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17.

Das Öllicht brannte trüb und ließ in seiner Unkraft das finstere Gebälk der Bauernstube im Schatten. Hin und wieder floss ein flüchtiger Schein durch die bleigefassten Gläser des Fensters, wenn ein Bote mit der Fackel vorüber huschte.

Kasparus wachte an dem Lager der siechen Feldobristen. In all den stöhnenden Schmerzensnächten war er nicht von ihm gewichen.

Der Feldscher flüsterte ihm zu: »Jetzt schläft er. Vor lauter Müdheit schläft er.«

»Ist keine Hilf mehr?« fragte der Student.

»Die Kugel hat das Bein völlig zersplittert«, erwiderte der Arzt. »Die Wunde ist brandig. Der Tod steht an seinem Bettfuß. Ich geb keinen Judenheller für sein Leben. Ihr aber, Kasparus, solltet ein paar Tropfen oleum lunae nehmen. Das hilft gegen die Melancholei.« Und ehe er ging, deutete er auf den Kranken zurück. »Er stirbt nit leicht. Weil er nur eine Herzkammer hat. Das heißt man ein ganzes Herz. Und ein solches bricht schwer.«

Kasparus war allein. Er beugte sich über den Schlafenden. Eine borstige, gräuliche Raupe kroch über dessen Stirn. Der Student fasste sie, seinen Ekel beherrschend, und schleuderte sie weg. Ihm war, er habe damit einen qualvollen Traum von der Seele des Fadinger genommen.

Nun lag die mächtige Stirn frei. Edler und geistiger war sei als früher, da Schmerz und höchste Verantwortung noch nicht darunter gewohnt hatten. Tief waren ihr die Furchen nächtlichen Sinnens eingepflügt. Strenge Falten strahlten von den Augenwinkeln aus und spannen bis zu den bleichen Schläfen hin. Das Haar war ganz grau geworden.

Jetzt zuckten die trockenen, fieberzerrissenen Lippen, die Augen öffneten sich unsagbar traurig und starrten den Studenten an. »Kaiser« flüsterte der Fiebernde, »warum lässt du mich verdürsten?«

Kasparus bettete ihm das Haupt weicher und bequemer und bot ihm einen Krug Wasser, und der Kranke trank in endlosem, gierigem Zug.

Die Kühle des Trunkes klärte ihm das Auge. »Wie lind ich liege!« lächelte er ganz schwach.

»Fadinger, hör, soll ich nit heimschicken nach Sankt Aiden?« fragte der Student. »Dein Weib wär gern bei dir, tät dich gern pflegen und legen …«

Der Kranke lauerte auf. »Ist es schon so weit mit mir?« Und hernach sagte er müd und langsam: »Hab nix mehr zu schaffen mit Weib und Kind,- schon lang nimmer …«

Schweigend starrte er zur Stubendecke empor.

Dann hub er eintönig an: »Wir Bauern sind ein verachtetes Volk. Und doch ist alles, was wir tun, nur Mühsal und wiederum Mühsal, und unsre Arbeit ist so redlich und so notwendig. Die Welt könnt ohne uns nit einen Tag bestehen. Warum sind wir den Grafen und Herren pflichtig mit Zins und Fron? Hat denn uns allein der Heiland nit erkauft und erlöst durch seine Marter? O die Herren! Sie täten gar verlangen, dass wir ihnen Pflug und Egge ziehen wie das Vieh!«

»Einmal wird es besser«, tröstete Kasparus. »Nur warten müssen wir.«

»Warten, warten, allweil warten!« flüsterte der Kranke.

Kasparus strich ihm sanft über die Hände. Er hob die schwärmerischen Augen. »Fadinger, ich seh ihn gehen frei ins Feld, deinen Urenkel. Wie steil hält er das Genick! Lachend wirft er die Saat aus! Keinem Herrn ist er untertan. Er dient allen Menschen!«

Da wob en träumerisches Lächeln um den Mund Fadingers und machte ihn kinderzart. Und der Mann nickte sanft, nickte dem fernen, befreiten Enkel zu. »Ich hab auch eine Handvoll Saat ausgestreut«, murmelte er.

Aber plötzlich riss es ihn wild auf, als hätte ein Unhold seine Seele inne. »Kasparus«, schrie er schmerzlich, »eine Frag! Wozu ist der Mensch da?!«

Fiebernd sank er zurück, stammelnd: »Hol den Schuster! Schnell, schnell! Die Schuh soll er mir flicken! Ich – hab – einen weiten Weg.« Er röchelte.

Der Student jagte hinaus, rüttelte den jungen Egger wach. »Schütz, hol die Hauptleut! Es geht mit ihm dahin.«

Als der Fadinger aus tiefer Ohnmacht noch einmal zu sich fand, standen die Männer an seinem Lager. Vor lauter Traurigkeit konnten sie nicht reden.

Der Sterbende erkannte sie. »Leut, ihr müsst euch jetzt einen andern suchen, einen bessern!« sagte er. »Ich bin zu langsam gewesen, hab manches versäumt. Bin halt kein kriegsverständiger Mann, bin ein geringer Mensch. Ich hab es halt auf mich genommen. Und jetzt, in der Sterbstund, fürcht ich, die armen Leut zahlen drauf.«

Da trat der Madlseder vor, der Stadtrichter zu Steyr. »Freund«, sagte er fest, »wir können uns gewisser Hilf getrösten. Unsre Bauern haben Freistadt erobert, das Machlandviertel ist unser. Der Bassa von Bosna ist auf der Streife, der Mannsfelder soll durchgebrochen sein. Unser Krieg ist weltkundig worden. Die luthrischen Brüder helfen.«

Der Kristof Zeller eiferte: »Mit eisernem Faustring schlagen wir ans Linzer Tor! Der Graf wird gekrochen kommen wie der Wurm aus dem Ohrloch.«

»Es wäre schon recht!« flüsterte der Obristhauptmann. »Männer, bleibt nur bei einand wie Stahl und Eisen! Und schaut darauf, dass die Unsern nix Unrechtes tun in der wilden Zeit! Was bis jetzt Schlimmer getan worden ist von dem bäurischen Heer, es soll auf meine Rechnung geschrieben sein. Ich trag es.«

»Der Herrgott wird und verstehen«, sagte der Berndl.

Der Fadinger schloss die Augen. Ein jähes, kindlich schönes Wahnbild umfing ihn. Der Himmel wellte vor ihm wie ein endloses goldenes Kornfeld, und mitten drin stand ein strahlender Geist, den Mond wie ein Sichlein in der Hand. Auf gewölbten Wolkenalmen graste stilles Vieh mit silbernem Gehörn. Weiße Wasser klangen von rätselhaften Höhen nieder, und von ihrem Schwall getrieben, drehte sich des Herrgotts Mühle mit langsamem, feierlichem Rad.

»Und dennoch! Dennoch!« murmelte er und ward sich wieder der Stunde bewusst. »Auf der Welt möcht ich wieder hinunter, möcht wieder der Fadinger werden, streiten – für das ewige Wort!«

Kasparus trat leise zu ihm und legt ihm eine Ähre in die Hand.

Er sah sie liebreich an. Und er sprach: »Alles hat sein Stund, wo es blüht und wo es dahin fällt. Nix geschieht vor der Zeit.«

»Schwager«, redete er plötzlich laut den Kristof Zeller an, »wie steht das Korn?«

»Der Kern wird voll, Bauer«, antwortete der, »nur im Halm ist es ein bisslein kurz.«

»Fadinger, noch eins müssen wir dich fragen«, sagte der Berndl. »Wer soll uns führen, wenn du dahin bist?«

Der Kranke stierte ihn an, er formte den Mund, wollte reden und konnte nicht mehr. Sein Gesicht wurde ganz weiß und schmal.

»Jesus, sei der armen Seel gnädig!« rief der Achaz Wiellinger.

Der Zeller lauschte an den Lippen des Feldobristen. Der Atem hob sich nimmer. »Er hat es überstanden«, sagte er. »Wir haben es noch zu gewarten.«

Kasparus nahm erschüttert die todeskühlen Hände, sah das stille Haupt ruhen in vergeistigter Würde.

Er durchschaute das Schicksal, das diesen Mann aus der Niederung seines Amtes plötzlich wie einen Speer hoch warf über sein Volk hinaus, in der Höhe aufzuglänzen und nach kurzem Flug gestillt zurück zu sinken in die dunkle Heimat.

Schmerzdurchdrungen klagte Kasparus nieder zu dem edlen Leichnam: »Tot bist du, du auserwählter, unverdrossener Held! In unsrer Not ist aus denen Händen hilfreich uns das Schwert erblüht. Du hast unser Gewissen geweckt. Treuherzig und gerad, ohne Ehrsucht, nur der Sache wegen hast du die ungeheure Pflicht auf dich geladen wie unser Heiland das Kreuz. Du bist der gute, der starke Mensch unseres Volkes gewesen.«

Dann übermannte den Studenten die Größe des Verlustes, und es war, vor seiner Ahnung reiße der Schleier, der künftiges Verhängnis bedeckte, und er schleuderte sich über die Leiche hin und heulte: »Tot! Tot! Tot!«


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