich. Da wurden die Flämmlein unruhig, sie bogen sich schier bis an die Grenze des Verlöschens, erholen sich wieder und flackerten. Mit verhaltenem Atem beugte sich der Bauer vor und starrte.

Das rote Wachs war früher niedergeschmolzen. Nur auf einem winzigen Stümplein noch regte sich bang das Licht. Und der Fadinger knisterte: »Graf, du gehst zuerst dahin!«

Doch der Nachtwind stieß tückisch nieder. Und das Bauernkerzlein erlosch. Der Docht glomm, rauchte. Das rote Stümplein hatte sich behauptet.

Der Fadinger trat es auf und stand im Dunkel.

Die Arme hingen ihm schwer. »Das – das könntest du so verhängen, Herrgott?« Er fragte zu den steilen Gestirnen hinauf.

Über die abgetanen Felder ging er seinem Gehöft zu.

Ein schwefelgreller Stern stürzte über den Wald nieder gegen Linz.


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