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1.

Wo das Gebirg gegen die Donau niedergeht, mitten im Wald, läutete ein Hammer hastig in den grämlichen Tag und zerstückte mit seinem Schlag ebenmäßig das schwere, endlose Rauschen des Stromes und das müdere Sausen des herbstlichen Laubes.

Über dem Tor der Schmiede an verwitterter Wand war ein Reim zu schauen. Den hatte sich wohl vorzeiten ein Meister hinsetzen lassen, der mitten im Lärm seines Werkes kopfschüttelnd sich der rätselhaften Feindseligkeit der irdischen Dinge gegeneinander besann.

Einen Jammer
hebt das Eisen zum Hammer:
»Was schlägst du mich so hart?
Sind wir nit zugleich von einer Art?«

In der wölbigen Werkstatt wartete der Michel Eschelbacher der Esse. Mit dem Blasbalg hetzte er das Feuer auf. Er schaffte einsam: die Ungunst der Zeit litt nicht, dass er sich einen Gesellen dingte.

Ein altbärtiges Bäuerlein lehnte an der Schwelle und schaute dem Meister zu, der ihm eine eiserne Schiene um das Rag schlug, das es von seinem Hof zum Amboss her gerollt hatte. Der graue Nebel schien an seinem Haar zu hangen, auf seine Schultern zu drücken. »Mein Gott, ja«, seufzte der Alte, »es wird allweil schlimmer. Allweil schlimmer wird's. Der Bauer soll nur geben und geben. Und kann doch nimmer klecken. Die Steuern steigen. Das Geld hat keine Kraft mehr: legst du noch so viel hin, du kriegst nix dafür. Und gar das Wetter! Der Herrgott macht es für die feiernden Leut. Für uns Bauern gewiss nit. Er bringt kein rechtes Bauernwetter mehr zusammen. Verlernt hat er's. Das Kraut am Feld lasst er verschmachten. Ins Heu lasst er es regnen. Der Herrgott! Der Herrgott!«

Dem Schmied zuckte es in dem überrußten Gesicht. In seinen Augen spiegelte das trübe Geflacker der Esse. »Ja, Zachriesel, der Herrgott ist ein wunderlicher Mann. Ist halt schon alt. Und schlaft gern. Zieht sich die Tuchent über den Kopf. Will sein liebe Ruh haben.«

Grob schlug der schwarze Meister auf den Amboss hin, als wolle er den schlafenden Himmel aufschrecken. Der rote Gneist sprühte, an der Mauer klirrte das Eisen, das Gewölb hallte, und es war, das Haus bebe bis in die Grundfesten hinab.

Da drang eine traurige, sanfte Stimme in die Werkstatt herein. »Schmied, du läutest mir ein hartes Valetglöckel!«

Der Michel Eschelbacher warf den Hammer hin, wischte sich die Hände in den Schurzfleck und trat ins Freie.

Draußen wartete wegfertig und gerüstet mit Stecken und Bündel der ehrwürdige Mann, der dem Dorfe seit vielen Jahren das Wort ausdeutete, das der Menschheit in den heiligen Büchern überkommen war. An ihn schmiegte sich verweint und vergrämt sein Eheweib, und eine Gemeinde betrübter, ratloser Leute gab ihm das Geleit.

Der Prediger lächelte wehmütig. »Spitz mir den Stecken, Meister! Er muss mich stützen auf dem Weg ins fremde Land.«

»So ist es wirklich so weit kommen?« stammelte der Schmied.

Der Geistliche senkte die leidvolle Stirn. »Ja, ins Elend müssen wir scheiden. Es ist keine Bleibstatt auf der Welt. Lass mich noch einmal bei dir rasten, Freund!« Müde ließ er sich auf einen rauen Steinwürfel nieder, an dessen Ringe ansonst die Rösser gebunden wurden, die zu beschlagen waren.

»Nit länger als acht Tag duldet man uns noch im Land«, jammerte die Pfarrerin. »Mit Trommeln und Trompeten hat es der Kaiser verkünden lassen: alle lutherischen Prediger und Schulmeister müssen abdanken. Ausgejagt werden wir!«

»Den Hirten nehmen sie uns armen Schafherdlein«, klagte der Gabriel Schrembs, »dass uns der römisch Wolf umso leichter verschlingt!«

In heller Kümmernis hub der Prediger an: »Dem reinen Wort hab ich allweil treulich gedient. Und hab gehofft, ich werd einmal den Hirtenstecken und die irdische Hülle mitten unter euch, meine Lieben, ablegen und mich behaglich unter dem Leichenstein ausstrecken dürfen. Unser Friedhof ist ein gar trauter, weltgeschützter Ort. Doch haben sie ihn mir nit vergönnt.«

»Wer segnet uns jetzt mit deutscher Red? Wer speist uns jetzt mit unserm Herrgott seinem Brot und Wein?« brach die Holzleitnerin leidmütig aus. »O wir ganz armen, verlassenen Leut!«

»Gottes Wort lass ich euch als mein Vermächtnis zurück«, tröstete nun der Prediger. »Und lasst euch mein Schicksal nit allzu hart zu Herzen gehen! Alles Erdenglück ist kläglich und dem Zufall ausgesetzt. Lernt leiden! Der Herrgott selber hat bitterlich leiden müssen: auf offenem Feld haben sie ihn gekreuzigt. Und ist doch in seiner schrecklichen Marter nit irr worden in seinem Weg.«

Der Schmied aber legte die Faust an die Brust. »Der Heiland, der muss ein anderes Blut getragen haben als ich. Ich kann nit dulden. In meinen Adern geht es drunter und drüber. Und ich glaub, wir dürfen es nit zulassen, dass man unsere Geistlichen verscheucht. Wehren müssen wir uns!«

»Ja, aufbegehren sollten wir, die Zähn herzeigen!« rief der Schrembs.

Der alte Zachriesel hielt sein Wagenrad gefasst und stand dahinter, als wollte er sich damit schirmen. Er räusperte sich, und mit flatterndem Blick, mit spöttischem und dennoch verzagtem Mund sagte er: »Ja, wehr dich, Bauer, wenn du kannst! Das ganze Land steckt voller Soldaten. Und der Statthalter schickt sie dir in die Stuben, die Landsknecht mit den blechernen Hosen. Schatzen und schinden werden sie dich. Den roten Vogel stellen sie dir aufs Dach. Da wehr dich, Bauer! Nein, nein! Wir müssen uns geben.«

»Der Kaiser!« ergrimmte der Lenhart Stradinger. »Spottschlecht ist er beraten. Wie könnt es anders sein! Er beichtet einem Jesuiten!«

Ehrfürchtig zog der Zachriesel den Scheibenhut. »Der Kaiser ist nit schuld. Die Schuld tragt der bayerisch Kurfürst, dem er unser Landel verpfändet hat. Der Kaiser weiß gar nit, wie hundsschlecht es uns geht. Wenn er's wüsst, er tät drein greifen. Tät zu uns her reiten und helfen. Gleich wär's besser.«

Droben im grauen, unwirschen Wind klafterten die schwarzen Flügel der Krähen. Heimatlos zogen die Wolken.

Ein Wagen rollte träg vorbei, von Ochsen gezogen. Die Habe des Predigers führte er durch den Wald gegen die Donau.

Die Pfarrerin starrte erschüttert dem Fuhrwerk nach. »O, wo werden wir wieder eine Heimstatt finden?« schluchzte sie.

»Lass gut sein!« redete der Prediger ihr zu. »Unser Leid führt uns zu Gott. In ihm sind wir geborgen und daheim.«

»Das Herz frisst es mit ab!« sagte das Weib des Lenhart Stradinger. »Bleibt bei uns! Wir verstecken euch. Es kommen wieder bessere Zeiten.«

Er wehrte ab. »Ich dank dir. Aber es tät nit gut. Der Feind tät uns bald aufgreifen. Und du könntest dann Leib und Gut verlieren.«

»Wir werden noch alle verjagt werden!« schrie der Schrembs auf.

Ein Rabe krähte hämisch.

Der Prediger erhob sich. Der Wind spielte ihm im ergrauten Haar. »Der Vogel segnet mir die Reise. Auf, liebe Frau, jetzt fahren wir gegen die Donau nach Regensburg. Was hilft es, dass wir noch säumen? Ihr, meine gute Gemeind, ihr bleibt da, bei diesem Haus da trennen wir uns. Es ist heut des Jammers genug gewesen. Ich mag ihn fürder nit hören.«

Jetzt erhob sich erst das Elend. Heulend hielten sich die Kinder an den Kittelfalten der Pfarrfrau. Die Weiber fassten sie an den Händen und umhalsten sie und weinten die hellsten Tränen. Die Bauern umringten ihren Prediger.

Der Schmied bat: »Ehrwürden, noch einmal speiset uns!«

Der Pfarrer brachte aus seinem Bündel Brot und Kelch und Wein herfür, und unter dem bloßen Himmel, unter dem hastig treibenden Gewölk des Spätjahres, im herben Wind und fern der verlorenen Kirche reichte er zum letzten Mal die fromme Zehrung. Lechzend öffneten sich die Munde danach und genossen sie in Schmerz und Zorn.

»Gebt mir das Nachtmahl!« begehrte der Abraham Wibmer. »Gebt mir es für zehn Jahr. Dass ich versorgt bin, wenn sich der Handel länger hinzieht.«

Der Prediger mahnte: »Bleibt dem reinen Augsburger Bekenntnis zugetan! Nimmer dürft ihr zulassen, dass man euch das reine Wort entreißt!«

Da fuhren die Männer auf. »Wir lassen uns den reinen Glauben nit nehmen! Eher sollen sie uns in Fetzen hauen, eh wir vom lauteren Wort Gottes weichen! Wenn wir untreu werden, so soll der heilige Wein in uns gleich zu Gift und Eiter werden!«

»Ehrwürdiger Herr«, sagte die Sabindel, ein Weib, verknorrt und bucklig und uralt wie ein Stock im Wald, »Ihr habt uns vom Paradeismann erzählt. Mit Löwen hat er gespielt und mit Wölfen. Warum hat der Herrgott den wunderschönen Frieden abgeschafft?«

Mit weiten, ungewissen Augen blickte der Prediger sie an. Heute wusste er ihr keine Antwort.

Gegen die Gemeinde gewandt, zeichnete er mit seiner weißen, welkenden Hand ein Kreuz in den Wind. »Friede alle Friedlosen!«

Sein Weib an der Hand, am Rücken das armselige Bündlein, schweigend, trauernd, ergeben setzte er den Stab für sich hin und ging. Er kehrte sich nimmer um.

Der Ahorn brannte grell durch den Nebel. Der Wald nahm die Verstoßenen auf.

Schaudernd im nebelkühlen Wind weilte das Geleit noch lange vor der Schmiede, und sie spähten sehnlich nach dem Wald hin, als müsse der vertraute Mann lächelnd wieder zurückkehre wie zu Kindern, die man scherzend in Angst treibt und dann wieder versöhnt.

Und hernach redeten sie von vergangenen guten Zeitläufen und von den neuen bösen, und als der Schrembs meinte, die katholischen Herren hätte üble Dinge vor, und es würde nicht früher Ruhe, als bis der Bauer dreinschlüge, da lachte der Schmied grimmig: »Nur her zu mir! Ich wetz euch die Spieß'.«

Der Zachriesel jedoch beutelte ängstlich den kleinen Kopf. »Wir dürfen nit aufbegehren gegen die Obrigkeit. Der Herrgott hat sie uns vorgesetzt. Nach dem Kaiser seinem gnädigen Willen müssen wir leben und sterben.«

»Oha, Zachriesel«, entgegnete die Sabindel, und die feurigen Augen stachen ihr aus dem zerknitterten Gesicht. »Wenn der heilige Paulus auch sagt: ‚Jeder sei der Obrigkeit untertan mit Furcht und Zittern!' so ist es ein noch größeres Gebot, dass man dem Herrgott mehr folgen soll als den Menschen.«

»Und wenn sie mir den schönsten Bauernhof für meinen Glauben geben wollten, ich nähm ihn nit«, rief der Wolfgang Schwabel, ein recht armer Bauernknecht.

»Wollt ihr einen Aufruhr anzetteln?« redete der Zachriesel. »Wisst ihr, was das ist, ein Krieg? Ich denk noch, wie der Passauer Bischof den Krieg hat zu uns lassen. Hui, die Reiter haben gezündelt! Hui, das Blut ist gebrünnelt! Und der Obrist, der Rammauf, sauber hat er uns das Landel hergerichtet! Und wen hat es betroffen? Und wen trifft es allweil und ewig? Uns! Uns! Uns gemeine Leut! Nur keinen Krieg mehr, um Gotteswillen nit!«

»Wenn er aber aufbrennt, der Krieg, wer dämpft ihn?« raunte der Schmied.

Der Zachriesel duckte sich hinter seinem Rad. »Ich misch mich nit drein«, flisperte er, »von mir kann es keiner verlangen.«

Die Sabindel hub zu erzählen an. »Merkt auf, was sich im verstrichenen März begeben hat zu Peuerbach! Mitten in der Nacht weckt den Totengräber eine Stimm, er soll dreimal in den Freithofkot greifen. Er geht zu einem Grabhügel, den er gerad tags vorher aufgeworfen gehabt hat, dreimal greift er in die frische Erden hinein. Zum ersten zieht er eine dürre Hand heraus, zum zweiten eine feiste, zum dritten – eine blutige.«

Bange rückten die Lauscher näher um die Ähnelfrau. Ihr schlotterte das verdorrte Kinn. »Die magere Hand«, also legte sie die gespenstische Märe aus, »die bedeutet ein missrätig Jahr. Da zweite Jahr ist gesegnet. Im dritten Jahr, Leut, da haust der Krieg bei uns.«

Aller Atem stockte. Mit fliegender Brust tranken sie die wilde Deutung ein.

»He, und ist das heurige Jahr nit voller Misswachs gewesen?« fuhr die Alte fort. »Leut und Kinder, ihr habe es erlebt. Und das Brot ist heut noch nur so groß wie eine walische Nuss und ist sündteuer, kostet einen Pfenning. Es hat freilich vormals noch weit ärgere Zeiten gegeben. So denk ich, dass es einmal sieben Jahr dürr gewesen ist. Sieben Jahr, liebe Kinder, sieben Jahr haben wir keine Drischel in die Hand genommen. Das Dreschen hätten wir bald vergessen.«

Ein zartes Dirnlein unterbrach die versunkene Alte. »Gelt, Ahnel, aber im künftigen Jahr wird das Korn über unsern Wald hinaus wachsen?«

Die Greisin nickte. »Ich seh den seligen Sommer kommen«, weissagte sie. »So schwer und reich hangt die Frucht am Baum, dass die Äste brechen. Die Ernte kann man schier nit bergen in ihrem Überfluss. Die Erde kann sich nit genuttun: zweimal blühen die Rosen im Jahr. Kinder, in meinem langen, langen Leben weiß ich nur ein einzig Jahr, das reicher gewesen ist.«

Die Augen der Wunderlichen wurden fern, und ihre Seele sank zurück in verschollene Tage. »Ja, dazumal haben wir sie viel Heu und Grummet und Korn heim gebracht, dass es schier den Stadel gesprengt hätt. Und im selben Herbst ist ein Kind verloren gangen, ein Dirnlein. Man hat es lang gesucht, hat es aber nimmer gefunden, hat gemeint, es ist gestohlen worden, weil es gar so fein gewesen, oder es wäre in dem großen Bach, in der Donau, ertrunken. Seine Mutter hat sich schier ins Grab geweint. Im Lansing hernach, wie das Heu allweil weniger worden ist, steht einmal der Knecht im Stadel und hebt mit der Gabel das Heu heraus. Auf einmal hört er es schreien in dem Haufen drin: ‚Stich mich nit! Stich mich nit!' Da tut er fein fürsichtig das Heu auseinand und sieht das verlorene Kind drein sitzen, gesund und rotgeschlafen die Wangen.«

Da staunten die Zuhörer und vergaßen sich in die Unermesslichkeit der sagenhaften Ernte, die einen Menschen verhüllen konnte einen Herbst und einen Winter lang.

Aber der Schmied störte den guten Traum.

»Und hernach kommt das blutige Jahr«, sagte er.

Die Männer erblassten. Erschrocken tappten die Weiber nach ihren Kindern. »Gott soll uns behüten!« seufzte der Zachriesel.

»Kann es denn für uns noch ärger kommen?« meinte der Wolf Brandstetter. »Den letzten Groschen pressen uns die Soldaten ab. Sättigen müssen wir sie, die nit satt werden können. Und wenn wir klagen, gibt man uns von Linz aus zur Antwort, niemand könnt uns helfen.«

»Ja, es geschehen Zeichen«, flüsterte der Schrembs. »Es zieht was auf. Bei Wesenurfahr haben die Soldaten ihre Rösser in der Donau geschwemmt. Da schwimmt ein Wels daher und schnappt mit dem Rachen. Ross und Reiter haben sich vor ihm schier nimmer retten können. Der Fisch ist so groß gewesen wie ein Stier.«

»Das unvernünftige Vieh begehrt auf«, murrte der Schmied. Und wir lassen uns geduldig schinden von dem übeln Volk!«

»Sie sollen uns peinigen, wie sie wollen!« rief die Stradingerin. »Wir können dennoch die römische Lehr nit annehmen. Das Gewissen lasst es nit zu.«

Die Sabindel redete: »Unsere Vorfahren sind von Rom abgefallen, weil der Papst ein Kramer worden ist. Gottes Gnad hat er verkauft um sieben Gröschlein. Um Geld hat sich jeder Schelm von der Höll loskaufen können. Und wenn auch alle Wege nach Rom führen, wir gehen keinen zurück.«

»Mein Ähnel hat mir erzählt, wie es kommen ist, dass er nimmer päpstisch hat glauben können«, begann die Rembsin. »Damals hat bei uns ein Pfaff gelebt, der hat es nach dem Evangelisten Lukas seinem Wort gehalten: ‚Liebe Seel, rast aus, iss, trink und hab guten Mut!' Sein Psalterlein hat er gar eilends gelesen, dass keiner nix davon verstanden hat. Aber gesoffen hat er wie ein Pfälzer. Ein Pluzer Most ist ihm lieber gewesen als der schönste Heilige. Und im heißen Sommer hat er in der kühlen Kirche mit seiner Hauserin getrunken und arge Lieder dazu gesungen. Und einmal in der Mess hätt er vor lauter Trunkenheit bald den Altar umgeschmissen. Und wie er hätt aufwandeln sollen, da schreit er: ‚Die Grasfrau sticht!' In seinem dicken Rausch ist er noch mitten drin im Kartenspiel gewesen. Meinem Ähnel aber ist angst worden um sein himmlisch Heil. ‚Der bringt mich nit in die Seligkeit', hat er sich gedacht und ist noch am selben Tag lutherisch worden.«

»Es sind auch fromme Leut unter den Pfaffen gewesen, aber die meisten haben kein gutes Beispiel gegeben«, sagte die Sabindel. »Mancher hat vor lauter Lustbarkeit für die Sterbenden nit Zeit gefunden, hat sie sterben lassen. Das hat viele andächtige Leut abgeschreckt. Und wiederum hat manchen der Geiz besessen. Wie den Pfarrer Pausbärtel. Der hat sich nit begnügt mit billigem Seelschatz. Das Erdreich für die Abgeschiedenen hat er über alle Maßen teuer verkauft. Und wie er gestorben ist, hat man ihm den Schlüssel zu seiner Geldtruhe aus der Hand brechen müssen.«

»Ja, die schlechten Geistlichen sind viel Ursach gewesen, dass das Volk sich dem deutschen Herrgott zugekehrt hat, der durch den Doktor Luther gewaltig zu uns geredet hat«, meinte der Michel Eschelbacher. »Aber was heben wir jetzt an in unserer Verlassenheit? Der Mann, der uns mit unserm Gott bekannt gemacht hat, der uns die Schrift ausgelegt hat, der ist vertrieben worden.«

Die uralte Sabindel kauerte auf dem vergilbten Rasen, die Bibel auf den Knien, die neunzigjährigen Augen zielten nieder gen die schwarzen Buchstaben, und sie las: »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mit, dein Stecken und Stab trösten mich.«

*

Derweilen reiste der Prediger zu Schiff davon. Die Rösser auf dem Treppelweg am Ufer zogen an langen, straffen Tauen die Zille dem Strom entgegen. Die Reiter fluchten und peitschten darein.

Mitten in ihrer geringen Habe saßen Mann und Weib und starrten der zurückfliehenden Heimat nach und dem stillen, lieben Leben, das sie dort geführt hatten.

Am Gestade lungerte eine Rotte Landsknechte und brüllte ein Lied, den Vertriebenen zu Schanden.

»Wer hat euch so gut Füß gemacht?
Ihr lauft, dass das Geripp euch kracht.
Verlorner Hauf, wer jagt dich doch?
Es treibt dich nur des Teufels Joch.
Ihr streift dahin in übelm Ruhm
mit euerm armen Luthertum.«

*

Als die Nacht andrang, lag die Schmiede wieder vereinsamt. Der Michel Eschelbacher räumte bedächtig Hammer und Schröte vom Amboss, dass dieser über Nacht leer bliebe. Hernach holte er mit dem großen Hammer aus und gab nach uraltem Herkommen dem Amboss eine kalten Schlag und rief: »Teufel, die Kette schmied ich dir fest!«

»Hau noch einmal hin! Hau härter zu!« hetzte ihn die Schmiedin. »Die Kette ist schon schleißig. Oder ist der höllisch Drach gar schon ledig!«

Der Meister verrammelte die Tür und löschte das Feuer in der Esse, denn er spürte, dass der Wind, der jetzt so traurig um das Hauseck pfiff, in der Nacht zu einem schweren Sturm schwellen werde. Hernach tauchte er die schwarzen Arme in ein Wasserschaff, sie zu reinigen. Und wie er sich dazu niederbeugte, ergellte es ihm im Ohr, als besiegelten all die vielhundert Schmiede im Land mit dem letzten rüstigen Hammerschlag ihr Tagwerk in dem Glauben, das Böse härter in seine Fesseln zu schirren.

Als die Eheleute dann im Bett lagen, hörten sie es im aufgewiegelten Wald draußen rauschen und die Buchen sich biegen und die Ulmen ächzen. An den Fensterläden rüttelte es, und der wilde Wein draußen kratzte an die Wand. Im Gesang der entfesselten Luft lag es wie bange Klage.

Der Schmied wälzte sich ruhlos von einer Seite auf die andere. »Das Dach hebt es uns noch aus«, sorgte er. »Ein entsetzliches Wetter! Der Teufel tritt den Blasbalg.«

Sie seufzte: »Wunderlich genug geht es zu auf der Welt!«

»Ja, Weib, weil auf der Welt der Herrgott und der Teufel ihren gemeinsamen Rain haben.«

Gen Mitternacht packte die Schmiedin den Mann jäh beim Arm. »Hast du es gehört?«

Der Sturm war ins Unermessliche gewachsen. Das Haus erbidmnete. Und in das eherne Gedrähn brachen dreistarke, drängende Schläge.

Der Schmied sprang auf. »Vorm Tor ist einer!«

Sie wollte ihn halten. »Tu nit auf! Der Satan selber wartet draußen. Eine Pfaffenköchin will er beschlagen lassen!«

Rau schüttelte er sie von sich. »Ein Verirrter könnt es sein. Obdach verlangt er in der schrecklichen Nacht.«

Die eiserne Stange schob er zurück. Das Tor ging auf.

Im weißen Mondschein auf der Schwelle stand ein Riese, den Sturm im Bart, tief in die Stirn herab den breiten Scheibenhut, aus dessen Schatten die Augen wie zwei wildfeurige Ampeln glühten. Die Schultern deckte ihm eine Bärenhaut, mit einem Dorn vor der Brust verspangt.

»Wer bist du?« staunte der Schmied. »Bist du aus der wilden Jagd heruntergefallen?«

Hinter dem wehenden Bart vermummt, stand der Fremde. Der Sturm rüttelte an seinen Brauen. »Ich bin der alte Wut mit dem breiten Hut«, erwiderte er. Bald schien er uralt zu sein, bald wieder im vollsten, starken Mannestum zu blühen.

»Lass mich auf deinem Amboss rasten, Gesell!« sprach er. »Von weit komm ich her.«

Eine wundersame Scheu wandelte den Schmied an, er wusste nicht warum. Er ließ den Fremdling allen in der monddämmernden Werkstatt.

Aufrecht im Bett sitzend, hörte er den unheimlichen Gast schmieden mit tosender Kraft.

Als er frühmorgens das Gewölb betrat, war der Nächtliche verschwunden. Tief in die Tenne hinab gehämmert war der Amboss, und darauf gleißte wie ein greller Tauber ein breites Schwert.


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