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2.

Der neue Pfarrherr Eruperantius Siebenhirl, ein in Bayern als unwürdig entlassener Priester, kam mit einem Haufen Soldaten ins Dorf. Er fand die Kirchtür versperrt.

Als er erfuhr, dass der verscheuchte Prediger dem Bauern Wolf Brandstetter, den Gotteshausschlüssel zur Verwahrung eingehändigt hatte, klopfte er dort an. Doch der Bauer stellte sich trutzig. Den Schlüssel habe er in den Brunn geworfen, sagte er nackt und bündig, und wenn jemand in die Kirche wolle, so solle er eine Leiter anlegen und zum Fenster hineinsteigen.

Als er erfuhr, dass der verscheuchte Prediger dem Bauern Wolf Brandstetter den Gotteshausschlüssel zur Verwahrung eingehändigt hatte, klopfte er dort an. Doch der Bauer stellte sich trutzig. Den Schlüssel habe er in den Brunn geworfen, sagte er nackt und bündig, und wenn jemand in die Kirche wolle, so solle er eine Leiter anlegen und zum Fenster hineinsteigen.

Doch waren die Kirchfenster sehr schmal, und der Pfarrer hinwieder war ein ansehnlich breiter Mann, so dass des Bauern Rede wie ein Spott biss. Und der Herr Exuperantius Siebenhirl wurde gleich rot wie ein Zinshahn und schalt: »He, du Hundsbub, das zahl ich dir heim!«

Er rannte zur Kirche zurück, davor die Landsknechte lümmelten. »Sprengt das Tor auf!« rief er schon von Weitem.

Fluchend machten sich die Kerle ans Werk. Mit einem Balken rammten sie in die Tür, bis sie wich.

Hernach stiegen sie in den Turm hinauf und fassten die Glockenstränge. Der alten Glocke entquoll ein hässlicher Klang. Ein krummer Riss ging durch ihr Erz. Zersprungen war sie damals, da man sie um ersten lutherischen Gottesdienst geläutet hatte. Die kleinen Glöcklein klagten gell wie verzärtelte Kinder, die man aus dem Schlaf stört.

Der Geistliche meinte, nun müssten die Bauern mit Weib und Kind und Gesind daher trotten und gaffen, wie er das durch die Ketzer entwürdigte Haus aufs Neue weihe, die verbannten Heiligen wieder aus der versponnenen Turmkammer herab hole, auf die Simse stelle und die alten Ehren feierlich wieder einsetze, sonderlich den heiligen Florian.

Doch stieg rings von den Gehöften keine Mutterseele herab, ein zerlumpter Schwartenhals ausgenommen, dem das trunkene Elend aus den Augen troff. Hinkend kam er daher, griff heftig nach der Hand des Pfarrers und presste den roten, feuchten Schnauzbart drauf.

»Hihi, der Zwigel bin ich«, kicherte er. »Katholisch will ich werden. Und einen Mesner brauchst du auch, Pfarrer. Und der Mesner wäre ich gern.«

Ergrimmt über den dürftigen Fischzug, herrschte der Geistliche die Soldaten an: »Treibt mir das Gesindel zu! Zwingen muss man es! ‚Recht gern!' sagt der Bauer, wenn er muss.«

Hurtig schwärmten die Knechte aus, besuchten die Gehöfte, stießen die Türen auf, ließen die Waffen in die Stube leuchten und drohten: »Bauer, wenn es heut läutet, musst du mit deinen Leuten in die Kirche gehen! Sonst –!« Ihre harten Augen versprachen Übles.

Und gegen Abend lärmten die Glocken abermals, wirr und unregelmäßig schollen sie durcheinander: der neugedungene Mesner war seines Amtes noch nicht erfahren, und die ungestümen Hände der Soldaten halfen ihm.

Drei Knechte stellten den Brandstetter auf freiem Acker. Über den Pflug gebückt, stapfte er hinter dem Gespann einher, dumpf in sich verschlossen und nur der Kraft zu leben scheinend, womit er die Schar in die Erde drängte.

»Bist du töricht?« schnauzten sie ihn an. »Hörst du es nit läuten?«

Er ließ sich nicht irren. »Ich bin lutherisch. Hüo, Scheck!«

Die drei rasselten mit den Waffen. »Du gehst mit, oder wir schlagen dich tot!«

»Mit Säbel und Kolben wollt ihr mich selig machen?« lachte der Bauer rau.

»Du bist der ketzerische Bösewicht, der sich mit Stichelreden heut an dem hochwürdigen Herrn vergriffen!« schnarchte ihn einer an. »Du wirst ihm darum heut als erster die Beicht ablegen und ihn abbitten!«

Der Brandstetter wischte sich den Schweiß von der Schläfe und trocknete sich die Hand an den kurzledernen Hosen. »Meine Sünden sag ich keinem ins Ohr. Der Herrgott kenn sie schon von selber.«

»Darüber magst du mit dem Pfarrer streiten. Der wird dir schon triftig antworten«, riefen die Knechte. Sie zerrten ihn grob vom Pflug weg, und da er sich mit behänder Kraft sträubte und sie seiner nicht gleich Herr wurden, schlug ihn einer über den Schädel, dass ihm das Blut aus den Haaren rieselte.

Da fügte er sich.

Eben hatte sich der Pfarrer, von dem hinkenden Mesner umwedelt, in den Chorrock geworfen, als die Knechte den barhäuptigen, blutenden Bauern in die Sakristei herein schoben.

»Mit Schergen schleift man mich in die Kirche!« stöhnte der Brandstätter. »Päpstischer Herrgott, du kannst den Freud an mir haben!«

»Zu beichten begehrt er«, lachten die Soldaten. »Wir wollen zulosen!«

Der Pfarrer erkannte den Bauern. »Bereust du deine störrische Red?« sagte er. »Knie nieder! Räum dein Seel aus! Schwemm sie in einer gottgefälligen Beicht! Tritt heraus aus dem lutherischen Unflat, auf dass es dir wohl ergeh auf Erden!«

Wachsbleich stand der Bauer. Seine Stimme bebte, aber sein Herz war fest. »Um irdischen Vorteil werd ich nit zum Meineider!«

»Schmeißt ihn hinaus!« kreischte der Pfarrer.

Da fielen die Knechte über den Bauern her, würgten ihn, schlugen auf ihn ein und stießen ihn ins Freie hinaus. Draußen entrang er sich ihrer Wut und flüchtete.

Ein Reiter riss die Faustbüchse heraus und wollte ihm nachschießen.

»Mein, lass ihn leben!« wehrte der Geistliche ab. »Schad ums Pulver!«

*

In der nach alter Art kunstvoll erbauten und lieblichen Kirche warteten die Bauern. Die Angst vor der Gewalt der Kriegsleute hatte sie hereingetrieben.

Vorn im Chorstuhl auf der Betstaffel kniete ein vergilbtes Greislein, die müden Hände vor der Brust verrungen, die Augen bald in entrückter Inbrunst auf den Altar gerichtet, wo heute nach langer Zeit wieder der lockige, ritterlich gerüstete Marterer Florian prangte, bald zur Wölbung der Kirche starrend wie einer, der eines himmlischen Verkünders harrt.

Dieser Alte in der zerschlissenen Kutte hatte vor vielen Jahren das Florianikirchlein versehen und mit stillem Herzen und schüchternen Händen die raue Gemeinde geleitet zu einem rechten Leben und zum ewigen Heil, bis der feurige Prediger ins Dorf kam, über die stammelnde Einfalt des Pfarrers siegte und die Seelen dem Luthertum zuführte.

In den letzten Jahren, da er seines Amtes waltete, war die Not seine Hauserin worden, und der helllichte Bettel war bei ihm daheim. Die geistlichen Gefälle trugen nichts mehr ein, auch ließ er nimmer mit dem Klingelbeutel sammeln, weil ein Vogel drin zu brüten anhub und er in der Güte seines scheuen Gemütes ihn nicht in dem mütterlichen Geschäft stören wollte. Schon lange hatte er keinem mehr das Weihbrötlein gespendet, weil es niemand von ihm begehrte. Im Jahr 1600 am Gottesleibstag waren von den einhundertacht ihm anvertrauten Seelen nur zwei bei ihm erschienen: der eine ein Sterbender, den Zweifel und Höllenfurcht zurück jagten zu dem alten Glauben, der andere der Zwigel, ein verrufener Scherg, der sich ihm zum Mesner anbot, aber mit bösen Verwünschungen wich, als er abgewiesen worden.

Das Pfarrerlein wohnte hernach, von keinem seines abtrünnigen Gemeinde vermisst, in einem dunkeln Stüblein und wagte sich nimmer hinaus in das unverständliche Leben. Man wusste nicht, wovon er lebte, kümmerte sich auch nicht darum.

Sein Nachbarspfarrer hatte das bessere Teil ergriffen. Der hatte das Elend nicht überlebt. Ins Pfarrbuch hatte der geschrieben: »Ostersonntag, da man zählt nach Gottes Geburt das Jahr 1605. Anheut nemo in der Messe. Niemand.« Tags danach war er gestorben.

Und jetzt kniete der vergessene Priester nach einem Menschenalter schier wieder im Chorstuhl. Sein einfältiges Herz begann wie eine Rosenknospe zu treiben, ein glückliches Lächeln besonnte das Antlitz, und die blassen, entfärbten Augen zielten gegen die Sakristei, daraus jetzt siegreich der Nachfolger kommen sollte. Der würde mit frischer Faust das Fähnlein wieder aufrecken, das der Greisenhand entglitten war. Der würde mit der Macht des flammenden Wortes, mit hartem, klarem Willen und frommem Beispiel die verirrte Herde wieder zurückleiten in den Strahl des Heiles, der da auszückte von dem allein seligmachenden Rom. Und wenn sich dann die Stirnen der widerspenstigen Bauern demütig und zerknirscht neigen, wenn sie wieder heimkehren in den Arm der alten, muttertreuen Kirche, o dann wird der Natternstich der Verantwortung und das Gefühl der Schuld in der Brust eines alten Mannes aufhören und eine Seele in unendlichem Frieden gestillt und selig verklingen.

Also starrten zwei weltmüde Augen, darin als letzte Kraft die Sehnsucht glomm, zur Sakristeitür.

Und sie wurde ungestüm aufgerissen, und ein Mann, plump, feist, mit dreifachem Kinn, angetan mit Birett und geistlichem Kleid, ein Büchsenrohr in der Linken, trottete herein. Er stieg schnaubend die Staffeln zur Kanzel empor, stand droben wie ein Wolfsjäger, tat Pulver auf die Pfanne, setzte die Lunte dran und ließ das Maul des Rohres in die erschrockene Gemeinde hinabdrohen.

Auf dem Chore quetschte ein Soldat, ein verjagte Schulmeister, der Orgel ein verstimmtes Lied ab. Der neue Pfarrer sang dazu. Er hatte im Gegenspiel zu seinem derben Leib eine weiche, welsch anmutende Kehle und kam darum nicht gegen die lärmende Orgel auf, deren Groll die Scheiben sumsen machte. Also schrie er mitten im Lied zu den Leuten hinab: »Soll ich das heroben allein pfeifen wie ein Jochgeier auf dem Kogel?«

Mit zusammengerückten Brauen saßen drunten die Bauern, stierten kerzengerade vor sich hin in die Luft und ließen den fremden Gesang über sich ergehen. Nur selten erhob einer den unholden Blick zu dem Menschen, der mit dem Feuerrohr von der Kanzel herab zielte. Mit den Zähnen hielten sie die Zungen fest.

Nur das Altpfarrerlein krähte mit seiner abgetanen Stimme eine Weile mit. Hernach aber merkte er, dass er Wort und Weise falsch sang, und er tastete nach seinem dünnen, verfallenen Hals, schluckte ein wenig und schwieg verlegen.

Als die Orgel vertobt hatte, rasselte Herr Experantius Siebenhirl ein überstürztes Vaterunser und drehte hernach die quellenden Augen hinauf zu dem Eulenloch an der Wölbung, als müsse der Heilige Geist daraus herab fliegen, auf seiner Achsel rasten und ihm eine anmutige, geistreiche Rede eingeben.

Aber es drang polternd und ungefüg über diese fleischigen Lippen.

»O ihr irrköpfischen, verstockten Bauernesel! O ihr Teufelszeugen! Euer Heil weiset ihr grob zurück. Den allein wahren Glauben beschmeißt ihr. Aber der Satan soll mich stracks von der Kanzel da holen, wenn ich euch den Trutz nit austreibe! Wartet, euch will ich die Planeten lesen! Ich will euch wieder lehren, die Händ heben zur lieben Unserfrau und zu dem heiligen Floriani, der für euch Lümmeln hat müssen den Martertod sterben. Der bayerische Kurfürst und sein Statthalter zu Linz, Seine hochgräfliche Gnaden der Herr Graf Adam von Herbersdorf werden euern lutherischen Aftergott mit Butz und Stingel austilgen. Merkt euch, wer Luthern glaubt, dem Erzketzer, dem versperrt der Herrgott die himmlische Pforte! Und das nehmt auch mit heim: wer aus dem Kelch sauft, der sauft dem Teufel sein Blut. He, das tät euern bäuerischen Rüsseln wohl gefallen, wenn ihr von mit einen feinen Aschauer Wein ausgeschenkt kriegtet am Altar! Ja, da täte ihr rennen und euch alle Viertelstund speisen lassen! Ihr unbescheidenen Bauern! Dem Herrgott wollt ihr das Wetter und dem Kaiser den Glauben fürschreiben!«

Mit den Fäusten trommelte er in die Kanzel hinein. Jetzt aber stockte der plumpe Fluss seiner Predigt. Er kraute sich den braunen Haarkreuz um seine Platte, hüstelte ein wenig und legte sich die hohle Hand vor die Stirn.

Erst nach einer hübschen Weile stieß er erlöst heraus: »Ja, ja, der Martin Luther! Dem Teufel sein Sachwalter ist er gewesen, der ihn häufig genug heimgesucht hat. Aufgehängt hat er sich und sein Kather! Hahaha!« Mit tollem Gelächter brach er die Predigt ab.

Das Altpfarrerlein im Chorstuhl taumelte in die Höhe. Mit den müden Händen deckte er sein Gesicht. Ihm war, er müsse sich das blutende Herz aus der Brust heben und es der Gemeinde weisen wie eine Monstranz.

Schluchzend ging er zur Kirche hinaus.

Die Landsknechte, die am Tor Schildwache hielten, verstellten ihm den Weg. Doch der Herr Exuperantius Siebenhirl winkte: »Der ist ein Narr. Dem soll man nit wehren.«

Da ließen sie dem Alten freien Pass.

Indes nun der Pfarrer in einförmig singendem Ton eine Litanei anhub, strich der Zwigel mit dem Klingelbeutel längs den Bänken dahin.

Unter dem Zwang der lauernden Soldatenaugen warfen die Bauern ihr Scherflein darein. Doch konnte sie es sich nicht versagen, dem Mesner ihre Wut zu zeigen. »Du Ducker, ich wünsch dir viel Glück«, zischte der Rembs ihm zu. Und der Stradinger raunte: »Um wie viel Silberlinge hast du dich verkauft?«

Der Zwigel hörte nicht hin. Er humpelte auf die Kanzel hinauf, bog auf der letzten Stufe das Knie vor seinem Herrn und leerte den Beutel in dessen hohle Hände.

Am Freithof draußen hielt ein eisgrauer Mann das hohe Holzkreuz umklammert. Die Stirn drückte er an die harte Kante, die Lippen suchten ein Gebet und fanden es nicht, und weiße, hoffnungslose Zähren stürzten nieder auf die dürre Erde.


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