Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16

»Vorsätzlicher Mord. Die Anklage richtet sich gegen eine oder mehrere unbekannte Personen.«

Bellamy las den Bericht über die Leichenschau Creagers, ohne sich im mindesten darüber aufzuregen. Für ihn bedeutete dieses Ereignis weiter nichts, als daß er die Summe von jährlich 480 Pfund, die er schon so lange gezahlt hatte, in Zukunft sparen würde. Es war ihm unangenehm und peinlich gewesen, alle die unzähligen Fragen zu beantworten, die die Polizei über seine Beziehungen zu dem Toten an ihn gerichtet hatte, aber das hatte er ja nun glücklich alles hinter sich.

Merkwürdig war nur, daß die sonderbaren Umstände von Creagers Tod ihn nicht im mindesten nachdenklich stimmten. Auch brachte er den Vorfall in keine Beziehung zum Grünen Bogenschützen. Er hatte von vornherein ein großes Mißtrauen und Vorurteil gegen Zeitungen, und als er damals gelesen hatte, daß man das Auftreten des Grünen Bogenschützen mit dem Mord an Creager in Zusammenhang brachte, hielt er das Ganze nur für eine verrückte Erfindung dieser Zeitungsleute. Seiner Meinung nach war der Mann von irgendeinem alten Verbrecher ermordet worden, der ihn haßte. Und wenn er tatsächlich durch einen Pfeil getötet worden war, dann hatte der Mörder seinen Plan eben aus diesen verrückten Zeitungsartikeln geschöpft.

In der letzten Zeit war ihm etwas aufgefallen, was aber nichts mit dem Mord zu tun hatte. Es war die düstere Stimmung seines Privatsekretärs. Irrtümlicherweise nahm er als Grund dafür die Enthüllungen, die er ihm gemacht hatte, daß er seine Vergangenheit kannte. Diese Überzeugung befriedigte ihn so, daß er beschloß, ihn länger in seinen Diensten zu halten.

Die Anwesenheit der neuen Mieter von Lady's Manor war ihm in mancher Beziehung unangenehm. Sie schienen in gewisser Weise in seine unumschränkte Gewalt einzudringen, aber er sprach sich nicht bestimmt darüber aus. Er wußte nicht, wer sie waren, und kümmerte sich auch nicht darum. Außer mit Julius besprach er niemals äußere Dinge. Seine anderen Dienstboten richteten niemals das Wort an ihn, es sei denn, daß er sie anredete, und das tat er niemals. Das Einzige, was sie von ihm hörten, waren Vorwürfe.

Einige Tage nach der Entlassung Wilks hatte er Grund, den neuen Hausmeister anzufahren.

»Junger Mann, ich möchte Ihnen das ein für allemal sagen. Ich wünsche nicht, daß Sie irgendeinen Raum betreten, in dem ich bin, wenn ich nicht nach Ihnen schicke oder Sie rufe. Sie haben gestern abend an die Tür meiner Bibliothek geklopft, obwohl Mr. Savini Ihnen sagte, daß ich nicht gestört sein wollte.«

»Ich bitte um Entschuldigung, mein Herr,« sagte der Hausmeister höflich, »die Gewohnheiten in diesem Schloß sind mir noch fremd, aber ich werde es in Zukunft unterlassen – Sie sollen sich nicht über mich beklagen.«

Die Ankunft des neuen Hausmeisters schien die Depression, die auf Julius Savini lastete, noch zu verschlimmern. Auf jeden Fall war eine bemerkenswerte Änderung in dem Betragen des Sekretärs wahrzunehmen, seitdem der neue Mann seinen Dienst angetreten hatte. Er sprach nicht mehr so viel und war weniger mitteilsam. Als Abel durch den Park ging, fand er ihn dort eines Nachmittags in einer ziemlich verzweifelten Stimmung.

»Was ist denn mit Ihnen los?« fuhr er ihn an. »Wenn jemand hier Grund hat, ärgerlich zu sein, so bin ich es! Nehmen Sie sich doch zusammen und laufen Sie nicht mit einem solchen Gesicht herum! Was ist denn eigentlich mit Ihnen los? Hat die Polizei Ihre Schandtaten entdeckt und ist hinter Ihnen her?«

»Ich fühle mich nicht wohl.«

»Dann suchen Sie sich eine andere Stelle,« brummte der Alte, »ich habe hier kein Sanatorium.«

Diese Ermahnung hatte den Erfolg, daß Savini sich plötzlich sehr beweglich und liebenswürdig zeigte. Aber Bellamy schimpfte nun erst recht über ihn.

Seit dem letzten Erscheinen des Grünen Bogenschützen waren mehr als zwei Wochen vergangen, und Bellamy erklärte sich diese Tatsache durch die Anwesenheit der Hunde.

»Es muß doch irgend etwas an einem Polizeihund sein, das ein Geist nicht vertragen kann,« sagte er, »oder umgekehrt hat ein Geist irgend etwas an sich, das einen Polizeihund ärgert.«

In der folgenden Nacht wachte er plötzlich von dem Knurren eines Hundes auf. Sofort sprang er aus dem Bett und eilte auf den Gang hinaus. Alle Lampen brannten, wie er es angeordnet hatte, und einer der Hunde stand in Anschlag mitten im Korridor und witterte nach der Treppe zu, die zu der Halle nach unten führte.

Bellamy pfiff, der Hund drehte sich um und kam langsam auf ihn zu, hielt aber manchmal an und sah sich nach der Treppe um. Gleich darauf kam auch der andere die Treppe heraufgesprungen.

»Nun, was ist denn mit euch los?«

Abel ging in sein Zimmer zurück, zog seinen Morgenrock an und steckte den Revolver in die Tasche. Darauf stieg er, von beiden Hunden gefolgt, die Treppe hinunter zu der Halle. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Er schloß die Bibliothek auf, ging hinein, drehte das Licht an und durchsuchte den Raum, ohne irgend etwas zu finden. Die große schwere Haustür war auch verschlossen und wohl verriegelt.

Beruhigt ging er nach oben und legte sich nieder. Aber kaum war er wieder in einen leichten Schlaf gefallen, als er von neuem das Bellen der Hunde hörte. Diesmal schlugen beide Tiere an. Er fand sie, wo er sie das erstemal gesehen halte. Sie standen der Haupttreppe zugekehrt und knurrten. Auf seinen Pfiff hin sah sich nur einer von ihnen um, rührte sich aber nicht von der Stelle. Erst als er sie scharf anrief, kamen sie zu ihm.

»Was habt ihr denn nun schon wieder?«

Ein Bellen war die Antwort.

Plötzlich sprangen sie beide davon, als ob sie etwas gehört hätten, und fegten wie der Wind den Gang entlang. Abel eilte hinterher.

Als er die Treppe hinunterkam, sah er, wie sie unten in der Halle den Flur beschnüffelten. Er drehte alle Lichter an und untersuchte den Raum eingehend, konnte aber wieder nichts finden.

»Ihr scheint heute nacht etwas verrückt zu sein,« brummte er.

Es fiel ihm auf, daß die Tiere unruhig waren. Aber es war ja möglich, daß auch sie ihre besonderen Eigentümlichkeiten hatten, dachte er und legte sich wieder zu Bett. Als er am Einschlafen war, hörte er sie wieder bellen, aber er nahm keine weitere Notiz davon und drehte sich nach der anderen Seite um. Bald war er fest eingeschlafen.

Es war fünf Uhr, als er aufwachte, und es war noch dunkel. Er stand auf und zog seinen Schlafrock an, bevor er das Licht andrehte. Aber dann wurden seine Augen groß. Die beiden Türen standen weit offen, obwohl er bestimmt wußte, daß er sie fest verschlossen und gesichert hatte, als er das letztemal zu Bett ging. Was war denn mit den Hunden los?

Er ging in den Korridor, um nach ihnen zu sehen und glaubte zuerst, daß sie tot seien, weil sie hintereinander mit ausgestreckten Beinen an der Wand lagen. Er ging hin und schüttelte den einen. Der Hund öffnete langsam die Augen, sah ihn einige Sekunden schläfrig an und schloß sie dann wieder.

»Sie sind betäubt worden,« sagte Bellamy. »Also war gestern abend doch jemand hier, der sich die ganze Zeit verborgen hielt. Aber das mußte ein Mensch gewesen sein. Der Grüne Bogenschütze war also Fleisch und Blut –« Bellamy hatte auch nichts anderes erwartet.

Mit der Zeit kamen die Hunde wieder zu sich und benahmen sich so, als ob nichts geschehen wäre. Er brachte sie selbst zu dem Hundekäfig hinunter.

Warum war der Grüne Bogenschütze gekommen, was beabsichtigte er? Sicherlich wollte er nicht nur zeigen, daß er sich zu jeder beliebigen Zeit Zutritt zu dem verschlossenen Raum verschaffen konnte. Es war doch immerhin mit einer gewissen Gefahr verbunden, die Hunde zu betäuben. Was mochte er gesucht haben? In seinem Schlafzimmer bewahrte er wenig wertvolle Gegenstände auf, und diese waren vollständig unberührt geblieben. Also wollte er sicherlich nichts stehlen. Und doch war es Bellamy klar, daß der Grüne sich keinen Spaß erlaubte, sondern eine sehr ernste Absicht mit seinem Besuch verfolgte.

Plötzlich kam ihm die Erklärung. Der Grüne Bogenschütze suchte den Schlüssel – den Schlüssel, den er bei Tag bei sich trug und nachts unter sein Kissen legte. Er trug ihn in seiner Tasche an einer langen Stahlkette, und wenn er morgens zum Bad ging, hing er sich den Schlüssel mit der Kette um den Hals.

Er sah etwas sonderbar aus, war lang, schmal und dünn. – Der Schlüssel! Das war die Erklärung! Und wenn diese richtig war, dann kannte der Grüne Bogenschütze auch das Geheimnis von Garre Castle! Er eilte zur Bibliothek und warf die Tür krachend hinter sich zu. Savini hörte es im Halbschlaf und träumte, daß sich der alte Bellamy erschossen hätte. Er lächelte beseligt.


 << zurück weiter >>