Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23.

In einer Waldschlucht mitten im hohen Farn stellte ein Bauer einen flüchtigen Soldaten. Beide waren junge Gesellen, die Leiber risch und rank, die Knochen fest.

»Lass mich laufen!« bettelte der Soldat. »Was nutzt es dir, wenn du mich erschlägst?!«

»Es darf nit sein!« keuchte der Bauer. »Lass ich dich leben, so kommst du wieder.«

Da klangen Schwert und Hacke gegeneinander. Sie rauften durch den Wald, wortlos und Todeshass im Auge.

Auf einem Anger brach der Bauern nieder. »O Jesus, ich bin gestochen!«

Der Soldat stolperte einige Schritte weiter und stürzte. »Der Fuß fällt mir ab«, stöhnte er. »Ich kann nimmer laufen!«

Er kroch zu einer Tanne, kratzte mit den Nägeln das fließende Pech herunter, die beinschrötige Wude an seinem Knie zu verkleben. Doch vollbrachte er es nicht. Seine Hand sank ihm matt. Ihm wurde übel.

»O weh!« jammerte er. »Kein Beichtstuhl ist da! Soll ich in meinen Sünden hinfahren?!«

»Still mir das Blut!« wimmerte der andere. »Die Seel - rinnt mit aus.«

Der Soldat ergrimmte. »Der Geier soll dir die Gurgel abfressen! Ich soll dir helfen, wo du mich so grob getroffen hast? Schau her, drei Finger kann ich in die Wunde legen, so breit hast du mir sie gehackt! Ich kann mir selber nit helfen.«

»Du hast recht!« ächzte der Bauer. »Aber weh, weh! Der Tod fällt mir auser.«

Mit irrem Auge sah der Bauer um sich. Ein weißgetünchter Rainstein erhob sich hinter ihm, dem kehrte er sich zu und umschlang ihn mit den Armen, seines sickernden Blutes nicht achtend. »Weißer Stein, dir beicht ich! Dir beicht ich, dass ich nit in die ewige Verdammnis fall. Alle Sünd der Welt hab ich begangen, Würgen, Rauben, Morden ist mein täglich Handwerk gewesen. Ich hab es so gelernt von den andern, hab es für Soldatenrecht gehalten. Der Krieg hat mich verdorben. Das Gewissen hab ich erstickt in mir. Jetzt aber lebt es wieder, jetzt brennt es in die Höh! Ich bereu! Ich bereu! Herrgott, verzeih mir! Wenn du noch kannst …«

»Durst! Durst!« winselte der Bauer.

Der Beichtende richtete sich auf. Drüben am Rasen wand sich ein Schmerzensmensch, sein junges, unbärtiges Gesicht trug schon das herbe Zeichen des nahen Todes.

Ein dünnes Rinnsal gluckste durch das Gestein.

»Der Mensch ist härter als Stahl und weicher als Wachs«, sagte der Bayer. Und er kroch in namenloser Müdheit, das gelähmte Bein nachziehend und allen Schmerz in sich hineinfressend, zu dem Brunnen und schöpfte daraus in seinen Hut.

Hernach schleppte er sich zu dem Durstenden. »Da trink!«

Der Bauer staunte ihn an. Er öffnete die entfärbten Lippen und trank.

»Der Welt letzte Labung!« flüsterte er. »O, wie gut das ist! Gelt dir's Gott, du lieber Feind! He, eine Frag: Wie heißt du?«

»Wann ich in den Himmel komm, und ich komm hin«, sagte der Bauer stark, »weil ich für das rechte, lautere Wort Gottes sterb, – drüben will ich dem Herrgott deinen Namen sagen, er soll sich deiner erbarmen, wie du dich meiner erbarmst. Die ewige Straf soll er dir nachlassen! Weil du gut bist.«

»Wenn du mir ein Fürbitter sein willst«, seufzte der Bayer, »Wolf Brandstetter heiß ich.«

»O Herrgott, schließ mich ein in deine tiefen fünf Wunden!« entsetzte sich der Bauer. »Wolf Brandstetter, das ist ja mein eigener Name!«

»Gesell«, stammelte der Soldat, »so führen wir denselben Namen und haben einander so weh tun müssen!«

Sie starrten einander in die Gesichter, lasen in ihren Augen, in der Formung ihrer Züge rätselhaft Verwandtes, wundersam Ähnliches.

»Auf unserm Hof geht die Red vom Vater zum Sohn, dass der Ururähnel vor vielen hundert Jahren herüber geheiratet hat aus dem Rottal im Bayerischen«, sagte bang forschend der Bauer.

Und hernach klagte der Bauer: »Auf einer Schmiede hab ich den Spruch gelesen:

Einen Jammer
hebt das Eisen zum Hammer:
‚Was schlagst du mich so hart?
Sind wir nit zugleich von einer Art?'

Und ich hab den Streit angefangen da im Wald! Und ich hab dich verwundet, dass du hilflos sterben musst in der Einöd!«

»Das tut nix!« lächelte der Soldat müd. »Sterben – ist ein alter Brauch.«

»Vom Grund meines Herzens ist mir leid!« sprach der Bauer.

»O du verfluchter Krieg!« bäumte es den Soldaten empor. »Wie die wilden Tiger fallen wir übereinander her, Volk über Volk, und sind doch ein einziges Blut!«

Sie streckten sich erschöpft nebeneinander hin und schwiegen.

Der Brunn rieselte, ein Vogel lockte. Unendlich leidvoll rauschte das Laub.

Der Bauer flüsterte: »Das schöne Gras da haben wir zertreten. Es sind lauter süße Geißkräuter.«

Der Soldat hub an zu fiebern. »Speisen sollt mich der Pfarrer noch mit der letzten Wegspeis«, lechzte er. Blumen und Halme presste er sich an den Mund.

Hernach tat er die Augen unirdisch groß auf. »Die Muttergottes reckt mir die zarte Hand entgegen. Liebe Frau, wenn du neben deinem gemarterten Sohn noch Platz hast auf deinem Schoß, so nimm mich …«

Er brach ab, er zog noch einmal tief und durstig den Atem der Erde in sich. Aus hauchte er ihn in der Ewigkeit.

Mit der letzten, erlöschenden Kraft langte der Bauern hinüber nach der kühlen Hand des Soldaten.


 << zurück weiter >>