Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21.

Der Ruf des Kuckucks war verschwunden.

Kasparus ritt, dem streifenden Feind auszuweichen, auf umbuschten Steigen, durch Wälder und über sommerlich durchgrillte Wiesen, die in ihrer Entlegenheit unbestürmt geblieben vom Krieg.

Wenn er zuweilen über eine Höhe musste, sah er die verblauende Welt weit hinaus prangen und auf dem welligen Gelände den matten Glanz gemähter Kornbreiten, doch auch viel Getreide bleich und überreif des säumigen Schnitters harren.

Oft ließ er das Ross feiern und staunte beglückten Auges das heimatliche Land an, das offen und lieblich war wie das Antlitz der Geliebten. Sah er aber über einer der zahllosen Höhen schweren, trägen Rauch steigen, dann scheuchte er sein Tier auf und lenkte es abseits, den Anblick des verwüsteten Landes zu meiden.

Dann sucht er wieder eine struppige Wildnis auf, wo er mit dem Schwert das hemmende Astwerk aus dem Weg hauen musste, und wenn die Vögel, die der wachsende Sommer schweigsam gemacht hatte, ihre kleinen Rufe aus dem gottesfriedsamen Laub hallen ließen, da verwob ein wohltätiges Dunkel sein Herz, und er lächelte und stieg wohl aus dem Sattel, kostete eine Beere oder redete mit einer dreisten Staude.

In durchströmter Waldschlucht traf er eine Mühle an. Das Rad rauschte. Der Müller mochte wohl im Krieg weilen, denn eine junge Magd schleppte einen Kornsack ins Haus. Als sie den Hufschlag vernahm, begann sie zu eilen und verriegelte sich in der Mühle.

Kasparus ritt vorüber. An der Mauer war, aus alten Zeiten rührend, ein verwittertes Bild der heiligen Kummernis gemalt, der gläubigen Jungfrau, die ob ihres Standmutes von den Henkern ans Kreuz geschlagen worden wie einst der Heiland.

Die weitläufige, grünverwilderte Schlucht öffnete sich endlich zu gepflegtem, waldumbrämtem Land, in dessen Mitte auf geringem Hügel breit und einsam wie eine Burg ein Gehöft lag. Hier war alles in schöner, bäuerlicher Ordnung bestellt: die blanken Stoppeln schimmerten, üppig grünte in berieselten Wiesen das werdende Grummet.

Ganz nahe am Waldsaum an einer Föhre lehnte einschichtig ein kleines Glöcklein am Dach, eine Kapelle, und daraus trat eben ein Mädchen und lugte mit beschattetem Blick aus. Als sie den Reiter erkannte, war ihr, sie müsste in die Knie brechen vor Schrecken und Freude.

Er schwang sich vom Ross und nahm ihre Hände. Seine Seele leuchtete auf. Die Welt begann sich ihm in sanftem Goldglanz zu wiegen.

Denn sie war geseligt mit aller Schönheit der Jugend. Ihre weiße Haut, unverdunkelt auch unter der schweren Bauernsonne, leuchtete schier von der Wanderung ihres Blutes. Etwas schmäler und zarter war sie worden, seit er sie nimmer geschaut, und in ihren Augen wohnte etwas Fremdes, etwas jenseitig Fernes und Geklärtes. Darum und in der Scheu seines Herzens, das die Berührung mied, wagte er nicht, sie zu küssen.

»Lebst du noch, Kasparus?« fragte sie leise. »Ich träume oft, du seiest auf grünem Anger gestorben.«

Ganz lind, als fürchte er, ein schwankes, holdes Traumgespinst zu zerstören, antwortete er: »Einmal hab ich dich noch sehen müssen, Regina.«

An der Brust trug sie einen Karneol, darein eine jägerlich edle Frau mit Bogen und Pfeil geschnitten war. Kasparus hatte einst das Kleinod im Römerschutt vor Enns gefunden und es der Geliebten geschenkt.

Traurig betrachtete sie es. »Deinetwillen trag ich noch den heidnischen Schmuck«, sagte sie, »und sollt doch das Bild des gemarterten Herrgotts tragen, seitdem meine Brüder erschlagen liegen bei Linz!«

»Sie sind geborgen«, flüsterte er. »Gott hält sie selig.«

In leidvollem Zweifel sah sie ihn an. »Ob Gott sie noch mag?! Es ist eine wilde Stund gewesen, wie sich die zwei mit dem Vater zerworfen haben und in den Krieg sind zu dem grausamen Fadinger. Für den Fadinger laufen sie barfuß in die Höll, haben sie geschworen, und sind doch katholisch gewesen und ergeben Unserer Lieben Frau.«

Sie faltete die Hände in das Kirchlein hinein, drin die Muttergottes trauerte in ihren sieben Betrübnissen, siebenfach das Schwert im Busen.

»Nit für die Brüder bitt ich, für den Kaparus bitt ich«, redete sie. »Und wenn seine Seel ein wüster Garten worden ist, drin nur das Kraut Gottvergessen wächst, o mach ihn wieder gut! Und verzeih ihm, dass er dich verachtet, die du den Heiland geherzt hast, die du Königin bist und Magd, Mutter und Jungfrau zugleich!«

»Wer sagt dir, dass ich sie verachte?« fragte der Student.

»O ihr Lutherischen werft die Muttergottes vor die Hunde, ihr schmpft sie ein unnützes Grasdirnlein. Der Vater hat es mir erzählt.«

Sie schwieg und versank in ein schmerzlich hoffendes Gebet.

Er aber pflückte ein paar schöne Blumen, bog sie zum Kränzlein und setzte es auf das bange Haupt des Bildes. »Meine Mutter hat auch Maria geheißen«, sagte er.

Und jäh mit stürzenden Zähren flehte das Mädchen ihn an und warf ihre Arme um seinen Nacken: »Geh nimmer zurück in den Krieg! Der ist für euch verloren. Bleib bei mir! Im Krieg ist der Herrgott nit!«

Sie nahm ihm das Schwert aus dem Gurt und legte es ins Gras.

Schwermütig sagte er: »Es darf nit sein!«

»Wer zwingt dich, Kasparus?«

Er sah an ihr vorüber mit vergessenem Blick. »Mich ruft ein anderes, nit das Glück«, sagte er. »Aus Opfer und Verzicht wird das Große in der Welt. Im Uranfang, eh noch die Schöpfung geflossen aus den Händen Gottes, da haben seine Engel einmal auf etwas Großes, Wunderbares verzichtet, und aus diesem Opfer ist das strahlende Licht geworden.«

Stumm bückte er sich nach dem Schwer.

Sie stand betroffen, in ihrem wehmutsvollen Liebreiz dem Marienbild einer schönen, bangen Legende gleichend. Dann strich sie leise über seinen Arm, als wolle sie alles gut machen, was die Welt ihm getan hatte, und tröstete: »Lass es dir nit gar zu leid sein!«

Wortlos, mit hängenden Armen schritten sie nebeneinander dem Schachenreuterhof zu. Das Ross trottete hinter ihnen her. Weißdorn und Nussstauden streiften an ihren Gewändern, Ulmen schatteten breit auf sie herab, Birkengehänge rührte an ihre Scheitel.

Ein Blumengärtlein, daraus die Bienen Botschaft trugen zur Wiese, leuchtete vor dem Haus. Auf mächtigem Gerüst trug ein Birnbaum sein volles, stilles Laub. Ein Mooshut deckte das Dach.

In der Vierung des Hofes schoss ein strammer Wasserstrahl in den Eichbaum, und Kasparus halftete das Ross an den Brunnenstock und ließ es zechen.

Der alte Schachenreuter saß mürrisch in der Stube. Sein Gesicht verfinsterte sich in böser, dunkler Röte, als der Gast eintrat.

»Kasparus«, höhnte er, »du ist wie mein Gänser, der ist mit den Wildgänsen davon geflogen und nach einem Jahr halbverhungert wieder heimkommen.«

»Ich begehr nix von dir«, sagte der Student. »Ich bin kommen, Abschied zu nehmen.«

»Ich hab gehört, du gehörst zu den Köpfen der Rebellen«, polterte der Bauer. »Ihr brennt die Suppe an! Merk dir, Aufruhr ziemt sich nit für den, der Gottes Weg und Steg gehen will. Gott hat uns die Obrigkeit verordnet.«

Kasparus hob die kühnen Augen. »Meine Obrigkeit ist das Gewissen.«

»Nimm das Maul nicht so voll!« grollte der Schachenreuter. »Mit allen Vieren widerstreitest du dem Herrgott. Empörung geht übel aus. Mit gähem Tod hat der Himmel meine Buben gestraft, weil sie sich haben von euch blenden lassen. Weil sie sich empört haben gegen die gute Ordnung.«

Die Regina legte einen Laib Brot auf den Tisch. »Setz dich nieder, Kasparus! Es soll dir behagen!«

Der Alte aber, grimmig sich verbohrend in das Unheil seines Hauses, stierte den Gast feindlich an. »Meine armen Buben! He, bringst du sie zurück?! Nit? Was suchst du nachher bei mir? Holst du dir heut mein letztes Kind? Geh, bring uns nit noch tiefer ins Elend! Lass uns in Frieden sterben!«

Da tat der Student den Bissen, den er zum Mund führen wollte, auf den Tisch zurück und erhob sich.

»Vater!« bettelte das Mädchen.

»Er soll nur gehen!« zeterte der Alte. »Der Erzrebeller gehört nit an meinen ehrlichen Tisch. An den Galgen gehört er! Mir graust vor ihm!«

Kasparus verließ die Stube.

An der Haustür holt ihn die Regina ein, Tränen an den Wimpern. »Verzeih ihm!« bat sie. »Er lebt sich jetzt so hart. Das Unglück kann er halt nimmer verwinden.

Er erwiderte: »Keinen Augenblickmehr kann ich unter euerm Dach bleiben!«

Sie hörte sein Wort nicht, mit weiten Augen sah sie hinab zum Wald. »Reiter!« bebte sie.

»Wahrhaftig! Kaiserliche Reiter!« murmelte er. »Lebendig fangen sie mich nit!«

Ihrer zwölf mochten es sein, streifendes, reisiges Zeug.

»Sie dürfen dich nit finden!« sagte sie. Sie drängte ihn ins Haus zurück, in die Küche.

»Kasparus, sie werden den Hof durchstöbern! Am sichersten bis du im Rauchfang.«

»Und du, Regina?«

Sie lächelte bleich. »O, mich finden sie nit. Und sie tun uns nix. Weit und breit weiß man es, dass der Schachenreuter gut päpstlich ist.«

Er zögerte. »Ungern las ich dich allein!«

»Soll ich dich auch noch verlieren?!« klagte sie. »Schnell, versteck dich! Und sorg dich nit um mich! Wir sind nit luthrisch, nit rebellisch.«

Er drückte sie wild an seine Brust.

Sie befreite sich. Drei Kreuze zeichnete sie ihm auf Stirn, Mund und Brust. »Unsre Liebe Frau behüt dich!«

Mit überirdischen Augen sah sie ihn an.

Er kletterte die rußige Leiter in den finstern Schacht hinauf. Droben hielt er sich an dem Gestänge, wo das Rauchfleisch hing, fest und fasste auf einem vorkragenden Mauerstein Fuß.

Die Leiter wurde unter ihm weggezogen. Er hörte die Küchentür zuschlagen.

*

Der Lärm der quer über die Wiesen sprengenden Reiter lockte den Bauern und den Knecht Bartel hinaus.

»Scharfenbergische Reiter sind wir«, riefen sie über die Zäune herüber. »Die Frösche schreien in unserm Magen. Aber Speck und Rüben mögen wir nit. Und Sterz auch nit. Aber eine Schüssel gesulzte Sauschwänz und Pafösen!«

Sie sprangen aus den Sätteln, trampelten durch das schöne Gras und stießen die Zäune um.

»Ich bin gut päpstisch!« rief ihnen der Bauer entgegen. »Bei mir nistet sich die Lutherei nit ein. Ich bitt euch, reitet vorüber da!«

Aber sie sperrten die Rösser in das Gärtlein, schlüpften an ihm vorbei ins Haus und spürten durch Stuben, Kammern und Stall. In den ruhelosen Augen schillerte die Gier nach Beute, nach den Weibern und Mädchen des überfallenen Landes, nach allem, was einen Wert führte.

Einer riss den Säbel heraus und packte den Bauern am Hals. »Herr Bundschuh, gib Geld her! Geld zwingt die Welt.«

Der Alte staunte ihn an. Dann holte er aus einem Wandschränklein einen vollen Beutel. Sein zahnloser Kiefer zitterte. »Nimm!« sagte er. »Aber verschont mein Haus! Ich bin ja gut kaiserlich, gut päpstisch!« Und dem zur Urkunde hob er überlaut den englischen Gruß zu beten an.

Der Reiter kümmerte sich nicht um sein Gebet, er nahm den Mostkrug aus der Nische und trank ihn aus.

Derweilen rissen die andern die Truhen auf, warfen alles Gewand heraus und tasteten nach Geld. Die spiegelnd zinnernen und die blumig töpfernen Schüsseln nahmen sie aus dem Geschirrkorb, schlugen sie klein und zertraten sie. Besessen von wilder Zerstörungslust stießen sie auf der Kellerstiege die hohen, mit Brettlein zugedeckten Milchhäfen um und zerhackten jedes Hausfahrnis, das ihnen in den Weg kam.

Der Bauer rang die verknorrten Hände. »Seid ihr christliche Reiter? O ihr ruchlosen Buben!«

»He, du alter Geldgeier, du Bärenhäuter, willst du uns anbellen?« wetterte ein stangenlanger Kerl. »Wir sind jetzt die Herren. Der Himmel hat dem Kaiser das Schwert anvertraut, und wir Soldaten schwingen es für ihn.«

Im Hof draußen rissen sie der Magd mit grobem Griff das Fürtuch weg. Sie wehrte sich, biss, schlug, gurgelte erbärmlich und entrang sich ihnen. Sie rannte, bis sie nimmer konnte. Hinter einer Staude holten sie die Kerle ein.

Der Bartel war in den Hof hinausgeschossen, ihr zu helfen. Drei Reiter empfingen ihn. »Wo hat dein Bauer das Geld vergraben?«

»Kommt!« sagte der Knecht heiser.

Er führte sie in den Stadel, der finster von der Ernte war. Als sie drinnen waren, schmetterte er das Tor zu und verriegelte es.

»Was soll das?« riefen die Reiter. »In der Finsternis finden wir nix.«

Er tappte nach einem Dreschflegel. Mit rasenden Hieben schlug er auf die drei los. Sie wehrten sich und stachen im Dukel um sich. Sie schrien. Die andern hörten sie nicht. Als sie still geworden waren, kroch der Knecht blutend ins Heu, um zu verenden.

Die Plünderer banden im Stall die Melkkühe los und zogen sie ins Freie. Einer verfolgte die schreienden Hühner und Gänse auf den Misthaufen hinauf und säbelten sie nieder.

»Lasst ab!« bettelte der Schachenreuter. »Nehmt, was ihr braucht! Aber mördert nit ohne Not!«

Sie drohten ihm: »Plärr nit, oder wir schmeißen dich in den Backofen!«

»Ihr verderbt mir alles, Haus und Stall! Nutzt euch das?!«

»Der Krieg ist süß«, lachte ein Krauskopf und leckte sich die wulstigen Lefzen.

Der feuerhaarige, feueräugige, vernarbte Bursch, der das Geflügel gespießt hatte, herrschte den Alten an: »Ihr untreuen Bauern, wir werden euch verbieten, dass ihr dem Kaiser so stolze Briefe schreibt. Den Kitzel vertreiben wir euch. Die Türken haben euch angestiftet zur Rebellerei!«

»Habt ihr noch nit genug Mord und Raub verbracht?« ächzte der Bauer. »Wann werdet ihr uns auslassen?«

»Bis es nix mehr zu nehmen und zu zünden gibt. Bis das Land bis auf den Grund ausgebrannt ist und die Donau grau rinnt vor Asche.«

»Gehorsam hab ich mein Lebtag den Kaiser und die Obrigkeit gefürchtet!« rief der Bauer verzweifelt. »Lasst mein Haus stehen! Ist euch das eure nit lieb?

Und ich jäher Wut stieß er den Narbigen über den Haufen,d er ihm ein braunes Ross aus dem Stall trieb. »Du Rabenbraten! Du Räubershund!« krächzte er. Feuer stieg ihm ins Hirn.

»Schlagt ihn tot, den tobsinnigen Hund!« brüllten die Reiter.

Sie rissen ihn zu Boden, traten ihn, hielten ihn nieder. Einer griff hinab und barzte ihm den Augapfel aus der Höhle.

»Was treibt ihr mit mir?« winselte der Alte. »So gräulich hat noch niemand gehaust auf Erden!«

»So sind halt wir die ersten!« lachten sie.

»Seid ihr Werwölfe? Lasst mich aus! Ich bin ein Mensch, bin Gottes Bild!«

»Holt einen Bohrer!« knirschte einer der Peiniger. »Wir wollen ihm das Knie anbohren!«

Der Schachenreuter wehrt sich wie ein Wahnsinniger mit den ausgeplagten Händen, die schier nur noch Krallen waren. Und als lebe auf einmal in ihm die volle Erdkraft seiner Manneszeit wieder auf, so stark stieß er die Reiter von sich und stand frei.

Er packte die Heugabel. Mit furchtbar entstelltem Gesicht jagte er die Weichenden um den Misthaufen herum. Einen stach er nieder.

Erst als sie sich gesammelt und Beistand von den im Gehöft zerstreuten Kameraden erhalten hatten, hielten sie ihn im Schach.

Mit dem Rücken an die hölzerne Scheuer gelehnt, verteidigte er sich. Sie warfen ihm die Faustbüchsen an den Kopf. Ihr Pulver hatten sie in den Scharmützeln der letzten Tage verschossen. Sie fielen mit den Eisen über ihn her. Sie konnten ihm nicht an. Wie Hunde standen sie um ihn, die einen Hirsch gestellt haben und ihn ob seines dräuenden Geweihes nicht zu packen wagen.

Auf einmal knackte und knisterte es unheimlich. Rauch schlug aus dem Geblock der Scheuer. Hinter dem Bauern brannte es. Jäh fuhr das Feuer auf.

»Verflucht, ihr Schelme!« schrie der Bauer. »Verflucht der Kaiser, der euch auf uns gehetzt hat!«

Der Atem fuhr ihm kalt aus der Nase. Er wehrte sich nimmer.

Das feurige Übel leckte hinüber auf Stall und Haus. Rauch sank stickend.

Die Regina kam aus ihrem Versteck gelaufen. Den Vater fand sie erschlagen liegen auf der Gred. Die abziehenden Räuber trieben das Vieh davon.

Hinter wallendem Qualm geisterte es feuerbraun in fürchterlicher Bewegung. Und plötzlich war das Dach wie ein wilder, flackernder Strauß. Das Feuer schwelgte.

Der Schreck schlug in das Blut des Mädchens. Sie lehnte sich an die Wand, ihre Glieder versagten.

Ein barhäuptiger Kerl sprang aus dem Dampf zu ihr. Steifes, pechschwarzes Haar wuchs ihm tief und spitz in die Stirn herab. Sein entzundenes, mit Geschwürbeulen behaftetes Gesicht, sein vom Abfall des Fraßes unflätig verklebter Bart näherte sich ihr. Ein schartiges Gebiss fletschte, zwei hässliche Augen begehrten sie. Er tappte sie an wie ein Scharfrichter.

Sie sank zurück. In Angst und Ekel zersprang ihr das Herz.

»Potz Wunder!« grinste der Reiter. »Bist du ohnmächtig worden, du wehleidiges Mätzlein?« In entmenschter Gier bückte er sich zu ihr nieder.

Da tauchte ein rußiger Mann irgendwo aus Feuer und Rauch, aus Gesprüh und Geprassel und fiel unwiderstehlich wild den Reiter an.

Der floh und schrie: »Der Teufel ist los!«

*

Kasparus trug den Leib der Geliebten von der Brandstatt weg weit in den Wald hinein, drin der schöne Sommer dämmerte. An einem Quellbrunn wusch er ihr die Stirn und rief sie mit holden Namen, mit Namen von Blumen und lieblichen Tieren. Aber sie erwiderte nimmer darauf.

Da warf er sich hin und biss in maßlosem Leid in die Erde.

Regungslos saß er dann die ganze Nacht im Moos. Sie lag starr und kühl in seinem Arm. In den nächtlichen Wolken spiegelte sich ein ferner Brand. Die Leuchte dieser bangen Brautnacht.

Am Anblick der Sterne ward Kasparus wieder ruhiger. Sie blinkten unerreichbar einsam in ihrer silbernen und bunten Glut. Tau der Ewigkeit.

Atemleise ging der Wind. Der klingende Brunn war nun die einzige Stimme dieser Stille.

Droben in den Sternen reiste die Seele, die im irdischen Tal an Kasparus vorübergegangen.

Der Tag erhob sich sanft und heimste jene Sterne ein. Eine zarte Tierspur, leicht in den glimmenden Tau gehaucht, zog hin, als wäre eine Seele dahin gehuscht auf weißen, leichten Füßlein.

Kasparus teifte in einen Geröllhaufen ein Nest, und das kleidete er mit grünem, weichem Moos aus und bettete die Geliebte auf das Lager und legte auf sie hundert und hundert Blumen, die er aus naher Wiese holte und aus dem sanften Schatten des Waldes.

Hier in der süßen, unberührten Einöde voll schwermütiger Bäume und versonnener Stauden und trauernden Laubes, hier in dem zarten Dämmer, darin alles so fein und friedsam umschlossen lag wie auf den Triften eines seligen, weltjenseitigen Traumes, hier sollte die Geliebte bestattet sein.

Er legte starke Äste über das Getrümmer, das die Gruft umrandete, deckte schwere Steine darüber und verhüllte sie mit Moos.

Lange träumte er dort in seiner Trauer.

*

Als Kasparus zum Schachenreuterhof zurückkehrte, fand er nur qualmenden Schutt, verkohlte Balken, tote Asche. Zerrissene Zäune, die Blumen im Gärtlein zertreten, die Fruchtbäume umgehauen, im Rauch erstickt die Immenstöcke.

Sein Ross war verschwunden.

Er wanderte durch die Mühlenschlucht zurück. Verdrossen sauste der Bach neben ihm. Brandgeruch wehte im Wind.

Hinter einem Strauch hörte er es wimmern. Er wühlte sich durch das Gedörn. Ein Weib traf er, das hatte auf dem Schoß ein nacktes Kind. Sie saß totblass auf dem Rasen. Neben ihr richtete sich ein Mann auf, bäumte eine Axt gegen den Studenten und legt sie dann wieder gleichgültig hin. »Es ist alles eins, ob du uns umbringst oder nit«, murmelte er.

»Seid unbekümmert!« beruhigte Kasparus die beiden. »Seid ihr vor den Reitern geflohen?«

Da klagte der Mann: »Herr, die Hütte haben sie uns niedergebrannt bis auf die letzte Schindel. Ich trag nix davon als den Bettelstecken. Aller Jammer ist bei uns zur Herberg. Die Kuh haben sie uns erstochen. Zum Spott haben sie das Vieh im Freithof begraben, haben das Kirchglöckel dazu geläutet.«

»In den Tod lag ich mich!« schluchzte das Weib. »Unser Menschlein, sie ist noch unzeitig, das haben sie auf den Hengst gebunden und sind davon mit ihr!«

Der Mann erzählte: »Ein Böswicht ist in unsere Stube kommen, hat die Augen rechts und links geworfen, und wie er mein Weib gesehen hat, das schweren Leibes gewesen ist, da schrei der Kosak, was für eine Beule sie da habe, und ob sie auch ein hoffärtig Bäuerlein werfen wolle. Die Lanze hat er ihr in den gesegneten Leib hinein stechen wollen. Da sind wir zwei in die Knie gefallen vor ihm, um aller Marter Christi haben wir um Gnade gebeten. Da hat er sich erbarmt. Aber mein Weib hat das Kind nimmer austragen können, die Reiter haben es vorzeitig aus dem Mutterleib gejagt in die bittere Welt.«

Sie schluchzte herzdurchdringlich: »O dies unselige Jahr! O weh um mein Menschlein!«

Kasparus ertrug den Jammer nicht. Ohne Gruß ging er. Wie Trügerei wäre es ihm erschienen, dieses Elendspaar zu trösten.

Bei einem verwachsenen Felsen verlegte ihm ein starker Mann den Weg. Der Student schirmte sich hastig hinter seinem Schwert. »Riedlerbauer«, schrie er, »kennst du mich nimmer? Oder bis du unsinig worden?«

Der Bauer senkte den Spieß. »Kasparus, jetzt hab ich dich für einen Soldaten gehalten.«

»Bist du ein Straßenräuber worden, Riedler? Im Heerlager vor Linz hab ich dich gekannt als einen stillen, treuen Mann.«

»O Student, es geht schrecklich zu!« hub der Riedler an. »Der Teufel ist in die Welt eingebrochen! Über alle Heiden und Straßen kommen sie geritten, brennen, rauben, fangen, binden, schätzen, würgen, einen Wolf könnt es erbarmen! Sie treiben es so blutig wild, dass wir Bauern die Waffen ablegen und um Gnad schreien sollen und des Krieges nimmer begehren. Und unser Ackergerät verderben sie. Dem Bernhard Wolfsgruber haben sie den Pflug in den Fluss geworfen. Mit haben sie die Tenne aufgeackert und Distelsamen darein gesät!«

»Wie kommst du daher, Riedler? Hast du die bäurische Sach im Stich gelassen?«

»Wie ich vernommen hab, dass die Kaiserlichen einreiten, hab ich Urlaub genommen, bin heim, hat retten wollen, was mir gehört. Und wie Feuer und Flammen immer näher kommen sind, bin ich mit meinen Leuten davon, dass uns die wilden Teufel nit Fetzen aus dem Leib schneiden. Das Vieh haben wir mit uns in den Wald getrieben, auf den Hörnern hat es unser Bettzeug getragen. Unser Bub hat den großen, schneeweißen Hahn mitgenommen, hat ihn mit hinten lassen wollen, weil er gar so schön gewesen ist. Der Hahn hätt uns hernach in unserm Schlupf bald verraten, hat gar so hell gekräht, dass ich ihm hab den Kragen umdrehen müssen. Und heut hab ich mit heimgeschlichen, hab nachschauen wollen. Mein Gott im Himmel!«

Er deckte die Augen mit den rauen Händen. »Alles ist hin!« sagte er trostlos. »Was meine Ähneln, was mein Vater und ich erworben und erarbeitet haben, alles ist hin! Zerschlagen und zerrissen haben sie, was sie nit haben mitnehmen können. Und mein schönes Rossgeschirr! Aus Dachshaut ist es gewesen! Dahin ist es. Und das Wurzgärtlein zerstampft, das Korn zerritten, das ganze Haus ausgeräumt, verödigt. Nit ein Stecken, nit ein Nagel ist ganz geblieben!«

Der Riedler atmete hart. »Und da hab ich geschworen bei Himmel und Höll, treff ich wo einen Soldaten, der muss hin sein!«

Kasparus ging weiter, den Bach entlang.

Als es zu der verwüsteten Mühle kam, fröstelte ihn bis ins Hirn: neben dem Bild der gepeinigten Kummernis hing, den nackten Leib halb gebraten, von Blut und Blasen grauenhaft entstellt, die junge Magd, mit Händen und Füßen an die rauchgeschwärzte Tür genagelt. In einer Roheit, die die schrecklichste Marterwolllust der Hölle überstieg, hatten die Unholde, ihren grausigen Entschluss aus dem Bilde schöpfend, einen Menschen hier gekreuzigt.

Kasparus knirschte auf. Auf sein Leid türmte sich der Zorn und darüber rasender Hass. Die Fäuste presste er wider die Schläfen, als wolle er die Gedanken dahinter erdrücken.

Und wieder stieß er an ein zerstörtes Gehöft. Ein geborstenes Aas lag im Schutt und stank auf. Kein lebendes Wesen war zu schauen, nur ein hagerer Hund, der zum Himmel aufheulte.

An ausgestorbenen Hütten, an bis an die Tennen niedergebrannten Scheuern, an zertrampelten Feldern kam Kasparus vorbei. Den zügellosen Soldaten war das Korn nicht heilig. Wie ungehaltenes Hochwasser verheerend waren sie über die Fluren gerauscht.

O, mit grässlichem Griff packte der Feind das Land! Rotten ohne Zucht und Erbarmen ließen ihr Gelüst los gegen alles, was Bauer hieß. Die stillen Gehöfte feuerten sie an, die Mühlen, die Ernte in den Scheuern; das Vieh hieben sie nieder und ließen es am Weg faulen; das gottesholde Korn zertraten sie auf dem Acker: den Hunger wollten sie rufen in das gequälte Land! Die Dörfer schändeten sie aus, mit unerwachten Dirnlein trieben sie entsetzlichen Unfug, sie mordeten und verstümmelten die Männer, sie töteten die Mutter samt dem schuldlosen Zecherlein an ihrer Brust. Sie verdarben Leute und Land.

Kasparus wusste, dass es im tiefsten Kerne gut war, sein Volk, und wert, dass man Welt und Seligkeit für es einsetze. Und er sah es im Kampf stehen gegenüber den mächtigen Herren: die gläubigen, armen Bauersleute, unerfahren in der Kunst des Krieges, mit lächerlichen Waffen unzulänglich bewehrt, ohne soldatische Ordnung, ohne Feldherrn nur zufälligen Führern gehorchend, ohne einen Mann mit weitem, staatsklugen Blick, getäuscht, betrogen, gelähmt in ihrer Tat durch die abgefeimten Räte der Fürsten, alleinig gerüstet mit dem frommen Eifer für den ererbten, geliebten Glauben. Es war ein ungleiches Ringen zwischen weltferner Einfalt und einer Weltkunst, die mit gewaltigen Machtmitteln ausgestattet war.

»Gott, tu ein Wunder!« betete Kasparus.

Raben flatterten krächzend vor ihm auf, wie ein dunkler Schwarm von Sorgen schwebten sie über ihm.

Wieder kam er zu einer Brandstatt. Hinter einem Gebüsch stehend, belauschte er ein Kind. Es saß mitten in der Verwüstung und weinte müde in sich hinein. Dann und wann hielt es inne, seiner Verlassenheit vergessend, spielte mit einem gläsernen Krüglein, füllte es mit Asche und goss es wieder aus.

Da preschte aus einem Hohlweg ein Reiter herfür. Als er das spielende Kind gewahrte, stieg er vom Ross und schreckte es: »Hallo, ich bin der Teufel Klaubauf!« Und er riss das Spielzeug aus den erstarrten Händlein, beschnüffelte es und zerschellte es am Gemäuer.

Das Kind tat einen Wehschrei, sein letztes Freudlein war ihm zerbrochen worden.

Seiner nimmer mächtig, stürzte Kasparus aus dem Gebüsch. Seinem Zorn konnte der Reiter nicht widerstehen, er erlag.

Ein Tränenkrüglein war es gewesen, wie man es auf den Stätten findet, wo einst die Römer gesiedelt hatten.

Und Kasparus erfasste dieses schmerzliche Sinnbild: nicht einmal ein Krüglein gönnte man dem Hiobsvolk, seine Zähren drin aufzufangen und zu fassen

Sie kreuzigen ein schuldloses Weib, sie kreuzigen ein ganzes Volk. O du gemartertes Volk, du heilige Kummernis, du leidest wilder als der geschundene Heiland am Kreuz!

Im Überschwall des sich selbst erkennenden Leides weinte Kasparus fassungslos auf, und seine Zähren sickerten in den verwüsteten Boden.

Dann ermannte er sich. Er beschwichtigte das Kind, das vor Ängsten schrie, weil es sah, wie ein Mann den andern tötete. Und er nahm es zu sich auf das Ross des Erschlagenen, um es zu Menschen zu bringen.


 << zurück weiter >>