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25.

Die Schnepper rosteten im Land ob der Enns. Niemand legte sich auf die Schröpfbank, und die Bader konnten die Hände müßig in den Schoß tun. Der Krieg war der große Aderlasser, der zapfte des Blutes übergenug.

Geschlagen, flüchtend, gehetzt, rotwund, in todüberwindendem Trotz fügten sich die Bauern immer wieder zur Kampfgemeinde zusammen.

In einem Wald vor Gmunden hielten sie sich verschanzt. Indes die Kaiserlichen und die Bayern mit fein ausgeklügelten Schwenkungen und Märschen sie in eine verderbliche Stellung zu bringe suchten, verschmähten es die Bauern, Gottes Verhängnis durch die Finten des Krieges abzuwenden. Sie bauten nur noch auf ihren feurigen Zorn und auf die Wucht ihrer Glieder.

Im Wald besprachen sie sich mit ihrem Gott. Kasparus stand mitten unter ihnen auf einem Stein, und weithin drang seine Rede durch die lautere, stahlkalte Luft.

Der Freiherr von Pappenheim hielt ganz nahe dem bäuerischen Haufen und hörte dann und wann ein wildes Wort des Predigers herüber wehen.

»Wie ihm der Mund überschießt, dem Aufhetzer!« murmelte er. »Aber ich werd es zwingen, das hornstößige Volk! Schaden macht sie nit witzig. So will ich mit eisernem Schuh auf das Tollwutland treten!«

Im Gestrüpp birschten sich die Vorposten an die Schildwacht der Bauern heran. »Sankt Lutherus hilft euch nit!« spotteten sie. »Und mag euer Narr noch einmal so prahlerisch predigen, er überredet den Herrgott nit. Hunds Bitt und Bellen tut nit in den Himmel schellen.«

Sie lockten: »Ihr verstockten Bauern, ihr Satansleut, macht euch die Galgenfrist zunutz! Wer laufen kann, der soll laufen! Ihr kartet ein verlorenes Spiel.«

Sie drohten: »Um Leib und Gut kommt ihr! Eure Weiber werden unter uns verteilt! Richtet euch danach und rennt! Noch ist ein Ausweg offen. Seid ihr denn allweil noch nit des Aufruhrs überdrüssig? Es ist ja alles umsonst. Gebt euch! Zwischen dem Kaiser und dem Bayer werdet ihr zerrieben wie zwischen zwei Mühlsteinen.«

Die Bauernwachen falteten die Hände hoch um ihre Spieße und lauschten der weittragenden Stimme ihres Predigers.

Wie ein rasender Adler stand Kasparus auf dem Felsblock.

»Sie zielen auf unsern Untergang hin. Das Vaterland sollen wir verlassen, das wir seit undenklicher Zeit gebaut! Und das Höchste, was der Mensch hat, die Stimme seines Herrgotts, die in seinem Blut lebendig ist: das Gewissen wollen sie uns erwürgen!«

Es war, dem Prediger schlüge die Seele aus dem schmerzverzerrten Mund und fahre zündend nieder in die Menge und treibe sie auf aus der Dumpfheit des Lebens zu heiligem Wagnis.

»Der Kaiser hat uns verraten, der blinde Narr!« grollte Kasparus. »Verraten hat und der Ritter auf der Felsenburg. O die hochmögenden Herren, sie wollen nur ihr stolzes Leben, Schloss, Wald, Ross, Habe sichern! Und die Bürger in den Städten, fürsichtig halten sie sich daheim hinterm Ofen und warten ab! O niemand reicht die Hand uns elendem Volk! Niemand hört, wie wir seufzen, wie wir aufschreien. Allein stehen wir! Allein! Und wenn Gott nit zu uns hält, wer hilft uns?!«

Seine Augen verließen die Welt. Über die bereiften Wipfel des Waldes wandte er sich empor, mit dem Allmächtigen zu verhandeln.

»Du getreuer Gott, schau her auf dein arm, unschuldig, zerfleischt und gemartert Häuflein! Herr, vergib, dass wir töten mit dem Schwert! Wir wissen nit andre Mittel und Weg. Verboten, verspottet haben sie unsre demütige Bitt. Und wenn unser irdisch Waffen zerbirst, wenn wir versinken, Herrgott, wer wird die Sach dann führen auf der Welt? Wer wird dein Schildhalter sein und des Bösen Heermacht brechen?«

Seine fiebernde Stirn glühte auf die Streiter nieder. »O Welt, nur eins begehren wir! Unsern Glauben sollst du uns lassen! Weh, dass du uns nit hören willst! Unser Blut komme auf dich! Und für uns gilt es jetzt: Heil oder Tod! Reckt die Finger auf, Bauern! Schwört! Eher lassen wir uns niederstechen, eh wir verzichten auf das Wort, das lauter ist und ohne Zusatz und Menschenwerk! Im reinen, freien Herrgottswort wollen wir atmen oder sterben!«

»Sterben!« heulten sie, ein erhaben wilder Widerhall.

Ein Wald von groben Armen wuchs auf, schrundige Finger zückten schroff gen Himmel. Es war, diese Menschen hier wollten etwas tun, was über die Erde hinausging. Empor gerissen war ihr Leben bis zur Selbstaufhebung um eines Gedankens willen. Durch all die schollenträge Dumpfheit ihres Bauerntums strömte der Strahl des Heiligen Geistes.

Kasparus betete, und sein Gebet war hart und fordernd, als wolle er dem Himmel das Glück der Schlacht mit dem Messer abzwingen. »Wir beten mit gekrampfter Faust! Gewaltiger Gott, lass deinen Zorn brausen wider das Gesäm des Teufels! Gib uns die Kraft deines Grolles, dass wir den Widerkrist zerschmeißen! Herr, hilf uns!«

»Herr, hilf uns!« toste das Heer.

Die Weihe des nahen Todes verklärte es. In rauer Demut, in gläubiger, vertrauender Liebe, in unzerstörbarer Heilsgewissheit sangen sie ihr ungestümes Fehdelied, dass die lauschenden Feinde erschauerten.

»Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
lass fahren dahin,
sie habens kein Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben!«

Ein wilder Orgelton begleitete das letzte Gesätz des Liedes: die Geschütze des Feindes spielten darein. Es sauste, krachte, zerriss den Wald. Die Bauern ließen sich in ihrer Feier nicht irren.

Erst als der harte Sang beendet war, brach einer ihrer Gewalthaufen aus den Bäumen hervor. Als hätten sie Wutschierling gefressen, mit einer Weltsgewalt rannten sie des Kaisers Scharen an und zersprengten sie.

In toller Auflösung flohen diese gegen Gmunden. Die Bauern ihnen nach, johlend, tötend. Weh dem, dem der Fuß, der Atem versagte! Weh dem, dessen Ross strauchelte! Es gab keine Gnade.

Die bayerischen Rotten aber jenseits des Waldes hielten wie eine eherne Kette zusammen. Wie ungeheuer auch der Stoß der Bauern sie traf, sie ließen sich nicht zersprengen. Und der Pappenheim riss seine vor der zermalmenden Wucht des Anpralls wankenden Reihen immer wieder mit sich vorwärts.

Bald standen die beiden Gegner mit den Spießen ineinander verrannt, ein gräuliches Wirrwarr. Keulen pochten an Rüstzeug, Blei brach in die Leiber, Eisen zuckte. Bald wieder versagten in dem Wirbel die Waffen: Mensch rang gegen Menschen, bäuerische Arme und Soldatenarme stießen durcheinander. Zerfetzte Fäuste, zerrissene Gesichter, Staub des aufgewühlten Feldes, Ächzen, Fluch, weiße Wut im Blick, Schaum und keuchender Sturm aus verzerrten Munden, gefletschte Zähne: nimmer Menschen!

Kasparus stand wie der heilige Jörg mitten im ringelnden Gewürm. Die Feder am Hut versengt, verbrannt das Gewand, schritt er den Schneiden und Spitzen der Waffen entgegen, den sprühenden Mündungen der Musketen wie dem zarten Windhauch des Lansings.

Der Pappenheim zerriss mit seinem kühnen Ross das Gewühl, sein Schwert hackte ihm einen Steig zu Kasparus.

»Du liederlicher Student, ergib dich!« zürnte er ihn an.

Der Student stand gerade wie eine eiserne Stange, sein Atem flog so heiß, dass ihm war, die Zähne müssten ihm davon glühen. »Ich streit gen den Teufel!« rief er.

»Willst du mit dem Teufel fressen, so brauchst du einen langen Löffel«, spottete der Pappenheim. »He, was richtest du an? Du hetzest und verbitterst die Gemüter. Deinetwegen raucht das Bauernblut heut, und tausend arme Weiber und Kinder schreien über dich Rache. Schuldiger Mann, graust dir nit?!«

»Wahr deine Schanz!« antwortete Kasparus.

Um die beiden stockte der Kampf. Sie staunten die raufenden Führer an. Dem einen galt es um den Strahlennamen des unbesiegten Helden, den andern trieb die Not des lechzenden Gewissens.

Feuer flog aus dem Helm des Pappenheim. Auf seiner Stirn brannte ein rotes Mal, wie zwei Schwerter zu schauen, die gegeneinander fallen.

Da netzte Blut die Brauen des Studenten.

Keulen und Spieße trennten den Zweikampf. Der Berndl zog den taumelnden Freund aus dem Getümmel.

Sie schritten über zwei am Erdboden ringende Männer hinweg: der Unterliegende hatte sich in den Hals des Siegers verbissen.

Sie schritten über einen sterbenden Söldner. Der rief den rechten Schächer um Beistand an, denn dieser war der erste mit seinem Erlöser im Paradeis gewesen.

Sie schritten über einen hinweg, der leckte sich die Wunden wie ein Tier.

Ein junger Mensch bäumte sich noch einmal auf gegen den Tod. »Schaut, wie wild ich schweiß!« stöhnte er. »O dass ich gar so viel Blut hab! Aber ich will nit hinwerden! Leben will ich, leben, leben, bis der Herrgott im Himmel stirbt!«

Drei Stunden brauste der Kampf hin und zurück. Da verzagten die Bauern.

Die Musketiere frohlockten: »Der Stier brunzt Blut!« Sie drangen in den Wald ein. Wie Raben schossen sie die Flüchtenden von den Bäumen.

Und der Pappenheim zog dem Bauernhaufen entgegen, der führerlos, ungeordnet und trunken von der Verfolgung der Kaiserlichen von Gmunden zurück kam.


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