Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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7

Spike Holland war gerade dabei, den zweiten Artikel über den Mord durch den Bogenschützen auszuarbeiten, als er ans Telephon gerufen wurde. Er berichtete dem Redakteur den Inhalt seines Gesprächs.

»Man ruft mich nach Scotland Yard – sehen Sie mal an, ich werde noch eine bedeutende Persönlichkeit!«

»Sind Sie gewiß, daß eine Frau in die Geschichte verwickelt ist?« fragte der Redakteur und schaute von Spikes Manuskript auf, das er eben prüfte.

»Sicherlich. Zwei Leute haben sie gesehen. Ich habe den Chauffeur gefunden, den sie in der Stadt nahm und dem sie den Auftrag gab, Creagers Wagen zu folgen. Außerdem hat eine Frau, die in der Field Road wohnt, eine Dame beobachtet, die über die Landstraße nach der Rückseite von Creagers Haus zu ging.«

»Und glauben Sie, daß man ihre Persönlichkeit feststellen kann?«

»Nichts ist sicherer in der Welt,« sagte Spike optimistisch. »Es ist nur die Frage, ob man dem Chauffeur die Gelegenheit geben kann, sie wiederzusehen.«

Zehn Minuten später war er in Scotland Yard.

»Der Chef des Bureau H wünscht Sie zu sprechen,« sagte der Sergeant, der an dem Eingangstor Wache hielt.

»Ich kenne das Bureau H noch nicht,« erwiderte Spike, »aber führen Sie mich nur hin.«

Ein Polizist brachte ihn in ein Zimmer, das nach Größe und Ausstattung scheinbar einem sehr hohen Beamten gehörte. Ein jüngerer Mann schrieb eifrig an seinem Pult, schaute aber auf, als der Besucher eintrat.

»Alle Wetter,« rief Spike erstaunt, »ich habe Sie doch irgendwo schon mal vorher gesehen!«

»Ich glaube nicht, daß wir uns schon einmal getroffen haben,« sagte der Beamte lächelnd, erhob sich und schob Holland einen Sessel hin. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Holland. Ich bin Polizeidirektor Featherstone. Im allgemeinen bin ich für das Publikum nicht zu sprechen, aber in Ihrem Fall mache ich eine Ausnahme, weil mir Ihr Gesicht sympathisch ist. Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«

»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir noch ein anderes Kompliment machten, etwas über meine schönen roten Haare.«

Jim Featherstone lachte.

»Also nun im Ernst. Ich will Ihnen sagen, warum ich Sie herbemüht habe. Ich weiß, daß Sie einen Chauffeur ausfindig machten, der eine Dame bis zum Ende der Field Road brachte, die man später nach Creagers Haus gehen sah.« Er lächelte, als der andere höchst erstaunt war. »Es ist kein Geheimnis dabei, denn die Polizei kontrolliert an sich alle Chauffeure. Der Mann fühlte sich nicht recht wohl, weil Sie ihn so scharf ausgefragt haben, und berichtete der Polizei, daß er die Dame dorthin gebracht hätte.«

»Haben die anderen Zeitungen das auch erfahren?« fragte Spike, unangenehm berührt.

»Keins der anderen Blätter hat die Nachricht bekommen oder wird sie bekommen,« sagte Featherstone ruhig, »nicht einmal Ihre Zeitung, der ›Daily Globe‹.«

»Aber wir haben die Sache doch herausgebracht,« sagte Spike.

»Aber ich möchte Sie gerade deswegen ersuchen, keinen Gebrauch davon zu machen. Deshalb habe ich Sie kommen lassen. Es ist wirklich nichts daran. Ich kenne die Dame persönlich, und all ihre Schritte sind zur Genüge aufgeklärt. Ich sehe wohl, daß Sie sehr enttäuscht hierüber sind, weil eine gute Mordgeschichte ohne eine verschleierte und geheimnisvolle Dame vom Standpunkt des Zeitungsberichterstatters aus keine richtige Mordgeschichte ist.«

Spike grinste.

»Es ist alles in Ordnung, wenn Sie mich nur deswegen gerufen haben,« sagte er. »Die Geschichte muß aber in unserer Zeitung herauskommen.«

»Ich will Ihnen ein oder zwei Tatsachen mitteilen, aus denen Sie weitere Schlüsse ziehen und die Sie dafür einsetzen können,« entgegnete Mr. Featherstone und spielte mit einem silbernen Brieföffner. »Der Mann, der Creager ermordete, hat rote Narben quer über die Schultern.«

»Ist das eine Ihrer Vermutungen?« fragte Spike erstaunt.

»Nein, das ist eine Tatsache. Ich werde Ihnen noch eine andere Angabe machen. Der Mörder hat entweder einen sehr starken Spazierstock oder ein Bündel Golfstöcke getragen. Ich persönlich neige mehr zu der Ansicht, daß es Golfstöcke waren, weil keine Viertelmeile von dem Tatort entfernt ein freier Platz liegt. Ich gebe ja zu, daß ich noch nicht genau weiß, ob diese Mitteilungen für Sie von irgendwelchem Wert sind, aber vielleicht sparen Sie diese Hinweise für sich persönlich auf, bis der Mörder gefangen ist und Sie darüber berichten.«

»Gibt es denn irgendwelche definitiven Anhaltspunkte, durch die das Verbrechen aufgeklärt werden könnte?«

Jim Featherstone schüttelte den Kopf.

»Keine – das heißt keine, die reif sind für die Veröffentlichung, weil sie nämlich wahr sind. Ich will nicht ironisch sein, Holland, aber Sie wissen vielleicht, daß wir nur dann Indizien öffentlich bekanntgeben, wenn wir einen Verbrecher erschüttern und ihn dazu bringen wollen zu fliehen. Es ist das letzte Hilfsmittel, das die Polizei anwendet, um einen Übeltäter dahin zu bringen, sich selbst dadurch zu verraten, daß er seine gewöhnliche Umgebung verläßt und sich versteckt. Es sind mehr Leute durch ihr verdächtiges Fernsein als durch hinterlassene Fingerabdrücke gefangen worden. Aber der Mann, hinter dem wir jetzt her sind, ist kein gewöhnlicher Verbrecher.«

»Was hat das eigentlich mit der Narbe auf dem Rücken zu bedeuten?« fragte Spike neugierig. Er erwartete keine Antwort auf seine Frage, aber zu seinem größten Erstaunen gab ihm Featherstone eine Erklärung.

»Ich weiß nicht, wie lange Sie schon in diesem Lande sind oder wieweit Ihre Kenntnisse der Gerichtsstrafen in England reichen. Für gewisse Verbrechen wird bei uns die Prügelstrafe angewandt. Manche Menschen denken, das sei brutal – und das mag ja vom rein menschlichen Standpunkt aus auch stimmen. So ist das Aufhängen sicherlich nicht sehr human. Wir haben aber erreicht, daß gewisse Arten von Verbrechen vollständig verschwunden sind. Wenn ein paar Straßendiebe einen Bürger auf der Straße überfallen und ihn berauben, kann sie der Richter zu je fünfunddreißig Schlägen verurteilen. Infolge dieser Maßnahme sind Raubüberfälle überhaupt nicht mehr vorgekommen. Oder wenn einem Menschen nachgewiesen wird, daß er gewohnheitsmäßig von der Erpressung von Straßendirnen lebt, dann wird er zur Prügelstrafe verurteilt, und dadurch ist das Zuhältertum sehr stark eingeschränkt worden. Die Prügelstrafe steht auch noch auf andere Vergehen, zum Beispiel auf tätlichen Angriff auf Gefangenenwärter. Wir nennen die Peitsche die ›neunschwänzige Katze‹. Creager brachte im Pentonville-Gefängnis sieben Jahre lang die Prügelstrafe zur Anwendung. Das ist ein sehr unangenehmes Amt, das außerordentlich starke Nerven und viel Geschicklichkeit erfordert, denn dem Gesetz nach darf die Peitsche nicht über oder unterhalb der Schultern den Körper treffen, weil die Schläge leicht den Tod zur Folge haben, wenn sie über den Hals gehen. Die meisten Verbrecher nehmen ihre Strafe hin und fühlen keine Rachegedanken gegen den Beamten, der diese Strafe vollzieht. Aber es gibt andere, die das niemals vergeben, und ich habe mir selbst die Theorie gebildet, daß der Mörder ein Mann war, den Creager einst geschlagen hat, und der nur eine Gelegenheit zur Rache abwartete.«

»Und was wollten Sie mit dem dicken Spazierstock oder dem Bündel Golfstöcke sagen?« fragte Spike.

»Creager wurde von einem Pfeil getötet, der von einem sehr starken Bogen abgeschossen wurde. Dieser Bogen war wahrscheinlich aus allerfeinstem Stahl hergestellt. Sie können aber nicht mit Bogen und Pfeil in der Hand durch London gehen, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Deshalb meine ich, daß die Waffe vielleicht in einem hohlen Spazierstock oder in einem Bündel Golfstöcke verborgen war.«

Spike kehrte zu seinem Bureau zurück und hatte das Gefühl, daß seiner Geschichte die Pointe genommen war.

»Wir müssen die Frau aus der Geschichte lassen, Mr. Syme,« sagte er. »Die Polizei hat alles über sie aufgeklärt, die ganze Sache hat nichts auf sich.«

»Ich mißtraue immer solchen geheimnisvollen Frauen,« beklagte sich der phantasielose Redakteur. »Aber hier ist ein Telegramm für Sie angekommen.« Er wandte sich um, nahm ein versiegeltes Formular aus dem Regal und reichte es seinem Angestellten hinüber. Spike öffnete es und las.

»Glauben Sie, daß Bellamy meinen Plan durch eine Schenkung unterstützen würde? Halten Sie ihn für einen Kinderfreund?«

Spike ließ sich auf einen Stuhl fallen und lachte, bis ihm die Tränen in die Augen kamen.

»Was hat denn nun schon wieder dieser hysterische Anfall zu bedeuten?« fragte Mr. Syme vorwurfsvoll.


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