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4.

Vor dem Grafen Adam von Herbersdorf lag ein breites Falknerbuch aufgeschlagen, darin geschrieben stand, wie man das wilde Gefieder zähmt und untertänig macht.

Der Graf schien nicht nach diesem Wissen zu verlangen. Er grübelte finster zum Fenster seines Schlosses hinaus.

Nebel umgeisteren den Traunstein. Mit düsterem Wellenschlag beunruhigte der See die Klippe, darauf das Schloss Orth errichtet war. Schaum grünte auf den erregten Wassern wie Galle.

Der Statthalter langte nach dem Zettel, den er in der ersten Wut auf den Teppich hingeschleudert hatte. Der Pfleger Grünpacher hatte ihn durch eine Boten heimlich geschickt.

Der römische Geistliche, der mit der Pfarre Frankenburg hätte bestallt werden sollen, misshandelt und verjagt, in Bettelmannskleidern entsprungen, dass ihn die Mordschar nicht erkenne! Der Pfleger in seinem Schloss belagert und bedroht von bewaffneten Bauern und nur mit einem Kniff sie beschwichtigend und zum Abzug bringend, indem er ihnen einen Schein ausstellte und darin gelobte, dass der Aufruhr nicht geahndet und fürder niemand mehr in seinem Gewissen beschwert werde, wobei er aber letzten Endes alles dem Einverständnis der Obrigkeit und dem Spruch der gerechten Richter vorbehalten!

In seinem Zorn brauste der Graf auf wie ein vom Sturm angefallener Baum. »Bis zum Tod will ich die erschrecken!« knirschte er.

Mit den Zähnen fasste er den Zettel und zerfetzte ihn. Dunkel wurde es ihm vor den Augen; ihm war, vor Wut müsse er erblinden.

»Das Land will keine Ordnung leiden«, murmelte er. »Aber es soll ein für allemal Ruh werden! Ich will hart zugreifen. Der Kurfürst soll mit mir zufrieden sein.«

*

Im Haushamer Feld laubte eine Linde, im Lande wohl bekannt: ein grüner, mächtiger Flurwächter; ein Wahrzeichen, weithin sichtbar; dem Hirten ein Obdach gegen die Wucht der sommerlichen Sonne; dem Wandersmann eine kühle, rastliche Stätte; vielleicht ein uralt Mal, wo sich vorzeiten verschollene Stämme begegneten und besprachen.

In vieltausend grünen Herzen hing das Maienlaub am Baum. Wer hätte es zählen können! Ein Vogel drin sang andächtig von der lieben Welt.

Vom Himmel flog ein unendlich zarter Regen. Und das Hirtenmädchen, das dort die Kühe weidete, löste sich die flachsenen, dürftigen Zöpflein, tänzelte und sang: »Mairegen, Mairegen, mach mit das Haar lang und eben!« Der Rasen schlürfte das süße, leere Geträuf, Gras und Laub flüsterten lieblich, es schauerte durch die erquickte Saat, und der Vogel in der Linde wurde immer holder, und es war zu staunen, wie gewaltig sein seligweises Lied aus der winzigen Brust drang.

Das versprühte Wölklein aber reiste weiter, das Lieb versiegte, mittagsschwer ruhte es auf Baum und Flur, und die Hirtin trieb das Vieh davon.

Klarer trat nun aus dem Dunst des Südens ein nacktes, schartiges Gebirg, die Runsen und Giebel noch verschneit; ein Riesenland, dräute es herein in den Frieden der grünen Bauernerde.

Und hernach belebte sich das stille Haushamer Feld. Auf allen Wegen und Steigen kamen Bauern daher, einzeln und nachdenklich oder in Rotten und raunend. Aus all den benachbarten Dörfern und Flecken kamen die Männer zu tausend und tausend, scharten sich um die Linde und taten sich nach ihren Gemeinden zusammen.

Dem Geheiß des Grafen folgten sie, der sie an diesem Nachmittag zu der Linde berufen hatte, mit ihnen zu rechten. Und ein Gerücht irrte von Mund zu Mund, der Herbersdorf zöge mit Heeresmacht heran, mit vielen Knechten zu Fuß und zu Ross, und es helfe nichts als Unterwerfung.

Als der Pfaffinger Kirchturm die dritte Nachmittagsstunde herüber rief, ritt aus einem nahen Gehölz der Graf Adam von Herbersdorf, den Leib in Eisen geschlossen, gefolgt von seinen Söldnern, Volk mit Musketen und Hellebarden. Mit riesigem Schritt nahten sie, das Fähnlein ließen sie flattern. Und Reiter sprengten heran, und Feldschlangen kamen gefahren, begleitet von Knechte, die brennende Zündstricke bereithielten, das eiserne Verderben in die Bauernschaft zu schicken, wenn sie sich rührte.

Hinten nach ritt einer auf einem ausgemergelten Klepper, ein Mensch, den Schädel vertrocknet, die Augen tief im verfallenen Gesicht, die Nase abgefressen von einer grässlichen Krankheit. Es war, als trüge er einen Totenschädel auf dem lebendigen Hals. Zuweilen zog er seinen schwarzen Mantel fester um sich; der Mai schien ihm zu kalt zu sein. Einen Strang führte er um die Lende und daran ein breites Eisen. Der Freimann von Linz!

Um ihn gerottet, trabten seine stämmigen Gespannen. In grinsender Neugier lugten sie nach dem Volk aus. Ketten schepperten in dem Karren, den sie sich schoben.

Scheltend drängten die Hellebarden die Menge zurück, und die Reiter ritten ohne Rücksicht in sie hinein, bis sich um die Linde ein weiter Ring geformt hatte, ein Ring von eng aneinander gedrängten, erbangten Männern.

Mitten in dem Menschenring unter der Linde hielt der Graf. Der mächtige Hechtschimmel, darauf er steif und dennoch ruhlos saß, nagte am Zaum und schnob und scharrte den Rasen auf, als teile er seines Reiters kaum beherrschte Ungeduld.

Und der Herbersdorf griff über sich hinaus ins Gezweig, brach ein Laubblättlein heraus, zerknitterte es hastig und ließ es fallen. Hernach starrte er leer gegen Mittag, wo an dem wilden Geschröfe des Höllengebirges, das ein keuchender Schöpfer getürmt, die Welt endete.

Endlich winkte er.

Nun spreizte sich der Feldprofoss im Sattel, hob die Rechte gegen das Volk und rief in das jähe Schweigen, das seiner Gebärde gefolgt war, grell hinein: »Seine hochgräfliche Gnaden, der Herr Statthalter will euch seinen Willen kundtun. Doch seid ihr allzu viele das versammelt, und seine Worte wird nit jeder vernehmen. Drum möge jede Pfarre ihre Richter und Ratsleute in den Ring herein schicken, auf dass Seine hochgräfliche Gnaden mit ihnen verhandeln kann!«

Da trennten sich die Ausschüsse von der Masse. Sechsunddreißig Männer schritten langsam und ernst über den Rasen, die besten Leute in der Landschaft, geehrt ob ihrer Rechtlichkeit, und wegen ihres weltkundigen Sinnes belehnt mit den Würden, die ihre Gemeinden zu vergeben hatten. Freudig atmete nun das Volk auf, es hoffte, dass diese erfahrenen Leute es wohl verstehen würden, die üble Laune des Statthalters zu sänftigen, die auf seiner gerunzelten Stirn geschrieben stand.

»Stünd sein Gesicht am Himmel, ich müsst Wetter läuten«, flüsterte der Mesner von Pfaffing.

Kaum waren die Verordneten an der Linde angelangt, so lief eilends eine Rotte Landsknecht herbei und umstellte und umsäumte sie mit blanken Hellebarden.

Der Richter Kristof Strattner erbleichte. »Was soll das Spiel?« rief er ahnungsvoll.

Die Knechte lachten ihn an. »Das wird dir der Graf gleich sagen.«

Über der Linde kreiste mit trägen Schwingen ein Flug schwarzer Vögel. Der Henker, der auf einer Baumwurzel hockte, deutete empor. »Linzer Dohlen! Sie kennen mich. Wenn ich über Land fahr, fludern sie mir nach. Ich hab sie schon oft mit fetten Bröcklein gespeist.« Und er belachte seinen grimmigen Scherz mit solch unmännlich hoher Stimme, dass sich die Gefangenen nach ihm umkehrten in der Meinung, ein Weib kichere.

Nun scholl ein kurzer, harter Befehl. Die Musketiere brachten die Rohre in Anschlag gegen das jäh sich zurückbäumende, waffenlose Volk.

Hinter einer schweren, bleigrauen Wolke schwand die Sonne. Ein eisiger Hauch lief über die Welt. Die Linde sauste auf, als seufze sie, und ward gleich wieder still. Ein Todesschauder rührte an das Mark der ungeheuern Menge.

Wie versteint saß der Graf auf dem Ross. Und steinern geklemmt war sein Mund, und es schien, es könne keine Menschenstimme zwischen diesen toten Lippen hervordringen. In dem gelblich blassen, feisten Gesicht, an dessen Doppelkinn der Spitzbart schroff niederzackte wie ein welsches Messer, in diesem Gesicht lebten nur die Augen: starke Brauen machten sie unheimlich, und ein tolles Feuer schwelte drin und lechzte.

Jetzt aber erwachte der harte Mund aus seiner Versteinung, und der hochmögende Herr hub an mit böhmischer, schneidender Stimme, die er jedoch gewaltsam beherrschte, den Groll witternd, der während seiner Rede immer dunkler und blutiger in ihm anwuchs, und wissend, dass er diese Stimme aus ihrem gläsernen Hohn zum Unwetter steigern müsse.

»Bauernschaft im Land um diese Linde! Ich hab euch diese Stund anberaumt bei dem hübschen Bäumlein da. Ihr seid gehorsam gekommen. Das muss ich loben. Ihr wisst gar gut, dass ich mit Tod und Brand jeden getroffen hätt, der in mir den Willen meines Herrn, des durchlauchtigsten Kurfürsten von Bayern, widerstrebt hätt und dass ich sein Gut genommen und sein Weib meinen Knechten hingeworfen hätt. Die Waffen, die ihr so grausam geschwungen habt noch vor wenigen Tagen, ihr habt sie weggelegt. Ich muss euch loben. Ihr habt um eure Hälse gefürchtet. Ihr seid kluge Leut.«

Jäh schlug er an sein damasteisernes Schwert, schnappte wild nach Luft, und seine Stimme reifte zum Sturm. Sie gellte weithin, und wären der Bauern noch einmal, noch zehnmal so viel da gestanden, ja hätten sie den Raum bis zum Abfall des kahlen, entsetzlich aufgeworfenen Alpengebirges gefüllt, es war, ein jeder hätte hören müssen, was zwischen diesen bleichen Zähnen hervorgestoßen wurde.

»Zu viel Freiheit macht die Luft aufrührisch. Ihr seid zu mutwillig worden, ihr Bauern. Frevelhaft verachtet ihr die höchsten Verordnungen, den gebührlichen Gehorsam versagt ihr. Ihr seid zum Schlimmsten fähig. Der Kamm läuft dir auf, Bauer! Ich will dich niederhalten. Tinte ist dir zu dünn, verfängt bei dir nimmer. So will ich mit Blut schreiben. Den gärenden Kopf lass ich dir vom Hals schlagen, an den Galgen dich Hundsfott flechten, den Freimann hetz ich mit Beil und Rad hinter dir her! Ja, los nur, Bauer! Dir will ich den Tollwurm schneiden!«

Keuchend setzte der Graf ab. Seine letzten Worte waren nimmer wie menschliche Rede gewesen, waren Tierschreien gewesen aus einem verworrenen Dickicht.

In die atemlose Stille nun sang eine einsame Lerche hinein. Sie hatte mit ihrem seligen Flug die graue Wolke durchbrochen und sang droben in der sonnigen Einöde uns wusste nichts von dem Schatten, der drunten die Erde verfinsterte.

Aber der Herbersdorf vernahm nicht die versöhnliche Stimme aus der Höhe. Sein verzerrter Mund ordnete sich, und streng begann er wieder: »Ordnung muss sein, sonst bricht die Welt zusamm. Über dies Land bin ich gesetzt, dass ich Ordnung schaff. Und das, bei meiner adeligen Ehr, das will ich gründlich besorgen! Dumm und taub bäumt ich der Untertan auf gegen die Obrigkeit. Das duld ich nimmer! Gehorsam ist aller Dinge Grundfeste. Ihr werdet gehorsam sein! Ich will der Natter das Gift nehmen! Jeden stoß ich nieder, der sich nit fügt!«

Wilde Laune wob ein blasses Lächeln um seinen Mund. Dann besann er sich wieder und reckte die geballte Rechte gegen das erstarrte Volk.

»Treffen und verderben sollt ich euch alle mit einem Schlag! Ihr habe es verdient. Zwar hab ich volle Gnade euch gelobt mit meinem Wort, als ich euch aufgeboten daher zu diesem Baum. Doch habt ihr mir nit die tollen Buben in die Hand geliefert, die in Frankenburg das Rädlein geführt. Wo habt ihr sie? Warum habt ihr sie nit in Verhaft genommen? Ha, mit Vorbedacht und falschem Sinn habt ihr sie versteckt, habt sie entspringen lassen! Also zerfällt mein Gelöbnis. Nichts schuld ich euch als letzte Strenge. Aber ich bin gnädig. Verzeihen will ich euch für diesmal. Nur die Männer dort unter der Linde will ich fassen. Sein mir die Rädelsführer entschlüpft, so halt ich mich an die Häupter eurer Gemeinden. Sie hätten mit gütlichem Wort oder mit festem Griff den Aufruhr hindern sollen; sie haben es unterlassen. Drum müssen sie büßen! Und ihr alle, wie ihr dasteht, dürft mir nit eher von der Stell, bis der Gerechtigkeit ihr Genügen geschehen ist! Reißt die Augen auf und schaut zu! Fiat justitia!«

Ein einziger furchtbarer Schrei entrang sich den Tausenden, als wäre nicht Gnade, sondern der Tod für alle ausgesprochen worden. Vor diesem ungeheuern Schrei stieg schaudernd des Grafen Ross.

Und dann fielen die Tausende schweigend in die Knie, ein armes Ährenfeld, darein der Schauer schlägt. Und eine Stimme klagte durch das Schweigen: »Erbarmen!«

Mit einer verächtlichen Gebärde wandte der Graf seinen Schimmel.

Die Männer unter der Linde forschten einander in die aschfahlen Gesichter, suchten unter dem Bart der Mitgefährdeten ein ungläubiges, ein zweifelndes Lächeln. Es war nur ja alles so traumhaft schrecklich.

Der Henker ließ ihnen nicht Zeit zum Zweifeln. Er nickte mit dem grauenhaften, nasenlosen Kopf, unter dessen Haut das Gerüst des Totenschädels kenntlich war. »Willkommen bin ich euch wie die Sau im Judenhaus«, grüßt er. »Kräuselt nit das Hirn, schaut mich nit so herb an! Mein Prager Vetter hat viel zu schaffen gehabt nach dem Tanz am Weißen Berg. Vergönnt jetzt auch mir und meinen frommen Gespannen einen Gewinn! Wir wollen es zart mit euch machen.«

Den Männern schwindelte vor dem Spott des Ungesellen. Sie stierten auf sein Schwert, drein Rad und Galgen gerissen waren und zwei Gestalten: der Armesünder mit verbundenen Augen und betenden Händen und der Freimann, in ungestümer Gebärde ausholen, den Schwung des Eisens in beiden Fäusten.

»Liebäugelt ihr mit meinem Schwertlein?« lächelte der Hässliche. »So will ich euch den Spruch lesen, den der Schmied darein geschrieben hat mir zu ehren. ‚Hans Georg Schrattenbach bin ich genannt, das Schwert führ ich in meiner Hand, zu der Justizia ich es gebrauch, davor sich ein jeder soll hüten auch. Et verbum caro factum est.' Schmeckt's, liebe Kundschaft?«

Der Statthalter ritt herzu. »Ihr habt mich gehört, ihr Schelme«, redete er rau. »Doch gnadenhalber soll die Hälfte von euch mit dem nackten Schrecken davonkommen. Ihr würfelt je zwei und zwei miteinander! Wer die minderen Augen wirft, hat das Leben verwirkt.«

Und aber wurde ihm das Blut im Hirn heiß, und er tobte, dass das Laub über ihm erzitterte: »Stamm und Wurz tilg ich aus dem Land. Heut fang ich zu henken an. Wann ich aufhöre, das weiß ich nit.«

»Herr, den schimpflichen Tod wollt uns antun?« fuhr der Richter Kristof Strattner auf. »Ohne Verhör? Und wollt uns ehvor noch grausam martern mit dem Würfelspiel? Allmächtiger Gott im Himmel, ist das ein Gericht?!«

Der Herbersdorf rauschte ihn an: »Was erkleckst du dich? Soll ich deine mürben Knochen rädern, dein verrunzelt Leder mit Zangen sengen lassen?«

Der Henker spreitete seinen schwarzen, modrigen Mantel auf den Wasen aus. Einen hölzernen Becher, ein beinernes Würflein bot er dem Michel Kirchgatterer und winkte dem Kristof Strattner. »Ihr zwei fangt an! Ess, daus, drei, quatuor, zink, sess! Nach welschem Brauch!«

Der Kirchgatterer schlotterte in die Knie. Lange schüttelte er den Becher und wagte nicht, das Beinlein heraus zu schleudern und sein Los zu entscheiden.

»Tummel die, Tagdieb!« schalt der Freimann.

Da stülpte er stöhnend den Becher um. Der Würfel lag auf dem dunklen Mantel und zeigte zwei Augen.

»O weh jetzt, o weh!« klagte der Mann. »Zu wenig hab ich geworfen! Mit mir geht's dahin!«

Trotzig, ohne ihn zu rütteln, war der Strattner den Würfel.

Er wies ein Auge.

»Bindet ihn!« gebot der Graf. »Der gehört an den Frankenburger Kirchturm!«

Wortlos ergab sich der Richter den Schergen.

Der Michel Kirchgatterer faltete die Hände gen Himmel. »Gott! Gott!« stammelte er.

Der Pfleger Grünpacher kam gelaufen. »Den Strattner nit, Gnaden! Den Strattner nit!« rief er. »Unschuldig ist er! Die Aufwiegler hat er beschwichtigen wollen! Den Schuss hat er abgelenkt von mir! Gnaden, verschont ihn!«

Der Herbersdorf hörte über diese Bitte hinweg.

»Keiner greife mir ins Gericht!« sagte er barsch.

Er blickte gegen die Höllenberge. Sie ragten fern und kühl.

»Weiter!« befahl er.

Der Paul Wellinger knöchelte mit dem Wirt von Baumgarting. Das Knöchlein klapperte.

Der Wirt tat die geringere Schanz. Er trat von seinem Wurf zurück und starrte mit ziellosem Blick vor sich hin, bis ihn der Henker schreckte.

Der legt ihm die feuchten, dünnen Spinnenfinger an den Hals. »Du gehörst mir, Wirt!«

Der Wirt stieß den Züchtiger wild von sich. Den Grafen glühte er an. »Statthalter, dein Wort hast du gebrochen!«

Der Herbersdorf ward weiß wie der Tod. »Hängt ihn!« lechzte er.

Aber der Wirt gurgelte: »Statthalter, du meinst, du kannst auf uns Holz hacken. Du irrst dich. Jetzt reitest du noch das hohe Ross, aber …«

Der Graf deutete auf die Linde. »Da ist die Richtstatt!« brüllte er. »Freimann, greif zu!«

Die Henker fielen über den Wirt her. Der spreizte sich und schlug mit rasender Kraft um sich. Ein rohes, unbarmherziges Raufen hub an, bis ihn ein Hieb, tückisch gegen die Kniekehle geführt, fällte. Da hielten sie den Überwältigten nieder.

Einer kletterte auf den Baum und knüpfte den Strick an einen festen, verknorrten Ast.

Das Volk stand wie gebannt. Es sah dem unbegreiflichen Ereignis zu und konnte es nicht glauben, dass der fröhliche Wirt von Baumgarting, der um tausend Späße und Schalksdinge wusste, jetzt auf einmal so kläglich und gewaltsam aufhören sollte.

Irgendwo in einem Gehölz meldete sich der Kuckuck. Weich und schwermütig klang sein Ruf. Der Gebundene lächelte traurig. »Kuckuck im Krautgarten, wie lang muss ich auf meine Braut warten?«

»Stemm dich nit! Gib dich! Du musst dran. Ich kann dir nit helfen«, mahnte der Freimann. Er roch übel aus den Zähnen, als faule ihm der Mund. In Ekel bog sich der Wirt zurück.

»Es dauert nit lang«, tröstete der Grausige. »Druck die Augen zu!«

Der Wirt flüsterte: »Hab mir den Galgen nit so grün gedacht.«

Noch einmal wehrte er sich mit den verstrickten Armen, mit den derben, behänden Beinen. Umsonst!

Er zappelte lange und befremdlich toll in der Luft. Es war, er tanze einen verzerrten bayerischen Langaus. Sein Lebtag war er ein flinker, beharrlicher Tänzer gewesen.

Hernach traf es den David Wueller aus Frankenburg. Der taumelte ächzend von seinem missratenen Wurf auf. Beide Knie beugte er vor dem Machthaber. Sein Bart war so weiß, als sei ihm der Schnee darein gefallen. »Unschuldig bin ich! Lasst mich alten Mann in Frieden! Was ist Euch geholfen mit meiner Handvoll Blut? Herr, schenkt mir die paar Lebensjahre!«

Der Herbersdorf sah auf ihn hinab. »Kein hoffärtigeres Tier auf der Welt als der Bauer!« sagte er. »Begehrt was von ihm, so bläht er sich auf wie eine Kröte; braucht er herentgegen eine, so stellt er sich jämmerlich genug an.«

Der Grünpacher bettelte wieder. »Gräfliche Gnaden, der Wueller ist gar nit bei der Meuterei gewesen, ist am selbigen Sonntag krank im Bett gelegen. Ohne Schuld ist er!«

Der Graf senkt die schweren Lider. »Unzeitige Gnad wär Übeltat«, erwiderte er kalt.

»Das ist gar nit möglich, gar nit möglich. Bin ja gar nit dabei gewesen«, murmelte der Alte. »Weiß worden in Ehren und Rechttun, und jetzt gehängt wie ein Rossdieb!«

Und als sie ihm den schmutzigen Strick um den Nacken warfen, heulte er auf: »Das Recht wird erwürgt!« und sank ohnmächtig um.

Derweilen knöchelten der Tobias Strohmaier aus Au und sein Freund und Nachbar, der Simon Pointhuber, um Leben und Tod. Der Strohmaier war allzeit ein vom Glück wundersam begünstigter Würfler gewesen, in jungen Jahren schon hatte er sich einen Hof erwürfelt. Und drum seufzte sein Widerpart: »Tobias, mit dir ist schlecht spielen!«

Damals aber stand ein Unstern über dem Glückskind. Er tat den schlechtesten Wurf in seinem Leben.

»Du Schelm bist auch nit dabei gewesen?« spottete der Graf. »Gelt, du bist daheim gelegen bei deiner Bäuerin?«

Der Bauer trotzte ihn an. »Mitgetan hab ich! Sturm hab ich geläutet im Turm.«

»Den hängt mir am Glockenstrick zum Turmloch hinaus!« knirschte der Herbersdorf.

Flugs ketteten die Henkerlinge den Trotzigen, denn er funkelte böse darein und war ein breitstämmiger Gesell, von dem man sich verzweifelten Widerstandes versehen musste.

»Nachbar«, hub der Simon Pointhuber leidmütig an, »das Leben freut mich nimmer, das ich mit jetzt zu deinem Schaden erwürfelt hab. Wie ein Bruder bist du allweil zu mir gestanden. Und jetzt sollst du sterben! Ich kann mir das Leben ohne dich gar nit denken!«

»Geh, sorg dich nit so hart ab!« stillte ihn der Strohmaier. »Schau, auf der Welt bin ich jetzt schon gewesen und weiß, wie es da zugeht. Nit gerad zärtlich. Und was nutzt es, wenn ich noch hundert Jahr leb? Es wird auch nit anders.«

Unter der Linde wartete verzweifelt oder finster und wild oder von der Aufregung gerüttelt das unglückliche Häuflein, das dem Henker überantwortet war.

Der nächste, der sich zu ihnen geselle musste, war der Wilhelm Hager zu Kein. »Verflucht, einen bittern Brocken muss ich schlucken!« murmelte er.

Er bettelte mit gebundenen Händen: »Herr Graf, mein Weib hat sich heut früh gelegt. Jetzt ist gewiss das Kind schon auf der Welt. Lasst mich es noch anschauen. Es ist mein erstes.«

Da greinte der Herbersdorf: »Kaum tritt man einen Wurm tot, hebt seine Brut schon den Kopf.« Und den Bauern sauste er an: »Wie fromm und geduldig sich jetzt so mancher stellt! Aber trau einer einem Fuchs! Wisst, ihr Schelme, dass der Aufruhr wider den Schwur ist, damit ihr euch der Obrigkeit verpflichtet habt! Aber was gilt euch ein Eid? Ich glaub keinem Bauernschwur. Euch schnöden Bauern ist es eine löbliche Kunst und Lust, wenn ihr die Obrigkeit hinters Licht führen könnt. Wenn man euch nit um des tätlichen Brotes willen brauchte, sollt man euch alle stracks an den Galgen knüpfen!«

Der Hager stand steif wie eine Martersäule und glotzte den gehängten Wirt an, der mit schief geneigtem Kopf am Ast pendelte.

Hernach stießen die Knechte den Ratsmann Sebastian Tüechler aus Vöcklamarkt zu der verlorenen Schar. Ihm stürzten die Zähren in den Bart, und klagend beteuerte er seine Unschuld.

»Was heunst denn so?« summte ihn der Tobias Strohmaier an. »Wenn man dich hört, meint man, du wärst der allererste auf der Welt, der dahin muss, und vor dir wär noch keiner gehängt worden!«

Als sie den Hans Frödl aus Frankenburg in Stricke legten, rief er dem Statthalter zu: »Schrei nur ins Gehölz! Der Hall kommt bald zurück.«

»Ich weiß, was ich tu«, entgegnete der Graf.

Der Johann Leuthner zu Windpichel verhielt sich ergeben, als er die böse Schanz getan. »So erfahr ich heut noch, wohin mich mein Herrgott schickt«, meinte er und begann zu beten und kehrte sich nimmer an die Welt.

Aber der Michel Paur kam um den Verstand, als der Tod so greifbar nahe vor ihm aufstieg. Er jauchzte hellauf, schlug flink einen Purzelbaum, rupfte hernach einen dünnen Halm und reichte ihn dem Ross des Grafen. »Friss nur, mein liebes Rössel! Es ist recht süß.« Und den Gehängten zwickte er in die Waden. »Wirtshaus, schlaf nit! Steig herab! Schenk ein! Eine Kandel Most und eine Kandel Blut! Blut ist wohlfeiler.«

Er ruhte nicht eher mit seinen Tollheiten, bis ihn ein Soldat mit der Stange in den Rücken schlug. Da schmiegte er sich an die Linde und lächelte sanft vor sich hin.

Der Georg Perner zu Bergham schleuderte das Beinlein weit von sich ins Gras. Und dennoch war sein Leben verfallen, und als er die Dohlen droben den Galgenpsalm krächzen hörte, verstopfte er sich entsetzt die Ohren mit den knorrigen Fingern.

Hernach ereilte es den Georg Preiner aus Hausham. Er lugte nach seinem nahen Gehöft aus. Kinder meldeten sich und jammerten verzweifelt. »Vater! Unser Vater!« Ein Weib rang in der Ferne die Hände über dem Kopf. Der Preiner griff an das Herz und nickte traurig.

Hinter ihm taumelte wie von Most trunken der Georg Wilhelm aus Gampern. Auf seinem Hut glomm eine gelbe Blume, vor einer Stunde noch hatte er sie aus der Wiese geholt und angesteckt.

Der Hans Streicher aus Peunt, ein unwirscher Mann, spie dem Henkersbuben ins Gesicht. »Der Teufel schänd dich!« polterte er ihn an. »Jetzt hängst du mich auf, und ich sollt daheim im Stall sein. Heut kälbert mir die Kuh. Kannst du die Sach nit aufschieben bis übermorgen?«

Der Abraham Hammer aus Dorf und der Marktrichter Sebastian Nader aus Vöcklamarkt warfen gleich viele Augen.

»Ob sie noch einmal losen sollen?« fragte der Freimann.

Der Herbersdorf zuckte die Achsel. »Wir haben mit Zeit. Häng beide auf!«

Hernach musste der Färber Wolf Fürst dran glauben, der einzige Rädelsführer, dessen man habhaft worden. Die andern hatten den Braten geschmeckt und waren ins Gemsgebirg geflohen. Der Färber tat so ungebärdig, dass des Henkers Gesellen ihn nicht meistern konnten und die Soldaten zugreifen mussten und den Schäumenden niederschlugen.

Nun waren nur noch zwei Bauern übrig, ausgeschundene, alte, müde Menschen: über sechzig Ernten hatten sie schon geheimst. Sie maßen einander mit trübem Ernst. »Einer von uns!«

Noch einmal wagte es der Grünpacher. »Gräfliche Gnaden, völlig schuldlose Leut sind es. Ich bürg für sie.«

»Ich schenk dir die zwei«, antwortete der Graf mit wegwerfendem Wink. »Heb sie dir gut auf!«

Geduckt eilte nun durch die Hellegardengasse, was sich frei gewürfelt hatte aus dem zuschlagenden Rachen des Todes, und sie hasteten davon, um nicht doch noch von der furchtbaren Laune des Statthalters erfasst und zermalm zu werden.

Der rief jetzt, und sein Gesicht verfinsterte das Land: »Freimann, drei hängst du an die Linde. Die andern heut noch an die Kirchtürme, dazu sie gepfarrt sind! Doch recht hoch! Ihr Aas soll weithin predigen!«

Nach der steinharten Rede verlosch im Volk die Hoffnung, der grause Herr werde es mit dem einen Gerichteten bewenden lassen und wolle zu guter Letzt die anderen mit dem tiefen Schrecken im Gebein heim schicken.

Schon schleppten die Henker den Georg Preiner hin zu dem unseligen Geäst. »Jesus, erbarm dich meiner!« schrie er auf.

Da rührte sich der Ring des beleidigten, empörten, fassungslosen Volkes, drängte dunkel heran, weinte, betete, fluchte, flehte um Gnade und Mitleid.

Doch die großen Trommeln wirbelten, die Knechte schlugen mit den Beilstangen drein, die Musketiere legten an, und die Stückmeister gaukelten mit den Lunten und richteten die Schlünde gegen die anflutende Masse. Da erstarrte sie.

Der Preiner hatte es überstanden.

Jetzt legten sie Hand an den Georg Perner.

»Graf«, kreischte der, »am Jüngsten Tag – vor dem Herrgott seinem Schwert – gibst du Rechenschaft!«

»Ich verantworte es!« schnaubte der Herbersdorf.

Der Perner schnitt eine gräuliche Fratze, als er baumelte; das Kinn sank ihm, die Zunge reckte er heraus, als höhne er seine Henker. Er zuckte.

»Ei, es kitzelt ihn!« lachte der Michel Paur fröhlich.

Den Georg Wilhelm aus Gampern ergriffen sie. Er sah sich nach allen vier Winden um, als wolle er sich die Welt vor seinem Hingang noch einmal recht genau betrachten. Hernach nahm er die Blume von dem Hut, roch dran und warf sie weg. Und ich höchster Erkenntnis der Not brüllte er: »Helft mir!«

Dem Volk graute. Auf ihre unbewehrten, nutzlosen Hände schauten die Bauern hinab, auf die gerüsteten, entschlossenen Kriegsleute drüben. Ihr Entsetzen fand keinen Schrei mehr. Ihnen war, die Augen würden ihnen herausgerissen und in das höllische Geschehnis hinein geschleudert, das sich noch einmal da entspann.

Ein einziger trat aus der Masse heraus, ein blasser junger Mensch. Leidenschaftlich rief er dem Grafen zu: »Ohne Urteil! Ohne Recht!«

»Fangt den Buben!« krächzte der Herbersdorf.

Allein die Menge hatte den Jüngling schon in sich aufgenommen und geborgen.

Der Graf keilte die Zähne ineinander. Das Ross riss er herum und ritt hochfahrend hinweg.

*

Am Abend jenes Tages brannten die Wolken wie Kohlenglut, das Höllengebirge flammte.

Und als das späte, blutige Gewölk erloschen war, stand der Baum von Hausham mit totem, schwarzem Laub. Ein Bauernweib saß darunter, ohne Klage, ohne Zähre, in erhabenem Irrsinn schweigend. Nach für Nacht saß sie dort, bis die Henker die verwesenden Leichen davonschleiften.

Und in jenen Maiennächten soll am Hochaltar zu Frankenburg dem Gekreuzigten das Blut geronnen sein aus seinen fünf wilden, klaffenden Wunden.


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