Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

Über Höhen und Hügel, durch Tiefen und Täler ritt der Student Kasparus.

Der Mai hatte über die Gefilde den Blumenmantel gespreitet. Die Birken waren in lichtes Laub gekleidet, die Buchen standen frisch und von einer fast goldhellen Zartheit des Grüns neben den ernsten Tannen. Und in den birkenjungen Hainen lustbarten die beredten Vögel, unablässig jauchzte der Kuckuck, der holdselige Widerstreit der Amseln und Finken erhob sich, über der urschönen Welt hing der Himmelsruf der Lerche.

Nur die Menschen dieses Landes waren stumm und traurig.

Aber wohin der Student drang, fuhren sie auf aus ihrer dumpfen, gedrückten Ruhe und griffen nach wehrlichem Gerät. Und hinter ihm her begannen die Glocken aufrührerisch zu heulen, schlug die Empörung wie Springfeuer von Dorf zu Dorf.

Auf einer Höhe ließ er sein Rösslein verschnaufen. Es war ein kraftvoll junges Tier, wunderlich stach die weißgoldene, krause Mähne ab von dem braunen, spiegelnden Leib. Ein freundlicher Schein ging von dem Tier aus. Seine Augen warenlieb, und wenn er wieherte, war es, als lache ein junges Mädchen.

Der Reiter schaute tief ins Land hinein, das in mailich wirrer, süßer Buntheit vor ihm gebreitet lag, so auensonnig und wieder von hohen Wäldern verschattet, eine tausendfarbene, freudenüberblühte Welt mit wehenden Wiesen, zärtlich wellendem Korn und furchigen Ackerstücken. In der durchsichtigen Luft waren die Fernen nahe. Da ruhten inmitten der lieblich verworrenen, waldbeschopften Hügel und Berge und Gehölze reiche Ebenen.

Und der schauende Mann wusste hier die Herrlichkeit der Wasser in kristallenen Seen offenbar und das Gelände genetzt von behänden Bächen, von grünen und braunklaren Flüssen und all dies Strömen zugewandt der gewaltigen Herzader Donau.

Und dieser Erde angeschmiegt war das Heim der Menschen, spähende Dorftürme, einsame Gehöfte, trauliche Häusergruppen, und überall sichtbar die schaffende Hand des Siedlers: die Felder mit breiten Bäumen und dichten Stauden umschrankt und Zäune und wieder Zäune.

Dort, wo der leise Dunst über der Stromrinne hing, blühte das Aschacher Land, das die Traube im Wappen führte. Und gen Aufgang die Eisenhämmer der steyrischen Burggrafschaft, und im Mittag lagerte das stolze Berggut des Salzes, und hoch und starr und überweltlich türmten sich die einsamen Berge Gottes, eine Stätte gewaltiger Formen, eine grauenhaft große Öde, wo kein Mensch wohnen darf.

Ein Gefühl strömender Liebe drang aus dem Herzen des Kasparus und legte sich auf den Mai, auf die auf einmal unsagbar bang gewordene Schönheit dieser Landschaft. O dieses liebsame Land, das da in himmelsentsunkenem Frieden gottgeruhsam in sich selber schwelgte, es hatte Feuer gefangen! In diese Dörfer und Einschichten, in die Mühlen und Schmieden, über diese Wässerlein voll huschender Grundeln, auf allen Straßen und Steigen bis zum fernblauenden Böhmerwald, bis zum Absturz der Alpen jagten jetzt die Boten, die Menschen aufzurufen zum schrecklichen Kampf.

Der Bote Kasparus schrak auf aus seinen Betrachtungen und spornte das grasende Ross aus dem Behagen.

Mit wundervoll düsterem Strahlenspiel ging die Sonne zu Tal. Den Reiter deuchte es, sie sei von einem feurigen Ring umflammt, und mitten drin stecke ein rotes Schwert, und er wusste nicht, ob dies nur eine Blendung seiner kühnen Augen sei, die in das wildglühende Licht zu schauen gewagt hatten.

Pflugräder knarrten. Im Zwielicht noch ackerte ein Bauer. Schwer war sein Schritt nach langem Tagwerk. Sein Weib leitete die Ochsen. Am Rain kauerte ein Knabe und zählte die aufsteigenden Sterne.

Kasparus ritt heran. »Der Bauer ist auf!« rief er. »Das Land steht lichterloh. Du musst mit für den Glauben!«

Der Ackermann hielt inne. Er streckte den gebückten Rücken und stand hoch und gerade. Er schaute in das letzte Abendfeuer, das in den Wolken verglomm. »Ist es schon so weit? Mir ist, ich hör schon lang ein weites, wildes Geläut. Oder singt mir das Ohr?«

»An der Donau laufen sie zusamm, das Mühlviertel ist ein Ameisenhaufen, der Hausruck rührt sich. Bewehr dich, Bauer!« forderte der Student. »Auf dass du nit um deine Seligkeit gebracht wirst!«

Der am Pflug stand unbehilflich. »Ich hab keine Waffen.«

»Nimm mit, was du in Stall und Stadel findest! Ergreif, was du handhaben kannst! Eine Drischel! Einen Prügel! Nimm die Sengst und mäh drein!«

»Das gibt eine rote Mahd«, staunte der Bauer.

Den Pflug ließ er fahren. »He, Weib!« gebot er rau.

Da trat sie an den Plug. Und der Bub, der wie ein neugierig Häslein aus den Blumen gelauscht hatte, er sprang heran und nahm die Geißel, das Vieh zu treiben.

»Bäuerin«, sagte der Mann, »die eisernen Hosen zieh ich an. Ich muss helfen raufen. Das Unkraut muss aus dem Acker.«

Sie antwortete: »Geh zu! Du wirst gebraucht.«

Er blickte sie lange an. Dich sie schien seiner nimmer zu achten, sie drückte die Schar in die Krume und ging wie ein Mann mit weiten Schritten über die sich öffnende Erde.

Der Bauer deutete gegen das Tal. »Zuerst treib ich die Nachbarn auf.«

»Jede Feuerstelle stellt einen Streiter«, sagte der Student. »Und heut Nacht noch gegen die Donau zu, gegen Sankt Aiden! Wo der Fadinger daheim ist, dort stoßt ihr zu dem gemeinsamen Haufen. Es muss sein!«

»Es muss sein!« stieß der Bauern durch die Zähne.

Weiter sprengte der Student. Bald tönten hastige, drängende Glockenschläge hinter ihm.

Er wandte sich im Sattel. Auf dem Hügel ging, schwarz und riesenhaft gestellt gegen das letzte Verleuchten des Himmels, das ackernde Weib.

Aus manchem Gehöft traten die Männer schon gerüstet, ehe der Ansager noch gepocht hatte, und es war, en aufrührerischen Engel sei ihm voraus geflogen, das Aufgebot zu verkünden.

Der Schmied packte den Hammer, der Holzknecht die Axt, der Wurzelbrecher auf der Rodung sein Hebeisen. Die inwendige Glut gloste ihnen aus den Augen. »Den letzten Blutstropfen müssen wir zusetzen!« sagten sie.

Es bedurfte keiner Kunst, das bedrängte Volk aufzurütteln. Es war wie ein hochgeschwelltes Wasser, das unruhig hinter seinen Schleusen harrt. Es war wie Pulver vor der Zündschnur.

In tiefer Nacht ritt Kasparus mit einer Leuchte durchs winklige Gebirg. Die Fackel scheuchte die Schatten am Wege hin und her, enthüllte Geheimnisse, die sich wieder in ihre Dunkelheit zurückzogen, wenn sie weiter eilte, weiße Wände ließ sie aufgrellen und Bäche erglühen, sie leuchtete Baumkronen an und Friedhofsmauern und belebte unheimlich die starre Nacht.

Unter den flüchtigen Rosshufen funkten die Steine. Rau wob der Ruch der Fackel um den Boten. In seinen Adern braute es. Ihm war: die Flamme in der Linken, müsse er fortan den Herbersdorf suchen bis in der Hölle letzten Schlund, das Leid seines Volkes zu rächen.

An einem einöden Hof hielt er. Nichts erwiderte hier seinem ungestümen Aufgebot. Kein Hund schlug an, keine Stimme fragte. Das Haus war wie tot.

Der Student dröhnte an die Wand, ans Fenster, an die Tür. »Die Bauernschaft hat sich erhoben! Bauer komm nit! Ein Schwert muss das andere hemmen.«

Die kleinen, vergitterten Fenster stierten düster. Kein Atemzug regte sich in diesem Haus.

»Mit musst du, ob es dir lieb oder leid ist!« brüllte Kasparus. »Was meldest du dich nit? Hältst du es gar mit dem Grafen? Ewige Schand soll dich treffen! Einen Pfahl lass ich dir vors Tor schlagen! Die Nachbarn sollen dich anspeien! Der einzige bist du, der sich duckt! Du bist kein rechter Bauer!«

Irgendwo äffte ein Gehölz die Drohung nach. Der Mond stieg spät aus seinem Nest, sein Licht schauerte hin über den Kobenauser Wald.

»Bäuerin, einen Hundskerl hast du zum Mann!« tobte der Auftreiber. »Jag ihn aus deinem Bett! Heraus, oder ich zünd den Hof an!«

Als er in tollem Ernst das Windlicht zum Strohdach emporhielt, tat sich das Tor auf.

Wie aus der Totentruhe gestiegen, stand ein Weib da, weiß wie Kalk, die Augen fern und irr. Das Spiel der Fackel widerglänzte in ihrem langen, schwarzwirren Haar, das gleich einem Mantel sie deckte.

Sie redete eintönig wie mit längst verstorbener Stimme: »Ein Preiner zu Hausham schreist du nimmer wach. Und such ihn mit bei mir im Bett, Reiter! Such ihn droben im grünen Baum! Dort hängt mein Bauer. Horch, wie fein die Vögel pfeifen in der Linde!« Sie legte den Finger lauschend an die Lippe.

Hier überlebte ein Leib die Seele.

Das Ross prasste vor der Geisterhaften zurück, als wittere es den Wahnwitz. Und Kasparus erkannte das Land.

Hin ritt er auf den Bühel, wo sie kohlschwarz vor den Gestirnen ragte mit starrem, verknorrtem Geäst, mit bangem Laub, verfemt und verflucht, die Linde von Hausham.

Die Luft war todruhig, kaum dass sich ein Halm regte im Gras, und dennoch sauste es im Baum, als irrten drin die Seelen der Gemordeten.

Schwer lag die Nacht. Ein unheimlicher Vogel meckerte. Jenseits des Waldes hellte es sich düster: die Feuerzeichen der Empörer.

Mit wildem Herzschlag hielt Kasparus unter dem Baum. Er streifte an ein klirrendes Eisen. Eine rostige Kette baumelte aus den Ästen nieder. Der Henker hatte sie vergessen. Der Student riss sie herab und schleuderte sie von sich.

Nach Norden äugte er mit trotzigem Blick: den Heiland sah er schreiten in Bauernwams und Jodelhut und gerüstet mit bäuerlicher Waffe. Uns sah ihn mit gewaltigem Tritt treten über die Donau.


 << zurück weiter >>