Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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53

Als sie zu Julius zurückkehrte, saß er auf der Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.

»Was ist los, Fay?« fragte er schnell.

»Bellamy ist hier in der Wohnung.«

Er schaute sie an und versuchte, seine Gedanken zu konzentrieren.

»Bellamy – Abel Bellamy ist hier? Was will er denn?«

»Er möchte dich sprechen. Wie lange bist du denn schon hier, Julius?«

»Ich weiß es wirklich nicht, sicher ist es schon einige Zeit her.«

Er hatte die Schuhe ausgezogen, bevor er sich niedergelegt hatte und schaute sich nun hilflos nach ihnen um. Er war noch halb im Schlaf. Sie reichte ihm seine Pantoffeln.

»Du brauchst ihn nicht zu sprechen, wenn du nicht willst, Julius.«

»Doch, ich werde zu ihm gehen,« sagte er und lächelte merkwürdig. »Geht es Miß Howett gut?«

Fay nickte, und unter vielem Gähnen stand Julius auf und folgte ihr in das Wohnzimmer. Es war eine gewisse Genugtuung für ihn, dem Mann, den er bis jetzt so gefürchtet hatte, gegenüberzutreten.

»Nun, was können Sie zu Ihrer Entschuldigung sagen?« fragte Bellamy.

»Sprechen Sie nicht in diesem Ton zu mir,« sagte Julius und machte eine Handbewegung, als ob er Abel Bellamys Anblick verscheuchen wollte.

»Wo ist das Mädchen?«

»Welches Mädchen?« fragte Julius unschuldig.

»Sie sind ihr doch auf die ›Contessa‹ gefolgt!«

»Ach, die ist nach Hause gefahren,« sagte Julius leichthin.

»Das Lügen ist Ihnen vermutlich schon zur zweiten Natur geworden! Ich weiß, daß sie hier ist in dieser Wohnung. Man hat Sie beobachtet, wie Sie sie hergebracht haben.«

»Warum zum Teufel fragen Sie denn noch, wenn Sie es so genau wissen?« sagte Julius gereizt. »Ja, sie ist hier.«

Der Alte biß sich auf die Lippen.

»Wie sind Sie denn von dem Schiff weggekommen?«

»Das geht Sie gar nichts an,« erwiderte Julius kühl.

Bellamy schluckte seinen Ärger hinunter.

»Hat Smith Sie denn nicht gesehen?«

»Smith ist tot.« Fay warf diese Äußerung dazwischen. Julius starrte sie an.

»Tot?« fragte er ungläubig.

Sie nickte.

»Woher wissen Sie das?« fragte Bellamy.

»Featherstone sagte es mir vor etwa einer Stunde.«

»Aber wie starb er denn? Ist er ermordet worden?«

»Der Grüne Bogenschütze hat ihn erschossen!«

Abel Bellamy sprang mit einem Fluch auf.

»Sie sind verrückt,« rief er. »Der Grüne Bogenschütze? – Hat ihn denn jemand gesehen?«

»Wozu fragen Sie mich denn soviel? Nun hören Sie mal zu, Mr. Bellamy, das ist hier kein Auskunftsbureau. Ich sage Ihnen nur, was ich erfahren habe. Coldharbour Smith wurde in dem Salon des Schiffes tot aufgefunden. Ein grüner Pfeil hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Das ist alles, was ich darüber weiß.«

Bellamy war durch die Nachricht ganz verstört.

»Um so besser,« sagte er schließlich. »Savini, wir verstehen uns doch beide, ich will keine langen Redensarten machen. Ich biete Ihnen zehntausend Pfund, das sind fünfzigtausend Dollars, und ich biete Ihrer Frau dieselbe Summe, wenn Sie mir einen Dienst erweisen wollen, Sie wissen doch, was das zu bedeuten hat – hunderttausend Dollars geben im Jahr sechs- bis siebentausend Dollars Zinsen. Damit können Sie in aller Ruhe und in allem Luxus in einem anderen Lande leben.«

»Umsonst bieten Sie mir das doch nicht an,« sagte Fay fest. »Was sollen wir dafür tun?«

Abel Bellamy wies auf die Tür.

»Bringen Sie das Mädchen noch heute nacht nach Garre Castle. Wir werden alle zusammen dorthinfahren, mein Wagen wartet vor der Tür.«

Julius schüttelte den Kopf.

»Es gibt sehr vieles, was ich für Geld tue, Mr. Bellamy, aber das gehört nicht dazu. Sie können gar keine Summe nennen, die groß genug wäre, das zu tun.«

Fay nickte zustimmend, um die Worte ihres Mannes zu bekräftigen.

»Niemand wird etwas davon erfahren,« sagte Bellamy und dämpfte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Sie ist vom Schiff verschwunden, niemand weiß, daß Sie mit ihr zusammen waren. Das Geld können Sie sich doch leicht verdienen, Savini. Ich will mein Angebot auf fünfzehntausend für jeden erhöhen –«

»Und wenn Sie es auf fünfzehn Millionen erhöhten, würde es auch nichts ausmachen,« erwiderte Fay. »Und ich würde es Julius sehr verdenken, wenn er es täte. Wir haben jahrelang von Betrügereien gelebt, aber wir haben höchstens Männer hereingelegt, die weiter nichts verloren als ihr Geld.«

Abel Bellamy schaute auf die Tischdecke und stand eine Weile nachdenklich da. Dann schlug er den Kragen seines Mantels hoch.

»Nun gut, dann wollen wir die Sache fallen lassen, Julius. Sie können am Montag morgen nach Garre Castle zurückkommen. Ich will sehen, daß ich Ihnen eine bessere Stellung und mehr Gehalt geben kann.«

»Ich komme nicht mehr zu Ihnen zurück.«

Bellamy drehte sich hastig nach ihm um.

»Wie, Sie wollen nicht?« fragte er drohend. »Vermutlich glauben Sie, daß Sie aus Howett mehr herauspressen können als Sie von mir bekommen?«

»Es ist mir ganz gleich, auch wenn ich von Howett überhaupt nichts bekomme,« sagte Julius ärgerlich. »Ich habe es nicht für Geld getan und außerdem –« Er dachte plötzlich an seinen früheren Plan, hielt mitten im Reden an und sagte dann zu der größten Überraschung seiner Frau: »Also, Mr. Bellamy, ich werde am Montag morgen nach Garre kommen.«

Bellamy schaute ihn an und nickte.

»Das ist auch das Beste, was Sie tun können.«

Fay begleitete ihn bis zur Tür und verschloß und verriegelte sie hinter ihm. Bevor sie aber zu Julius ins Wohnzimmer zurückkehrte, telephonierte sie an Jim Featherstone, der daraufhin ohne Hut und Mantel in den Nebel hinauseilte.

»Machen Sie keinen Lärm,« flüsterte ihm Fay zu, als sie die Tür öffnete. »Sie schläft noch. Was habe ich Ihnen gesagt, Featherstone? Julius hat sie von dort fortgebracht. Julius ist wirklich ein feiner Mensch.« Und sie lobte ihn weiter, während er mit ihr zum Wohnzimmer ging.

Julius war noch im Schlafrock. Die Unterredung mit Bellamy hatte ihn vollständig wach gemacht, aber er sah müde und hohläugig aus.

»Sie ist wirklich wundervoll, Captain,« sagte er und drückte Jim die Hand. »Ich habe eben mit Mr. Howett telephoniert und ihm erzählt, daß seine Tochter sicher und wohlbehalten in meiner Wohnung schläft.«

»Wie sind Sie denn aber von dem Schiff entkommen?«

»Es war leicht und doch zugleich schwierig,« sagte Julius geheimnisvoll. »Es gelang mir, die Handschellen abzustreifen und meine Füße freizumachen. Nun war nur noch die Tür zu öffnen und ich mußte warten, bis einer von den Kerlen mir am Abend Essen brachte. Als er die Tür aufmachte, sprang ich auf ihn zu und bevor er wußte, was geschah, war ich an ihm vorbei auf Deck und ins Wasser gesprungen. Beinahe hätte er mich mit einem schweren Gegenstand getroffen, den er hinter mir herwarf. Aber ich tauchte unter. Der Nebel war sehr dicht und das Wasser kalt, und ich überlegte mir schnell genug, daß ein halbverhungerter Mann kaum schwimmend das Ufer erreichen würde, besonders nicht im Nebel. Und dann dachte ich auch, daß es eigentlich nicht recht sei, Miß Howett im Stich zu lassen, und so wandte ich wieder um und schwamm auf die andere Seite des Schiffes. Ich hielt mich an einer Vertäuungskette fest, die ins Wasser herunterhing. Ich war schon halb erfroren, als ich plötzlich ein Tau von einem halb heruntergelassenen Boot herabhängen sah. Schnell kletterte ich hinein, aber ich war so schwach wie eine verhungerte Ratte. Ich legte mich erst eine Weile hin und überlegte, was ich nun anfangen sollte. Haben Sie jemals schon naß bis auf die Haut in einem offenen Boot gesessen? Dazu der feuchte Nebel! Schließlich konnte ich es doch in dem Boot nicht mehr aushalten und kletterte an Deck. Ich hörte Stimmen im Salon und öffnete das Deckenfenster. Smith war betrunken und stritt sich mit Miß Howett. Aber sie machte sich von ihm los, lief in den Schlafraum und schloß die Tür. Ich entdeckte eine lange Strickleiter und befestigte sie an einem der Deckenpfosten. Als ich dann sah, daß Smith den Salon verließ, um sich nach mir umzusehen, öffnete ich das Deckenlicht weit, ließ die Strickleiter hinunter in den Salon und kletterte schnell hinab, trotzdem ich vor Kälte ganz steif war. Ich mußte ja auch immer fürchten, daß der Kerl zurückkommen würde. Nach ein paar aufregenden Augenblicken hatte ich Miß Howett davon überzeugt, daß ich im Zimmer sei und nicht Coldharbour Smith. Sie öffnete die Tür, und ich hielt ihr die Leiter, als sie nach oben stieg. Dann folgte ich ihr sobald sie oben auf dem Deck angekommen war. Im Handumdrehen waren wir in dem Boot. Ich wußte nicht, wie die Flaschenzüge in Gang gebracht weiden sollten, aber Miß Howett, die sich im Segeln genau auskennt, zeigte mir, wie die Seile gebraucht werden und wie man das Boot aufs Wasser bringen konnte. Sie nahm das eine Tau und ich das andere, und gleich darauf hatten wir das Boot klargemacht. Das ist alles, was ich über unsere Flucht berichten kann. Nur hat es noch sehr lange gedauert, bis wir einen Landungsplatz fanden. Aber dann hatten wir Glück und fanden schnell ein Auto. Ich hielt es für das Beste, Miß Howett hierherzubringen, da ich nicht wußte, wo sich ihr Vater augenblicklich befand. Und hier konnte Fay für sie sorgen.«

»Haben Sie nicht noch ein anderes Boot gesehen, als sie von der ›Contessa‹ fortruderten?« fragte Jim.

»Wir sahen noch ein anderes kleines Boot, das ein einzelner Mann ruderte. Es war auf der Südseite des Schiffes, und wir wunderten uns, wer es sein könnte. Er war aber nicht nahe genug, daß wir ihn hätten erkennen können. Glauben Sie, daß es der Grüne Bogenschütze war?«

»Das ist möglich.«

»Es ist doch merkwürdig – wir riefen ihn an, weil wir die Richtung nicht wußten. Er muß uns sicher gehört haben, aber er antwortete uns nicht.«

Jim stand auf.

»Gott sei Dank, daß Sie von dem Schiff entkommen sind,« sagte er. »Nun wäre es aber für Sie besser, wenn Sie sich zur Ruhe legten, Savini. Mr. Howett wird früh am Morgen hierherkommen. Fay –« er nahm ihre Hand in die seine – »wenn wir uns jemals wieder dienstlich treffen sollten, was ich unter allen Umständen beklagen würde, dann werden Sie einen guten Freund bei der Polizei und beim Gericht haben.«

Julius hatte ihm nichts von dem Besuch des alten Bellamy gesagt, und Fay erinnerte ihn daran, als Featherstone gegangen war.

»Ich glaube nicht, daß es klug gewesen wäre, ihm das mitzuteilen,« meinte er. »Du hast doch gehört, was er sagte. Er könnte ganz brauchbar sein, wenn wir einmal schnell fort wollten. – Ich habe eine Idee, daß man doch viel Geld von gewissen Leuten bekommen könnte. Aber das scheint mir heute wirklich nicht mehr so verlockend. Ich nehme lieber meinen alten ersten Plan wieder auf und ich denke, Bellamy wird es noch leid tun, daß er mich einlud, wieder zurückzukommen.«

»Und vielleicht wirst du es noch mehr bereuen, daß du wieder zu ihm gingst,« sagte Fay prophetisch.


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