Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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38

Mr. Howett war durch dieselbe Tür gekommen, die der Grüne Bogenschütze benützte, wenn er trotz aller Vorsichtsmaßregeln Abel Bellamys in die Burg kam.

Julius atmete tief auf. Dann ging er zu seinem Zimmer zurück, holte den gefälschten Scheck aus seiner Brieftasche und verbrannte ihn im Kamin, denn er sah plötzlich einen ergiebigeren und weniger gefährlichen Weg. Howett war ein reicher Mann, und Howett würde zahlen!

Mit Muße nahm er seine Schlüssel, öffnete die kleine Tür und stieg langsam die Steintreppe zu dem Vorratsraum hinunter. Der Raum war vollständig leer, wie er vermutet hatte. Die Tür zur Küche war nicht verschlossen, und er trat ein.

»Nein, mein Herr, hier ist niemand durchgekommen,« sagte die Köchin und schüttelte den Kopf. »Die Dienstmädchen, die oben reinmachen, sind schon seit Stunden zurück.«

Die Tür, die ins Freie führte, war innen verriegelt und verschlossen.

Julius ging wieder zu dem Vorratsraum zurück, in dem Valerie Howetts Taschentuch damals gefunden wurde. Das war ihm nun kein Geheimnis mehr. Wer anders als Mr. Howett hätte es mit sich bringen können? Vielleicht hatte er bei seiner Kurzsichtigkeit das Tuch nur irrtümlicherweise genommen.

Es war Julius jetzt ziemlich gleichgültig, ob der alte Bellamy ihn in seinem Dienst behalten oder ihn entlassen würde, denn nun war ihm für den Rest seines Lebens eine Einnahmequelle sicher. Er ging hinaus in den Park und schaute nach Lady's Manor hinüber, als ob er schon der Besitzer sei. Er war in glückliche Träume versunken, wie er leicht zu Wohlstand und Reichtum kommen konnte, als er plötzlich einen Mann vom Pförtnerhaus her auf sich zukommen sah. Er erschrak, als er den Besucher erkannte.

»Donnerwetter, was haben Sie denn hier zu tun, Featherstone?« fragte er. Seine rosigen Träume zerflossen wieder.

»Ich benütze die Tagesstunden – ich habe gehört, daß der Alte aus ist, obwohl ich ihn zu Hause vermutete, als ich von London abfuhr.«

»Aber Sie können nicht in die Burg kommen, Captain Featherstone,« sagte Julius aufgeregt. »Ich kann zu leicht meine Stellung verlieren. Womöglich kündigt mir der Alte schon morgen.«

»Das dachte ich mir.«

»Das dachten Sie sich?«

Jim Featherstone nickte.

»Savini, wenn ein Mann wie Sie anfängt, bei den Schiffsagenturen Erkundigungen nach deutschen Dampfern einzuziehen, die von Vigo nach Rio fahren, dann liegt vermutlich die Gefahr nahe, daß Sie hinausgeworfen werden oder daß Sie selbst einen Wechsel der Luft und Ihrer Tätigkeit beabsichtigen. Lassen Sie sich das Eine sagen: selbst wenn Bellamy der Teufel wäre, ist es meine Pflicht, ihn vor Beraubung und Diebstahl zu schützen! Ich warne Sie, Savini. Jeder Ihrer Schritte wird bewacht, ob Sie London nun mit der prosaischen Eisenbahn oder mit dem romantischen Flugzeug verlassen.«

Julius hätte in Ohnmacht fallen können. Was wäre aus seiner Flucht geworden!

»Ich weiß nicht, warum Sie so von mir denken, Captain,« sagte er mit der unschuldigsten Miene von der Welt. »Ich versuche immer offen und ehrlich zu sein, aber ihr Polizeileute macht einem das furchtbar schwer.«

Jim lachte.

»Ihre Märtyrermiene, die Sie da zur Schau tragen, und die beleidigte Unschuld, die Sie mir da vorspielen, ist wirklich köstlich. Sie können mir jetzt einen großen Dienst erweisen, Julius, ich suche nämlich etwas im Garten, ich will ja gar nicht in die freiherrlichen Räume eindringen.«

»Was suchen Sie denn?« fragte Julius. Seine Neugierde überwand seine Furcht.

»Ich habe neulich abend eine Anzahl eiserner Stäbe in den Boden geschlagen und habe sie auch alle mit Ausnahme eines einzigen wiedergefunden. Es war in der Nacht, als die Hunde hinter dem Grünen Bogenschützen her waren.«

»Eiserne Stäbe?« fragte Julius halb ungläubig.

»Ich kann Ihnen jetzt nicht erklären, warum ich es getan habe. Helfen Sie mir lieber suchen. Es war in dem Gartenbeet dicht an der Mauer. Das ist doch die Rückseite von Bellamys Bibliothek, nicht wahr?« Er zeigte auf die graue Wand aus rohbehauenen Steinen.

Julius nickte.

»Sie müssen doch jetzt alle Räume im Schloß genau kennen,« sagte Savini. »Wenn der alte Bellamy nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, daß ich wußte, wer Sie waren, dann hätte es den größten Spektakel gegeben!«

»Haben Sie jetzt einen neuen Hausmeister?«

»Das bin ich selbst,« murrte Julius böse. »Der alte Teufel behandelt mich wie einen gewöhnlichen Dienstboten!«

Das Suchen nach dem Stab dauerte nicht lange. Jim hatte sich kaum fünf Minuten umgesehen, als er das Eisen in dem Boden entdeckte und aus der Erde zog.

»Was ist denn das?« fragte Julius.

»Es ist ein Thermometer und die Temperatur, die es anzeigt, sind sechs Grad, das kann ich Ihnen schon im Voraus sagen, ehe ich einen Blick darauf werfe.«

Er schleuderte es so, daß die Erde von der Glasoberfläche abfiel und prüfte den Stand, aber dann pfiff er.

»Zwanzig Grad?« sagte er halb zu sich selbst. »Zwanzig Grad – das bedeutet etwas, Savini. Die Erde ist hier vierzehn Grad wärmer als die Erde in dem anderen Grundstück, hier hätten wir also den Grund, warum die Gasrechnung so hoch war.«

»Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?« fragte Julius, »Und was wollen Sie denn mit der Gasrechnung – Sie glauben doch nicht etwa, daß er den Boden hier heizt?«

»Doch, das vermute ich.« Featherstone prüfte den Stand des Thermometers noch einmal, die augenblickliche Temperatur stand auf fünfzehn, aber während der Zeit, als es in den Boden geschlagen und wieder herausgeholt wurde, zeigte es zwanzig Grad.

»Ich weiß nicht, was Sie damit wollen,« bemerkte Julius gereizt. »Was soll ich denn dem Alten sagen, wenn er zurückkommt?«

»Nichts,« war die freundliche Antwort. »Sie werden ebenso diskret und liebenswürdig wie damals sein, als ich die Ehre hatte, unter demselben Dach mit Ihnen zu schlafen.«

Julius wurde der Notwendigkeit zu lügen überhoben, denn in dem Augenblick, als sich Featherstone zum Gehen wandte, bog Bellamys Wagen in das Tor ein. Der große Mann sprang heraus, bevor der Wagen hielt.

»Haben Sie wieder einen Befehl, die Burg zu durchsuchen?« fragte er. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Captain Featherstone. Was ich hier in England am meisten schätze, ist die Art und Weise, wie fremde Leute in fremde Grundstücke kommen, ohne daß man sie eingeladen hat. Was haben Sie denn da?« fragte er scharf.

Ohne ein Wort zu verlieren, reichte ihm Jim die lange Eisenstange. Bellamy zog die Stirne kraus.

»Kurz bevor ich Ihren Dienst verließ, Mr. Bellamy, habe ich mir die Freiheit genommen, rings um die Burg Eisenstäbe in den Boden zu schlagen, an denen selbstregistrierende Thermometer befestigt waren. Alle mit Ausnahme dieses einen zeigten eine Temperatur von sechs Grad, als ich sie herausnahm. Dieses fand ich damals nicht wieder, und als ich es heute herausnahm, zeigte es zwanzig.«

In Bellamys Gesicht zuckte kein Muskel.

»Vielleicht haben Sie einen Vulkan entdeckt,« meinte er ironisch, »oder eine heiße Quelle. Haben Sie die Absicht, mich ins Gefängnis zu stecken, weil der Boden hier heiß ist?«

»Ich erlaube mir nur die Bemerkung, daß es merkwürdig ist.«

Bellamy lachte heiser.

»Ich möchte nicht gern einem so klugen Menschen wie Ihnen widersprechen, Featherstone,« sagte er dann. »Aber wenn Sie in dem Pförtnerhaus nachsehen, werden Sie finden, daß ich mit echt amerikanischer Gründlichkeit eine Warmwasserleitung dorthin gelegt habe. Sicher haben Sie nun dies Heißwasserrohr erwischt, und wir haben es also schon wieder einmal mit einer Wasserröhre zu tun!«

Er lachte, als ob er sich über einen guten Witz auf Kosten des Detektivs freute.

»Aber trotzdem,« fuhr er fort, »möchte ich doch gerne wissen, was Sie gefunden zu haben glauben.«

»Ich hatte natürlich nicht erwartet, eine Warmwasserleitung zu finden,« entgegnete Featherstone.

Die Erklärung Bellamys war durchaus logisch und stichhaltig, und Jim fühlte, daß Abel Bellamy gewonnen hatte. Die Nachforschungen, die er sofort in dem Pförtnerhaus anstellte, bestätigten die Angaben des Alten.

Spike Holland gegenüber gestand er seinen Mißerfolg ein.

»Ich kann nicht genau sagen, was ich eigentlich finden wollte. Aber es war doch klar, daß die großen Gasmengen an Stellen verwandt wurden, die man nicht sehen konnte. Während ich in der Burg war, hatte ich die Gelegenheit, den Gasometer zu beobachten. Es wird viel mehr Gas in Garre gebraucht, als die Öfen jemals rechtfertigen.«

»Ich möchte Ihnen etwas erzählen,« sagte Spike, nachdem sie sich über das Gasproblem ausgesprochen hatten. »Es ist ein Fremder in dem Dorf angekommen, seitdem Sie fort sind. Er wohnt in einem Hause in der Nähe von Lady's Manor, und ich sah ihn abends und nachts in der Nähe von Mr. Howetts Wohnung umherwandern.«

»Das konnte ich mir denken,« erwiderte Jim lachend. »Das ist einer meiner Beamten, der den Auftrag hat, hier alles zu beobachten. Es ist nur schade, daß dieser Posten heute eingezogen werden muß,« sagte er ernst. »Es fehlen uns Leute, und ich kann keinen einwandfreien Grund dafür angeben, warum er hierbleiben müßte. Nun ist es an Ihnen, Holland, mir nach Kräften zu helfen. Ich möchte Sie auch in mein Vertrauen ziehen und Ihnen mitteilen, daß sich Miß Howett in einer ernsten Gefahr befindet. Welcher Art diese Gefahr ist, kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich es selbst nicht weiß. Es ist mir nur bekannt, daß Bellamy aus irgendeinem Grund Valerie Howett furchtbar haßt. Wenn ich mich nicht vollständig irre, plant er etwas Entsetzliches gegen sie. Wenn Sie bereit sind, weiter hier zu bleiben, will ich zusehen, daß ich Ihren Redakteur aufsuchen und ihm klarmachen kann, daß Ihre Anwesenheit hier notwendig ist. Ich kann ihm genug erzählen und ihn überzeugen, daß es hier noch eine Sensation geben wird. Und wenn Sie mir helfen, dann werde ich sehen, daß Sie alle Berichte zuerst bekommen.«

»Und was soll ich tun?«

»Schlafen Sie am Tag möglichst viel und halten Sie sich nachts möglichst in der Gegend von Lady's Manor auf.«

»Sind Sie auf den Grünen Bogenschützen scharf?«

Featherstone schüttelte den Kopf.

»Nein, darum kümmere ich mich nicht. Der kann für sich selber sorgen, und ich bin darüber beruhigt, daß er gegen Miß Howett nichts Böses im Schilde führt. Nein, ich meine Coldharbour Smith. Glauben Sie mir, der ist meinem Frieden gefährlicher als der mörderischste Bogenschütze, der jemals einen grünen Anzug trug.«

Als er abends zur Stadt zurückfuhr, ließ er seinen Wagen an dem Wege halten, der nach Garre führte, und schaute zurück. Die trotzigen Umrißlinien der Burg hoben sich scharf gegen den vom letzten Abendrot durchglühten Wolkenhimmel ab und schauten düster und drohend herüber. Welches Geheimnis mochten diese Mauern hüten? Er war sicher, daß die eigentliche Tragödie der Burg noch nicht enthüllt war.


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