Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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45

In diesem Augenblick kam das erste Dienstauto, und sie stiegen ein. Sie fuhren schon in schneller Fahrt das Themseufer entlang, bevor der zweite Wagen erschien. Ihr Weg führte sie durch die verlassene City, und dann kamen sie zu den hellerleuchteten Straßen von Whitechapel. Die Theater waren eben aus und sie kamen nur langsam vorwärts. Aber schon nach einer Viertelstunde waren sie in der Straße, in der der ›Goldene Osten‹ lag. Jim sprang auf die Straße, bevor der Chauffeur den Wagen zum Stehen bringen konnte. Die ganze Gegend war schon umstellt und schien mit einfachen, unauffälligen Männern angefüllt zu sein, die sich jetzt dem Gebäude näherten, als das Polizeiauto eintraf. Jim eilte an dem Portier vorbei die Treppe in die Höhe. Die Jazzkapelle spielte, ein Dutzend Paare tanzten auf dem spiegelglatten Parkett. Aber ohne sich um sie zu kümmern, eilte er an ihnen vorbei in den Raum, wo der Barmann in seiner weißen Kleidung gegen den Schanktisch lehnte und den Tänzern durch die offene Tür zuschaute.

»Wo ist Smith?« fragte Jim schnell.

»Er ist heute abend nicht hier, Captain.«

Jim nickte, wandte sich zu dem Tanzsaal und gab dem Kapellmeister ein Zeichen. Sofort hörte die Musik auf.

»Alle Leute in diesem Saal sollen ihre Garderobe nehmen und einzeln an mir vorbeikommen,« befahl er.

Die Gäste gehorchten auffallend schnell, obgleich ein oder zwei düster dreinschauende, unangenehme Individuen dabei waren, die diese Störung ihres Vergnügens übel aufnahmen.

In der Zwischenzeit waren die Leute vom Spezialdienst in das Lokal gekommen und zwei von ihnen folgten Jim hinter die Bar.

»Die Tür ist geschlossen, Coldharbour hat den Schlüssel,« sagte der Barmann ärgerlich.

Jim Featherstone trat mit aller Macht mit dem Fuß gegen die Tür und sie sprang krachend auf.

Das elektrische Licht brannte in dem Raum. Auf dem Tisch stand eine halbleere Flasche Champagner. Nur ein Glas stand daneben.

»Durch die Türe,« rief Jim und zeigte den Ausgang, der zur Straße führte.

Er selbst ging in das Treppenhaus. Oben war ein schmales Podest und eine Tür zu sehen, durch die Licht schimmerte. Er klopfte und plötzlich wurde es drinnen dunkel. Er wartete nicht, sondern stieß die Tür auf, indem er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers dagegen warf.

»Licht machen!« befahl er mit scharfer Stimme. »Jeder, der mich anzugreifen versucht, wird sofort erschossen!«

Einer der Detektive hinter ihm beleuchtete den Raum mit einer Taschenlampe. Man sah bestürzte Leute um einen grünen Tisch sitzen, auf dem die Spielkarten unordentlich durcheinanderlagen. Dann wurde es hell.

»Sie sind alle verhaftet!« rief Jim. »Was spielen Sie hier?«

»Wir spielen nur Bridge,« sagte jemand.

»Sagen Sie das dem Mann, der Sie morgen früh verhört!«

Eine Tür führte aus dem Raum hinaus. Er ging darauf zu und kam in die Küche. Es war aber nichts Verdächtiges zu entdecken. Von da aus kam er wieder in den Privatraum hinter der Bar, wo er den vollständig verzweifelten Barmann fand.

»Das ist ein großes Unglück für mich, Captain, ich habe das Lokal von Coldharbour gerade vor einer Woche gekauft. Alle meine Ersparnisse stecken in dem Geschäft.«

»Dann haben Sie das Geld verloren,« sagte Jim böse.

Er sah, daß der Mann die Wahrheit sprach und erinnerte sich jetzt daran, daß Coldharbour davon gesprochen hatte.

»Ich werde diesen Klub schließen, sobald ich die Leute, die ich oben beim Spiel abfaßte, überführt habe. Was denken Sie darüber, Barnett?«

Barnett schien nicht sehr erfreut zu sein.

»Das ist ein Trick, den man mir spielt,« begann er.

»War Coldharbour heute abend hier? Wer war bei ihm?«

Der Barmann antwortete nicht.

»Hören Sie – ich werde Ihnen eine Chance geben – ich werde den Fall gegen Sie so leicht wie möglich behandeln und Sie sollen die Lizenz, den Klub fortzuführen, nicht verlieren, wenn Sie mir jetzt antworten. Wann war Coldharbour Smith hier?«

»Etwa vor einer halben Stunde.«

»War jemand bei ihm?«

»Eine Dame.«

»Wer noch?«

»Der Mann, der sie herbrachte. Der ist aber fortgegangen.«

»Und wo sind sie jetzt?«

»Das weiß ich nicht, Captain, ich schwöre Ihnen, daß ich es nicht weiß. Ich kann Ihnen nur sagen, daß Coldharbour alles Geld, jeden Cent, den er ausstehen hatte, einkassiert und sich davon gemacht hat. Er sagte noch, daß er nach Amerika oder sonstwohin gehen wollte.«

»Wie ist er denn fortgekommen? Seit Montag ist doch kein Postdampfer nach Nord- oder Südamerika in See gegangen.

»Das weiß ich nicht.« Der Mann zögerte. »Aber er hat immer diese Schiffskapitäne getroffen, die verkehren hier regelmäßig. Besonders mit dem einen hat er immer stundenlang zusammengesteckt.«

»Wer war das?«

»Er hieß Fernandez. Er ist Mitbesitzer eines kleinen Frachtdampfers ›Contessa‹, den er selbst fährt. Sie liegt unten im Pool oder wenigstens diesen Nachmittag lag sie noch dort.«

Jim ging zum Telephon und verlangte eine Nummer.

»Der Polizeiinspektor der Themse-Division? . . . Captain Featherstone am Apparat. Die ›Contessa‹ soll angehalten werden, es ist ein Frachtdampfer, der im Pool liegt . . . ach Sie kennen sie?«

Er wartete einen Augenblick, bis der Polizeiinspektor ihm mit der Uferstation verbinden ließ.

»Jawohl . . . Captain Featherstone am Apparat . . . halten Sie die ›Contessa‹ an. Ja, sie liegt im Pool . . . gut!«

Das Polizeiauto brachte ihn zu einer kleinen Station der Wasserpolizei am Themseufer. Er sprang in das kleine Motorboot, das ihn dort erwartete.

»Es sind keine Anzeichen vorhanden, daß sie abfahren will,« sagte der Inspektor, der ihn begleitete. »Sie liegt noch vor Anker.«

»Hat irgendein Schiff den Pool verlassen?«

»Ja, heute früh, die ›Messina‹, auch ein Frachtdampfer, der nach Südamerika fuhr.«

Die »Contessa« lag in der Mitte des Pool, dieses breiten Arms der Themse, wo die Schiffe der ganzen Welt verkehren. Das Motorboot legte langsam an und machte an der Leiter fest. Die Strompolizisten gingen an Bord, und Jim kletterte hinter ihnen her.

Offensichtlich war kein Wachtposten auf dem Schiff ausgestellt, denn das ganze Deck war leer. Ohne Umschweife gingen die Leute gleich in das Innere des Schiffes, der Kapitän der »Contessa« wurde aus dem Schlaf geweckt und in den Salon gebracht. Er schien ziemlich betrunken zu sein und hatte nach seinen Angaben niemand gesehen. Das Verhör machte ihn allmählich wieder nüchtern und er sagte aus, daß seine ganze Mannschaft, bestimmt aber seine Offiziere, betrunken seien, und damit hatte er recht.

»Das kann unmöglich das richtige Schiff sein,« sagte Jim aufgeregt, als sie wieder an Deck kamen. »Die Leute haben wirklich zuviel Alkohol zu sich genommen, und es ist niemand an Bord, der den Dampfer den Fluß hinuntersteuern könnte.«

Man durchsuchte den ganzen Dampfer, aber nur kurz, denn die Beamten fanden, daß das Schiff keinen Dampf aufhatte. Die Feuer waren ausgeblasen, die Kessel kalt, und es war eine physikalische Unmöglichkeit, daß es bald abfahren konnte, selbst wenn der Kapitän die Absicht haben sollte.

»Es muß das andere Schiff gewesen sein, das heute nachmittag den Strom hinunterfuhr,« sagte Jim.

Der Inspektor der Strompolizei schüttelte den Kopf.

»Es wird jetzt schon auf See sein, wenn es nicht an der Mündung gewartet hat, um den Passagier aufzunehmen. Smith konnte sie noch sehr leicht erreichen, wenn er ein schnelles Auto benutzte und in Tilbury an Bord ging.«

Sie kletterten wieder die Strickleiter hinunter zu dem Motorboot. Valerie Howett hörte das Geräusch des kleinen Motors, als sie zum Ufer zurückfuhren, und sie verzweifelte.


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