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9.

Im Wirtshaus zu Haibach lärmten die Dragoner nun schon den zweiten Tag. Sie schwenkten die Weinbitschen, läuteten mit der Waffe, trampelten wie in einem Rosspferch und kränkten den Wirt und die Leute, die am Katzentischlein geduckt saßen und der verwilderten Rotte mit Neugier und Abscheu lauschten.

Es war, als wären die sieben Todsünden bei dem Haibacher Wirt eingekehr.

Der Schreiz fraß ein Hühnerbrüstlein. Die Henne hatte er auf einem Misthaufen des Dorfes ergattert, nun verzehrte er sie schnaufend und spie die Knöchlein auf den Fußboden.

Der Fetz hatte sich eine Gassenfahrerin zu Tisch geholt, ein Frauenzimmer, die Nase bübisch aufgestülpt, die Wangen mit roter Schminke überstark geschmückt und dennoch abgelebt und hässlich wie das Laster selber, das sie trieb. Sie flocht ein gelbes Band in ihr Haar und beschaute sich dabei in einem stählernen Spieglein. Zuweilen half sie ihrem Buhlen trinken und riss dazu ihre Zoten unflätiger als der frechste Reiter. Der Fetz umschlang und liebkoste sie und freute sich: »Du aller Welt Gretlein, heut bist du mein!«

Eifersüchtig schielte der Gander hinüber. Er hatte ein Gänsblümel in der Hand, zupfte daran, grinste und zählte: »Jungfer, Witfrau, Hur!«

Der Küperlein trug ein herausfordernd Bildlein am Hut, darauf Martinus Luther zu sehen war, wie er auf einer Sau ritt, Bibel und Bratwurst unterm Arm. »Wirtin«, meckerte er, vom Wein fast übermeistert, »koch mir einen Hecht im Wein! Tu ein paar Lot Safran und auch Ingwer dazu!«

»Wein her!« verlangte der Tröschel. »Es ist zu viel Wein auf der Welt. Ich will ihn austilgen, er soll nimmer Schaden stiften und Unfried.«

»Wirt, fleiß dich!« drohte der Stechbeck. »Du dienst uns zu langsam. Er ist eine Ehr für dich, wenn wir Dragoner deinen Plempel saufen.«

Der Tröschel tat den andern Bescheid und jauchzte: »Meinem Herrn Vater seine Taler hab ich durch die Weinstraße gejagt. Wirt, Weib und Würfel sind mir allweg am gesündesten gewesen. Und wie ich mein Geld verwichst hab, bin ich ein Reiter worden. Juchhe!«

»Reiterleben ist ein himmlischer Zeitvertreib«, antwortete der Trump. »Die Bauern schröpfen, das kann ich. Ich seh durch einen neunfachen Kittel, wie viel Gulden einer im Sack tragt.«

Er ging unsicheren Schrittes auf ein zerlumptes Männlein zu, das auf einem Schemel kauerte am Fass beim Traufbier.

»Was ist deines Amtes, Bruder?« fragte er ihn.

»Ein Bettelmann bin ich«, erwiderte das Männlein demütig und hielt die Hand auf. »Ich hab das Hinfallend. Gestern hat es mich zweimal angepackt. Und das Altertum ermattet mich. Gib mir was, reicher Reiter!«

Aber der Trump lauert. »Was für eine Münz tragt du um den Hals?«

»Ein kostbar Schaustück!« prahlte der Bettler. »Das einzige, was mir Vater und Mutter hinterlassen haben.« Er blinzelte den Reiter pfiffig an. »Ja, mir könnt ihr das Evangeli nit nehmen!«

»Warum nit?«

»Weil es auf dem Taler da geschrieben steht.«

In jäher Tücke zuckte der Trump hin und riss ihm die Schaumünze samt der Schnur vom Hals. Ein Künstler, begabt mit meisterlichen Fingern und Falkenblick, hatte in winziger Schrift die Bergprdigt darauf geschrieben.

»Das luthrisch Geld hat der Kaiser verboten«, lachte der Dragoner.

Der Alte warf die Arme bittend auf. »Willst du einen Bettelmann ausrauben? Lass mir mein Heiligtum!«

»Nit einmal die Fechtbrüder wollen ihr stinkend Luthertum lassen!« rief der Stechbeck.

»Gib mir mein Heiligtum wieder!« klagte der Bettler. »Sonst straft dich der Herrgott!«

»Dein Herrgott ist ein übler Narr, er hat keine Kraft«, spottete der Trump und steckte den Taler in den Sack. Hernach trollte er sich zum Schenktisch, trank seine Bitsche aus und ließ den Wein wieder zum Mund heraus. »Ich soll deinen Jammer saufen, Wirt? Pfui Teufel!«

»Mein allerbester Jahrgang ist es«, rief der Wirt bestürzt.

»Du hast recht, Weinzapf«, grinste der Stöpfler, »dein Suff ist geistreich und kostet nix.« Er hatte sich aus dem Schrank einen Krug geholt, aus feiner Erde getöpfert; der Wirt hatte ihn einst von einem welschen Kaufmann erstanden. An dem Bauch des Gefäßes war in erhabener Art ein Eber abgebildet, den ein Hetzhund besprang: das wilde Tier mit gesträubten Borsten und entblößtem Gebleck und schmerzlich wütenden Augen, das Haupt nach dem Peiniger zurückwendend.

Der Stöpfler schwenkte den kunstvollen Krug. »Der Teufel soll gesunden!« gröhlte er, trank und schlug in bösem Mutwillen den Krug an die Wand.

Weinend kniete die Wirtin hin und las die Scherben zusammen. »So viel Freud hab ich an dem Krügel gehabt«, rief sie immer wieder.

Der Tröschel schob ihr mit dem Fuß den abgebrochenen Henkel hin. »Flenn nit, Mutter! Alles nimmt einmal ein End, der Herrgott selber und sein Regiment.«

»Holla, Wirtin, heiz ein! Mich friert!« heischte der Stechbeck.

Im Winkel unter den Bauern saß ein Mann, dem brannte eine breite Narbe auf der Stirn. Mit grauen, zornigen Augen sah e dem Unfug zu.

»Der Mai ist da«, sagte der Kristof Zeller, »da heizt man nimmer, da spart man das Holz«

»Halt das Maul, Bauer, und zahl!« finsterte ihn der Stechbeck an. »Seit dem Weißen Berg friert mich allweil. Was verstehst denn du dummer Ackerschroll? Heiz ein! Mein Schuhnägel kriegen den Husten. Und ist kein Holz im Haus, so renn in den Wald und hack dir eins! Ich zeig dir, wie man hackt.«

Er riss den Pallasch heraus und schlug auf den Tisch los, dass die Bitschen und Kandeln hüpften und stürzten und die Späne flogen. Es war ein ehrwürdiges, altbewährtes Gerät, das da zerschlissen und zerschrotet wurde, achteckig, stämmig und breit, und in seiner Lade lag das fromme Brot.

Der Steckbeck versorgte sein Plempe wieder. Höhnisch dem wilden Blick des Zeller begegnend, begann er ein Schimpflied über den verjagten Winterkönig, das dazumal bei den päpstlichen Soldaten in Schwung ging. Und die Reitersmetze sang ihm kreischen darein: »Mit ihren langen Spießen haben sie mir das Herz zerrissen!«

Der Tröschel hingegen redete dem Küperlein zu: »Wenn es nottut, so spei getrost!« Und der Küperlein hub an zu würgen, und sein Magen überstürze sich.

»Der kotzt, als hätt er an der Speiwurz gerochen«, staunte der Fetz. »He, du Saushals, kotz mir mein hübsches Dirnlein nit an!«

Immer wüster, immer gieriger wurde die Spießgesellschaft.

»Einen gesottenen Hecht will ich!« lallte der Küperlein, das grünlichfahle Gesicht erhebend. Der Schreiz drängte: »Mir einen gemästeten Gänsbauch!« und der Gander wetterte: »Der Satan röst dich! Wirt, hurtig! Schenk mir einmal bayerisch ein!«

Da ergrimmte der Wirt. »Ihr sauft, bia ihr räudig werdet! Das Maul schoppt ihr euch, dass ihr nit ‚Pfaff' sagen könnt! Einen ganzen Hirsch tätet ihr samt den Hörnern verschlünden! Dazu muss ich euch die Rössen mit Haber füllen. Und dafür krieg ich keinen Heller und keinen Dank und kein Vergeltsgott! Lieber säh ich den Wolf im Stall als euch in der Stube!«

Der Stechbeck schepperte mit dem Säbel. »Schnalz uns nit so an!« Und der Tröschel lachte kobolisch: »Ungeladene Gäst sitzen fest.« Der Schreiz aber schlug den Wirt ins Gesicht. »Da hast du eine Faunze, die nimm als Zahlung!«

Der Weingeb taumelte zurück. Die grelle Wut zuckte ihm aus dem Auge.

Scherzend suchte der Tröschel einzulenken. »Wein her! Gibt es im Römischen Reich noch ein Wirtshaus, wo ich nix schuldig bin? Wer mir borgt, hat zu sorgen.«

Aber die Bauern waren schon hellauf. Die Schädel gesenkt wie die Stiere setzten sie an, die den gehassten Hirten in die Luft schleudern wollen. Das Maß war übergeronnen.

»Wollt ihr euch an uns reiben, ihr lutherischen Hundsbuben?« forderte der Trump heraus und tat einen pfeifenden Luftstreich mit dem Schwert. »Geht es euch noch allweil zu gut? Wartet nur, wir werden euch noch mehr schinden und schatzen! Bis an den Bauch sollen unsre Gäule in euerm Hafer stehen! Unsre Hunde sollen mit euch aus einer Schüssel fressen! Die Schneid kaufen wir euch ab.«

Der Kristof Zeller reckte sich. »Ausfressen tut ihn uns! Wir haben bald nix mehr zu beißen. Der Teufel trag euch über die Donau weg!«

Darauf der Gander: »Friss dein eigenes Geschmeiß, Bauer!« Hämisch maß er den Zeller von den Schuhen bis hinauf zu dem Jodelhut. Dann grölpste er ihm den sauern Atem in den Bart. »Woher hast du denn die spitzige Haube?«

»Willst du es wissen?« trotzte der Zeller. »Der Steffel Fadinger hat sie mir aufs Hirn gedrückt.«

Tückisch langte der Reiter hin und schlug ihm den Hut vom Kopf.

»Ruh und Fried!« zeterte der Wirt. »Und reiset mir aus dem Haus!«

Der Kristof Zeller heftete die wilden Gluderaugen auf den Beleidiger. So hatte er darein geglüht, wie er beim Einbruch der Passauer den wallonischen Reiter erwürgt hatte, der ihm die Leinwand von der Bleiche hatte rauben wollen. Und jetzt packte er den Soldaten an der Brust und warf ihn zu Boden.

Als hätte der blitzblaue Strahl dreingezackt, stand alles in Brand.

»Rührt euch nit! Ich leg euch kalt!« drohte der Stechbeck die Bauern an.

Der Trump raffte sich auf, die Augen blutunterlaufen, lechzend: »Haut und Bein zerhau ich dir! Zu Fetzen zerhau ich dich!«

Ein Mann, todbleich, schnaubend vor Eile und Erregung, trat in die Tür und gellte: »Auf offener Straße haben die Soldaten dem Auringer seine Bäuerin nackt ausgezogen, blutnackt ausgezogen! Ein ehrbares Weib! Fünf kleine Kinder hat sie. Sie liegt jetzt wie tot auf der Straße. Ein Bettelweib hat ihr Fürtuch über sie gelegt. Dass man die Schand nit sieht!«

Das Haus toste. Stühle krachten nieder, Knüttel sausten, es klirrte, splitterte. Die Reiter, Leib an Leib mit den Angreifern, konnten die Waffen nicht gebrauchen. Der Stechbeck trat wie besessen mit den Füßen um sich; der Zeller packte ihn beim Sporn und riss ihn nieder. Der Wirt setzte sein Stichmesser dem Schreiz ins Gesicht. Eine Axt zischte: blutend sank einer zurück. Die Soldatendirne kreischte zur Tür hinaus. Blut floss in den verschütteten Wein, in das Gespei.

Keuchende Ringer, Geheul der Verletzten, Hilfeschreie. Der Küperlein kniete in einer roten Lache und winselte: »Bringt mich nit um!«

Nur wenige Reiter schlugen sich durch. Die Rösser ließen sie im Stall zurück, die nackte Haut zu retten. Sie konnten vom guten Glück reden.

Denn donauher sprengte einer seinen Gaul auf Leben und Sterben. Vor dem Wirtshaus hielt er. Vom feimenden Tier herab ächzte er: »Nachbarn, – drüberhalb der Donau – ist es losgegangen! – Zu Lembach – auf der Kirchweih! Raufend sind wir worden! Mit dem Hauptmann Tannazel seinen Knechten. Ein Ross haben sie uns weggenommen. Da haben wir drein gehaut. Sechs von ihnen sind hin. Und alles ist aufrührig. Wie Zunder fange es. Drunter und drüber geht es!«

Ein Schauder flog die Leute an.

Der Zeller wies in die Stube hinein. »Da, schau, Bot!«

Vier Dragoner lagen drin erschlagen.

Der Bettelmann hockte neben der Leiche des Trump, den Evangelitaler hatte er sich wieder genommen. »Unrecht Gut«, kicherte er, »das grünt nit lang.«

Mit aufgerissenem Maul, den Schädel klaffend zerhackt, lag der Schreiz; noch stockte ihm das Blut nicht, es rann ihm in den Mund hinein. Der Stechbeck hatte den eigenen Säbel in der Brust. Der Küperlein war im trunkenen Elend hingefahren.

»Bauern!« schrie jetzt der Kristof Zeller. »Enterhalb der Donau brennt das Land. Und jetzt schlagt das Feuer auch bei uns aus dem Dach. Die Soldaten liegen auf uns. Was sie treiben, ist gegen Gott und gegen alles Recht. Das Mark saufen sie uns aus dem Bein. Sie melken uns wie die Küh, bis aufs Blut! Sie pressen uns hinten und vorn. Und das lautere Wort Gottes wollen sie uns nehmen. Das schlagt dem Fass den Boden aus! Gewalt muss sich gegen Gewalt stemmen! Den Herbersdorf, den Leutschinder, müssen wir aus dem Land räumen mit seinen Knechten! Der Bauer muss sich bäumen! Es hilft nix anders.«

Der Krieg stieg auf, schwarz und unablenkbar wie ein Gewitter.

In selber Nacht zuckten wilde Feuer auf den Bergen des Hausrucks und jenseits in dem rauen Landviertel, das die Mühl durchrinnt. Und es war ein Sausen in den dunkeln Lüften.

Verschlossener und trotziger denn je starrten die finstern Wälder. Und die unschuldige Erde träumte von dem Blut ihrer Kinder, das sie jetzt trinken sollte.


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