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28.

Der Thomas Ecklehner schlich durch die Wälder, unstet das Auge, geduckt den Rücken, unsicher wie ein Fuchs, der die Bracken auf seiner Fährte weiß. Er erschrak vor dem schwarzen Blick der Vögel, und zirpte wo ein Stimmlein oder schwankte ein Busch, so hielt er misstrauisch an und horchte. Lagen Soldaten im Hinterhalt, ihn aufzugreifen? Lauerten Verräter? Es war auf niemand mehr Verlass. Und kein Ort ohne Ohr.

Die Stauden, die ihm den Weg verdornten, waren wieder grün. Irgendwo fern im Himmel hing eine Lerche. Das Frühjahr war gekommen.

Den Fuß in Fetzen gebunden, hinkte er auf dünnem Geißsteig zu einem Gehöft. Es war zum Teil abgebrannt. Das Haus war ohne Tor, der Garten ohne Zaun, der Stube fehlte der Tisch und dem Stall das Vieh. Überall klaffte die Verwüstung. Schuttkräuter wucherten innerhalb verfallenden Gemäuers. Kein Mensch regte sich. Die Bauern waren entlaufen.

Der Ecklehner spürte umher, ob nicht irgendwo ein Restlein vergessenen Brotes liege. Seit er die Genossenschaft der Menschen meiden musste, hungerte ihn viel.

Vor wenigen Tagen hatte er ein Rind aus der Donau geholt, das mochte an einer Seuche gefallen und drum ins Wasser geworfen worden sein. In die reißende Strömung war er hinein gestiegen, ohne seines Lebens zu achten, und hatte das Aas geborgen. Doch als er sich, allen Ekel überwindend, daran hatte sättigen wollen, waren verwilderte Leute gekommen, die Glut des Hungers im Auge, und hatten ihn mit Steinwürfen von dem fürchterlichen Mittagstisch vertrieben.

Als er jetzt in den Stall des öden Gehöftes lugte, erhob sich drin von feuchter Streu ein zerlumpter Mann mit staubigem Haar, fiel ihm in den Bart und fiebert ihn an: »Gib mir zu fressen, sonst …!«

Der Überfallene bäumte verstört den Knüttel, sich zu verteidigen bis aufs Letzte.

Dann aber staunte er: »Eschelbacher!«

»Wenn dir Leib und Leben lieb ist, gib mir zu fressen!« keuchte der Schmied.

Der Ecklehner reicht ihm einen Brocken ranzigen, verschimmelten Speck. »Es ist alles, was ich hab. Für die äußerste Not hab ich es aufgehoben.«

Der Schmied schlang den Speck in irrer Gier hinab. »Gelt's Gott!« raunte er. »Gestern hab ich zwei wegen einer Schnecke einander umbringen sehen. Jeder hat sie begehrt. Zuletzt hab ich sie gefressen. Ob sie hat geschmeckt wie eine Leberwurst!«

Dann senkten sie auf einmal voreinander die Köpfe, verlegen und beschämt. Und der Eschelbacher knurrte: »Ja, ja, schlecht ist es gewesen, das verstrichene Jahr. Lauter wurmige Nüss …!«

»Schmied, ich hab geglaubt, du liegst gefangen im Wasserturm zu Linz!«

Der Eschelbacher trat ans Licht, ein kerkerblasser Mann. »Der Folter bin ich entsprungen!« erwiderte er und wies die Daumen her, die schwarz waren vom Zwang der Schrauben. »Ich wünsch niemand in der Welt, das er in die Schuh tritt, drin ich gegangen. O wie ein Felsgebirg sind die Leut nix als Stein und wieder Stein! Kein Herz!«

»Was gibt es Neues im Land?« forschte der Ecklehner bang. »In den Wäldern und abgelegenen Haarstuben kann man nix erfahren.«

»Über die Linzer Brücke bin ich gegangen«, erzählte der Schmied. »Dort liegt dem Berndl sein Schädel. Er lässt dir seinen Gruß vermelden.«

Der Ecklehner schauderte zurück. »Und was ist es mit den andern? Mit denen, die noch leben?«

»Lebt noch einer außer uns zweien?« rief der Schmied bitter. »Ein Beispiel für alle: der Madelseder ist gereckt und gestreckt worden und mit heißen Zangen gegriffen; den Leib haben sie ihn gevierteilt und geköpft und seinen Schädel ausgesteckt am Turm zu Steyr.«

»Aber der Wiellinger? Und der Vischer?« stammelte der andere.

»In Eisen geschlossen! An die Marter gestellt! Geköpft! Geköpft! Und alle die andern geköpft und gehenkt! Und die sie in Türmen und Kellern haben verrecken lassen, die hat hernach der Freimann in die Donau geworfen. Und mitten unter der Marter haben sie dem Hans Vischer zugeredet, er soll katholisch werden, sie wollen ihm die Pein ersparen. Aber der Vischer ist fest geblieben, hat gesagt, er verratet seinen Herrgott nit.«

Der Ecklehner rang die dürren Hände ineinander. »Ach mein, die Welt nimmt einen übeln Gang!«

»Die Häuser in den Örtern, die Höfe, wohin ich jetzt kommen bin, zerfallen sind sie und Brandstätten«, fuhr der Schmied fort. »Die Leut entweder erschlagen oder gottverzagt davongelaufen. Abgedankte Soldaten lauern an den Wegen. Wie ich! Durch ein Dorf bin ich gegangen, drin hat nit ein einziger Mensch gehaust. Nur einen verhungerten Hund an einer Kette hab ich gefunden.«

»Was sollt auch der Bauer heutzutag noch anfangen?!« klagte der Ecklehner. »Das Vieh haben die Soldaten weggetrieben, Gerste und Haber haben die Reiter verbraucht für ihre Rösser, und kein Korn ist da für die Aussaat. Es ist am besten, wir lassen das Land liegen und rennen davon.«

»Ist das dein Ernst?« entgegnete der Schmied. »Was schleichst du hernach noch allweil durch das ausgeödete Land? Was bist du hernach nit längst schon durch den Haselgraben davon in eine Gegend, wo du nit hungern musst und nit fürchten um dein armes, nacktes Leben?«

»Es ist wahr«, murmelte der Ecklehner. »Ich kann nit weg von der Erd da, bin angebunden für allweil, für ewig.«

»Wir müssen aushalten!« sagte der Schmied. »Das Land verlangt nach uns. Mitten unter den Feinden müssen wir schaffen und stehen, als wenn nix geschehen wär. Und warten! Einem rechten Bauern darf nix zu arg sein: er muss in einen Holzapfel beißen können, ohne dass er das Maul verzieht.«

»Wir müssen bleiben«, sagte der Ecklehner. »Wir können ja nit anders.«

Sie beschlossen, um Nahrung zu streiten, und rafften sich auf.

Sie kamen zu einem verwahrlosten Gehöft. Müd und morsch hing die Tür in den Angeln, sie konnte nimmer geschlossen werden, und es regnete in den Flur hinein. Auf dem verfallenden Zaun hockte ein Geier.

Halbnackt, die Stirn voller krauser Runzeln und blöde lächelnd, lungerte ein Mensch an einem kleinen Weiher und schien eine Gans zu hüten.

»Gib uns die Gans!« fuhr der Ecklehner ihn an.

Der Mann schien ihn nicht zu verstehen. Er zählte an den krätzigen Fingern und raunelte geheimnisvoll: »Welches sind die vier letzten Dinge des Menschen? Diese vier: der Tod, das Gericht, die Höll, – die Höll.«

Er riss ein Büschel Gras aus dem Boden und verzehrte es.

»Oh weh«, meinte der Schmied, »der hat ein Rädlein verloren!«

Der Narr sagte: »Ich heiß Gotterbarm.«

Der Ecklehner deutete auf den Hof. »Ist niemand drin?«

Da krümmte sich der arme Fex in sich hinein, als fürchtete er Schläge, und plärrte: »Achnein, das Gewand haben mir die Reiter genommen und das Bett und das hölzerne geblümte Rössel!«

Im Haus drin war alles geplündert und leer. Nur der Herd war noch erhalten, und die Bäuerin schaffte dran.

Mit müdem Blick sah sie die Männer kommen. »Was wollt ihr noch von uns? Der Bauer ist närrisch worden vor Hunger. Niemand ist da, der arbeiten tät auf dem Feld. Und das einzige Vieh im ganzen Hof ist die Gans draußen. Nehmt uns die auch noch! O wir sind so arm, dass uns nit einmal das dürre Holz im Ofen brennt!« Eine trostlose Gebärde haftete an ihrer Hand.

»Was kochst du da?« fragte der Schmied heiser.

»Ein bisslein Baumrinde hab ich zermahlen, ein bisslein Stroh drunter gerieben und ein bisslein Moos.« Und plötzlich rief sie mit einem grenzenlos verzweifelten Blick nach oben: »Gib uns unser täglich Brot!«

Dem Michel Eschelbacher verging der Heißhunger. Ihm war, eine Axt hacke auf Späne von seinem Herzen.

Er ging auf den Acker hinaus.

Auf ungepflegter, versäumter Scholle stand trostlos und verlasen ein Plug. Er mochte wohl hier über den Winter in Schnee und Unwetter vergessen gestanden sein. Die Schar war rot vor Rost.

»Ecklehner!« schrie der Schmied, jäh von einer stiergewaltigen Kraft gepackt. »Dauch an! Plüg! Ich spann mich ins Geschirr!«


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