Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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21

Julius Savini sagte seiner Frau ein paar recht unangenehme Worte, bevor er sie verließ. In der Gegenwart Featherstones und Valerie Howetts war er bedrückt, aber er war ein ganz anderer Mensch, als er mit Fay allein unter vier Augen war.

»Du hast mir wahrscheinlich die ganze Sache vollständig verdorben. Du hast alles zertrümmert, wofür ich nun schon seit Jahren arbeite – du hast mir direkt gutes und sicheres Geld aus der Tasche gestohlen!«

»Es tut mir sehr leid, ich wußte nicht, daß Featherstone hier war,« bat sie ihn um Verzeihung. »Ich wurde fast verrückt, als ich sah, daß du mit Miß Howett zu El Moro's gingst. Wärst du an meiner Stelle denn nicht auch eifersüchtig geworden?«

»Das ist kein Grund, um verrückt zu werden,« sagte Julius, »ich habe mir solche Dummheiten noch nicht geleistet.«

»Wie konnte ich denn wissen, daß sie deine Auftraggeberin war und dich bezahlte?«

»Woher glaubst du denn, daß ich das Geld hatte?« fuhr er auf sie los.

Es war sehr angenehm für einen Mann von Julius Savinis Temperament, jemand zu haben, an dem er seine Wut auslassen konnte.

»Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß der Alte mir das Geld gibt oder bist du so dumm? Ich würde mich nicht wundern, wenn es jetzt mit der Freigebigkeit Miß Howetts zu Ende ist. Ich werde wahrscheinlich nie wieder einen Cent von ihr sehen. Aber sage einmal, weiß Featherstone denn, daß wir verheiratet sind?«

»Das wußte er schon lange, er hat es mir neulich auf den Kopf zugesagt, als ich ihn im Park traf. Aber was ist denn auch dabei? Schämst du dich etwa?« fragte sie argwöhnisch.

»Nun, sei doch vernünftig,« sagte Julius. Dann läutete er nach dem Kellner, um die Rechnung zu bezahlen. Zu seiner Erleichterung nahm sie seine Entschuldigung, daß er mit dem nächsten Zug zurückkehren müßte, ohne weiteres an und begleitete ihn zum Bahnhof. Sie war schon wieder auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung, als ihr einfiel, daß sie doch das Gepäck ihres Bruders von der Eisenbahnstation holen wollte.

In dem Zug, der Julius nach Berkshire brachte, fuhr auch ein Hundezüchter mit zwei wildaussehenden Hunden mit. Julius sah sie auf dem Bahnsteig der kleinen Stadt, die nahe bei Garre lag. Sie schienen noch wilder und bissiger zu sein als die ersten beiden, und einer von ihnen hatte einen starken Maulkorb um.

»Sie sind wohl für Mr. Bellamy bestimmt?« fragte er den Mann.

»Ja, mein Herr, und ich wünsche Ihnen alles Vergnügen dazu – es sind fürchterlich scharfe Tiere!«

Auf der Station hielt nur ein Mietauto. Julius nahm es, und obgleich es ihm ganz gegen den Strich ging, mußte er den Mann mit den Hunden einladen, auch in dem Wagen Platz zu nehmen und mit nach Garre zu kommen. Die Fahrt war wirklich nicht angenehm.

Mr. Bellamy zeigte seine außerordentliche Überlegenheit Tieren gegenüber. Die Hunde schienen das Rohe und Brutale seines Charakters zu spüren. Gleich nach ihrer Ankunft nahm Bellamy dem schärfsten der beiden den Maulkorb ab, klopfte ihm auf den zottigen Kopf, und der große Hund legte sich gehorsam zu seinen Füßen nieder. Abel brachte die Tiere sofort zu dem Käfig, ohne Stock oder Peitsche zu gebrauchen. Sie folgten ihm willig, gingen zu den anderen Hunden hinein und ließen sich an die Kette legen, ohne auch nur zu knurren oder zu bellen. Der Alte schien eine ungewöhnliche Genugtuung bei dieser Beschäftigung zu empfinden. Er ging mit Julius, der ihm in großem Abstand gefolgt war, nach der Halle zurück und amüsierte sich über die Furcht seines Sekretärs.

»Savini, in Ihnen steckt kein richtiger Teufel, das können die Hunde auch nicht leiden. Sie haben den Charakter eines Pudels, Sie kennen doch diese langhaarigen Kerle, die die Frauen an schönen Leinen spazierenführen – aber diese Hunde sind scharf auf den Mann.«

Er schaute stirnrunzelnd in die Höhe, und seine Augen glänzten, als er den Galgenbalken oben bemerkte.

»Das waren noch Tage, was, Savini? Wenn ich fünfhundert Jahre früher gelebt hätte, dann hätte ich die Hunde auf Sie hetzen können, und bei Gott, das würde mir ein irrsinniges Vergnügen gemacht haben.«

Er meinte es so, wie er sagte. Schon die Vorstellung, daß sich Julius in Todesfurcht vergeblich dieser wilden Bestien zu erwehren suchte, bereitete ihm unbändiges Vergnügen.

»Aber die Polizei würde mich verfolgen und mich gefangensetzen,« sagte er mit einem Seufzer. »Und dann müßte ich in einem Zeugenstand vor Gericht stehen und lügen. Wissen Sie, Savini, heutzutage gibt es vielzuviel Gesetze. Was ist denn eigentlich das Gesetz? Schwächlinge haben es erfunden, um Schwächlinge zu beschützen. Menschen, die nicht für sich selbst kämpfen können, müßten zugrunde gehen. Ich lese da gerade im ›Globe‹ von einem Mann in Belgien, der ein Kinderheim hat, eine Organisation zur Heilung kranker Kinder. Wozu heilt er überhaupt diese kranken Kreaturen? Er zieht nur unnütze Bürger auf und ermutigt die Schlauen, die Starken zu betrügen.«

Julius gab ihm recht. Es war für ihn weit angenehmer, zuzustimmen, als dem Mann zu widersprechen, der ihn angestellt hatte. Und in diesem Falle konnte er auch aus voller Überzeugung zustimmen, denn das Geld, das der amerikanische Ingenieur für kleine Kinder ausgab, konnte wirklich besser angewandt werden. Für Julius war Menschenliebe in all ihren Äußerungen Torheit. Die Menschen, die daran Vergnügen fanden, wohlzutun, ohne auf eine entsprechende Belohnung zu rechnen, konnte er nicht verstehen.

»Ich hörte durch meinen Rechtsanwalt von diesem sonderbaren Menschen,« sagte Bellamy zu Savinis größtem Erstaunen. »Ich kannte einen Mann . . . der im Kriege fiel.« Einen Augenblick lang huschte ein Lächeln über seinen unförmigen Mund, als ob er etwas sehr Lustiges an dieser Tragödie fand. »Wissen Sie, so ein verrückter Flieger. Und dieser Wood in Belgien war sein Freund. Nach dem Kriege brachte er ein Testament bei, wonach er alles . . . von diesem . . . na ja, er war ein Verwandter von mir . . . wonach er alles erbte, was ihm gehörte. Es war ja auch gar nicht der Rede wert,« fügte er mit größter Genugtuung hinzu.

Julius wußte, daß er von seinem gefallenen Neffen sprach und vermutete, daß die Photographie in der Ledermappe hiermit in Verbindung stand.

»Er ist durchaus kein Freund von mir. Ich möchte wetten, daß er tatsächlich noch Geld verdient mit seiner verrückten Idee, Kinderheime zu gründen. All diese heiligen Geister legen doch ein bißchen für sich auf die Seite.«

Dies war seine Lieblingsidee und er stand nicht allein mit dieser Ansicht, daß reiner Altruismus eine Eigenschaft ist, die nur in der Einbildung dummer Leute existiert.

Bellamy ging nicht in die Halle, sondern an der offenen Tür vorbei. Savini begleitete ihn, war aber darauf gefaßt, hart angefahren zu werden, weil er Bellamy nicht allein ließ. Auf der anderen Seite würde er ausgeschimpft werden, wenn er eine Entschuldigung vorbrächte, um wegzugehen.

»Ich habe das Wassertor schließen lassen,« sagte Bellamy endlich. Julius seufzte erleichtert auf, als er auf die Weise erfuhr, daß seine Gegenwart erwünscht war.

»Ich kann mir nämlich gar nicht vorstellen, wo dieser grüne Spuk in die Burg hineinkommen kann; aber ich glaube, das Wassertor war der einzige Zugang.«

Sie kamen zu dem großen starken Eisengitter, das nun noch von einer Lage schwerer eichener Planken auf der Rückseite bedeckt war. Über die scharfen Spitzen des Tores waren dichte Reihen Stacheldraht gezogen.

»Wenn er hier hereinkam, wird er seinen Weg jetzt versperrt finden,« sagte Abel. »Wie er überhaupt in die Burg kommen konnte, ist mir ein Rätsel.«

»Vielleicht schleicht er sich während des Tages heimlich hinein und verbirgt sich.«

»Seien Sie doch nicht kindisch. Abends werden doch alle Räume durchsucht, das wissen Sie doch ganz genau. Er muß irgendeinen Weg kennen, den wir noch nicht entdecken konnten.«

Vorausgesetzt, daß der Grüne Bogenschütze ein menschliches Wesen war, (woran der abergläubische Julius stark zweifelte,) so grenzte es doch an ein Wunder, daß er kommen und gehen konnte, wie er wollte. Nur von zwei Räumen aus konnte man das Grundstück überschauen: von dem nicht benützten Speiseraum aus, dessen schmale Fenster jede Nacht mit eisernen Rolljalousien geschlossen wurden, und dann von Bellamys Schlafzimmer aus. Aber die Fenster dieses Raumes lagen sehr hoch, und man konnte nicht an sie herankommen. Außerdem bewohnte der Hausmeister noch einen Raum in dem Flügel, in dem sich die Burgkapelle befand. Man hätte hier eventuell von außen in das Gebäude eindringen können, aber die Fenster lagen über sieben Meter vom Boden entfernt, und es war stets jemand in dem Raum wahrend der Zeit, in der der Grüne Bogenschütze zu erscheinen pflegte.

Spike Holland hatte seinen Beobachtungsposten wieder eingenommen und saß auf der Umfassungsmauer, ungefähr hundert Meter von dem Pförtnerhaus entfernt. Durch ein starkes Fernglas hatte er Abel Bellamy und Savini beobachtet, wie sie außen um das Gebäude herumgingen. Gleich nachher sah er auch, wie sie beide in dem großen Tor verschwanden.

Die Ankunft der neuen Hunde hatte Spikes Aufmerksamkeit wachgerufen. Später telephonierte er mit dem Redakteur, der ihn etwas scharf anfaßte.

»Ihre Geschichte von dem Gespenst in Garre wird reichlich dünn, Holland, und ich glaube, daß die neuen Hunde Ihre Ferien auf dem Lande nicht vollkommen rechtfertigen. Können Sie denn nicht wenigstens einmal in die Burg hineinkommen und Bellamy interviewen?«

»Meinen Sie nicht, daß es besser wäre, den Geist zu interviewen?« fragte Spike ironisch. »Das wäre entschieden leichter. Ich bin schon so bekannt mit dem Alten wie ein Zigarrenanzünder mit einer Puderquaste. Also, Mr. Syme, lassen Sie mich ruhig hier, ich habe die feste Überzeugung, daß sich vor Ende der Woche große Dinge in Garre abspielen werden. Wenn Sie wollen, will ich auch ein Interview mit Bellamy arrangieren . . . nein, im Ernst . . . ich mache Ihnen nichts vor.«

Spike hatte eine besonders feine Nase für kommende Ereignisse und er ahnte, daß sich hier etwas vorbereitete. Alle Vorbedingungen für eine große Tragödie waren gegeben. Als er sorglos durchs Dorf schlenderte, hörte er die scharfe Hupe eines Autos und sprang zur Seite. In dem Wagen saß Miß Howett. Der Wagen hielt dicht bei ihm an. Sie lehnte sich hinaus und winkte ihn heran.

»Mr. Holland, darf ich Sie einen Augenblick bitten?«

Spike ließ sich das nicht zweimal sagen und war gespannt, warum sie ihn rief.

»Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten,« sagte sie ein wenig atemlos. »Haben Sie . . . können Sie mir einen Revolver verschaffen?«

Als sie sah, daß sich seine Stirne zusammenzog, sprach sie ein wenig zusammenhanglos weiter.

»Lady's Manor liegt sehr einsam, und da kam mir der Gedanke . . . nun ja, es ist sehr verlassen, nicht wahr? Und Mr. Howett trägt niemals Feuerwaffen oder so etwas Ähnliches mit sich herum. Ich wollte einen Revolver in London kaufen . . . eine Browningpistole, aber ich erfuhr, daß es scharfe Polizeivorschriften gibt und daß . . . man einen Waffenschein haben muß . . . und nun sah ich Sie eben und da fiel es mir ein . . .«

»Sicher, Miß Howett,« erwiderte Spike, als sie eine Pause machte, um Atem zu holen. »Ich habe eine Pistole im Hotel, und ich weiß nicht, warum ich sie in dieses friedliche Dorf mitgenommen habe. Die kann ich Ihnen geben, wenn Sie warten wollen, hole ich sie gleich.«

Er eilte zu dem »Blauen Bären« und war bald wieder zurück.

»Sie ist geladen,« sagte er, als er die Waffe aus der Tasche zog. »Es ist leider nur eine kleine Pistole. Aber das müssen Sie mir versprechen, Miß Howett, wenn Sie einen Einbrecher damit niederknallen, dann geben Sie mir das ausschließliche Recht, darüber zu berichten.«


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