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30.

Der Aspalter rief seine Leute um sich, sein Weib und vier Buben. Drei waren nimmer aus dem Krieg heimgekehrt.

Mitten im Feld standen sie um ihn her. Er saß auf der Schar seines gestürzten Pfluges.

Die Sonne zog Wasser, mächtige Dunstbalken schrägten vom Himmel nieder. Die jung erwachten Bäume trugen seidene Kronen, Lerchen brachen klingende Breschen ins Gewölk. Es war ein schöner Maientag voll Hoffnung und Verheißung.

Der Bauer sagte traurig und fest: »Gott sucht uns heim. Weib, Buben, morgen verlassen wir das liebe Land. Die Verfolgung wird zu groß. Es geht nit anders, wenn wir uns Gottes reines Wort bewahren wollen.«

Die starke Sippe wankte. Es war, als ob der Erdgrund unter ihren Fersen versänke. Und sie hatten es doch längst so kommen sehen.

Das herzhafte, fast mannliche Weib stand gebrochen. Sie klagte auf: »So werden wir im fremden Land leben müssen, ohne Wurzel. Und sterben zu Sankt Gottverlassen!«

»Buben, beschlagt euch den Reisestecken mit Eisen!« redete der Bauer. »In der Fremd ist der Weg hart.«

Sie hörten nimmer die Auferstehung der Lerche, die Heimat verdüstert sich ihnen wie unter dem Schatten einer kalten, schwarzen Wolke.

»O meine Zung kann nit sagen, was mein Herz leidet«, weinte die Bäuerin. »O wie leid ist mir um meine drei Buben! Ihr Blut ist umsonst vergossen worden und für nix!«

»Nit umsonst!« sagte der Aspalter. »Wir haben der Welt ein Beispiel gegeben.«

An diesem Tag feierten sie.

Sie schritten durch die wehenden Wiesen, durch die braunen, schlafenden Brachen, sie sahen, wie das heranwachsende Korn sich bog und glänzte und schattete, in ruhlosen Wellen bewegt, als wallten geheimnisvolle Geschöpfe durch die Halme.

Wie durch einen holden, schmerzlich zerfließenden Traum wandelten sie.

Die rauen Hagzäune, die da grünten, hatten sie gepflanzt, diese Raine hatten sie besetzt mit Stauden, darin die frohen Vögel zur Herberg saßen, diese Felder hatten sie aus der steinigen Wildnis gerungen, aus dem geschwendeten Tann. Hier hatten sie die Donner singen hören und den Wind im Birnbaum sausen und hatten die vertrauten Umrissen der Hügel und Waldfirste in unbewusstem Glück um sich gefühlt.

Und sie grüßten noch einmal den Hollerbaum, darunter sie wie oft die Sichel gedengelt, und sie spiegelten sich im Hausbrunn, dem labseligen, ewig spendenden, der, seit die Aspalter auf dem Hof saßen, niemals versiegt war und niemals gefroren, und mochte der Sommer noch so dürr, der Frost noch so tödlich sein.

Und sie umgingen noch einmal das Gehöft und sahen sie ragen, die uralte, feste, stolze Bauernburg, darin die Aspalter seit hundert und hundert Jahren Glück und Mühsal dieses Lebens genossen, darin sie gewiegt und eingeschreint worden, die kernigen Geschlechter.

Da wurde den Nachfahren tief leid.

Nachts, als die Sterne immer zahlloser wurden, lagen sie draußen unter dem silbernen Himmel im Gras und hörten, wie es um sie knisterte, wie es wachsend, werdend sich aus dem Boden drängte. Und im Dunkel schritten sie noch einmal über die Flur, schaudernd angeweht von den Geistern der Vorvordern, die um die Werkstatt ihres rauen Lebens woben.

Bei Gott, es ward ihnen, zu scheiden von diesem Land, das ein frommer, starker Teil ihrer Seele worden war.

*

Morgens in der äußersten Frühe weckte der Aspalter den ältesten Sohn und nahm ihn mit auf den Acker.

»Bub«, sagte er, »wir gehen jetzt. Aber wir dürfen unser Land nit sich selber überlassen. Einer von uns muss dableiben, muss das Anwesen halten. Ich könnt keinen Tag mehr Ruh haben in der weiten Welt, wenn ich die Erde da, darin unser Haus gegründet, und die Äcker, die uns genährt und die wir bestellt haben seit Urgedenken, wenn ich sie in fremder Hand wüsst.«

Der Sohn erstarrte. Die Wucht seiner mächtigen Fäuste schien die Arme niederzuziehen und zu spannen. »Vater«, stammelte er hart betroffen, »Vater, und du meinst …? Und warum gerad ich …?«

»Es hilft nix«, sagte der Bauer, »du musst bleiben, musst deinen Glauben vergessen und katholosch werden.«

»Eher fallt der Himmel ein«, rief der Sohn.

»Du musst, Bub!«

»Vater, am Jüngsten Tag steh ich hernach wie ein Dieb vor unserm Herrgott und weiß nit, was ich sagen soll!« Und heiß schrie er auf: »Ich kann nit!«

»Ich glaub, der Herrgott wird dich verstehen, wenn du auch nix sagst, Bub.«

Aber der verbarg sein Gesicht unter dem Arm und schwieg.

Der Tag drang auf. Die Erde lag noch ernst im Schatten, doch an den hohen Wipfeln haftete schon das Licht.

Mit starkem Blick traf der Bauer seinen Sohn. Er bückte sich zu dem braunen Grund, hob eine der rauen, rätselhaften Schollen auf und reichte sie ihm.

Bebend empfing sie der junge Mensch. Er fühlte die urtreue Erde mit seinen Adern.

Da wurden die Welten seiner Ahnen in seinem Blute wach, Urfernen wurden ihm gegenwärtig. Ihm war auf einmal, er halte das ganze Land und die Gebirge samt Grund und Grat und alles Leben der Heimat in seiner Hand, seinem Schutz überantwortet von Gott.

Die Scholle siegte. In Schmerz und Lust, in harter, ringender Liebe sprach er: »Vater, ich bleib!«


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