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26.

Kasparus lag im Fieber und träumte.

Ein freies, herbstlich ödes Feld dehnte sich unabsehbar hinaus, von wolkenden Nebeln überflogen. Und aus einer Scholle dieses Feldes wuchs ein dunkles Schwert. Ein Bauer trat aus dem Nebel. Er trug die bitteren Züge des Fadinger. Bald aber ähnelte er dem rauen Kristof Zeller, bald wieder schillerte an dem Traunmann das Angesicht eines jeden Kämpfers, der aufrichtig sich erhoben in diesem Land. Und der Mensch ergriff das Schwert und zog es aus der Scholle. Da hub es an zu wachsen, und es wuchs über ihn hinaus, die Querstange des Griffes ward zu breiten Balken, und ein hohes Golgathakreuz neigte sich und legte sich dem Bauern auf die Schulter. Und der Träumer fühlte den schweren, kantigen Schmerzdruck an sich selber und sah sich plötzlich eingereiht einer dunkeln Tausendschar von Menschen, sah sein Volk sich dahinschleppen wie den Menschensohn zum Marterfels, blutend, beschimpft, stürzend und mit letzter Kraft sich wieder aufraffend.

Der Berndl saß schlaflos und hörte den Landsmann im Traum stöhnen. Er zog einen Kienbrand aus dem Herd und leuchtete. Da lag der Student, die verwundete Stirn verbunden, und schlief unruhig, und eine Träne rann ihm aus dem Auge.

Der Berndl rüttelte ihn. »Wach auf! Du träumst arg.«

»Wo bin ich?« seufzte Kasparus.

»Vor Vöcklabruck« erwiderte der treue Mann. »Bei mir.«

Der Geist des Kasparus sammelte sich. »Die Brunnen stoßen Blut«, flüsterte er. »Blut speien die Berge, blutig kommen die Wasser geronnen aus den Schluchten! Blut, überall Blut! Die Geier halten Kirchweih auf den Feldern unsers Landes. Sag, Bruder, warum hängt der Zorn Gottes über uns?«

»Es ist uns halt so aufgesetzt«, sagte der Berndl in bitterem Gleichmut.

»Wir stehen für sein verfolgtes Wort«, fuhr der Student fort. »Und kein Gottesengel stößt nieder, uns zu helfen! Unser Vertrauen wird zuschanden. Wir sind geschlagen! Das Land steht erzangelweit offen dem Feind! O das Mark im Schädel tut mir weh! Sag, Berndl, haben wie denn den rechten Gott?!«

Der Mond blickte har und kalt. Im Winkel dämmerte ein finsteres Herrgottskreuz. Kasparus ballte die Faust danach. Weiß war er wie ein Geist. »He, du Angenagelter«, schrie er, »bist du taub?«

Mit fiebernden Adern, blass wie der leidige Tod, sank er zurück auf das Pfühl.

O könnte er den Vorhang wegreißen vor Gottes streng verhülltem Antlitz! Was mochte dahinter sein? Ein Auge, träumerisch vorüberschauend an die Welt? Eine Stirn, starr und achtlos der Verzweiflung des Geschöpfes? Ein Mund, lachend über das wüste Spiel des Lebens, da er entfacht? Ein Scheusal, grässlich fletschend gegen die Welt?

O, dass Gott mit seiner Schöpfung auch die Qual erschaffen hatte!

Den Studenten packte ein maßloser Zorn gegen den großen Schuldigen im Himmel. Ihn drängte es, nach ihm zu stoßen, ihn zu schlagen, ihn zu fassen an dem grauen Bart. Aber wie sehr er auch rang, die Arme zu heben, sie lagen bleiern und gelähmt. Da spie er in seiner Ohnmacht empor gegen Gott.

Der Speichel fiel zurück in sein Gesicht.

Mit übermenschlichem Willen sprengte er den Bann, der über seinen Gliedern lag, er riss sich das Tuch von der Stirn, er risse es herunter samt dem schwarzen Schorf, hielt die blutige Stirn empor und schrie: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

Dann verstürzte sein Geist in Finsternis.

Als er sich wieder fand, war es Tag in der Stube.

Ein verhärmtes Weib stand an der Schwelle, hungerfahl, frierend vom rauen Herbst. Drei blasse, weinende Kinder hielten sich an ihrem Kittel und lugten scheu hin nach dem Mann mit der blutigen Stirn.

Sie streckte den dürren Finger nach ihm. »Du! Du! Witwen und Waisen verfluchen dich! Du hast uns unselig Bauernvolk aufgehetzt! Du bist an unserm Elend schuld! Ausliefern sollten wir dich!«

»Hinaus!« brüllte der Berndl sie an.

»He, du gescheiter Student«, redete das Weib weiter, »sag, ist das wahr, dass uns der Heiland erlöst hat? Wovon hat er und denn erlöst? Hängt nit über uns allweil noch Krieg, Hunger, Schuld, Sünd und Verzweiflung?!«

Sie wartete nicht auf Antwort und ging.

»Berndl«, flüsterte der Student, »es ist Zeit, dass ich – heimgeh. Das – nimmt mir die Kraft.«

Trotzig lachte der Berndl. »Begreifst du unser Werk? Soll ich dir meine hirschlederne Seel leihen? Oder willst du zu dem Kaiser Ferdinand hinrutschen und zu seinen Jesuitern?«

Kasparus betrachtete schweigend sein Schwert.

An jenem Morgen dache er lange und einsam über Gott und Verhängnis nach. Und er ward still, und der Zweifel, der sich wie ein Geier in ihn verkrallt hatte, löste sich von seiner Brust.

Der Dornkranz schloss sich um die Stirn seines Volkes. Gott hatte es hinaus gehängt in Donner, Nacht und Tod. Gott wollte es so haben. Sein Wille war die schwere Notwendigkeit.

Nicht dem Glück eines mühsalvollen Bauernvolkes galt der Kampf, nicht den zufälligen Dingen der Welt, und der Sinn des Krieges war nicht, dass des Papstes Macht, dass Luthers Meinung herrsche auf Erden, sondern um Ewiges ging es, um das ewige Recht des freien Gewissens. Für die ganze Menschheit schlug der Bauer diese Schlachten. Er stritt, dass die Gottheit erhöht werde in der Menschenseele. Vorfechter einer lichteren Welt, sank der Bauern und starb und siegte.

Als gegen Mittag der Berndl wiederkam, begrüßte ihn Kasparus: »Bruder, Gott ist uns hold. Wir dürfen leiden! Größe wird nur um Größe eingetauscht. In seinem leidenden Kind hat Gott die Welt betreten. Der Herrgott ist ein armer Mensch worden und hat uns gezeigt, dass die gewaltigste aller Taten das Opfer ist.«

Der Berndl schaute ihn unsicher an. Hernach meinte er: »Ich spür, du willst unsrer Sach den Dienst nit aufkündigen. Ja, Kasparus, ist es, wie der will: wann am Jüngsten Tag der Alte droben ins Heerhorn bläst, wir treten auf seine Seit und raufen mit dem Teufel. Aber jetzt auf! Der Pappenheim ist uns auf dem Hals!«

*

Wildes, gelbliches Gewölk vom Höllengebirg her.

Der zersprengte Bauernhaufe stand wider gesammelt. In zähem Willen erwartete er den neuen Prall des Feindes.

Auf freiem Feld vor dem Buchschachen rief Kasparus die Schar noch einmal auf. Er redete nimmer die entlegene Gottheit an. Er wusste, dass der Rätselhafte nicht die Ringe seiner Himmel durchbrechen, zur Erde niederfahren und ein siegreich Wunder tun werde.

Doch war seine Stimme heute von einer stillen, großen Kraft.

»Wir sterben«, rief er. »Unsere Seele bleibt: ihr tut sich das ewige Reich auf. Der Leib bleibt: denn daraus wächst das Gras und die Ähre des neuen Kornes. Unser Fleisch wird künftig rauschen in der Saat, im grünen Laub. Wer fürchtet den Tod, wenn er sich ewig weiß?!«

Die Sonne brach durch die Wolken, strahlte und verging.

Kasparus endigte: »Wir wollen streiten, wie einst Sankt Michael gestritten gegen den Abgrund! Wir sterben. Am Jüngsten Tag blüht unser Staub wieder. Dann treten wir zur Rechten des Richters. Denn wir sind treu geblieben. Und alle Ehr fließt aus der Treu!«

Die Vortraber des feindlichen Heeres zeigten sich. Der Pappenheimer ritt daher, die Mähne seines Hengstes war bereift.

Da rief Kasparus ihnen leidenschaftlich entgegen: »Erschlagt die Wahrheit! Verscharrt sie tausend Ellen unters Gras! Am dritten Tag steht sie wieder auf.«

Er sah empor. Er schaute Gottes weises, regungsloses Antlitz über sich. Er fühlte die Weisheit des Weges, der ihn führte, und er vertraute.

Der Wolken Schatten ging gewaltig übers Feld. Auf den Höhen sannen die Wälder an finsteren Anschlägen, als wollten sie niederschreiten und Tal und Menschen zerstampfen.

Ein Falkonenschuss ward gelöst.

Ratlos floh ein Reh aus dem Dickicht.

Der Kampf begann. Die Mörser spritzten Feuer.

Fahle Raserei im Gesicht, wehrte sich der Bauer.

Ein wilder Kampf sprang droben von Wolke zu Wolke. Posaunen funkelten droben und dröhnten.

Der Bauer unterlag.

*

Kasparus war tief getroffen worden. Sein Ross riss ihn aus dem Gemetzel.

Bei dem Steg, der über den Hundsbach leitete, sank er vor Schwäche aus dem Sattel. Das herzrote Blut rann von ihm. Die Weiden am Ufer taumelten.

Im welken Gras hub das Ross zu äsen an.

Verfolger klirrten näher.

Kasparus schleppte sich über das Brücklein. Ihn deuchte, drüben müsse er geborgen sein.

Mitten auf dem Steg blieb er liegen. Alle Kraft hatte ihn verlassen. Aber auch alle Schwere. Ihm war, jetzt könne er sich von dem Boden erheben in die Lüfte.

So also war das Sterben.

Der Tag des Zornes war gewichen. Stille Abendherrlichkeit war droben eingekehrt, ein selig beruhigter Goldhimmel.

Die Augen des wunden Mannes wurden fern und seherisch. Er schaute einen schönen Traum. Darin ging der Bauer friedlich und gesichert hinter dem Pflug, der Müller beschüttete lachend sein Werk mit gelbem Korn, fröhlich läutete des Schmiedes Hammer durchs Dorf, der Rauch des Meilers glomm in blauer Ruhe über den Wald. Mütter sangen, Kinder spielten.

Der Träumer lächelte. Stern des Friedens!

Und erwachend schaute er die unzerstörbaren Berge gebreitet und das Land voll unerschöpflicher Kraft, das sein Volk an der nährenden Brust hielt. Eine sorglose Ruhe überkam ihn. Er wusste sein kämpfend Volk geborgen.

Zwei Krobaten eräugten den Studenten, dem das Blut vom Steg hinab in das eilende Wasser tropfte.

»Bist du der Hahn im Korb?« rief der eine. »Bist du der luthrische Kaplan?«

Er stieg vom Gaul und trat auf den Steg. Der Student hatte das Hemd über der Brust offen: eine Wunde trug er so tief, dass man dadurch das Herz schlagen sah.

»Gib ihm den Fang!« rief der Krobat. »Der Kaiser bezahlt dir seinen Kopf mit einer goldenen Kette, vom Hals bis zum Schuh so lang.«

In letzter Gebärde hob Kasparus die Hand, als wolle er den Himmel stützen. »Gott«, flüsterte er, »lass mich wiederkehren! In tausend Menschenformen lass mich wiederkehren auf die kämpfende Erde!«

Dann aber strahlte vor seinen sinkenden Augen die Geliebte auf im goldenen Gewölk. Und von den seligen Höhen fuhr ein Schifflein nieder mit schneeweißen Segeln, und drin saß der gekrönte Fährmann Herr Jesuchrist und rührte die gläsernen Ruder.

Orgeln und Glocken vereinigten sich, klangen feierlich aus den Abgründen der Ewigkeit.

Kasparus seufzte: »Kraft! Held! Friedfürst! Jesus! Jesus! Jesus!«

Die Lanze des Krobaten fühlte er nimmer.


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